Andersen | Das Märchen meines Lebens | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 0032

Reihe: ApeBook Classics

Andersen Das Märchen meines Lebens


Neuausgabe des ungekürzten Textes in der ursprünglichen Übersetzung 2018
ISBN: 978-3-96130-106-5
Verlag: apebook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, Band 0032

Reihe: ApeBook Classics

ISBN: 978-3-96130-106-5
Verlag: apebook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



»Mein Leben ist ein hübsches Märchen, so reich und glücklich. Wäre mir als Knabe, als ich arm und allein in die Welt hinaus ging, eine mächtige Fee begegnet und hätte gesagt: ?Wähle deine Laufbahn und dein Ziel ...!?-mein Schicksal hätte nicht glücklicher, klüger und besser geleitet werden können.« Andersens Märchen werden auf der ganzen Welt gelesen. Es gibt kaum jemanden, der nicht eines seiner bekanntesten Märchen kennt: 'Das häßliche Entlein', 'Die kleine Seejungfrau', 'Die Nachtigall', 'Das Mädchen mit den Schwefelhölzern', 'Des Kaisers neue Kleider' oder 'Der standhafte Zinnsoldat.' Es sind poetische, melancholische und zutiefst berührende Geschichten, die Hans Christian Andersen (1805-1875) uns hinterlassen hat. Weniger bekannt, aber genauso lesenswert ist seine Autobiographie: 'Das Märchen meines Lebens'. Hier erzählt der große dänische Dichter seine erstaunliche und märchenhafte Lebensgeschichte.

Andersen Das Märchen meines Lebens jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


