Albrecht / Bostanci / Ramadan | Konflikte um Vielfalt? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 340 Seiten

Albrecht / Bostanci / Ramadan Konflikte um Vielfalt?

Demokratieförderung und Antidiskriminierungspolitik in der postmigrantischen Gesellschaft
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-593-45429-0
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Demokratieförderung und Antidiskriminierungspolitik in der postmigrantischen Gesellschaft

E-Book, Deutsch, 340 Seiten

ISBN: 978-3-593-45429-0
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Postmigrantische Gesellschaften befinden sich in immerwährenden Transformationen, die im Kontext der »Migrationsfrage« auch Konflikte und Spannungsverhältnisse nach sich ziehen. Die Beiträge dieses Bandes zeichnen den politisch-institutionellen Umgang mit Antidiskriminierung in Deutschland nach und zeigen, wie Antidiskriminierungspraktiken sich in zivilgesellschaftlichen Organisationen manifestieren. Das Buch bringt aktuelle Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis zusammen und reflektiert die Notwendigkeiten und Widersprüche der staatlichen Antidiskriminierungspolitik und der Demokratie- und Vielfaltförderung in Deutschland.

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Konflikte um Teilhabe in der staatlichen Demokratieförderung


1.Demokratieförderung als Handlungs- und Konfliktfeld gesellschaftlicher Teilhabe


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Alle modernen Demokratien – auch die deutsche – sind von Teilhabekonflikten geprägt. Diese Konflikte bilden sich idealtypisch als politischer Pluralismus aus, der nicht nur widerstreitenden Interessen und Meinungen Raum gibt, sondern Kernbestandteil von Demokratien ist. Gesellschaftliche Vielfalt ist somit Voraussetzung, aber auch eine Herausforderung für Demokratien, zumal wenn die Vielfalt nicht ausreichend in der politischen Willensbildung und in staatlichem Handeln repräsentiert ist. Das Zusammenleben und die politische Gestaltung in einer zunehmend heterogenen, sich ausdifferenzierenden Gesellschaft funktionieren dabei nicht von allein. Vielmehr sind gesellschaftliche und politische Teilhabe für marginalisierte oder diskriminierte Gruppen erschwert. Es bedarf deshalb der besonderen Bemühungen und Angebote, um ein respektvolles, gleichberechtigtes Zusammenleben zu ermöglichen.

Die Demokratieförderung widmet sich daher in Deutschland dem Ziel umfassender politischer Teilhabe und Mitgestaltung der Gesellschaft, sowohl in der formalen (schulischen) wie der non-formalen (nicht-schulischen)1 politischen Bildung. Die Geschichte der staatlichen Demokratieförderung lässt sich bis in die Weimarer Republik zurückverfolgen und ist geprägt von Krisen, Lernprozessen, Rückschlägen und Umbrüchen. Die staatlichen Richtlinien und Programme sowie die zugehörigen fachwissenschaftlichen Debatten der Demokratieförderung oszillieren dabei konflikthaft zwischen zwei Leitideen, die je nach historischen Bedingungen unterschiedlich stark zum Ausdruck kommen: zum einen die Emanzipation und Kritik an bestehenden Herrschafts- und Teilhabeverhältnissen (aktivistisch-emanzipatorisches Bürgerleitbild/Zivilgesellschaft), zum anderen die Legitimation und Identifikation mit der bestehenden Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung (partnerschaftlich-affirmatives Bürgerleitbild/Zivilgesellschaft) (Golz/Kost 2022: 198 f.; Kleist/Weiberg 2022).

Die Herausbildung der staatlichen Demokratieförderung in Deutschland und die damit verbundenen Auseinandersetzungen zwischen dem Staat, der Zivilgesellschaft und den (Fach-)Professionen können als Beispiele für gesellschaftliche Teilhabekonflikte und deren Bearbeitung gesehen werden. Die Demokratieförderung ist gleichzeitig Ausdruck und Form dieser gesellschaftlichen Konflikte: Sie ist deren Ausdruck, weil hier die sich wandelnden, unterschiedlichen Prämissen, Konzeptionen und Verhältnisse von Staat und Bürger*innen mit den dazugehörigen Rechten und Pflichten gespiegelt werden. Deren Form und Gestalt ist sie, weil über sie die damit einhergehenden Herausforderungen institutionalisiert und bearbeitet werden (sollen).

