Albrecht | DIE ANDEREN | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 216 Seiten

Albrecht DIE ANDEREN


28. Auflage 2024
ISBN: 978-3-942672-83-2
Verlag: OCM
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 216 Seiten

ISBN: 978-3-942672-83-2
Verlag: OCM
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein verschlafenes Dorf in der Westpfalz. Ein Junge verschwindet und taucht viele Jahre später traumatisiert als Erwachsener unter den ungewöhnlichsten Umständen nahe einer riesigen unterirdischen Militäranlage der amerikanischen Streitkräfte wieder auf. Die 'Raketenstation' ist schon lange verlassen. Der Aufgefundene fantasiert von Stimmen, Lichtern und Insekten. Er ist gestört. Niemand schenkt seinen Worten Beachtung. Nur drei Jungen werden aufmerksam. Menschen und Tiere verändern sich. Langsam, unmerklich. Eine neue Bewegung nimmt ihren Ausgangspunkt in dem unscheinbaren pfälzischen Dorf. Seltsame Vorfälle passieren in immer kürzeren Abständen weltweit. Drei Jungen und ein verstörter Einsiedler begeben sich auf eine Mission. Eine Mission, die sie tief in den Pfälzer Wald führt. Sie haben eine Vermutung. Sie haben einen Plan. Ihr Gegner wartet auf sie. Eine ungewöhnliche Geschichte voller Spannung und nicht alltäglicher Charaktere, verwickelt in einen ungleichen Kampf mit ungewissem Ausgang. Ob die Geschichte wahr ist. Gewiss, das ist sie in Teilen. Ja, wirklich.

Achim Albrecht, 1959 in Kaiserslautern geboren und in der Pfalz aufgewachsen. Entgegen seinen literarischen Neigungen studierte er Jura, schloss eine Bankausbildung an und komplettierte seine wirtschaftsrechtliche Ausrichtung mit beruflichen Einsätzen in den verschiedensten Ländern. Heute lehrt er als Professor Internationales Wirtschaftsrecht. Der Autor hat die ursprüngliche Idee, seine Fantasie und Liebe zur Sprache schriftstellerisch umzusetzen, nie aufgegeben. Achim Albrecht hat ein Faible für schräge Charaktere und skurrile Tötungsmethoden. Seine Bücher sind spannend, humorvoll, wortgewandt, manchmal verstörend und von einer detaillierten Beobachtungsgabe geprägt. Er experimentiert gerne und lässt sich auf literarische Ausflüge ein.
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2. Kapitel
Die Suche


Der 27. August begann, wie der 25. geendet hatte. Eine flirrende Sonne stand über dem Tal und stach zwischen tanzenden Schatten auf die Siedlung nieder, die sich schon lange ergeben hatte. Die Nacht hatte Regen gebracht und die Sonnenstrahlen brachten die Erde zum Dampfen. Felder und Wald schwitzten aus, was an Wasser dicht unter der Oberfläche eingedrungen war und es schien, als seien in der Landschaft zahlreiche Feuer entzündet worden, die sich nur aus Rauch nährten. Es war schwül und Linderung nicht zu erwarten.

Seit zwei Tagen hatte man nichts von dem Jungen gehört. Langsam war die Nachricht in das Dorf gesickert und hatte sich rasch verbreitet. Der Junge war von einem seiner einsamen Spaziergänge nicht zurückgekehrt. Als seine Mutter mit Panik in der Stimme und wehendem Haar in das Wirtshaus stürmte, hefteten sich die Augen der Kartenspieler wortlos an ihr exotisches Äußeres. Die Frau, die dem Dorf fremd geblieben war, hatte ihr Madonnenlächeln verloren. Sie warf eine Handvoll Münzen auf den Tresen und bat darum telefonieren zu dürfen. Ihre Stimme hatte einen gehetzten Klang.

Als sie die Wählscheibe in Bewegung setzte, neigten sich alle Ohren im Raum in ihre Richtung. Die Frau schien es nicht zu bemerken. Sie nagte nervös an ihrer Unterlippe, während sie auf ihre Verbindung wartete. Dann sprudelte es aus ihr heraus. Ihre schmalen Hände tanzten und ihr Kopf geriet in Bewegung, als sie schilderte, dass ihr Sohn Walther verloren gegangen war. Nur kurz unterbrach sie sich. Nein, antwortete sie mit einem unwilligen Kopfschütteln. Das sei noch nie vorgekommen. Walther sei ein braves Kind. Niemals würde er über Nacht wegbleiben. Abermals lauschte sie angestrengt in den Hörer und schüttelte den Kopf. Nein, es gebe keinen Grund, weshalb Walther weggelaufen sein sollte. Außerdem sei Strolch bei ihm. Sie unterbrach sich und nickte. Ja, Strolch sei ein kleiner Mischlingshund, der Walther nie alleine lassen würde. Auch er sei verschwunden. Finde man den Hund, wäre auch Walther nicht weit. Noch einmal horchte die Frau und nickte zustimmend. Dann legte sie den Hörer auf.

