E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Al-Nawas / Eickholz / Hülsmann Antibiotika in der Zahnmedizin
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-86867-553-5
Verlag: Quintessenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-86867-553-5
Verlag: Quintessenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die nicht sachgerechte Verschreibung von Antibiotika und das Auftreten antibiotikaresistenter Bakterienstämme stellen ein globales Problem dar, das auch für die oralen Mikrobiota und für die Behandlung oraler und dentaler Infektionen große Bedeutung hat.
Obwohl es in der Zahnmedizin erfreulicherweise häufig gelingt, Erkrankungsursachen ohne begleitende Antibiotikatherapie zu behandeln, gilt es klinisch, Ausbreitungstendenz, Bakteriämie und lokale Infektionen für den Antibiotikaeinsatz mit ins Kalkül zu ziehen, um diese wichtige Medikamentengruppe gleichermaßen differenziert und zielgerichtet einzusetzen.
Das vorliegende Buch gibt eine praxisnahe Übersicht über die klinisch relevanten Aspekte der Antibiose in der Zahnmedizin. Autoren aus den Bereichen zahnärztliche Chirurgie, Parodontologie, Endodontie und Allgemeinmedizin beschreiben auf Grundlage aktueller Literatur und Leitlinienempfehlungen, für welche zahnärztlichen Behandlungen und bei welchen Patientengruppen der Einsatz von Antibiotika therapeutisch bzw. prophylaktisch indiziert ist. Die entsprechenden Antibiotikaklassen werden vorgestellt, Indikationen, Wirkungen, Nebenwirkungen und Regime erläutert.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Inhalt
Resistenzentwicklung
Kapitel 01. Resistenzentwicklung und ihre klinische Relevanz
Zahnärztliche Chirurgie
Kapitel 02. Odontogene Infektionen
Kapitel 03. Prinzipien der Antibiotikaprophylaxe in der zahnärztlichen Chirurgie
Kapitel 04. Einsatz lokaler Antibiotika in der zahnärztlichen Chirurgie
Kapitel 05. Systemische Antibiotikagabe zur Therapie der periimplantären Mukositis und der Periimplantitis
Parodontologie
Kapitel 06. Adjuvante systemische Antibiotikagabe bei subgingivaler Instrumentierung im Rahmen der systematischen Parodontitistherapie
Kapitel 07. Therapie von Parodontitis der Stadien I, II und III
Kapitel 08. Medikamententräger für die topische subgingivale Applikation von Antiseptika und Antibiotika
Kapitel 09. Systemische Antibiotika in der parodontalen Therapie
Kapitel 10. Adjuvante systemische Antibiotikagabe bei subgingivaler Instrumentierung
Endodontie
Kapitel 11. ESE Position Statement: Antibiotika in der Endodontie
Kapitel 12. Antibiotika in der Behandlung dentaler Traumata
Kapitel 13. Ledermix und Co: Antibiotikahaltige Spüllösungen und medikamentöse Einlagen in der Endodontie
Kapitel 14. Antibiotika in der regenerativen Endodontie
Kapitel 15. Antibiotika bei akutem apikalem Abszess
Kapitel 16. Der akute apikale Abszess
Kapitel 17. Endodontische Abszesse im Milchgebiss
Risikopatienten in der zahnärztlichen Praxis
Kapitel 18. Endokarditisprophylaxe
Kapitel 19. Antibiotikaprophylaxe bei Patienten mit künstlichem Gelenkersatz (Endoprothesen) im Rahmen zahnmedizinischer Eingriffe
Kapitel 20. Antibiotika beim zahnärztlichen Risikopatienten
Kapitel 21. Antimikrobielle Wirkstoffe in Therapie und Prophylaxe
Odontogene Infektionen
Julia Heider, Bilal Al-Nawas
Odontogene Infektionen entstehen durch entzündliche Prozesse, die entweder von den Zähnen oder vom Zahnhalteapparat ausgehen. Abhängig von der Ursache (z. B. Karies profunda, apikale Parodontitis, Parodontitis, Periimplantitis, Paro-Endo-La¨sion, verlagerte und retinierte Zähne, infiziertes Augmentationsmaterial) und einer bestehenden Ausbreitungstendenz kann nur punktuell eine Aussage über die Prävalenz odontogener Infektionen getroffen werden. In einem ambulanten zahnärztlich-chirurgischen Zentrum in Deutschland wurde im Zeitraum 2000 bis 2007 eine Prävalenz odontogener Infektionen von 9,2 % angegeben1. In jeder Altersklasse können odontogene Infektionen auftreten. Am häufigsten sind 