E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Althoff Gott belohnt, Gott straft
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-534-74721-4
Verlag: wbg Academic in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Religiöse Kategorien der Geschichtsdeutung im Frühen und Hohen Mittelalter
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-534-74721-4
Verlag: wbg Academic in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der feste Glaube des mittelalterlichen Menschen an die reale Anwesenheit des Göttlichen in seiner alltäglichen Lebenswelt stellt eine grundlegende soziale Tatsache dar. Aber war diese Überzeugung nur vom reinen Glauben gesteuert, oder verfolgte sie nicht vielleicht durchaus auch strategische Ziele?
In der neuesten Untersuchung von Gerd Althoff geht es denn auch genau um diese Frage: um den Interpretationsspielraum, den die Vorstellungswelt vom Eingreifen transzendenter Mächte den mittelalterlichen Zeitgenossen ließ. Der Überblick über einschlägige Quellen lässt kaum Zweifel daran zu, dass dieses behauptete Eingreifen vorrangig als Argument zur Rechtfertigung der Freunde und zur Diffamierung der Gegner verwendet worden ist. Gerd Althoff eröffnet, in bewährter Weise, mit dieser Studie ein neues Untersuchungsfeld, und er legt auch gleich das Grundlagenwerk dazu vor: wie immer geschliffen formuliert, getragen von stupender Quellenkenntnis und unter Heranziehung vieler konkreter
Beispiele.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort 7
I. Einleitung 9
1. Mittelalterliche Vorstellungen vom Wirken des christlichen Gottes in der Welt 9
2. Zur Bedeutung dieser Vorstellungen in der christlichen Mission des frühen Mittelalters 25
3. Leitfragen der Untersuchung 29
3.1 Zur benutzten Quellenbasis 29
3.2 Geistliche und andere Prägungen der einschlägigen Autoren31
3.3 Religiöse oder politische Argumente? 37
II. Eingriffe transzendenter Mächte in irdisches Geschehen während der Merowinger- und Karolingerzeit 42
1. Gregor von Tours über die Zeit vor und nach der Taufe Chlodwigs 42
2. Gottes Hilfe bei der Mission der germanischen Stämme 49
3. Der Aufstieg der Karolinger im Schutz transzendenter Mächte 60
4. Das Verlassen des rechten Weges: Mahnungen, Prüfungen und Strafen Gottes in der Zeit Ludwigs des Frommen und seiner Söhne 69
5. Zur Rolle Gottes in den sich verschärfenden Krisen des Frankenreiches 82
6. Zusammenfassung 91
III. Das lange 10. Jahrhundert 94
1. Retrospektiven auf den Aufstieg der Ottonen 96
2. Gottes Hilfe beim Kampf gegen Heiden 104
3. Gottes Eingreifen in interne Konflikte des ottonischen Reiches 110
4. Erweiterungen des Beispiel-Horizonts: Das Wissen Thietmars von Merseburg über göttliche und teuflische Interventionen 123
IV. Die Kirche als »Magd oder Herrin des Königtums« in der Salierzeit137
1. Die Königserhebung Konrads II. als Rollenspiel unter göttlicher Regie137
2. Unterschiedliche Bewertungen militärischer Erfolge König Heinrichs III 142
3. Gottes Eingreifen in die großen Konflikte im Zeitalter des Investiturstreits 150
3.1 Die Anfänge der selbständigen Regierung Heinrichs IV 151
3.2 Der Konflikt mit Papst Gregor VII. 157
3.3 Die geänderte Lage nach Canossa und Forchheim 168
3.4 Die Veränderung der Auseinandersetzung in den ›Libelli de Lite‹ 176
3.5 Deus le vult - Der Schlachtruf der Kreuzzugsbewegung192
3.6 Anzeichen einer Neuorientierung am Ende der Salierzeit 206
3.7 Zusammenfassung218
V. Stauferzeit 221
1. Das Eingreifen Gottes in die Welt aus der Perspektive Ottos von Freising und Rahewins 222
2. Die Auseinandersetzungen Kaiser Friedrichs mit Papsttum und Lombarden 232
3. Mission und Expansion im Nordosten des Reiches 242
4. Friedrich II.: Selbstrechtfertigungen eines exkommunizierten Herrschers 252
VI. Résumé 265
1. Allgemeine Aspekte 265
2. Träger und Qualität der Diskurse, thematische Schwerpunkte267
3. Religiöse oder politische Argumente? 271
4. Zweifel an der Vorstellungswelt der transzendenten Eingriffe275
5. Evidenz und Deutungskonkurrenz 278
Anhang 283
Abkürzungsverzeichnis 283
Quellen 283
Literatur 295
Personenregister.305
Abbildungsverzeichnis 312
II.Eingriffe transzendenter Mächte in irdisches Geschehen während der Merowinger- und Karolingerzeit
1.Gregor von Tours über die Zeit vor und nach der Taufe Chlodwigs
