E-Book, Deutsch, Band 3, 389 Seiten
Reihe: Kater Serrano ermittelt
Anlauff Katzenwut: Kater Serrano ermittelt - Band 3
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-96148-057-9
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 3, 389 Seiten
Reihe: Kater Serrano ermittelt
ISBN: 978-3-96148-057-9
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Nach ihrer Ausbildung zur Buchhändlerin studierte C. M. Anlauff Archäologie, Geschichte und Literaturwissenschaft in Berlin und Potsdam. 2005 erschien ihr Debüt, seitdem veröffentlichte sie neben Romanen auch Hörspiele und ein Theaterstück. Für ihren ersten Krimi 'Katzengold' wurde sie 2010 mit dem Deutschen Katzenkrimipreis ausgezeichnet. C. M. Anlauff lebt in Potsdam.
Autoren/Hrsg.
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Bismarck
JEDE GRÖSSERE DEUTSCHE STADT besitzt einen Park. Das ist eine Behauptung. Potsdam hat fünf, das ist eine Tatsache.
Wenn man den Stadtführern glauben darf, stellt jeder dieser urbanen Gärten ein Kleinod für sich dar und wird von mindestens einer architektonischen Perle geziert. Im Neuen Garten ist es das Marmorpalais. In Babelsberg das gotisch anmutende Schloss des Kronprinzen Wilhelm, im Volkspark eine energiefressende Palmenhalle, in Glienicke ein Jagdschloss und im berühmtesten von allen, dem Park Sanssouci, das Sommerhaus eines kleinwüchsigen Zynikers der europäischen Aufklärung: Friedrichs des Zweiten.
Trotz der hochtrabenden Bezeichnung »Schloss« ist Sanssouci eher eine Datscha: läppische zehn Zimmer, ein kleiner Mittelsaal und Kamine, die zu Friedrichs Zeiten nie ein Scheit gesehen hatten. Sie waren blanke Dekoration, denn der spartanische König wohnte nur von April bis Oktober auf Sanssouci, ehe er sich im August 1786 schließlich ganz zum Auszug entschloss und in einen Sarg umsiedelte. Kleine Räume waren ihm ohnehin die liebsten.
Für diesen letzten hatte Friedrich sich schon frühzeitig eine unterirdische Nische im Souterrain des Schlossberges reserviert, in direkter Nachbarschaft der Überreste seiner Lieblingshunde.
Leider nahm sein Nachfolger die Reservierung nicht ernst.
Statt neben die Hunde bettete er Friedrich neben seine Verwandten in die Potsdamer Garnisonkirche. Von dort wiederum floh die bleiche Familie gegen Kriegsende nach Westen auf den Stammsitz der Hohenzollern, was sich als weise Entscheidung erwies. Zwar ging die Garnisonkirche unter den Bomben der Alliierten nur halb zu Bruch, danach jedoch zogen Vertreter der Arbeiter und Bauernschaft ins Potsdamer Stadthaus, die einen systembedingten Groll gegen alles Royale hegten, und die erledigten den Rest.
Sechsundvierzig Jahre lang witterten Friedrichs Gebeine sehnsüchtig in Hechingen vor sich hin.
Und mit ihnen witterten, im weit entfernten Potsdam, die Knochen seiner Hunde.
Dann fiel eine Mauer.
Und eines Tages, als Friedrich seine Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, bewegte sich plötzlich der Deckel seines Sarges. Die Gesichter zweier Männer ohne Perücke beugten sich über ihn.
»Holla!«, sagte der eine, auf dessen Nase ein seltsames Gestell hockte. »Man sieht ihm die Zweihundertfünfzig gar nicht an.«
Der andere starrte beeindruckt in die königlichen Augenhöhlen. »Ich würde sagen, er ist transportfähig.«
Als Friedrich endlich, in der Nacht des 17. auf den 18. August 1991, nach Sanssouci heimkehrte, wartete dort außer seinen Hunden noch jemand auf ihn. Es war ein kleiner Kater, der später den Namen Bismarck tragen sollte.