Die Gesichter der Kartenspieler drehten sich weg und Männerhände griffen nach Biergläsern. Die Ohren hatten genug gehört.

Die Frau lächelte flüchtig dem Wirt zu, der um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck bemüht war. Noch ehe es ihm gelang, sein stoppelbärtiges Doppelkinn in wohlwollende Falten zu legen, war die Frau mit wehenden Röcken verschwunden.

Die Saat war gelegt und die Nachricht galoppierte von Haus zu Haus. Frauen tuschelten unter Wäscheleinen. Männer tauschten sich auf dem Weg zu den Feldern aus. Die einzige Bushaltestelle des Ortes war stärker frequentiert als üblich und auffällig oft kamen Radfahrer und Spaziergänger an dem Aussiedlerhof vorbei, der zuvor vom Dorf gemieden worden war. Mit eigenen Augen hatten die Dörfler die zwei Polizeifahrzeuge gesehen, die vor dem verwinkelten Gebäude der Rumänen parkten.

Viele nahmen an, dass es Rumänen waren. Andere glaubten, es seien Bulgaren. Fremde eben. Nicht ordentlich. Das konnte man schon an der Kleidung sehen und am Zustand des Hauses. Keine Deutschen jedenfalls.

Olivfarbene Haut, unpassende Kleidung und Gaunereien im Sinn. Jeder hatte eine Meinung. Jeder trug ein Bröckchen bei. Bis weitschweifige Anekdoten entstanden. Im Grunde hatte man es geahnt. Es musste so kommen.

Walther. Kein Name für ein Ausländerkind. Anmaßend. Als ob ein deutscher Name aus dem Jungen einen Einheimischen machen würde. Kein Vater natürlich. Nur eine vor sich hinbrütende Großmutter in bunten Gewändern und ein abgerissener Vogelstimmenmann, der mit einem zerbeulten Lastwagen Schrott sammelte, den die Leute an den Straßenrand schleppten, wenn die blecherne Melodie aus dem Lausprecher sein Kommen ankündigte. „Lumpen, Alteisen, Knochen, Lumpen“, begleitete eine heisere Männerstimme im leiernden Rhythmus die langsame Vorbeifahrt. Die Dörfer erduldeten solche Existenzen, aber sie akzeptierten sie nicht. Sie würden es niemals tun.

Und dann noch das affektierte ‚h‘ im Namen. Typisch für die ‚Madonna vom Altenhof‘, wie die Frauen des Ortes Ellen nannten. Rote Lippen, rote Fingernägel, glänzende Spangen in geflochtenen Haaren, der aufreizend aufrechte Gang, das Wippen und das unergründliche Lächeln. Oh ja, das Lächeln, das sie jedem Mann entgegenstreckte wie eine Opfergabe. Ganz heiß wurde es den Männern unter den Hemdkrägen, die solcherlei Morgengaben von ihren mürrischen Hausdrachen nicht gewohnt waren. Männer konnten durch derlei frivole Aufmerksamkeiten den Verstand verlieren. Bei einem war es bereits passiert. Das ganze Dorf wusste davon.

Maler war der Mann. Er war immer in fleckiger weißer Arbeitskleidung unterwegs. Oft, zu oft fand man ihn im Wirtshaus neben einem Glas Bier und einer Sammlung Schnapsgläser. Mit Alkohol kämpfte er gegen den Trübsinn seines häuslichen Lebens an und der Alkohol drohte zu gewinnen.

Eines Tages schenkte ihm Ellen ihr Lächeln, als sie auf dem Weg zum Dorfladen war. Er fing das Lächeln auf und erlebte ein Stück vom Glück. Bald fand man ihn nüchtern und aufmerksam immer in der Nähe des Lächelns. Er bot an, ein volles Einkaufsnetz zu tragen, wehrte bescheiden ab, wenn ihm Ellen ein kleines Handgeld überreichen wollte und winkte der aufrechten Frauengestalt schüchtern nach, wenn sie um die Ecke bog. Worte wurden kaum gewechselt, aber das kindische Benehmen des Malers erregte Aufmerksamkeit.