Da Konsens in der deliberativen Demokratietradition ein wichtiges Leitbild ist,2 werden Konflikte nicht selten als Ausdruck von Funktionsdefiziten gesehen. Wir gehen allerdings davon aus, dass (Teilhabe-)Konflikte – in unserem Fall die konflikthafte Aushandlung von Richtlinien und Programmen der Demokratieförderung – der Normalzustand und struktureller und funktionaler Bestandteil einer modernen, demokratischen Gesellschaft sind.3 Generell stellen Konflikte keinen Ausdruck von Dysfunktionalität einer Gesellschaft oder der Bedrohung der sozialen Ordnung dar, sondern sind vielmehr deren notwendiger Bestandteil. Konflikte können sogar integrative Effekte – z.B. systemintegrative, aber auch nur für einen bestimmten Teil der Gesellschaft oder bestimmte Akteure wirkende – hervorbringen oder sozialen Wandel befördern (Weiberg-Salzmann 2011: 35). Sie können jedoch auch systemgefährdend und zumal für gesellschaftlich Marginalisierte bedrohlich sein, sofern sie nicht demokratisch-integrativ bearbeitet werden.

Dies bedeutet für den Zusammenhalt von Gesellschaften, dass Konsens nicht unbedingt die Voraussetzung für gesellschaftliche Stabilität ist und die Konflikthaftigkeit moderner Gesellschaften nicht von vornherein als Integrationsproblem verstanden werden muss (Bonacker 2008; 2009; El-Mafaalani 2018).4 Im Gegenteil: Individuen sind ebenso wie soziale Gruppen und ganze Gesellschaften sogar auf diese Konflikte angewiesen, um sich weiterzuentwickeln.5 Für die Demokratieförderung bedeutet dies, dass sie gesellschaftliche Konflikte aufgreifen und produktiv in pädagogische Ansätze und Teilhabe umsetzen muss. Wesentlich ist, dass die Beteiligten sich ausreichend in die Konfliktvermittlung einbezogen sehen und die Ergebnisse des Diskurses (zumindest partiell) zu einer Erhöhung von Teilhabe bzw. einem Abbau von Benachteiligung und Diskriminierung führen (Weiberg-Salzmann 2011: 36).

Die Frage nach der Rolle staatlicher Demokratieförderung als Handlungs- und Konfliktfeld gesellschaftlicher Teilhabe stellt sich heute angesichts zunehmend radikal agierender anti-demokratischer Kräfte sowie einer sich pluralisierenden und zugleich polarisierenden Gesellschaft ganz neu. Wie hat die Demokratieförderung auf große gesellschaftliche Herausforderungen und Konflikte reagiert, und welche Auswirkungen hatten diese auf ihre Debatten und Ausrichtung? Mit der Analyse der Entwicklung der Demokratieförderung in Deutschland wollen wir ihre Möglichkeiten, aber auch ihre Grenzen in Bezug auf die Bearbeitung von Konflikten und die Integration von widerstreitenden Positionen und bisher marginalisierten Gruppen besser verstehen.

2.Staatliche Demokratieförderung in der Bundesrepublik Deutschland


Im Folgenden sollen die wichtigsten Etappen der Demokratieförderung in Deutschland untersucht werden (Inhalte, Form, beteiligte Akteure). Dabei fokussieren wir 1. auf die programmatische Neuausrichtung der politischen Bildung in der ›alten‹ Bundesrepublik im Zuge neuer sozialer Bewegungen in den 1970er Jahren und 2. auf das Scheitern der institutionellen politischen Bildung nach der Wiedervereinigung sowie das Entstehen der Sonderprogramme der Demokratieförderung. Den Abschluss bilden 3. eine Bewertung der Adaptionsfähigkeit der Sonderförderprogramme angesichts der Konflikte einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft und 4. eine Beurteilung der Versuche ihrer gesetzlichen Verstetigung sowie ihrer Politisierung.

2.1Die Anfänge der Demokratieförderung in Deutschland


In der Weimarer Republik hatte die Reichszentrale für Heimatdienst – angesichts hoher politischer Spannungen infolge der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg, der Revolution und des politischen Systemwechsels vom Kaiserreich zur parlamentarischen Demokratie 1918/19 – die Aufgabe, mit öffentlichen Veranstaltungen und Publikationen die Pluralität der fragilen parlamentarischen Demokratie aufrechtzuerhalten (Wippermann 1976). Im Nationalsozialismus pervertierte die Idee von mündigen, demokratischen »Bürger*innen« schließlich in ihr Gegenteil, nämlich in die eines Untertanentums. In der realsozialistischen Staatsbürgerkunde der DDR zielten die Maßnahmen auf die Erziehung zu einer sozialistischen Persönlichkeit (Detjen 2013: 199–206) und auf die Sicherstellung der Staatstreue (Dengel 2005).

Das Verhältnis zur Demokratie war auch in der jungen Bundesrepublik Deutschland noch prekär. Trotz der postulierten »Stunde Null« bestanden im 1949 neugegründeten Staatswesen teils rechtliche, strukturelle und personelle Kontinuitäten zum Nationalsozialismus. Nicht nur das Ende der NS-Diktatur, sondern auch die...



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