Ambler | Der Fall Deltschev | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Ambler Der Fall Deltschev


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-455-17102-0
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-455-17102-0
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In einem Balkanstaat kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Oppositionspolitiker Deltschev angeklagt: Ihm werden Verrat und terroristische Verschwörung vorgeworfen. Im Auftrag einer amerikanischen Zeitung berichtet der feinsinnige britische Theaterschriftsteller Forster über den Schauprozess und gerät dabei in ein Dickicht von dunklen Machenschaften, hinterhältigen Machtkämpfen und einem gefährlichen Komplott. Bald geht es nicht nur für Deltschev um Leben und Tod.

Eric Ambler, geboren 1909, gehört zu den Begründern des klassischen Noir- und Spionagethrillers und wurde für seine Arbeit vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Order of the British Empire, der ihm 1981 von Königin Elisabeth II. verliehen wurde. Eric Ambler starb 1998 in London.
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Motto
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Über Eric Ambler
Impressum


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In einem großen Teil Südosteuropas sind die schwersten Regengüsse Anfang Juni schon vorüber, und der Schlamm in den Straßen trocknet, wird hart und zu Staub zerrieben. Die bunten Mauern der Dörfer glühen in der starken Sonne, und die Schatten sind schwarz und scharf. Nur auf den höheren Balkan-Berggipfeln liegt noch Schnee. Das Getreide steht hoch und üppig, und in den Flusstälern östlich der jugoslawischen Grenze sieht man vom Zug aus die Felder mit Rosen und weißem Mohn in voller Blüte. In den Städten aber ist die Luft feucht, und die Insekten, die in der Sonne über den Abfällen schwirren oder aus den dunklen Tiefen der Hotelbetten kriechen, sind voller Lebenslust. Der Mensch jedoch verspürt um diese Zeit eine seltsame Niedergeschlagenheit; seltsam, weil trotz der Trägheit des Körpers der Geist unruhig wacht, als fürchte er ein drohendes Unheil.

Auf dem Zentralbahnhof empfing mich der Vertreter meines Auftraggebers. Sein Name war Georghi Paschik.

Ich sah ihn auf dem Bahnsteig stehen, als mein Zug einlief; ein kleiner, brünetter, schwächlicher Mann mit randloser Brille, einem knapp sitzenden Leinenanzug und einer ganzen Reihe von Füllfederhaltern in der äußeren Brusttasche. Unter dem Arm trug er eine dünne schwarze Aktentasche mit einem silbernen Medaillon am Ende des Reißverschlusses. Er stand an einem Pfeiler und blickte sich um, herrisch-unsicher, wie ein reicher Reisender, der keinen Gepäckträger sieht und weiß, dass er sein Gepäck nicht selbst tragen kann. Ich glaube, es waren die Füller, an denen ich ihn erkannte. Er trug sie wie eine militärische Auszeichnung.

Heute weiß ich viel über Paschik. Ich weiß zum Beispiel, dass die schwarze Aktentasche, die er mit so viel Würde trug, selten etwas anderes enthielt als ein vertrocknetes Sandwich und einen Revolver; dass er den Anzug bekommen hatte, als er in einem Vertriebenenlager arbeitete; dass einer dieser Füllfederhalter aus Passaic, New Jersey, stammte, und dass diese Tatsachen direkt mit seinem Tod zusammenhingen. Ich weiß jetzt ungefähr, wie sein Geist arbeitete, und ich kenne die seltsamen Phantasien, von denen er besessen war.

Aber damals war er für mich nur ein Name, den ich gelegentlich bei einer Unterhaltung gehört hatte – ›unser Vertreter da unten, Paschik, wird Ihnen die nötigen Papiere besorgen‹ –, eine wartende Gestalt auf einem Bahnsteig. Ich war nicht darauf vorbereitet, einem von Gott Gezeichneten zu begegnen.

Er schüttelte mir die Hand und lächelte freundlich.

»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Foster. Haben Sie schon gefrühstückt?«

»Noch nicht. Nett von Ihnen, mich abzuholen!«

Er machte eine abwehrende Geste. »Ich habe meinen Wagen draußen. Wir werden Ihr Gepäck tragen müssen, Mr. Foster. Um diese Zeit sind keine Gepäckträger da.«

Er sprach recht gut Englisch, mit einem ausländisch-amerikanischen Akzent. Er war mir nicht besonders sympathisch. Er hatte ein rundliches, blasses Gesicht mit Doppelkinn und zwei Tage alten Bartstoppeln, und die braunen feuchten Dackelaugen schielten leicht durch die randlosen Brillengläser. Er wirkte sachlich und sehr höflich.

