Akhlaqi | Versteh einer die Deutschen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 277 Seiten

Akhlaqi Versteh einer die Deutschen

Vier Monate in Deutschland. Ein Abenteuer.
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-96202-633-2
Verlag: Sujet Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Vier Monate in Deutschland. Ein Abenteuer.

E-Book, Deutsch, 277 Seiten

ISBN: 978-3-96202-633-2
Verlag: Sujet Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Protagonist Taqi Akhlaqi ist Schriftsteller, Reisender und Nietzsche-Fan. Mit einer ganz speziellen Vorstellung von Deutschland und einem Arbeitsstipendium für das Heinrich-Böll-Haus Langenbroich in der Tasche führt ihn sein Weg in den Kreis Düren. Vor dieser Reise hatte er Europa nur im Spiegel seiner Literatur und Kunst gesehen, kannte es nur durch dessen Schriftsteller und Philosophen. Jedoch ist das Deutschland, das sich Taqi Akhlaqi offenbart, wundersam und voller Überraschungen. Geschickt webt er Gegenwart und Vergangenheit zusammen, einige seiner gespeicherten Erinnerungen werden hervorgerufen, neue Erlebnisse werden zu Erinnerungen. Was anfangs noch fragmentarisch wirkt, ergibt nach und nach ein geschlossenes Bild. Er reflektiert das Erlebte so gründlich, so schonungslos selbstkritisch und mit so viel Humor, dass, wer seine Beobachtungen liest, sich dazu angeregt sieht, eigene Bräuche, Alltagsriten, Denkweisen zu hinterfragen, 'sich zu verfremden', wie der Autor es ausdrückt, und die eigene Gesellschaft mit neuen Augen zu entdecken. Taqi Akhlaqi gelingt es in diesem Roman, Witz mit ernsten Themen zu verbinden, ohne diese dabei ins Lächerliche zu ziehen. Er gibt Zeit, die ernsten Themen zuzulassen und zu verarbeiten, bevor der Text wieder leichter und humorvoller wird.