Dies war besonders bei seiner Frau der Fall, einer untersetzten und breitschultrigen Bauerntochter, die es längst bereut hatte, einen der Dorfsäufer geheiratet zu haben. Eines Nachmittags erschien sie wie eine Furie in der Kneipe, gerade als ihr angetrunkener Ehemann zum wiederholten Male davon fantasierte, wie es sich anfühlen müsse, wenn man den wohlgeformten Hintern der Fremden mit beiden Händen umfasste und drückte. Stunden später wurde der Maler von einem Krankenwagen abgeholt. Seine Frau lamentierte, dass er gestürzt sei und sich eine Gehirnerschütterung zugezogen hätte. Das Dorf schwieg dazu. Jeder glaubte, was er glauben wollte. Nur eine Tatsache blieb. Die Fremden waren Störenfriede.

Jetzt war der Junge verschwunden. Kein Wunder, meinten die einen. Walther sei ein zurückgebliebener, eulengesichtiger Bub, der sich schwerfällig bewegte und noch schwerfälliger redete. Man könne doch ein solches Kind nicht unbegleitet mit seinem Hund in den Wald laufen lassen. An dem Tag habe der Wetterbericht schwere Gewitter vorausgesagt und man wisse doch, wie leicht man sich in den dichten Wäldern rund um das Dorf verirren konnte. Vielleicht sei das Kind von einem Blitz getroffen worden. Vielleicht habe es sich versteckt und irre jetzt orientierungslos herum. Man habe auch schon davon gehört, dass die Wildschweine auf Eindringlinge losgegangen seien und diese verletzt hätten. Immer wieder gingen Kinder verloren, über die keine ordentliche Aufsicht herrschte. Es gäbe Fremde, die mit ihren Autos an den Waldrändern und auf einsamen Wegen entlangfuhren und Kinder aufklaubten, die nie wieder auftauchten.

Man raunte dieses, vermutete hinter vorgehaltener Hand jenes, aber sachdienliche Hinweise, die die Polizei auf einem Handzettel unter dem körnigen Schwarz-Weiß-Foto des kleinen Jungen, der kurzsichtig und ernst in die Kamera blickte, erbat, waren rar gesät.

Ein Bauer aus dem Nachbardorf war der erste, der einen brauchbaren Hinweis gab. Er erinnerte ich am fraglichen Tag vom Rand des Rapsfeldes, als er sein Mittagessen verzehrte, einen Hund gesehen zu haben, der unvermittelt aus dem Gebüsch nahe des Feldweges auftauchte. Dann habe er noch Gebell gehört. Einen Jungen habe er nicht gesehen, aber der Hund sei zielstrebig den Weg entlanggelaufen, als ob er einer Spur folgte. Auf einer Karte markierte der Bauer die Stelle.

Als Gerüchte die Runde machten, die Großmutter des Jungen habe alle Zigeuner, Gaukler und Taugenichtse zu Hilfe gerufen und eine Flut von Fuhrwerken und schweren Limousinen sei kurz davor, das Dorf zu überrollen, machte sich ein Trupp widerstrebender Freiwilliger auf, um sich einer Suchaktion nach dem Verschwundenen anzuschließen. Es war die Christenpflicht eines jeden einzelnen, sich in der Not auszuhelfen und verschaffte ein gutes Gewissen. Eine Handvoll Frauen ging sogar soweit, Kuchen, Schmalzgebäck und Eintopf zu dem Aussiedlerhof zu karren und ihre geheuchelte Anteilnahme in viele Worte zu kleiden.

Die mürrische Großmutter stand bedrohlich wie ein Racheengel auf den ausgetretenen Steinstufen des Hauses und schwieg zu den Beistandsbeteuerungen der Frauen. Ellen hingegen lächelte mit schwermütiger Süße und hieß alle willkommen. Sie brachte fein bestickte Kissen heraus, die sie um eine großblättrige Esche legte, drückte Hände und schenkte eine Limonade aus, die so würzig und Zungen schnalzend gut war, wie keine der Frauen sie jemals zuvor gekostet hatte. „Aus der Heimat“, hatte Ellen leichthin gesagt und die Frauen nickten wissend. Man unterhielt sich mit ausgesuchter Höflichkeit und kostete die mitgebrachten Speisen.

Die Frauen versicherten, dass man die Familie schon immer ins Herz geschlossen habe. Ein Dorf stelle hohe Anforderungen an den Fleiß und die Duldsamkeit der Bewohner, sodass man Solidarität eher im Stillen zeige. Jetzt allerdings sei der Punkt gekommen, wo man offene Tatkraft beweisen müsse. Dezent geschminkte Münder täuschten Herzlichkeit vor und scherten sich wenig um das Gebot, dass man kein falsches Zeugnis ablegen solle.

Ellen bedankte sich für das erwiesene Mitgefühl und die mitgebrachten Dinge und entließ die Frauen mit dem erleichternden Gefühl, das Ihre...



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