E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Ambler Die Maske des Dimitrios
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-455-81390-6
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
ISBN: 978-3-455-81390-6
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eric Ambler, geboren 1909, gehört zu den Begründern des klassischen Noir- und Spionagethrillers und wurde für seine Arbeit vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Order of the British Empire, der ihm 1981 von Königin Elisabeth II. verliehen wurde. Eric Ambler starb 1998 in London.
Weitere Infos & Material
Cover
Titelseite
Für Alan und Felice [...]
1 Ursprung einer Obsession
2 Die Akte Dimitrios
3 1922
4 Mr Peters
5 1923
6 Madame Prevetza
7 Eine halbe Million Francs
8 Grodek
9 Belgrad 1926
10 Die acht Engel
11 Paris 1928–1931
12 Monsieur C.K.
13 Ein Treffen
14 Die Maske des Dimitrios
15 Die fremde Stadt
Über Eric Ambler
Impressum
1 Ursprung einer Obsession
Ein Franzose namens Chamfort, der es hätte besser wissen müssen, hat einmal gesagt, dass Zufall ein Spitzname für Vorsehung sei.
Dies ist einer jener bequemen, fragwürdigen Aphorismen, die geprägt wurden, um die unangenehme Wahrheit zu verschleiern, dass der Zufall eine wichtige, wenn nicht die Hauptrolle im Leben der Menschen spielt. Ganz abwegig ist Chamforts Gedanke jedoch nicht. Der Zufall kommt manchmal so unsicher daher, dass man ihn leicht mit dem Ergebnis bewusster Vorsehung verwechseln kann.
Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von Dimitrios Makropoulos.
Dass jemand wie Latimer von der Existenz eines Mannes wie Dimitrios erfährt, ist an sich schon grotesk. Dass er die Leiche dieses Dimitrios zu sehen bekommt, kostbare Wochen darauf verwendet, Licht in die dunkle Geschichte dieses Mannes zu bringen, und sein Leben schließlich der eigenwilligen Wohnungseinrichtung eines Verbrechers verdankt – das alles ist von atemberaubender Absurdität.
Gleichwohl, wenn man diese Umstände zusammen mit den anderen Fakten dieses Falles betrachtet, ist es schwer, nicht in abergläubischer Ehrfurcht zu versinken. Angesichts der ganzen Absurdität scheint sich der Gebrauch des Wortes ›Zufall‹ zu verbieten. Für den Skeptiker bleibt nur ein Trost: Sollte es so etwas wie ein übernatürliches Gesetz geben, so wird es außerordentlich stümperhaft angewendet. Die Entscheidung, Latimer zu seinem Instrument zu machen, konnte nur ein Idiot getroffen haben.
Charles Latimer hatte die ersten fünfzehn Jahre seines Erwachsenenlebens als Dozent für Volkswirtschaft an einer kleineren englischen Universität verbracht. Mit fünfunddreißig hatte er außerdem drei Bücher geschrieben. Das erste war eine Arbeit über den Einfluss Proudhons auf die politischen Theorien im Italien des neunzehnten Jahrhunderts. Das zweite trug den Titel . Das dritte war eine Untersuchung über die wirtschaftspolitischen Implikationen von Rosenbergs Buch .
In der Hoffnung, die schwarzen Gedanken zu vertreiben, die sich im Gefolge seiner zeitweiligen Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Philosophie und ihrem Propheten, Dr. Rosenberg, bei ihm eingestellt hatten, schrieb Latimer, unmittelbar nachdem er den Stapel Fahnen zu seinem dritten Werk korrigiert hatte, seinen ersten Kriminalroman.
fand sofort großen Anklang. Es folgte und . Aus der großen Schar von Professoren, die in ihrer Freizeit Detektivgeschichten schreiben, trat Latimer bald als einer der wenigen Verschämten hervor, die mit ihrem Hobby Geld verdienen konnten. Es war wohl unausweichlich, dass er die Schriftstellerei früher oder später zu seinem Hauptberuf machte. Drei Dinge beschleunigten diese Entwicklung. Erstens eine Meinungsverschiedenheit mit der Universitätsverwaltung in einer für ihn grundsätzlichen Frage. Zweitens eine Erkrankung, drittens der Umstand, dass er Junggeselle war. Wenig später veröffentlichte er , und nach seiner Krankheit, die seine Konstitution sehr geschwächt hatte, reichte er ohne großes Bedauern seine Kündigung ein und beschloss, seinen fünften Kriminalroman in einem wärmeren Klima zu beenden.