Dass die Vorstellungen von der aktiven Beteiligung Gottes und der Heiligen am weltlichen Geschehen bereits in der frühen Phase der fränkischen Geschichte weitgehend ausgebildet waren, lässt sich vor allem an der Darstellung Gregor von Tours nachweisen, der schon seine Darstellung der Bemühungen um die Bekehrung König Chlodwigs zum römischen Christentum immer wieder mit Geschichten anreicherte, in denen diese Vorstellungen konstitutiv sind. Damit soll nicht behauptet werden, dass diese Geschichten bereits charakteristisch für Chlodwigs Denken und Handeln waren. Vielmehr sind sie wohl eher als Gregors Strategie einzuordnen, seinen Zeitgenossen am Beispiel Chlodwigs klarzumachen, wie sehr sie mit Belohnungen und Strafen Gottes zu rechnen hätten. Bei Gregors Darstellung handelt sich daher um ein gutes Beispiel, wie man sich missionarische und klerikale Argumentation in dieser Zeit vorzustellen hat, die ja häufig bewusst oben in der gesellschaftlichen Hierarchie ansetzte und die heidnischen Stämme und Völker mittels der Bekehrung ihrer Fürsten und Könige oder deren Gemahlinnen zu gewinnen suchte.80 Ihr Vorbild hatten diese Geschichten bereits in den Dialogen Papst Gregors des Großen, die eine beeindruckende Sammlung von Beispielen bieten, mit denen der Papst Belege für Gottes und der Heiligen vielfältiges Eingreifen in irdische Belange zur Verfügung stellte und bewertete. Sie handeln in der Form von Wundern, Visionen und Erscheinungen von der Unterstützung der Gläubigen in allen Lebensbereichen und nicht zuletzt von der Bestrafung der Nichtgläubigen, die von vielen Gewährsleuten erinnert wurde oder sogar aufgezeichnet worden war.81 Allerdings gelten diese Beobachtungen nicht für alle historiographischen Erzeugnisse der Merowingerzeit: Der sogenannte Pseudo-Fredegar, der die ständigen und brutalen bewaffneten Auseinandersetzungen in der »barbarischen Gesellschaft« detailreich überliefert, bietet wenig Hinweise darauf, dass geschichtliches Geschehen welcher Art auch immer durch Gottes oder der Heiligen Eingreifen beeinflusst wurde.82 Wenn solche Bemerkungen in seinem Werk überhaupt fallen, handelt es sich in aller Regel um Übernahmen aus den Büchern Gregors von Tours, nicht um eigene Wertungen des Autors. Erst in Partien der Fortsetzungen Fredegars, die unter der Verantwortung von Mitgliedern der Sippe der Karolinger verfasst wurden, fällt ins Auge, dass auf Gottes Eingreifen in das geschichtliche Geschehen häufig verwiesen wird, und dieses Eingreifen in aller Regel zum Nutzen der frühen Karolinger geschah.83 Neben Gottes Eingreifen in das geschichtliche Geschehen wird interessanterweise verstärkt auch die Tatsache erwähnt, dass die dem Geschehen zugrunde liegenden Beschlüsse der Franken nach Beratungen der Hausmeier mit ihren Getreuen entstanden seien.84 Insofern spricht Einiges dafür, dass die Geschichte Chlodwigs im Laufe des 6. Jahrhunderts zu einer Leitgeschichte der Konversion eines germanischen Stammesfürsten ausgebaut wurde, zu der auch Chlodwigs christliche Gemahlin Chrodechilde, die nach seinem Tod noch lange in Tours lebte, als Informantin Gregors beigetragen haben dürfte.85 Ins Zentrum der Bekehrungsgeschichte trat jedenfalls die Botschaft, dass ein christlicher Fürst sicher sein konnte, über die unterstützende Macht des christlichen Gottes zu verfügen, wenn er sich dieser Unterstützung durch sein Verhalten als würdig erwies. So ging nach Gregors Darstellung Chlodwig schon als Heide davon aus, dass der Tod seines ersten Sohnes, geboren von der bereits christlichen Königin Chrodechilde, durch heidnische Götter verursacht worden war, die er noch verehrte. Sie waren aktiv geworden, um die Ohnmacht des Christengottes gegenüber ihrer Macht nachzuweisen. Die Königin hatte den Sohn nämlich christlich und festlich taufen lassen, um Chlodwig »durch diese festliche Handlung zum christlichen Glauben zu erwecken.« Doch der Täufling starb noch in den Taufkleidern, was Chlodwig zu einer heftigen Reaktion veranlasst haben soll: »Da schwoll dem König die Galle und er schalt die Königin heftig und sprach: ›Wäre der Knabe geweiht im Namen meiner Götter, gewiss lebte er noch; nun aber, da er im Namen eures Gottes getauft ist, konnte er nicht leben.