20- bis 40-jährige Patienten betroffen1–6. Bei Kindern wird ein Zusammenhang zwischen einem progredienten Verlauf der Infektion und einem niedrigen Gewicht diskutiert7. Bei Männern treten odontogene Infektionen häufiger auf als bei Frauen, wobei dies vom Untersuchungszeitraum, der Untersuchungslokalisation (ambulant/stationär) und dem Untersuchungsland variieren kann4,5,8. Der erste und dritte Molar stellen die häufigsten Infektionsquellen für eine odontogene Infektion dar. Die Molaren im Unterkiefer lösen dabei in mehr Fällen eine odontogene Infektion aus als die Molaren im Oberkiefer9,10. Odontogene Ursachen im Oberkiefer können zu Wangenabszessen führen. Von Unterkieferza¨hnen ausgehende odontogene Infektionen zeigen dagegen eher eine Ausbreitung nach submandibula¨r, perimandibula¨r und pterygomandibula¨r, wobei eine Ausbreitung der odontogenen Infektion nach submandibula¨r am häufigsten auftritt3,4,8. In der AWMF-S3-Leitlinie „Odontogene Infektionen“ wird zur Vereinfachung der Nomenklatur die evidenzbasierte Empfehlung der Einteilung der odontogenen Infektionen in „Infiltrat, lokale odontogene Infektion ohne/mit Ausbreitungstendenz und ohne/mit lokalen oder systemischen Komplikationen“ ausgesprochen11. Die meisten lokal begrenzten odontogenen Infektionen werden ambulant therapiert. Bei einer fortschreitenden Entzündung mit Weichgewebsbeteiligung, z. B. durch eine akute oder chronische apikale Parodontitis ausgelöst, treten bei odontogenen Infektionen die typischen Entzündungszeichen Rubor, Tumor, Calor, Dolor und Functio laesa auf. Abhängig von der odontogenen Ursache der Infektion unterscheiden sich die lokalen klinischen Symptome und Ausbreitungstendenzen. Bei einem Infiltrat oder einer lokalen odontogenen Infektion kommt es zu einer enoralen Schwellung, die sich, je nach ursächlichem Zahn, in verschiedene Regionen ausbreiten kann (Abb. 1 bis 3). Besonderen Stellenwert nehmen nicht abgeschlossene endodontische Therapien und Karies profunda als Ursache für eine odontogene Infektion ein und steigern das Risiko, eine odontogene Infektion zu entwickeln. Eine ausführliche Anamnese ist notwendig, um eventuell bestehende Risikofaktoren, z. B. ein nicht eingestellter Diabetes mellitus, Immunsuppression, für eine Ausbreitung der odontogenen Infektion erkennen zu können. Die initiale Einschätzung, ob eine Ausbreitungstendenz besteht, wird häufig durch den Hauszahnarzt gestellt. Um diese Einschätzung durchführen zu können, ist neben der Anamnese eine extra- und enorale klinische Untersuchung notwendig. Hierbei soll laut S3-Leitlinie „auf Zeichen der Ausbreitungstendenz“ geachtet werden, wie z. B. Einschränkung der Mundöffnung, Druckschmerz am Kieferwinkel/Augenwinkel (V. angularis), extraorale Schwellung (Ist der Unterkiefer durchtastbar?), Schluckbeschwerden, Atemnot, angehobener Mundboden, kloßige Sprache, Fieber, Exsikose“11. Die chirurgische Entlastung einer lokal begrenzten odontogenen Infektion steht weiter an erster Stelle der Therapie (Abb. 4 bis 7). Entleert sich Pus und liegen keine Risiken von Seiten des Patienten vor, kann in diesem Stadium der odontogenen Infektion auf eine Antibiotikatherapie verzichtet werden. Zeigt sich keine Entleerung von Pus oder liegen Risikofaktoren des Patienten für eine mögliche Ausbreitung der odontogenen Infektion vor, kann ein orales Antibiotikum verschrieben werden. Die Entfernung der Ursache der odontogenen Infektion wird entweder gleichzeitig mit der chirurgischen Intervention oder im Therapieverlauf durchgeführt (Abb. 3). Der Patient muss bereits bei dem ersten Eingriff darüber aufgeklärt werden, dass zur Sanierung der Ursache für die Infektion ein zweiter Eingriff notwendig sein kann. Eine physikalische Therapie in Form von Kühlen des infizierten Bereichs unterstützt den Rückgang der klinischen Symptome, wie z. B. Schwellung oder eine Kieferklemme. Zeigt sich eine Ausbreitungstendenz der odontogenen Infektion, können trotz adäquater Therapie oder