Buch, Deutsch, 147 Seiten, gebunden, Format (B × H): 116 mm x 176 mm, Gewicht: 200 g
Aufsätze
Buch, Deutsch, 147 Seiten, gebunden, Format (B × H): 116 mm x 176 mm, Gewicht: 200 g
Reihe: Cotta's Bibliothek der Moderne
ISBN: 978-3-608-95334-3
Verlag: Klett-Cotta Verlag
Die Unmeisterlichen Wanderjahre sind auch der Teil der Gesamtausgabe der Werke von Jean Améry, die bei Klett-Cotta erschien.
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Jean Améry: Vorwort
Die hier vorgelegten Aufsätze sind der Versuch einer Selbstbefragung, die sich im Rückblick über vier Jahrzehnte hin erstreckt. Sie sind sowohl autobiographisch als auch zeitbiographisch. Wer freilich objektive Information sucht über die den Hintergrund eines Lebens bildenden Begebnisse, wäre schlecht beraten, wenn er von diesem Text Aufschlüsse erwartete. Ich habe nicht danach gestrebt, den zahlreichen, zum Teil ausgezeichneten geistes- und zeitgeschichtlichen Büchern, die sich auf der gleichen Zeitstrecke bewegen, ein weiteres hinzuzufügen. Ich spreche aus dem Hause, wenn auch gewiß nicht für das Haus. Die vier Jahrzehnte öffentlicher Ereignisfolgen, denen ich nachging, werden durch das Medium einer Person geführt. Einer von vielen hat erfahren, wovon hier berichtet wird: den präfaschistischen Irrationalismus der Zwischenkriegszeit, den Neopositivismus der späten Vorkriegsjahre, die Stunden des Existentialismus nach 1945, die neomarxistische Welle, die strukturalistische Strenge. Daß hier kein Baumeister eines geistigen Systems spricht, kein Akteur der geschichtlichen Szene, mag das Zeugnis entwerten, kann aber auch im günstigen Falle dem Bericht die Qualität des Typischen verleihen. Die Arbeit ist komplementär zu zwei Bänden, die ich vordem an die Öffentlichkeit gab: den Büchern 'Jenseits von Schuld und Sühne' und 'Über das Altem'. Gleich diesen verzichtet sie auf Objektivität. Zusammen mit ihnen ergibt sie vielleicht so etwas wie einen essayistisch-autobiographischen Roman.
Doch handelt es sich gleichwohl nicht um Dichtung und Wahrheit, sondern um Wahrheit schlechthin, präziser: um den Ausdruck des Willens zur Wahrheit. Wenn dennoch ein romanhaftes Element einsickerte in die Niederschrift, ist es rein formal. Der Entschluß zur unverschleierten Subjektivität ließ die Form des klassischen, um den Gegenstand und nur um ihn bemühten Essays nicht zu. Das Ich, das sich hier zu erhellen versucht, schließt manches ein, was den objektiven Ereignissen fremd war, sie aber verwandelte und personalisierte. So habe ich also aufsteigenden Reminiszenzen und Assoziationen den Weg nicht abgeschnitten, wenn sie sich eindrängten in das Zeugnis. Nicht aussperren mochte ich auch die ganz persönliche, so und nicht anders aufgeschichtete Bildungswelt; verdeckte und paraphrasierte Zitate, ja ganze Absätze aus Gelesenem, respektvolle Plagiate, wenn man will, habe im durch das Buch gezogen. Es geschah nicht um einer programmatischen Montagetechnik willen, nur um dem Gesetz des persönlichen Bekenntnisses zu gehorchen.
Mit diesem Band ist abgeschlossen, was ich über meine Bewandtnisse fühlte, sagen zu müssen, und glaubte, sagen zu dürfen.
Bruxelles, Januar 1971
Jean Améry