E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Alshater Versteh einer die Deutschen!
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8437-1869-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Firas erkundet ein merkwürdiges Land
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-1869-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Firas Alshater, geboren 1991 in Damaskus, studierte Schauspiel. In der Revolution gegen Baschar al-Assad begann er als Journalist und Kameramann für ausländische Nachrichtenagenturen zu arbeiten. Er wurde mehrfach verhaftet und brutal gefoltert. Seit 2013 lebt er in Berlin. Gemeinsam mit Jan Heilig drehte er den Dokumentarfilm 'Syria Inside' sowie diverse YouTube-Videos für die Webserie Zukar. Firas Alshater studiert derzeit an der Filmhochschule in Babelsberg. Er glaubt unerschütterlich daran, dass Integration funktionieren kann.
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Am Checkpoint
Ich gehe am Flughafen Stuttgart durch den Check-out. Ein Routineflug zu einer Buchlesung irgendwo in Deutschland, für mich inzwischen Alltag. Es ist jetzt fünf Jahre her, seit ich zum ersten Mal einen deutschen Flughafen betreten habe. Damals, im Mai 2013, kam ich aus der Türkei hierher, hatte Folter und Verfolgung in Syrien hinter mir und war durch einen unglaublichen Zufall für ein Filmprojekt von einem Deutschen engagiert worden, der mir mit viel Mühe ein Visum besorgt hatte. Das war Jan, der mittlerweile ein guter Freund ist. Damals hatte mich die Polizei am Berliner Flughafen auf Herz und Nieren kontrolliert, die Beamten hatten meine Parfümflaschen auf Sprengstoff untersucht. Ein Syrer mit Bart – höchst verdächtig! Am liebsten hätten sie mich wohl gar nicht durchgelassen, aber es war eben doch nur Parfüm und ich kein Terrorist. Heute ist das anders. Also nicht dass ich mittlerweile Terrorist wäre, sondern heute kann ich mich frei bewegen, bin sogar vielerorts bekannt und werde von Wildfremden um Autogramme oder ein gemeinsames Selfie gebeten. Der Riesenerfolg mit meiner Comedy-YouTube-Serie , meine Auftritte im Fernsehen und auch mein erstes Buch – all das hat mein Leben verändert und die Wahrnehmung vieler Menschen gleich mit. Die Erkenntnis, dass ein Geflüchteter auch lustig sein kann, war offenbar so überwältigend, dass sie weltweit für Schlagzeilen gesorgt hat, nicht nur in Deutschland. Ab und zu sehe ich mir den Beitrag im chinesischen Staatsfernsehen von 2016 noch einmal an – ein Land wohlgemerkt, in dem Youtube gesperrt ist. Dennoch berichteten sie über diesen Youtuber »Fira-hashen Alchaten-her« (so ungefähr klingt mein Name mit chinesischem Akzent). Ich muss mich dann immer wieder zwicken, um mir klarzumachen: Das ist die Realität und nicht nur ein hübscher Wunschtraum. Heute reise ich landauf, landab und werbe für Verständigung, halte Buchlesungen ab und mache meine Witze, denn mein Motto hat sich seit damals nicht geändert: »Alle Menschen lachen in derselben Sprache.« Und das versuche ich, der Syrer im Exil, den Einheimischen hier in Deutschland nahezubringen. Mit Humor erreicht man Stellen, die politisch unerreichbar sind. Es ist keine leichte Aufgabe, denn noch immer herrschen in der Gesellschaft große Ängste, nicht zuletzt der Aufstieg der AfD und ihr Einzug in den Bundestag mit über 12 Prozent bringen das deutlich zum Ausdruck. Doch mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir das schon hinbekommen werden – und nicht nur in dieser Hinsicht hat mein Bauch Gewicht. Immerhin werde ich am Flughafen nicht mehr aussortiert und verhört, nur weil ich Syrer bin.