bei verzögerter Therapie schwerwiegende Komplikationen eintreten. In der S3-Leitlinie „Odontogene Infektionen“ wird folgende evidenzbasierte Empfehlung ausgesprochen: „Um den Verlauf der Infektion widerzuspiegeln, können bei Ausbreitungstendenz und/oder Komplikationen die Messung der Mundöffnung, die Kontrolle der Körpertemperatur, des u. a. C-reaktiven Proteins und/oder der Leukozyten durchgeführt werden“11. Als lokale Komplikationen werden unter anderem die Osteomyelitis, die Sinusitis, die Orbitaphlegmone, der Abszess der Orbita und der Hirnabszess gesehen11. Zu den systemischen Komplikationen zählen unter anderem die Sepsis, die Endokarditis, die Spondylitis, die Mediastinitis, die nekrotisierende Fasciitis (Abb. 8 und 9), die Perikarditis, eine hypertensive Krise, eine respiratorische Insuffizienz, die Pneumonie, eine Thrombose der Vena jugularis, eine disseminierte intravasale Koagulation, Pleuraergüsse, cavernöse Sinusthrombosen, die renale Insuffizienz, die Pleuritis, Multiorganversagen oder das Adult Respiratory Distress Syndrome11. Liegt bei einer odontogenen Infektion eine Ausbreitungstendenz vor, unabhängig davon, ob diese ohne oder mit Komplikationen einhergeht, kann dies zu einer stationären Aufnahme der Patienten führen. Bei Vorliegen einer odontogenen Infektion mit Ausbreitungstendenz steht ebenfalls die chirurgische Eröffnung des Abzesses im Vordergrund. Insgesamt treten lokale Komplikationen häufiger auf als systemische Komplikationen und diese führen auch häufiger zu einer stationären Aufnahme der Patienten12,13. Vor allem Patienten mit Vorerkrankungen weisen ein erhöhtes Risiko für eine Ausbreitung der odontogenen Infektion und Komplikationen im Verlauf der Erkrankung auf14,15. Das Auftreten von systemischen Komplikationen kann im Vergleich zu den Patienten mit lokalen Komplikationen zu einer längeren stationären Verweildauer führen14,16,17. Systemische Komplikationen können z. B. durch eine Ausbreitung der odontogenen Infektion in das Mediastinum, in die Orbita oder das Gehirn (Abb. 10 und 11) zum Tod der Patienten fu¨hren18. Abb. 1 Patient 1: Fossa-canina-Abszess, ausgehend von einem kariösen Zahn. Abb. 2 Patient 1: Verstrichenes, gerötetes Vestibulum Regio 65. Abb. 3 Patient 1: Extraktion des Zahnes 65, der die odontogene Ursache für den Fossa-canina-Abszess darstellt. Entlastung des Abszesses über eine marginale Schnittführung und Einlage einer Lasche zur Drainage, welche nach 2 Tagen entfernt wurde. Abb. 4 Patient 2: Submandibulärer Abzess, ausgehend von dem verlagerten und retinierten Zahn 38. Abb. 5 Patient 2: Anzeichnung des Unterkiefers und der Schnittführung zwei Fingerbreit unterhalb des Unterkiefers. Abb. 6 Patient 2: Schnitt bis auf das Platysma. Stumpfe Präparation bis auf den Unterkiefer und Eröffnung der betroffenen Logen (pterygomandibulär, massetericomandibulär, lingual). Es entleerte sich Pus aus der Wunde. Abb. 7 Patient 2: Im Anschluss an die Eröffnung des submandibulären Abszesses erfolgt die Einlage von Drainagen in die eröffneten Logen. Abb. 8 Patient 3: Vorstellung des Patienten; Zustand nach Extraktion des Zahnes Regio 47 alio loco vor 5 Tagen und seit dem progredienter Schwellung pterygomandibulär. Nebenbefundlich zeigte sich der Zahn 48 verlagert und retiniert. Es zeigt sich ein perimandibulärer Abszess mit Ausbreitung in die Wange, nach temporal und nach zervikal, jugulär. Der Patient wies eine massive Rötung und druckschmerzhafte Schwellungen im Bereich der Ausbreitungsgebiete auf. Er gab an, unter starken Schluckbeschwerden und einer Kieferklemme zu leiden. Der Patient wies eine kloßige Sprache auf. Eine orale Antibiotikatherapie war durch den Hauszahnarzt mit Penicillin V erfolgt. Abb. 9 Patient 3: Eröffnung des perimandibulären Abszesses mit Ausbreitungstendenz nach bukkal, temporal und zervikal. Die odontogene Infektion wurde zuerst in üblicher Weise von submandibulär entlastet und zusätzlich Drainagen nach temporal, in die Wange, nach...