Tier und Monarch grüßten sich stumm. Dann sank Friedrich unter Flötenmusik in die Tiefe, während der Kater einen Schnürsenkel ins Visier nahm, der unbeachtet von einem schwarzen Schuh hing. Es dauerte eine Weile, bis er ihn zu fassen bekam. Als er ihn endlich hatte, zerrissen Blitze die Luft.
Steif vor Schreck ließ sich der Kater ein paar Meter durch Staub und Splitt schleifen, ehe ihn eine übergeordnete Macht durch die Luft wirbelte und er an genau der Stelle niederging, von der er eine Stunde zuvor aufgebrochen war.
ALS DER CHEFFOTOGRAF DER Tageszeitung Märkische Allgemeine die Ausbeute der Nacht durchging, schwelgte er in einer Laune müder Zufriedenheit. Eine Serie von Bildern zeigte den Kanzler bei der Niederlegung des Kranzes. Wie es sich gehörte, trug er einen dunklen Anzug zu schwarzen Halbschuhen. Im Hintergrund eine Riege »Langer Kerls«, deren Dreispitze der Szene ein historisches Timbre verliehen. Helmut Kohl selbst neigte sich von Bild zu Bild tiefer, während seine Haare eisern die Stellung hielten.
Die Augen des Fotografen leuchteten auf. Da! Das war es! Der Kanzler hatte das Gebinde abgelegt, sich aber noch nicht wieder erhoben.
Bildunterschrift: Letzter Diener vor dem ersten Diener seines Volkes. Das perfekte Foto für die Titelseite, bis auf …
Er stutzte.
Am rechten Schuh des Kanzlers hatte sich ein Schnürsenkel gelöst. Und daran hing – eine Katze! Verdammt, was machte die Katze da? Bestürzt griff er nach den anderen Fotos. Dasselbe. Weshalb hatte er das Vieh nicht bemerkt?
Fluchend schleuderte der Cheffotograf die Abzüge auf den Tisch. Er hasste Katzen!
DERWEIL BERICHTETE DAS OBJEKT seiner Wut im Gebüsch hinter dem Grabrondell aufgeregt von seinem Abenteuer.
Das Ergebnis war enttäuschend. Seine Geschwister glaubten ihm nicht, wiewohl das falsche Licht und der Lärm der Beerdigungsgesellschaft noch immer nachhallten. Am meisten enttäuschte ihn die Reaktion seiner Mutter. Sie gab ihm eine Ohrfeige und wies ihm beim anschließenden Stillen die kleinste Zitze zu. Trotzig fügte sich der Kater. Er hatte gesehen, was er gesehen hatte. Und gespürt, was er gespürt hatte: den kalten Hauch eines Geistes.
Im Morgengrauen verließ er seine Familie auf Nimmerwiedersehen. Er war jetzt fünf Wochen alt und bereit, es allein mit dem Leben aufzunehmen. Eine Weile hockte er sich auf die Steinplatte, die das Loch von gestern inzwischen bedeckte, und sog den betörenden Duft eines Lilienkranzes ein. Dann stand er auf, hob seine Nase gen Südwesten und folgte ihr.
Sie führte ihn durch den Park auf eine Straße und die Straße entlang in eine Gegend mit hohen Steinblöcken. Hässlich. Aber nach einer Weile entdeckte der Kater eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Blöcken und dem Schloss, neben dem er bisher gewohnt hatte. Nur weniger Gold gab’s hier und mehr Steine dazwischen, auf denen dröhnende Vierräder und schlanke, aber gefährliche Zweiräder rotierten. Menschen mit und ohne Junge. Auch Katzen, die ihn feindselig durch Zaunstreben hindurch beäugten. Der Kleine beachtete sie nicht.
Während der ersten Zeit nächtigte er in einem verlassenen Fuchsbau in einem am Rand des Viertels gelegenen Sumpf und ernährte sich von Spitzmäusen und Vogeljungen. Tagsüber streifte er auf der Suche nach einem besseren Quartier durch die abgezirkelten Straßen.
Bis zum Herbst hatte er jedes Gebäude, jeden Garten und Schuppen, der noch nicht von seinesgleichen belegt war, inspiziert. Viele waren es nicht. Als er sich endlich es ging auf November zu – für einen muffigen, aber trockenen Keller in einem Eckhaus entschied, traf er die Frau.