Sobald sein sechstes Buch fertig war, fuhr er in die Türkei. Er hatte ein Jahr in Athen und Umgebung verbracht und sehnte sich nach einer Ortsveränderung. Gesundheitlich ging es ihm schon viel besser, aber die Aussicht auf einen englischen Herbst erschien ihm nicht verlockend. Auf Vorschlag eines griechischen Freunds fuhr er mit dem Schiff von Piräus nach Istanbul.
Dort hörte er durch Oberst Hakki zum ersten Mal von Dimitrios.
Empfehlungsbriefe sind eine heikle Sache. Meist kennt der Schreiber den Überbringer nur flüchtig und den Empfänger womöglich noch weniger, und es besteht nur geringe Aussicht, dass die Übergabe alle drei zufriedenstellt.
Einer der Empfehlungsbriefe, mit denen Latimer in Istanbul eintraf, war an eine Madame Chavez adressiert, die in einer Villa am Bosporus wohnte. Drei Tage nach seiner Ankunft schrieb er ihr, woraufhin sie ihn zu einer viertägigen Party in ihre Villa einlud. Mit gemischten Gefühlen sagte er zu.
Für Madame Chavez, eine sehr attraktive Türkin, war der Weg von Istanbul nach Buenos Aires ebenso mit Gold gepflastert gewesen wie der Weg zurück. Sie hatte einen reichen argentinischen Fleischindustriellen geheiratet, sich scheiden lassen und mit einem Bruchteil ihres dabei erzielten Gewinns einen kleinen Palast gekauft, der früher einem Angehörigen der türkischen Herrscherfamilie gehört hatte. Die Villa lag, schwer zugänglich und abgelegen, an einer Bucht mit phantastischem Blick und war – wenn man davon absah, dass die Wasserversorgung nicht einmal für eines der insgesamt neun Badezimmer ausreichte – großzügig ausgestattet. Latimer, dem dieser grandiose Mangel an Komfort ungewohnt war, hätte sich wohlgefühlt, wären nicht die anderen Gäste gewesen und hätte seine Gastgeberin nicht nach türkischer Sitte ihre Angestellten ins Gesicht geschlagen, wenn sie, was oft vorkam, mit ihnen unzufrieden war.
Bei den anderen Gästen handelte es sich um zwei lärmende Franzosen aus Marseille, drei Italiener, zwei junge türkische Seeoffiziere mit ihren derzeitigen »Bräuten« und einige Istanbuler Geschäftsleute mit ihren Frauen. Die meiste Zeit trank man Madame Chavez’ scheinbar unerschöpfliche Vorräte an holländischem Gin und tanzte zu den Klängen eines Grammophons, während ein Diener pausenlos neue Platten auflegte, selbst dann, wenn nicht getanzt wurde. Der Hinweis auf seine angeschlagene Gesundheit diente Latimer als Vorwand, sich vor dem Trinken und dem Tanzen weitgehend zu drücken. Niemand beachtete ihn.
Am frühen Abend seines letzten Tages dort, während er draußen auf einer weinumrankten Terrasse saß, wo das Grammophon nicht zu hören war, sah er eine große Limousine den langen, staubigen Weg zur Villa heraufkommen. Der Wagen rollte in den Innenhof, und noch ehe er hielt, stieß die Person, die im Fond saß, die Tür auf und sprang hinaus.