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Brötchen bis zum Abwinken

Ich bin zwar nach Deutschland gekommen, weil ich ein Buch schreiben möchte, muss Ihnen aber gestehen, dass ich damit nicht gut vorankomme. Vor meinem Aufbruch nach Deutschland hatte ich geplant, dort während meines viermonatigen Aufenthalts an meinem Debütroman zu arbeiten. Zumindest hatte ich damit meinen Antrag an die Heinrich-Böll-Stiftung begründet, die mir freundlicherweise ein Arbeitsstipendium gewährt hat, mit dem ich im Heinrich-Böll-Haus vier Monate würde leben und arbeiten können. Ich war der Ansicht, während der vergangenen sieben, acht Jahre genügend Rohmaterial gesammelt zu haben - Zeitungsausschnitte, eigenartige, verstörende Nachrichten über Bombenanschläge und Todesopfer -, um daraus ohne große Mühe einen originellen Roman zu machen, lebhaft, zugänglich, facettenreich, faszinierend und spannend natürlich. Aber beim Durchblättern meiner vierhundert Seiten gesammelter Nachrichten und Notizen wird mir klar, sie enthalten nur wenig brauchbares Material. Zum Beispiel folgende Meldungen, schauen Sie: - Tägliche Nutzung von Eseln für Terroranschläge, - Weltweit größter Drogenfund in Afghanistan, - Nato-Vertreter: Wenn es in Afghanistan zu einem Bürgerkrieg kommt, leisten wir keine finanzielle Hilfe, - Taleban haben zwei Kinder enthauptet, - Taleban haben ein Kind gehängt, - Vermisster Leichnam eines US-Soldaten gefunden, - Vermisster Leichnam eines georgischen Soldaten gefunden.
Als ich diese und ähnliche Meldungen auf meiner Festplatte gespeichert habe, hielt ich sie für viel geheimnisvoller, viel aufregender als heute. Jetzt sehe ich, wie sehr sie einander ähneln, wie klischeehaft, wie ermüdend sie sind, und bin enttäuscht von mir. Frustriert obendrein. Immerhin hatte ich mir vorgenommen, täglich diszipliniert mindestens zwei Stunden zu schreiben. Gerade tue ich das auch. Ich sitze in einem geräumigen Zimmer im ersten Stock, trage Hausschuhe (eine Zwischenform aus Strümpfen und Schuhen, die die Deutschen zu Hause tragen) und Bermudashorts (ein Zwischending zwischen kurzer und langer Hose), sitze an meinem Rechner und tippe die oben zitierten Sätze ein. Rechts neben mir steht ein großer alter Schrank, den Herr Böll einst sicher selbst genutzt hat. Mittlerweile hat der Holzwurm das gute Stück befallen und unter seiner Last gebeugt. Einer der beiden Türflügel lässt sich nicht mehr öffnen. Letzte Woche ist mir aufgefallen, der Schrank ist so groß, dass er nicht durch die Zimmertür passt. Ich sinnierte darüber, wie er sich wohl bewegen ließe, und schloss irgendwann verblüfft, dass man ihn keinesfalls aus dem Zimmer würde rausbringen können, sprich: Keinem geltenden physikalischen Gesetz gemäß ließe sich diese Masse Holz in einem Stück aus dem Zimmer tragen. Also muss der Schrank schon im Zimmer gestanden haben, bevor die Tür eingebaut wurde und muss nun bis ans Ende seiner Tage hier ausharren. Beim Bau der Tür stand also schon fest, der Schrank bleibt für immer hier und kommt nirgendwo anders mehr hin. Eine schicksalhafte, endgültige Entscheidung mit bleibenden Folgen, aus der auch eine Spur Kühnheit spricht. Ich stelle mir gerade vor, wie hochrangige Mitglieder der Heinrich-Böll-Stiftung mit Bölls Freunden und seiner Familie angeregt über den Schrank diskutieren und sich schließlich darauf einigen, ihm einen dauerhaften Platz hier in diesem Zimmer zu geben, woraufhin jemand zur Bekräftigung dieser Entscheidung wortreich eine bewegende Begründung liefert. Mir erschließt sich dieses Vorgehen zwar nicht auf Anhieb, aber ich gestehe den Beteiligten zu, ihre Entscheidung entbehrt nicht einer gewissen Weisheit. Die Afghanen halten die Deutschen für gute Ingenieure, weil die Dinge, die sie in Afghanistan gebaut haben, auch nach Jahrzehnten noch funktionieren. Zwei Wochen vor meiner Abreise stellte sich unser alter Nachbar, der gerade erst erfahren hatte, dass ich nach Deutschland fahre, mir in den Weg und sagte: „Was die Deutschen herstellen, hat höchste Qualität. Besonders im Bauwesen sind sie fast so gut wie die Russen. Kaum zu glauben, oder?“ Er setzte noch eine Bemerkung hinzu: „Ich weiß, du kommst nicht zurück. Andernfalls hätte ich dich gebeten, mir ein Radio mitzubringen. Versuch auf jeden Fall, dort zu bleiben, nicht zurückzukommen!“  Und er gab mir viele Ratschläge mit auf den Weg, gab zu bedenken, dass die Lage in Afghanistan sich nicht bessern wird und Ähnliches in diesem Sinne. Ich habe ihm einfach zugehört, habe ihn seine lange Rede zu Ende führen lassen und seinen Pessimismus und seine Naivität im Stillen belächelt. Warum, weiß ich nicht, aber ich hatte immer das Gefühl, dass in Afghanistan eines Tages alles gut wird. Dass Frieden wird, dass die Menschen in den Genuss von Bildung kommen, und dass Mädchen und Jungen einander eines Tages in der Öffentlichkeit werden küssen dürfen. Ich hänge sehr an dieser Vorstellung, so sehr, dass ich nicht den Mut habe, an ihr zu zweifeln. In Interviews, Gesprächen mit Freunden und in Vorträgen, die ich in Deutschland gehalten habe, war meine Zukunftsprognose immer sehr positiv. Ich war voller Optimismus und überzeugt, früher oder später wird alles gut. Aber wenn ich mit mir alleine bin, frage ich mich: ,Wirklich? Bist du dir sicher? Wann soll’s denn soweit sein?’ Angesichts der vielen Jahre Krieg verstehe ich den Pessimismus unseres Nachbarn und den der Angehörigen seiner Generation gut. Wer sein Leben lang vergebens auf bessere Zeiten wartet, hat irgendwann keine Lust mehr, zu hoffen. Eines Tages wacht man auf, spürt nagende Zweifel und sieht allmählich ein, nichts wird wieder gut, dieses Land ist nicht mehr zu retten, und man muss nach Deutschland gehen, ohne Rückfahrkarte. So kam es dann ja tatsächlich. 2014 und 2015 hatte Afghanistan Deutschlandreisefieber. Wo immer man zu Besuch oder in öffentlichen Sitzungen war, ob auf Konferenzen, im Schulunterricht oder in Uni-Seminaren, in öffentlichen Bädern, in Läden, Geschäften, Restaurants, an Bushaltestellen, bei Taxifahrten, in Moscheen, Fitness-Centern, Krankenhäusern, auf Ämtern, in Vogelläden, Buchläden, sozialen Netzwerken, privaten Chats, alle redeten davon, nach Deutschland zu gehen und davon, dass das jetzt schon mit zweitausend Dollar möglich sei, während es früher selbst mit zwanzigtausend unmöglich war. Das ging sogar so weit, dass Leute auf ihre Autos schrieben: Wenn’s hier klappt, schön. Wenn nicht, geh ich nach Deutschland. Was für neue Hoffnung sprach und für die schnelle Lösung aller Probleme stand, die bisher unlösbar schienen. Sogar Amulettschreiber und Magier legten sich besonders ins Zeug und schrieben innovative Amulette ,speziell für die Deutschlandreise’, als Garantie für gefahrlose, kurze Reisen. Ich Optimist indes schwamm gegen den Strom, blieb bei meiner Meinung, alles würde gut werden, und man brauche nicht nach Deutschland ausreisen. Was mir natürlich niemand abkaufte. Wenn ich mit Freunden und Bekannten über dieses Thema diskutierte, erntete ich die skeptischen Blicke und das beredte Schweigen, mit dem man normalerweise Hohlköpfe bedenkt. Jedenfalls leben viele meiner Freunde und Bekannten heute in Deutschland und schicken mir, seit sie erfahren haben, dass ich in Deutschland bin, Nachrichten, weil sie mich zu sich nach Hause einladen wollen. Ich gebe vor, keine Zeit zu haben. Ich bin sicher, wenn ich sie besuchen würde, würden sie unverdrossen versuchen, mich davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, in Deutschland zu bleiben, und sie würden mir sagen, wie glücklich sie hier leben und ihre Reise nach Deutschland nicht nur eine kluge, sondern die richtige Entscheidung war. Und wenn ich ihnen sage, dass ich nach Kabul zurück muss, erneut ihre skeptischen Blicke und ihr Schweigen. Davon abgesehen, bin ich hierher gekommen, weil ich schreiben und im Rahmen des Möglichen Deutschland und die Deutschen entdecken wollte. Weil ich Afghaninnen und Afghanen in Afghanistan zur Genüge gesehen hatte und auch künftig wieder Afghaninnen und Afghanen sehen würde, hielt ich es für klüger, die Deutschen kennenzulernen, so gut es ging, und Augen und Ohren offenzuhalten. Dabei kommt mir zugute, dass die Betreiber des Heinrich-Böll-Hauses hin und wieder mit Deutschen vorbeischauen, die mich besuchen möchten, was mir Gelegenheit gibt, wenigstens ein paar Brocken Deutsch zu üben und wenige Sätze zu radebrechen. Wer nicht weiß, wo das Heinrich-Böll-Haus ist, dem sei kurz erklärt: Es steht in Langenbroich, nahe Düren, unweit von Köln, und hier kommt niemand rein zufällig vorbei. Nur, wer wirklich die Absicht hat, das Haus oder jemanden, der hier wohnt, zu besuchen, macht sich auf den Weg hierher. Deutschland von hier aus zu entdecken, gestaltet sich also etwas schwierig, doch ich werde mein Bestes geben. Offen gestanden bin ich ein wenig enttäuscht, wenn ich sehe, dass mein Kontakt zu Deutschen sich auf flüchtige Blicke in Richtung der Nachbarn, die abends mit Teleskopen den Sternenhimmel betrachten, und auf die telefonische Vereinbarung von Friseurterminen beschränkt. Ich habe Kabul voller Eifer und Begeisterung verlassen, in Vorfreude darauf, das Deutschland der Bücher und das freie Europa mit eigenen Augen zu sehen, und sehe mich stattdessen hierher verschlagen, mitten ins Nirgendwo. Für weltgewandtere Menschen wie mich mag das Haus wesentlich geeigneter, vielleicht sogar ein traumhafter Ort sein. Für mich aber, der’s bisher nur bis nach Indien geschafft und den Westen noch nicht gesehen hat, weil kein einziges westliches Land bereit ist, seinen zu den wertlosesten Pässen der Welt zählenden Pass mit einem Visum zu versehen, für mich ist dieses Haus recht weitab vom Schuss. Vermutlich werde ich nach Afghanistan zurückkehren, nie...



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