E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Albrich / Justic Illustriertes »Hochzeits« Extra-Blatt
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7107-6796-8
Verlag: Michael Wagner Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Innsbrucks jüdischs Bürgertum feiert im Jänner 1906
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-7107-6796-8
Verlag: Michael Wagner Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die HerausgeberInnen: Thomas Albrich, Mag. Dr., ao. Univ.-Prof. am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck; zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte der Neuzeit und Zeitgeschichte. Forschungsschwerpunkte: jüdische Geschichte seit 1700, biografische Forschungen, Migrationsgeschichte, NS-Zeit und Holocaust, österreichische und europäische Zeitgeschichte. Josefine Justic, Mag.a, geb. 1951 in Schwaz in Tirol, arbeitete von 1970 bis 2011 als Archivarin im Innsbrucker Stadtarchiv. Mitautorin zahlreicher Veröffentlichungen des Innsbrucker Stadtarchivs sowie Kuratorin diverser stadtgeschichtlicher Ausstellungen im Stadtmuseum. Verfasserin zahlreicher Artikel zur Stadtgeschichte von Innsbruck in verschiedenen Medien. Diplomstudium der Geschichte an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck mit Abschluss als Magistra phil.
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Einleitung
Am 7. Jänner 1906 heirateten in Innsbruck Jenny Mayer aus Innsbruck und Soma Kaldor aus Graz, beide aus angesehenen Familien des jüdischen Bürgertums. Die Hochzeit fand im damaligen israelitischen Bethaus im Stöcklgebäude des Hauses von Michael Brüll in der Anichstraße 7 in Innsbruck statt. Der Bräutigam war der 31-jährige Samuel Kaldor (Kohn), ein lediger Kaufmann und Sohn des Jakob Kohn, Handelsmann aus Körmend1, der in Graz wohnhaft war, und der Amalia, geborene Trautmann. Er wurde am 4. Juli 1874 in Graz geboren und zuständig nach Körmend, Eisenburger Comitat Ungarn. Die Braut war die 27-jährige Jenny Mayer, ledige Tochter des Kaufmanns Alexander Mayer in Innsbruck, zuständig nach Wien, und der Fanny, geb. Bauer, geboren in Innsbruck am 12. November 1878. Die Trauung vollzog auf Grund der Delegierung des Rabbinates Hohenems Dr. Gustav Sicher, Rabbiner in Innsbruck. Die Trauzeugen waren Sigmund Kaldor und Sigmund Mayer.2
Die Hochzeit wäre vermutlich heute vergessen, wenn nicht zwei Cousins der Braut, Karl Bauer und Walter Schwarz, zusammen mit weiteren Freunden des Paares, die ebenfalls Beiträge beisteuerten, als Geschenk für die beiden ein herausgegeben hätten. Die beiden Herausgeber waren Karl, der einzige Sohn von Louis Bauer, und Walter, der älteste Sohn von Victor Schwarz. Karl Bauer war damals 27 Jahre alt, ein begabter Musiker und Sänger, im Ersten Weltkrieg Hauptmann der Kaiserjäger. Im Novemberpogrom 1938 wurde er schwer verletzt, konnte mit seiner Frau in die USA flüchten, war aber bleibend beeinträchtigt. Walter Schwarz, damals 20 Jahre alt, war ein Jahr zuvor während seines Militärdienstes beim 1. Tiroler Kaiserjägerregiment als „Saujud“ beschimpft worden. Die Ohrfeige, die er daraufhin austeilte, brachte ihm eine strafweise Verlängerung seiner Militärzeit ein. Er konnte nicht mehr Reserveoffizier werden. Im Ersten Weltkrieg ist er als einer der ersten Tiroler am 8. September 1914 bei Horodok/Grodek in der Ukraine gefallen. Die beiden Herausgeber waren die Verbindung zu den Familien Bauer und Schwarz, die auch die Hauptpersonen im stellen.
Dieses glücklicherweise erhalten gebliebene Unikat ist ein einzigartiges Dokument, eine Momentaufnahme aus glücklichen Zeiten. Die Gäste steuerten freche Gedichte und Geschichten bei, mit denen sich die jüdische Gesellschaft in Innsbruck gut gelaunt – und phantasievoll verschlüsselt – über sich selbst lustig machte.
Wenige vergleichbare Stücke aus dieser Zeit haben überdauert. Das im Folio-Format gebundene befand sich nach Auskunft des Innsbrucker Antiquars Dieter Tausch vermutlich im seinerzeitigen Nachlass von Dr. Hans Hochenegg (1894–1993), der 2001/2002 über Vermittlung von Tausch von der Stadt Innsbruck angekauft wurde. 2003 wurde die Handschrift im Innsbrucker Stadtarchiv inventarisiert und als Provenienz Dieter Tausch angeführt.
Teile des sind sogar mit Schreibmaschine getippt, was trotz der über 30 Jahre zurückliegenden Präsentation der ersten bürotauglichen Schreibmaschinen 1873/74 durch die Firma Remington in den USA in Innsbruck um 1900 noch eine Seltenheit war. Die einzelnen, zumeist handgeschriebenen Kapitel behandeln sowohl die Charakterisierung von neuen und alten Familienmitgliedern auf humoristische Weise als auch familiäre Ereignisse, Aktuelles in Innsbruck und „aus aller Welt“ sowie geschäftliche Belange.