»Gute Reise gehabt, Mr. Foster?«, fragte er, als wir zu seinem Wagen gingen.

»Danke, leidlich.«

»Keine Schwierigkeiten an der Grenze?«

»Nur die üblichen.«

»Das freut mich.«

Er trug mein Gepäck zu einem schäbigen Opel, der hinten keine Polster hatte. Er nahm mir die Schreibmaschine ab, um sie mit dem Koffer zu verstauen, hielt aber plötzlich inne und betrachtete sie nachdenklich.

»Wissen Sie, Mr. Foster«, sagte er, »manchmal machen die Behörden jenen Besuchern, bei denen sie nicht viel Sympathien für unsere Regierung vermuten, große Schwierigkeiten.«

»So?«

»Leider ja.« Er stellte die Schreibmaschine in den Wagen, ließ aber den Handgriff noch nicht los und wandte sich mir zu. Einen Augenblick schien er etwas sehr Wichtiges sagen zu wollen. Es lag ihm schon auf der Zunge. Dann besann er sich anders. Er zuckte die Achseln. »Es ist jetzt hierzulande alles etwas schwierig, Mr. Foster«, sagte er. »Jedenfalls freut es mich, dass man Ihnen keine Ungelegenheiten machte.«

Sein Büro war in einem Haus direkt neben dem Boulevard Marschall Sokolowski. Es nannte sich ›Paneuropäischer Pressedienst‹ und vertrat die Interessen mehrerer amerikanischer und einiger englischer Zeitungen, deren Besitzer es nach dem Krieg für überflüssig gehalten hatten, wieder eigene Redaktionen in der Hauptstadt zu eröffnen. Paschik war tüchtig und machte einen recht guten Eindruck. Ich musste als Ausländer bei der Polizei und als Pressekorrespondent beim Innen- und beim Propagandaministerium gemeldet werden. Außerdem brauchte ich einen Spezialausweis für den Prozess. Wir waren erst gegen Abend mit allem fertig.

Obwohl wir bei den verschiedenen Amtsstellen ziemlich lange warten mussten und sich auch die üblichen Gelegenheiten zur Unterhaltung boten, wurden wir den ganzen Tag nicht warm miteinander. Er blieb meistens höflich, aber zurückhaltend, vermied jedes Gespräch über Deltschev oder den Prozess, aus dem manchmal recht fadenscheinigen Grund, dass man uns zuhören könnte, und stellte mich den Beamten mit gemessener Höflichkeit vor, die deutlich ausdrückte, dass er für mein künftiges Verhalten keine Verantwortung übernehme. Er machte den Eindruck eines Filialleiters, der den Sonderbearbeiter aus der Hauptstelle zwar auf jede erdenkliche Art unterstützt, sich im stillen aber berechtigte Zweifel erlaubt, ob die Ergebnisse den Aufwand auch rechtfertigen. Das verstand ich recht gut; ich hätte diese Zweifel sogar geteilt. Mit der Zeit realisierte ich aber, dass seine Haltung nur zum Teil Berufsneid war, hinter dem sich ganz andere Sorgen um mich verbargen. Ungereimtheiten in seinem Verhalten ließen das durchblicken: Auf plötzliche Ausbrüche von Herzlichkeit folgten betretene Pausen, in denen ich feststellte, dass mich seine braunen kurzsichtigen Augen verstohlen musterten, als wolle er mein Bankkonto abschätzen; oder dass er, wie vorhin auf dem Bahnhof, etwas verschwieg, das er schon auf der Zunge hatte. Wahrscheinlich waren, während ich unterwegs war, schlechte Nachrichten für mich eingetroffen, oder er hatte eine Bitte an mich, die ich vermutlich ablehnen würde. Der Gedanke machte mich nervös. Und leider hatte ich Paschik gegenüber bereits ein schlechtes Gewissen. Ich konnte ihn nicht leiden – seines Geruches wegen.

