E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Almeida Das Testament des Herrn Napumoceno
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-293-30863-3
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
ISBN: 978-3-293-30863-3
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wer sich zur Testamentseröffnung des honorigen Herrn Napumoceno, Handelskaufmann auf den Kapverdischen Inseln, versammelt hat, findet es überhaupt nicht amüsant, was der Verstorbene als Letzten Willen hinterlassen hat. Staunend erfährt die Nachwelt von einer leiblichen Tochter, gezeugt auf dem prächtigsten Büromöbel von ganz Mindelo, die von ihm als Haupterbin eingesetzt wird. Den Zeugen offenbaren sich kleine und große erotische Geheimnisse, geschäftliche Transaktionen und politische Neigungen.
Ein wunderbar komischer, sinnlicher Roman von den Kapverdischen Inseln, der mit Ironie und Heiterkeit wie beiläufig ein Bild der Gesellschaft zeichnet.
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Man hätte erwartet, dass ein so pingeliger Mann wie Senhor Napumoceno in seinem Testament sogleich und detailliert die Gründe dafür angeführt hätte, die ihn dazu bewogen hatten, seinem Neffen, der von der ganzen Stadt für den einzigen und universellen Erben gehalten wurde, nur das alte Gemäuer in Mato Inglês zu hinterlassen, das, obwohl es sich in verwahrlostem Zustand befand, in Zukunft, wie er versicherte, gut ein paar Hunderttausend Escudos wert sein werde. Doch auch darin hatte sich der lüsterne Alte laut Carlos als ein mit allen Wassern gewaschener Betrüger erwiesen. Zuerst einmal war da die Geschichte mit dem Testament, das er schon zehn Jahre vor seinem Tode geschrieben haben wollte, dann dieses Märchen mit seinem Anzug. Vielleicht ist ja in diesem alten Haus ein Anzug versteckt, sagte Carlos zu Graça einige Zeit später, als sich der Schmerz darüber, übergangen worden zu sein, gelegt hatte. Denn sieh mal, wenn das Testament wirklich von 1974 ist und er zweifellos ’84 gestorben ist, heißt das, dass er in der Zeit von ’74 bis ’84 selbst bei einem Anzug alle zwei Jahre noch weitere fünf gehabt haben muss. Also … Aber auch Dona Eduarda konnte nicht erklären, wieso es keinen Anzug gab, worauf Graça meinte, der Alte habe sich womöglich bereits 1974 für gestorben gehalten und sich daher nicht weiter um Kleiderfragen gekümmert. Doch was Carlos richtig ärgerte, war, dass der alte Lustmolch (Graça lachte über diese an einen Verstorbenen gerichteten Schimpfworte) in seinem Fall darauf bestanden habe, dass er sich mit Nachdruck ernsthafter und produktiver Arbeit widmen und entweder ihn, Napumoceno, oder andere verdienstvolle Personen dieses Ortes zum Vorbild nehmen solle, denen das ersprießliche Prinzip harter Arbeit, das sie befolgt hatten, nicht nur ein ansehnliches Vermögen, sondern auch den Respekt, die Hochachtung, ja sogar den Neid der Stadt eingebracht hätten. Er bat Carlos, sein Augenmerk vor allem auf alles zu richten, was mit der persönlichen Ordnung und Disziplin zu tun habe, und sagte ihm, dass ein Mann auch noch so beharrlich und hart arbeiten könne, ihm dies aber nichts nützen würde, wenn er nicht ordentlich und diszipliniert sei. Und in der Tat war allen, die Zugang zu seinem Testament hatten, als Erstes Senhor Napumocenos äußerst methodische, ordentliche Geisteshaltung aufgefallen. So hatte er beispielsweise in dem Teil, der seine Güter betraf, eine ausführliche, peinlich genaue und unerbittliche Aufstellung all dessen gemacht, was er an beweglichen Gütern und Immobilien besaß, seinen Besitz auf