II.
Montag Morgen am 5. September 1819 erblickte ich zum ersten Mal von der Anhöhe bei Friedrichsberg Kopenhagen. Dort stieg ich ab, und mit meinem kleinen Bündel ging ich durch den Schloßgarten, die lange Allee und die Vorstadt zur Stadt hinein. Am Abend vor meiner Ankunft war gerade die große sogenannte Judenfehde ausgebrochen, die sich durch mehrere Länder Europa's erstreckte; die ganze Stadt war in Bewegung; Alles war auf den Straßen; der Lärm und Tumult Kopenhagens entsprach daher dem Bilde, welches meine Phantasie sich von dieser, damals für mich größten, Stadt entworfen hatte. Mit kaum 10 Thalern in der Tasche kehrte ich in einem der kleinem Gasthäuser ein. Meine erste Wanderung war nach dem Theater; ich ging mehrere Male um dasselbe herum, blickte die Mauern hinauf und betrachtete es fast als eine Heimath. Einer der Billethändler, welche hier täglich herumwandern, wurde aufmerksam auf mich und fragte, ob ich ein Billet haben wolle; ich war so völlig unbekannt mit der Welt, daß ich glaubte, der Mensch wolle mir eins schenken; ich nahm daher sein Anerbieten verbindlichst dankend an. Er glaubte, ich wolle ihn zum Besten haben, und wurde böse, sodaß ich mich erschrocken von dem Orte entfernte, der mir hier der liebste war. Damals ahnte ich nicht, daß zehn Jahre später meine erste dramatische Arbeit dort aufgeführt werden und daß ich so vor dem dänischen Publicum auftreten sollte. Am folgenden Tage zog ich die Confirmationskleider an; die Stiefeln wurden nicht vergessen; sie wurden natürlicherweise über die Beinkleider gezogen. So, in meinem größten Staat, mit einem Hut, der mir halb über die Augen herabfiel, ging ich zur Tänzerin, Madame Schall, um ihr mein Empfehlungsschreiben zu überreichen. Bevor ich klingelte, fiel ich vor der Thür auf meine Kniee und bat Gott, daß ich hier Hülfe und Schutz finden möchte. Da kam ein Dienstmädchen mit ihrem Korb die Treppe herauf; sie lächelte mich freundlich an, gab mir einen Schilling undd hüpfte davon. Erstaunt betrachtete ich sie und den Schilling; ich hatte ja meine Confirmationskleider an und mußte recht fein aussehen, meinte ich: wie konnte sie denn glauben, daß ich betteln wolle. Ich rief ihr nach. „Behalte ihn nur,“ rief sie mir zu, und fort war sie. Endlich wurde ich bei der Tänzerin vorgelassen, die mich mit großer Verwunderung betrachtete und anhörte. Sie kannte Denjenigen, von dem der Brief war, durchaus nicht, und meine ganze Persönlichkeit und mein Austreten waren ihr sehr auffallend. Ich sprach meine innige Lust zum Theater aus, und auf ihre Frage, welche Partie ich ausführen zu können glaubte, erwiederte ich: Aschenbrödel. Dieses Stück war von den königlichen Schauspielen: in Odensee gegeben worden, und die Hauptrolle hatte mich in dem Grade ergriffen, daß ich sie aus dem Gedächtnisse vollständig spielte. Inzwischen erbat ich mir die Erlaubniß, die Stiefeln ablegen zu dürfen, weil ich sonst nicht leicht genug für diese Rolle wäre; und nun nahm ich meinen großen Hut als Tambourin und begann zu tanzen und zu singen: „Rang und Reichthum bleibt hienieden
Von der Sorge nicht verschont.“ Meine seltsamen Geberden und meine große Beweglichkeit machten, daß die Tänzerin mich für wahnsinnig hielt und sich beeilte, mich los zu werden. Nun ging ich zum Theaterdirector, um eine Anstellung zu suchen; er betrachtete mich und sagte, daß ich „für das Theater zu mager“ sei. „Oh“, erwiederte ich, „wenn ich nur mit 100 Reichsbankthalern Gage angestellt würde, dann wollte ich schon fett werden!“ Der Director hieß mich ernst meiner Wege gehen und fügte hinzu, daß man nur Menschen engagire, die Bildung besäßen. Innig betrübt stand ich da; keinen Menschen hatte ich, der mir Trost oder Rath ertheilen konnte. Da dachte ich daran, zu sterben, als das Einzige und Beste für mich; aber meine Gedanken erhoben sich zu Gott, und mit dem vollkommenen Vertrauen des Kindes zu seinem Vater klammerten sie sich an ihn an. Ich weinte mich recht aus und sagte dann zu mir selbst: wenn Alles ganz unglücklich geht, dann sendet er Hülfe, das habe ich ja gelesen; man muß erst viel leiden, ehe man es zu Etwas bringen kann. Ich ging nun hin und kaufte mir ein Gallerie-Billet zur Oper: Paul und Virginie. Die Trennung der Geliebten ergriff mich in dem Grade, daß ich in heftiges Weinen ausbrach; ein paar Frauen, die mir zur Seite saßen, trösteten mich damit, daß es ja nur ein Schauspiel sei, und daß es gar nichts zu bedeuten habe; die Eine gab mir ein großes Stück Butterbrod mit Wurst belegt. Ich besaß das größte Vertrauen zu allen Menschen, und mit voller Offenheit erzählte ich ihnen, daß ich eigentlich nicht über Paul und Virginie weine, sondern weil ich das Theater als meine Virginie betrachte, und daß, wenn ich von diesem getrennt werden sollte, ich ebenso unglücklich werden würde als Paul. Sie betrachteten mich, schienen aber mich nicht zu verstehen; ich erzählte