Es war ein hochgewachsener Mann mit hagerem, muskulösem, leicht gebräuntem Gesicht, zu dem die grauen Stoppelhaare sehr gut passten. Das schmale Stirnbein, die lange Nase und die dünnen Lippen gaben ihm etwas Raubtierhaftes. Latimer schätzte ihn auf mindestens fünfzig, und neugierig musterte er die Taille unter der elegant geschnittenen Offiziersuniform, in der Hoffnung, die Andeutung eines Korsetts zu entdecken.
Der schlanke Offizier zog ein seidenes Taschentuch aus dem Ärmel, wischte ein paar unsichtbare Stäubchen von seinen glänzenden Reitstiefeln, setzte sich die Mütze verwegen auf den Kopf und verschwand mit langen Schritten aus dem Blickfeld. Irgendwo in der Villa läutete eine Klingel.
Oberst Hakki – so hieß der Mann – war sofort Mittelpunkt der Party. Eine Viertelstunde nach seinem Eintreffen kam Madame Chavez mit ihm auf die Terrasse und stellte ihn vor, wobei ihr Ausdruck schüchterner Verwirrtheit den Gästen offensichtlich signalisieren sollte, dass sie sich durch die unerwartete Ankunft des Obersts hoffnungslos kompromittiert fühlte. Dieser schlug die Hacken zusammen, küsste Hände, verbeugte sich lächelnd, erwiderte den Gruß der Marineoffiziere und warf den Frauen der Geschäftsleute galante Blicke zu. Dieses Schauspiel fand Latimer derart faszinierend, dass er zusammenfuhr, als die Reihe an ihn kam und sein Name genannt wurde. Der Oberst schüttelte ihm jovial die Hand.
»Wirklich schön, Sie kennenzulernen, mein Freund«, rief er.
, erklärte Madame Chavez.
, sagte Oberst Hakki.
Latimer sah in ein Paar hellgraue Augen. »Sehr erfreut.«
»Habe die Ehre«, antwortete der Oberst förmlich und wandte sich dann einer drallen Schönheit im Badeanzug zu, um ihr die Hand zu küssen und sie bewundernd zu taxieren.
Erst am späten Abend sprach Latimer wieder mit dem Oberst, der mit seinen Witzen, seinem dröhnenden Lachen, den humorvoll frechen Avancen gegenüber den Ehefrauen und den eher verstohlenen gegenüber den unverheirateten Damen Leben in die Gesellschaft gebracht hatte. Von Zeit zu Zeit traf sich sein Blick mit dem Latimers, und dann grinste er entschuldigend. ›Ich muss hier den Clown spielen – das wird von mir verlangt‹, sagte das Grinsen, ›aber glauben Sie ja nicht, dass es mir gefällt.‹ Nach dem Essen, als die Gäste nicht mehr tanzen wollten, sondern ein gemischtes Spiel Strip Poker ihr Interesse erregte, nahm ihn der Oberst am Arm und ging mit ihm auf die Terrasse hinaus.
»Entschuldigen Sie, Monsieur Latimer«, sagte er auf Französisch, »aber ich würde mich gern einmal mit Ihnen unterhalten. Diese Frauen – puh!« Er hielt Latimer sein Zigarettenetui unter die Nase. »Zigarette?«
»Vielen Dank.«
Oberst Hakki sah sich um. »Der andere Teil der Terrasse ist ruhiger«, sagte er, und während sie schon losgingen, fuhr er fort: »Wissen Sie, ich bin eigentlich nur gekommen, um mit Ihnen zu sprechen. Madame hat mir erzählt, dass Sie hier sind, und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, den Autor kennenzulernen, dessen Bücher ich so sehr bewundere.«
Latimer murmelte eine unverbindliche Antwort auf dieses Kompliment. Da er nicht wusste, ob der Oberst seine wissenschaftlichen Untersuchungen oder seine Kriminalromane meinte, war er etwas verunsichert. Einen liebenswürdigen alten Professor, der Interesse an seinem »letzten Buch« bekundet hatte,...