Heller und Pfennig genau aufgelistet und gesagt, dass dieser nicht nur deshalb nicht noch umfangreicher war, weil die beunruhigenden Ereignisse auf der Welt Besitz zu etwas Unsicherem machten, sondern auch weil sein weißes Haar ihm gezeigt habe, dass es außer dem Reichtum andere Werte gebe, die der Mensch ebenso beharrlich verfolgen müsse. Dennoch zählte er, mit den höheren Werten beginnend, alles auf, was ihm etwas Geld wert zu sein schien, vergaß dabei nicht einmal zwei alte, längst ausrangierte Teppiche, die in der Abstellkammer lagen, und drei Holzleitern, die über dem Eingang zur Speisekammer zu finden seien, wobei der einen fünf Sprossen fehlten und die anderen beiden leider ein paar bedeutendere Reparaturen brauchten, deren relativen Wert er dennoch nicht gemindert habe. Er erwähnte ebenfalls einen Pappkarton auf dem Kleiderschrank, der drei Paar von seiner letzten Reise aus Lissabon mitgebrachte, fast neue Schuhe enthielt, die jedoch den Nachteil hätten, ihm an einem Hühnerauge Schmerzen zu bereiten, das er bekommen hatte, als er Laufbursche bei Miller & Corys gewesen sei. Er gab dennoch den Wert der Leitern mit 800$00 und den der Schuhe, die ebenso gut noch verkauft werden könnten, mit 160$00 pro Paar an. Und so kam Senhor Napumoceno von Summe zu Summe, vom Wert der Kleidung, Bücher, Kostbarkeiten, über Schmuck, Gebäude und andere kleinere Werte dazu, sein Gesamtvermögen auf insgesamt 67?380?547$00 zu veranschlagen. Er sagte jedoch, dass er es, bevor zur Verteilung seiner Habe geschritten werde, für notwendig erachte, bestimmte Passagen seines Lebens darzulegen, jene Schritte, die für meine Bildung als Mann einschneidend waren und irgendwie mein Schicksal auf die eine oder andere Art beeinflusst haben. Und es ist gewiss nicht unangebracht, wenn ich damit beginne, über meinen Neffen Carlos Araújo zu sprechen, dem ich, obwohl ich bei dieser Amtshandlung anerkenne, der Erzeuger eines hübschen 15-jährigen Mädchens zu sein, im Prinzip ohne Weiteres eine ordentliche Scheibe von diesem Kuchen hätte abgeben können, zumal er sich ja bereits die Hände reibt, weil er glaubt, alles werde ihm gehören, weil er wie immer schon nichts von dem begriffen hat, was über die Firma hinausging und den Mann betraf, der den Vorsitz über das Schicksal der Araújo, Lda., hatte. Doch Carlos hat sich als undankbarer Verwandter herausgestellt, und als Ehrenmann, der ich bin und immer war, habe ich die moralische Pflicht, ihm niemals zu verzeihen. Doch andererseits und weil ich dazu gezwungen bin, eine Pflicht buchstabengetreu zu erfüllen, die unter finanziell engeren Umständen nicht nur schmerzlich, sondern sogar bis zu einem gewissen Grade rechtlich unmöglich wäre, habe ich heute den enormen Vorteil, ein uneheliches Kind zu besitzen, das, sofern man die Bedingung erfüllt, es heimlich zu lieben, den besonderen Vorteil hat, unsere Würde nicht zu stören, und bei dem man nicht die Gefahr läuft, das eigene Gefühl persönlichen Stolzes bröckeln zu sehen, da man ganz für sich allein den süßen Schauder des Genusses zu lieben fühlt, während es von diesem Gefühl nichts weiß und es nicht vertiefen kann. Nun sind die Gründe für meinen Groll, der mich gegen meinen Neffen einnimmt, nicht nur schwerwiegend, sondern sie betreffen zudem noch eine interne Familienstruktur, die von einer Handlung infrage gestellt wurde,