ihnen, weshalb ich nach Kopenhagen gekommen sei und wie allein ich dastände; die Frau gab mir nun noch mehr Butterbrod, Früchte und Kuchen. Am nächsten Morgen bezahlte ich meine Rechnung, und zu meiner Betrübniß sah ich, daß mein ganzes Vermögen nur noch aus einem Reichsbankthaler bestand; ich mußte deshalb entweder sogleich mit einem Schiffer wieder heimzukehren oder bei einem Handwerker in die Lehre zu kommen suchen. Das Letztere hielt ich für das Klügste; denn kehrte ich nach Odensee zurück, so mußte ich ja auch dort in die Lehre, und ich sah voraus, daß die Leute mich auslachen würden, wenn ich so wieder nach Hause käme. Es war mir durchaus gleichgültig, welches Handwerk ich erlernte: ich erwählte es ja einzig und allein um mir das Leben in Kopenhagen zu fristen. Ich kaufte ein Zeitungsblatt, suchte darin und fand, daß ein Tischler einen Lehrburschen annehmen wollte; ich ging hin, der Mann nahm mich freundlich auf, sagte aber, daß er, bevor er mich fest annähme, ein Attest und meinen Taufschein von Odensee haben müßte; bis dahin könnte ich zu ihm ziehen und versuchen, wie mir die Profession gefiele. Am nächsten Morgen um 6 Uhr kam ich schon in die Werkstatt; mehrere Gesellen und einige Lehrburschen waren zugegen; der Meister war nicht da. Sie führten lustige und leichtfertige Reden; ich war jungfräulich blöde, und als sie das merkten, wurde ich tüchtig geneckt; später am Tage ging der rohe Scherz der Burschen so weit, daß ich, in Erinnerung an die Scene in der Fabrik, den bestimmten Entschluß faßte, keinen Tag länger in der Werkstatt zu bleiben. Ich ging daher zum Meister hinab und nahm mit Thränen von ihm Abschied, indem ich ihm sagte, daß ich es nicht aushalten könnte; er tröstete mich, aber vergebens; ich war zu bewegt und eilte davon. — Ich ging nun durch die Straßen; niemand kannte mich; ich war ganz verlassen. Da besann ich mich, daß ich in Odensee in einer Zeitung von einem Italiener Namens Siboni gelesen habe, der in Kopenhagen als Director des Musik-Conservatoriums angestellt sei; alle Menschen hatten ja meine Summe gelobt, vielleicht würde er sich meiner annehmen; sonst mußte ich noch denselben Abend einen Schiffer zu finden suchen, mit dem ich nach Hause gelangen könnte. Bei dem Gedanken an die Heimreise wurde ich noch heftiger bewegt, und in diesem leidenden Zustande suchte ich Siboni auf. Er hatte gerade große Mittagsgesellschaft; unser berühmter Componist Weyse, der Dichter Baggesen und andere Gäste waren zugegen. Der Haushälterin, welche mir die Thür öffnete, erzählte ich nicht blos mein Anliegen, als Sänger angestellt zu werden, sondern auch meinen ganzen Lebenslauf; sie hörte mir mit großer Theilnahme zu und muß den größten Theil davon wiedererzählt haben, denn ich mußte lange warten; als aber die Thür sich öffnete, kam die ganze Gesellschaft heraus und betrachtete mich. Ich mußte singen; Siboni hörte aufmerksam zu; ich declamirte Scenen aus Holberg und ein paar Gedichte; hier überwältigte mich das Gefühl meiner eigenen unglücklichen Lage so, daß ich in Thränen ausbrach; die ganze Gesellschaft applaudirte. — „Ich prophezeie es“, sagte Baggesen, „aus ihm wird einst Etwas werden; aber werde nur nicht eitel, wenn einst das ganze Publicum Dir applaudirt!“ Und nun fügte er Etwas über die reine wahre Natur hinzu, und daß diese mit dem Alter und unter den Menschen zu Grunde gehe; ich verstand nicht Alles. Siboni versprach, meine Stimme auszubilden, und daß ich dahin gelangen solle, als Sänger auf dem königlichen Theater zu debütiren; ich war ganz glücklich, lachte und weinte, und als die Haushälterin mich hinausließ und die Aufregung sah, in der ich mich befand, streichelte sie mir die Wange und sagte, daß ich am folgenden Tage zum Professor Weyse gehen solle, der es gut mit mir meine und auf welchen ich mich verlassen könne. Ich kam zu Weyse, der selbst arm sich emporgearbeitet hatte; er hatte meine unglückliche Lage tief gefühlt und begriffen und durch eine Collecte 70 Reichsbankthaler für mich gesammelt. Da schrieb ich meinen ersten Brief an meine Mutter, einen jubelnden Brief; das Glück der ganzen Welt war mir zugeströmt; meine Mutter zeigte in ihrer Freude den Brief allen Menschen. Einige hörten erstaunt darauf, Andere lächelten darüber, denn was sollte wohl aus dem Ganzen werden? Um Siboni zu verstehen, war es nothwendig, daß ich wenigstens etwas Deutsch lernte; eine Kopenhagnerin, mit der ich von Odensee nach Kopenhagen gereist war und die mich gern nach Kräften unterstützen wollte, erlangte von einem ihrer Bekannten, einem Sprachlehrer, daß er mir unentgeltlich einige deutsche Stunden gab, und so lernte ich einige deutsche Phrasen. Siboni öffnete mir sein Haus und gab mir Nahrung und Unterricht. — Aber ein halbes Jahr darauf war meine Stimme im Uebergang begriffen oder dadurch verdorben, daß ich...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.