»Sind Sie Herr Alshater?« Überrascht drehe ich mich um. Ein Polizeibeamter steht vor mir, groß, mit Schussweste und schweren Stiefeln. Mit einem Schlag sind alle Erinnerungen wieder da. Woher kennt der meinen Namen? Werde ich etwa gesucht? Gab es irgendwo einen Anschlag? Und alle Araber stehen wieder unter Generalverdacht? Aber das hätte ich doch mitbekommen. Was ist bloß los? Bin ich verdächtig? Er verzieht keine Miene, und ich antworte unsicher:
»Ähm, ja, der bin ich.«
»Kommen Sie bitte mit.« Er führt mich durch die Sicherheitskontrolle und ein paar Gänge entlang. Wie damals bei meiner Einreise geht es auch jetzt in die hinteren Dienstzimmer, er winkt mich in einen kleinen Raum ohne Fenster und verschließt sorgfältig die Tür. Ich kann die Schweißtropfen auf meinem Rücken spüren. Dann greift er in die Tasche und holt ein Smartphone heraus.
»Bitte entschuldigen Sie, Herr Alshater, aber es war mir vor meinen Kollegen einfach zu peinlich. Dürfte ich ein Selfie mit Ihnen machen? Ich bin ein Riesenfan!«
Am Abend habe ich eine Buchlesung. Zweihundert Menschen sind gekommen. Menschen, die mich empfangen wie einen guten Freund, das überwältigt mich immer wieder. Es gibt an solchen Abenden viel zu lachen, viel zu erzählen und vor allem viele Fragen. Viele Menschen begegnen zum ersten Mal bewusst einem Geflüchteten. Und wir alle wissen ja, dass der erste Eindruck zählt – also bemühe ich mich, dass ich einen guten mache.
Das ist seit zwei Jahren mehr oder weniger mein Beruf, und glücklicherweise kann ich mittlerweile sogar davon leben. Dabei fühle ich mich inzwischen eigentlich immer weniger als Geflüchteter –, und wenn ich darüber nachdenke, sogar nicht mehr 100 Prozent als Syrer. Denn dieses Land, mein Heimatland, hat mich nicht gewollt. Zwar besteht ein Land natürlich immer aus mehr als nur seinem politischen System, aber in diesem Fall handelt es sich um eine Diktatur – wer dort von Freiheit träumt, der ist in der eigenen Heimat ein Fremder und in Gefahr. Wäre ich dort geblieben, wäre ich irgendwann im Gefängnis zu Tode gefoltert worden. Bevor das geschehen konnte, bin ich geflohen. Eine andere Wahl hatte ich nicht.
Aber diese Flucht macht natürlich nur einen kleinen Teil meiner Identität aus, und ganz sicher nicht den wichtigsten. Albert Einstein zum Beispiel ist auch vor einer Diktatur geflohen, aber wir betrachten ihn nicht in erster Linie als Flüchtling, obwohl seine deutsche Heimat ihn nicht wollte und er in die USA gehen musste. Zuvor war er fünf Jahre lang auf eigenen Wunsch staatenlos, dann Schweizer, dann Österreicher, dann wieder Deutscher und ab 1940 US-Amerikaner. Ob er sich vielleicht auch mal irgendwann gefragt hat, was er denn nun eigentlich sei? Hat er sich beim Kaffeetrinken wehmütig an seine Heimat erinnert? Wer von euch zum ersten Mal amerikanischen Kaffee trinkt, wird genau verstehen, was ich meine (seid froh, wenn ihr überhaupt etwas schmeckt, so schwach wie der ist!). So geht es mir immer, wenn ich deutschen Kaffee trinke – dann merke ich, dass ich etwas verloren habe, denn dann denke ich sehnsüchtig an diesen leckeren Sud von damals, aus dickem Kaffeesatz, Kardamom und Gewürzen, Zucker und am besten noch ein bisschen mehr Zucker. Vielleicht ist das, was am längsten in Erinnerung bleibt, unsere Ess- und Trinkkultur? Denn überlegt mal: wenn Deutsche ins Ausland fahren, dann vermissen sie immer ihr geliebtes deutsches Brot. Die Franzosen vermissen ihre Croissants, und so sind wir alle kleine kulinarische Nationalisten. Darum gibt es in diesem Buch auch ein längeres Kapitel über Essen und Trinken – ich habe festgestellt, dass man sehr viel über andere Menschen lernt, wenn man einmal mit ihnen gemeinsam zu Tisch war. Nicht nur Liebe geht durch den Magen, auch Integration und Völkerverständigung.