Das heißt, sie traf ihn. Er selbst lag auf der Lauer nach einer Blaumeise, die auf dem Gehweg vor seiner zukünftigen Heimstatt herumhüpfte. Als er die Alte bemerkte, war es zu spät.
»So ein schmucker Kleiner«, murmelte sie.
Der Kater verstand kein Wort. Wohl aber verstand er die Botschaft des Herings, der ihm vor die Pfoten platschte. Eine Fessel aus säuerlich-modrigem Duft umschlang seine Nase. Benommen machte er einen Schritt rückwärts. Dann zwei nach vorn. Und schon gruben sich seine Zähne in das mürbe Fleisch.
Er hatte erst einmal im Leben Fisch gegessen, einen kleinen Silberling mit roter Schwanzflosse aus einem Teich im Park, der nach Sumpf geschmeckt hatte. Kein Vergleich zu diesem hier, dessen Säure sich auf abstoßend eindringliche Weise in seine Zunge grub, sodass er beim Kauen ständig zwischen Brechreiz und der Überzeugung schwankte, nie wieder etwas anderes fressen zu wollen.
Die Alte brabbelte etwas vor sich hin. Das störte den Kater etwas in seinem Genuss, aber nicht so sehr, dass er seine Delikatesse deshalb fahren gelassen hätte. Ab und zu hielt er im Schmatzen inne und blickte argwöhnisch zu ihr auf. Die Alte lächelte. Als er den Hering bis auf die Gräten abgenagt hatte, erhob sie sich, wies auf ein zerbrochenes Kellerfenster, das er schon gesehen hatte, und verschwand im Haus. Sie hatte ihn nicht angefasst.
TAGS DARAUF, ALS ER vom Jagen heimkehrte, war die Gräte des Herings weg, und ein neuer lag an ihrer Stelle. Diesmal sogar auf einem Teller.
Obgleich er satt war, fraß der Kater ihn zur Hälfte, die andere nahm er mit in sein neues Quartier.
Am nächsten Tag dasselbe. Und am übernächsten. Diesmal trat die Alte aus dem Haus, als er dem Hering die Haut abzog, um sie sich als Höhepunkt für den Schluss aufzuheben. Er verharrte einen Moment, und ihre Augen kreuzten sich. Dann fraß er weiter.
Von der Alten drohte ihm keine Gefahr, auch wenn er sich insgeheim fragte, was sie veranlasste, ihn zu füttern. Deshalb wich er auch nur eine Winzigkeit zurück, als sie die Hand durch den Zaun streckte. Gerade so, dass ihre knochigen Finger ins Leere griffen. Statt mürrisch zu werden, gab sie nur einen keckernden Laut von sich und brummelte: »Bismarck.« Ein Wort, das der Kater ebenso wenig verstand wie alle anderen.
Erst Wochen später, als der Winter eingezogen war und er sich angewöhnt hatte, auf seinen Hering zu warten, um ihn nicht halb gefroren verspeisen zu müssen, dämmerte dem Kater, dass die Alte mit »Bismarck« ihn meinte. Warum sonst wiederholte sie das Wort so regelmäßig, wie sie die Teller wechselte? Nun gut. Solange sie ihrer abendlichen Pflicht nachkam, sollte sie ihn nennen, wie sie wollte.
Im Frühling gestattete er ihr aus einer übermütigen Laune heraus sogar, ihn zu streicheln. Nach all den Heringen, fand Bismarck, war er ihr etwas schuldig.
Zu seiner Erleichterung tat es nicht weh. Im Gegenteil war es sogar ganz angenehm. Ihm war, als ob die Hand der Alten die warme Abendsonne in sein Fell massierte. Von da an gehörte auch das Streicheln zum Ritual. Die Alte kam, strich ihm über den Rücken und stellte den Hering in den Garten vor Bismarcks Kellerfenster.
Mit ihr kamen und gingen die Jahreszeiten und die Jahre. Ohne dass er darum gebeten hatte, wurde Bismarck von den Katzen der Umgebung nach und nach als einer der Ihren akzeptiert. Er kümmerte sich nicht...