Ich hatte diesen sauren, muffigen Geruch gleich bemerkt, als wir am Bahnhof in seinen Wagen gestiegen waren, und zuerst wusste ich nicht, ob der Wagen oder der Besitzer stank. Ich habe sicher keine heikle Nase, und die Ausdünstung der Großstädter stört mich nicht. Ich habe oft Leute mit »Körpergeruch« getroffen, die mir aber deshalb nicht zuwider waren. Paschik aber mir zuwider. Vielleicht lag es daran, dass er in Auftreten und Erscheinung – mit Leinenanzug, amerikanischer Brille, Aktentasche, betonter Gefälligkeit – ganz und gar nicht zu diesem schlechten Geruch passte. Ich erinnere mich noch jetzt: Als ich festgestellt hatte, dass er so roch und nicht der Wagen, achtete ich bei allen Leuten, mit denen wir in Berührung kamen, besonders darauf, ob das, was meine Nase beleidigte, nicht vielleicht nur der Geruch dieser Stadt und nicht der eines bestimmten Bürgers sei. Aber nein – es war Paschik. Ich konnte ihn nicht riechen. Das war unvernünftig und erwies sich bei allem, was später passierte, als Nachteil für mich.

Die Sonne war noch nicht untergegangen, aber ein Kirchturm und die Kuppel einer Moschee streckten ihre Schatten wie Daumen und Zeigefinger über den St. Mihailsplatz, als wir, zum letzten Mal an diesem Tag, aus dem Propagandaministerium traten und zu Paschiks Wagen zurückgingen. Ich hatte meinen Sonderausweis für den Prozess.

Paschik winkte übertrieben bescheiden ab, als ich ihm dankte. »Man tut, was man kann, Mr. Foster.« Es war einer seiner herzlichen Augenblicke. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, mitzukommen und zu warten, bis ich in meinem Büro Ordnung gemacht habe, möchte ich Sie zum Essen einladen. Ich gehe immer in ein spezielles Restaurant.«

Ich hätte gern abgelehnt; stattdessen nahm ich dankend an. Zu seinem Büro gehörte ein winziger Vorraum mit einer Milchglastür, auf der in Ölfarbe die Namen aller Zeitungen standen, die er vertrat. Die Liste war lang und imponierend, und das Büro dahinter bildete einen grotesken Gegensatz dazu. Es enthielt einen Schreibtisch, einen Tisch, zwei Stühle und ein paar Aktenregale. Das Fenster ging auf einen hohen Schacht mit Feuerleitern hinaus und ließ nur warme, schale Luft und schwaches Licht herein, sodass die Ecken des Zimmers im Dunkeln lagen. Auf einem der Aktenregale stand, auffallend gerahmt, als wäre es das Foto seiner Frau, ein Werbefoto von Myrna Loy mit dem Faksimile ihrer Unterschrift.

Er schaltete die Schreibtischlampe ein und machte sich daran, einen Stoß von Pressemeldungen durchzusehen. Die meisten wurden zerknüllt beiseitegeworfen; auf zwei oder drei schrieb er etwas und händigte sie einem Jungen mit einer Dienstmütze aus, der ihn hier erwartet hatte; einige klammerte er zusammen und legte sie in eine Mappe. Nachdem er bei der letzten Meldung angelangt war, gab er dem Jungen etwas Geld und schickte ihn fort. Dann hob er das Telefon ab und führte mit einer Frau ein Gespräch, von dem ich nichts verstand. Ihre Stimme tönte blechern aus der Muschel. Das Gespräch endete mit einem Crescendo von Verneigungen. Paschik stand auf und begann, den Schreibtisch aufzuräumen, stirnrunzelnd und sichtlich verstimmt.

Ich saß außerhalb des Lichtkreises seiner Lampe im Dunkeln und...


Ambler, Eric
Eric Ambler, geboren 1909, gehört zu den Begründern des klassischen Noir- und Spionagethrillers und wurde für seine Arbeit vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Order of the British Empire, der ihm 1981 von Königin Elisabeth II. verliehen wurde. Eric Ambler starb 1998 in London.

Eric Ambler, geboren 1909, gehört zu den Begründern des klassischen Noir- und Spionagethrillers und wurde für seine Arbeit vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Order of the British Empire, der ihm 1981 von Königin Elisabeth II. verliehen wurde. Eric Ambler starb 1998 in London.



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