Das stellte für uns als Bearbeiter eine große Herausforderung dar, da die im Text vorkommenden Personen teilweise mit Spitznamen oder Übernamen, meist aber nur mit Initialen gekennzeichnet sind. Die Auflösung dieser „versteckten“ Biografien war schwierig. Schlussendlich konnten all jene Personen als Mitglieder der Innsbrucker jüdischen Gesellschaft um 1900 identifiziert werden, die meist im Umfeld der Familien Bauer und Schwarz lebten bzw. ihnen angehörten. Eine Edition war nur möglich, da die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Innsbruck (und ihr Umfeld) zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Bearbeitern bekannt sind.
Schwieriger zu recherchieren waren Personen außerhalb des jüdischen Familienkreises, die schlussendlich z. B. über die Adressbücher zu finden waren. Wobei erwähnt werden muss, dass bei den Namensund Ortsnennungen im einiges an Fantasie und „Übersetzungskunst“ anzuwenden war. Das „Kosakenkaffee“ entpuppte sich z. B. als das Café Central, das 1906 im Besitz des Franz Kosak war.
Das ist mit gelungenen Zeichnungen – wahrscheinlich von Karl Bauer – ausgestattet. Andere Illustrationen sind eher skizzenhaft, wobei wichtige Personen mit ausgeschnittenen Fotos erkennbar gemacht wurden. Hier konnten freilich nur jene identifiziert werden, für die wir in anderen Kontexten bereits zugeordnete Fotografien auffinden konnten.
Neben den biografischen Teilen war auch die Zuordnung von Örtlichkeiten, die im genannt werden (im Besonderen natürlich von Innsbruck), wichtig. Sie wurden identifiziert und zum Teil mittels Fotos illustriert. Auch werden ergänzende Informationen zu Ereignissen rund um die Jahre 1905/06 beigesteuert, die entweder im erwähnt werden oder allgemein für Innsbruck um die Jahrhundertwende von Bedeutung waren, z. B. die 1891 eröffnete, mit Dampf betriebene Lokalbahn Innsbruck – Hall i. T., die 1900 eröffnete Mittelgebirgsbahn nach Igls und die ab 1905 elektrisch geführten innerstädtischen Straßenbahnen. Weitere infrastrukturelle Maßnahmen in der Stadt, die eine wesentliche Rolle im Aufstieg von Innsbruck zu einer modernen Stadt gespielt haben, waren z. B. die 1903/06 durchgeführten Kanalisationsarbeiten und ab 1905 die Einführung der elektrischen Straßenbeleuchtung. Diese Textabschnitte sind mit entsprechenden Fotos aus dem Stadtarchiv Innsbruck bebildert.
Eine kurze Darstellung zum 1908 eröffneten Kaufhaus Bauer und Schwarz in der Maria-Theresien-Straße (Haus Nr. 33–35, heute Kaufhaus Tyrol), dessen Errichtung seit 1905 ein gemeinsamer Plan der beiden befreundeten und verwandtschaftlich verbundenen Familien war, wurde, aufbauend auf die bereits vorhandene Literatur, mit Auszügen aus den damals vehement geführten Diskussionen im Innsbrucker Gemeinderat ergänzt. Das im nachgezeichnete Kaufhaus Schwarz war noch das Geschäft an der Adresse Maria-Theresien-Straße 37.
Der Bezug der Braut zu Bauer & Schwarz war ihre Mutter Fanny Mayer, die eine Tochter des Stammvaters der Familie Bauer, Josef Bauer, war, und der Umstand, dass Jenny im Kaufhaus von Victor Schwarz arbeitete. Mit viel Aufwand konnten die Biografien des Hochzeitspaares und der anderen Personen, die im Buch vorkommen, erarbeitet werden. All diese Hinweise wurden ebenso wie die persönlichen Initialen bestmöglich entschlüsselt und in einem ausführlichen Personenregister mit biografischen Informationen dargestellt. Dazu wurde auch ein Stammbaum der Familie Bauer mit allen Angeheirateten und deren vor 1918 geborenen Kindern erstellt.
Als zusätzliche Quellen konnten eine Reihe von Vorarbeiten von Martin Achrainer3, Thomas Albrich4 oder Horst Schreiber5 herangezogen werden.
Wir haben dem seine Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte zur Seite gestellt und es in den Kontext der jüdischen Gemeinde Innsbrucks und der Stadt Innsbruck Anfang des 20. Jahrhunderts eingebettet. So bietet das Buch einen einzigartigen Einblick in eine kurze Blütezeit jüdischen Lebens in Innsbruck, die mit dem Ersten Weltkrieg tiefe Brüche und dann mit dem Nationalsozialismus ein tragisches Ende fand.
Zum Abschluss ein Dank an den Verlag, das Land Tirol und die Stadt Innsbruck als Subventionsgeber, das Stadtarchiv Innsbruck und das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum und alle, die uns bei diesem Unternehmen vor allem bei der Bildbeschaffung unterstützten.
Anmerkungen
1 Körmend (deutsch: Kirment) liegt im heutigen Komitat Vas an der Grenze zum Burgenland.
2 Trauungsmatrikel des Rabbinats für Tirol und Vorarlberg, S. 168. TLA, TV jüd 5.
3 Martin Achrainer, Jüdisches Leben in Tirol und Vorarlberg von 1867 bis 1918, in: Thomas Albrich (Hrsg.), Jüdisches Leben im historischen Tirol, Band 2: Von der bayerischen Zeit 1806 bis zum Ende der Monarchie 1918, Innsbruck 2013, S. 193–380.
4 Thomas Albrich (Hg.), „Wir lebten wie sie …“ Jüdische Lebensgeschichten aus Tirol und Vorarlberg, 2. Auflage, Innsbruck 2000.
5 Horst Schreiber (Hg.), Von Bauer & Schwarz zum Kaufhaus Tyrol,...