Ich bin nach fünf Jahren hier im Land also nicht mehr so ganz ein Geflüchteter und auch nicht mehr so ganz nur ein Syrer – denn immerhin bleibe ich bei roten Fußgängerampeln inzwischen stehen, unabhängig von der aktuellen Verkehrslage. Aber ein Deutscher bin ich ja auch nicht. Oder vielleicht doch ein bisschen? Wer bin ich eigentlich, hier in diesem neuen Leben, in diesem neuen Land, das mir immer vertrauter wird? Ich habe in Deutschland nicht nur die deutsche Sprache gelernt, sondern auch eine Menge über Aberglauben, Alkohol, Bürokratie, ein wenig über Christentum, Elektro, Hunde, Islamisten, Katzen, Laktoseintoleranz, Mietspiegel, Patchworkfamilien, Veganer und ZDF (in alphabetischer Reihenfolge) und mir natürlich so meine Gedanken gemacht über Alltag und Kultur hier in Deutschland – auch darum wird es in diesem Buch gehen. Wobei es ein paar Dinge gibt, an die ich mich wohl nie gewöhnen werde. Zum Beispiel erinnere ich mich noch gut an meinen ersten Eindruck damals, als ich aus dem Flughafen in Berlin trat und endlich an einem Ort angelangt war, an dem die Sonne der Freiheit herrschte. Nur dass sie nicht schien, die Sonne. Auch die nächsten Wochen nicht. Mein Eindruck lässt sich in einem Wort zusammenfassen: A****kalt! Inzwischen habe ich natürlich gelernt, dass es in Berlin nicht IMMER regnet. Sondern eigentlich nur dann, wenn ich gerade mit dem Fahrrad unterwegs bin. Aber die Frage an sich beschäftigt mich doch immer mehr:
»Jan, bin ich deutsch, wenn ich dauernd über das Wetter schimpfe?«
»Nein, dann bist du Berliner.«
»Aber die Berliner schimpfen über alles.«
»Das ist der Trick: Damit kommen sie einfach allen anderen zuvor.«
»Sympathisch!«
Witzigerweise kann man tatsächlich leichter Berliner werden als Deutscher. Es gibt Orte, da zählt etwas anderes als deine Nationalität. Andere Dinge als das, was in deinem Pass steht oder wo du geboren wurdest und von wem. Berlin gehört mit Sicherheit zu diesen Orten. Doch ich habe inzwischen sehr viel mehr gesehen als nur die deutsche Hauptstadt: Ich habe knapp 100 Lesereisen hinter mir, weit über zehntausend Menschen bin ich dabei begegnet, habe jedes Bundesland besucht – vielleicht habe ich mehr von Deutschland gesehen als mancher Deutsche in seinem ganzen Leben. Von diesen Reisen möchte ich erzählen, denn es ist wirklich eine bunte Republik, die mehr als nur eine Facette hat, und das macht sie mir so sympathisch. Denn genau so bin ich auch: einer dieser bunten Menschen, die man schwer in eine Schublade stecken kann, auch wenn das in Deutschland manchmal ein beliebtes Spiel ist. Aber es macht einfach mehr Spaß, wenn man sich wirklich kennenlernt, statt sich gegenseitig wie Socken in...