die er sehr wohl kennt und die ich daher, auch wenn weniger tief empfindende Menschen sie unüberlegt nennen würden, nur boshaft nennen kann. Denn mein Neffe hat die Pflicht, nicht zu vergessen, dass er, wenn er heute jemand ist, dies nur der Tatsache zu verdanken hat, dass ich mich darum gekümmert habe, ihn für das Leben mit den Werkzeugen zu versehen, die ich mir aufgrund harter Erfahrungen zu eigen gemacht habe. Denn meiner Meinung nach führt der Weg zum gesellschaftlichen Aufstieg für die Kinder armer Leute ausschließlich über eine gute Schulbildung, ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es nach der Grundschule noch weitere fünf Schuljahre braucht, um einen jungen Menschen aus dem Elend zu holen, hier oder in Afrika, wo es an Posten für einen Niederlassungschef oder auch an vorteilhaften Bankanstellungen nicht mangelt. Daher habe ich mich, kaum dass er bei mir angekommen war, darum gekümmert, ihn aufs Gymnasium zu schicken. Heute sehe ich ein, dass dies reine Zeit- und Geldverschwendung war, er hat keinen Kopf für Geisteswissenschaften, fünf Jahre lang hat er nichts anderes gemacht, als den Unterricht zu schwänzen, und hat dann mit einem einfachen Hauptschulabschluss die Schule verlassen. Und wenn man dem noch die sechs Monate hinzufügt, die er in Portugal verbracht hat, um eine Tonsillentuberkulose auszukurieren, die er aus São Nicolau mitgebracht hat und die, nach einer Inkubationszeit von mehreren Jahren, plötzlich heftig ausgebrochen war, wie es für sie charakteristisch ist, und mich dadurch zwang, ihn als Notfall mit der Alfredo da Silva zu verschiffen, dann hat man eine Vorstellung von dem, was er mir schuldet, was er mir indes so übel heimgezahlt hat. Es wäre falsch zu behaupten, dass Senhor Napumoceno nicht mit einer gewissen Zärtlichkeit von Carlos sprach, obwohl es der Wahrheit entsprach, dass er von ihm beleidigt worden war, was er jedoch im ganzen Testament in Einzelheiten zu erzählen vermied, als würde er zwar begründen wollen, weshalb dessen Erbe so klein ausfiel, aber gleichzeitig etwas Intimes für sich behalten wollte, das auszusprechen ihm Schmerzen bereiten würde. So erzählte er von seiner Entscheidung, Carlos arbeiten zu lassen, da er den Büchern abhold war. Er dachte, Carlos müsse, sei er nun brauchbar oder nicht, essen und sich kleiden, und daher verschaffte er ihm eine Arbeit als Laufbursche bei der Firma Carvalho, Lda. Vielleicht würde ja der Einfluss bereits erwachsener Menschen in ihm Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein dem Leben und sich selbst gegenüber wecken. Nun muss aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben, gesagt werden, dass sich Carlos trotz seiner schweren Mängel in der Firma Carvalho, Lda., als jemand erwies, der für einen Jungen seines Alters ungeahnte Qualitäten besaß, auf die er, Napumoceno, sehr stolz war, insbesondere auch weil er es gewesen war, der sich mit seinem Namen bei der Firma Carvalho, Lda., verbürgt hatte. Denn Carlos zeigte sofort, dass er einen unübertroffenen kaufmännischen Spürsinn hatte, eine ganz besondere Geschicklichkeit, die Kundschaft für sich einzunehmen und zu gewinnen, und so kam es, dass ihm gleich im ersten Jahr, in dem er als Verkäufer arbeitete, vom Verein der Kaufleute einstimmig und nach vorheriger Befragung der Leute der Preis des Verkäufers des Jahres verliehen wurde, denn es hatte sich erwiesen, dass niemand, der über die Schwelle von Carvalho trat und auf Carlos am Ladentisch getroffen war, dort mit leeren Händen herauskam, ohne ein Hemd, ein Kleid, irgendeinen Kleinkram zu kaufen, vielleicht auch nur, um diesem wirklich reizenden, lächelnden, zu Scherzen aufgelegten Jungen zu gefallen. Er, Napumoceno, freute sich zu erfahren, dass Carlos aufgrund eigener Meriten und...