‹« Chlodwig denkt hier in Kategorien, die auch der christlichen ›Tatmission‹ zugrunde liegen, sieht aber in diesem Fall verständlicherweise seine heidnischen Götter im Vorteil. Seine Gattin konterte ihn denn auch mit der christlichen Überzeugung: »›Mein Gemüt wird vom Schmerz über diese Sache nicht berührt, da ich weiß, dass die, die im weißen Taufgewand von dieser Welt gerufen worden sind, vor Gottes Angesicht leben werden.‹«86 Das hier ausgedrückte Bewusstsein vom Tod als dem Beginn eines besseren Lebens bleibt im Mittelalter charakteristischer Bestandteil christlicher Überzeugung, die dem Tod einiges von seinem Schrecken nahm. Erst in der Not einer drohenden Niederlage in der Schlacht gegen die Alemannen kam Chlodwig dann zur richtigen Einsicht, was Gregor zu einer eindringlichen Szene ausarbeitet: » […] Chlodwigs Heer war nahe daran, völlig vernichtet zu werden. Als er das sah, erhob er seine Augen zum Himmel, sein Herz wurde gerührt, seine Augen füllten sich mit Tränen und er sprach: ›Jesus Christ, Chrodechilde verkündet, du seist der Sohn des lebendigen Gottes. Hilfe, sagt man, gebest du den Bedrängten, Sieg denen, die auf dich hoffen. Ich flehe dich demütig an um deinen mächtigen Beistand. Gewährst du mir jetzt den Sieg über diese meine Feinde und erfahre ich so jene Macht, die das Volk, das deinem Namen sich weiht, an dir erprobt zu haben rühmt, so will ich an dich glauben und mich taufen lassen auf deinen Namen. Denn ich habe meine Götter angerufen, aber, wie ich erfahre, sind sie weit davon entfernt, mir zu helfen. Ich meine daher, ohnmächtig sind sie, da sie denen nicht helfen, die ihnen dienen.‹«87 Es dürfte einsichtig sein, welche Wirkung dieser Sinneswandel Chlodwigs auf seine Gefolgsleute gehabt haben wird. Sie gehörten ja gleichfalls zu denen, die Gefahr liefen, von ihren Göttern im Stich gelassen zu werden; für die also eine Konversion Chlodwigs nicht folgenlos bleiben konnte. Über ihre Ansichten hatte Gregor jedoch noch nichts verlauten lassen. Allerdings wurde er auch weiterhin nicht müde, den Skrupeln Chlodwigs hinsichtlich einer Bekehrung zum Christentum breiten Raum zu geben und zu betonen, dass nur das Eingreifen Gottes letztlich den Umschwung brachte. Hierbei spielte die Haltung dieser Gefolgsleute eine große Rolle. Wieder ist dies nämlich die Thematik einer ausführlichen Erzählung: Chrodechilde hatte den Bischof Remigius von Reims rufen lassen, um mit dessen Hilfe Chlodwig endgültig zur Konversion zu bringen. Doch erhob der König zunächst immer noch Einwände gegen die Versuche des Bischofs, ihn zum Übertritt zu bewegen: »Jener [Chlodwig] aber sprach: ›Gerne würde ich, heiligster Vater, auf dich hören, aber eines macht mir noch Bedenken: Das Volk, das mir anhängt, duldet nicht, dass ich seine Götter verlasse; doch ich gehe und spreche mit ihnen nach deinem Wort.‹ Als er hierauf mit den Seinen zusammentrat, rief alles Volk zur selben Zeit, noch ehe er den Mund auftat, denn die göttliche Macht kam ihm zuvor: ›Wir tun die sterblichen Götter ab, gnädiger König, und sind bereit, dem unsterblichen Gott zu folgen, den Remigius verkündet.‹«88 Damit war die Bekehrung Chlodwigs dadurch gelungen, dass seine Gefolgsleute durch göttliches Eingreifen noch eher als ihr Anführer selbst dazu gebracht worden waren, dem Christengott entschieden den Vorzug zu geben. Die Geschichte konnte so als exemplum und Anleitung für vergleichbare zukünftige Fälle dienen. Die aktive Rolle der Gefolgschaft beim Übertritt der Stämme zum Christentum, die auf Gottes Fügung zurückgeht, wird denn auch in anderen Zusammenhängen hervorgehoben. Auch die weiteren Geschichten Gregors über Chlodwigs erfolgreiche Regierung sind überdeutlich davon bestimmt, ihn von der Hilfe Gottes und der Heiligen profitieren zu lassen, weil er bereit war, ihnen die nötige Achtung zu zollen. Es scheint, als ob es immer noch sehr nötig gewesen sei, die Macht wie die Hilfsbereitschaft des christlichen Gottes in weltlichen Angelegenheiten nachzuweisen, um so den Glauben an ihn zu festigen. Dies zeigte sich etwa in Chlodwigs erfolgreichem Kampf gegen die arianischen Goten in Südfrankreich, deren Reich er eroberte. Da er zu diesem Zweck mit seinem Heer durch das Gebiet von Tours und Portiers ziehen musste, gab er dem Heer den Befehl »aus Verehrung für den heiligen Martin« solle »niemand aus dieser Gegend etwas anders nehmen als Gras zum Futter und Wasser.« Als einer seiner Krieger aber einem armen Manne mit Gewalt Heu...