Buch, Deutsch, Französisch, Band 216, 220 Seiten, PB, Format (B × H): 115 mm x 180 mm, Gewicht: 211 g
Reihe: Izvor
Buch, Deutsch, Französisch, Band 216, 220 Seiten, PB, Format (B × H): 115 mm x 180 mm, Gewicht: 211 g
Reihe: Izvor
ISBN: 978-3-89515-056-2
Verlag: Prosveta Verlag GmbH
Wir leben mitten in einer Zivilisation, die von uns verlangt, dass wir lesen und schreiben können - und es ist gut so, denn Lesen und Schreiben sind immer notwendig. Beide Tätigkeiten sollte man aber auch auf höherer Ebene ausführen können. In der Einweihungswissenschaft versteht man unter dem Wort lesen die Entschlüsselung der subtilen, verborgenen Seite aller Dinge und Lebewesen, sowie die Auslegung aller Symbole und Zeichen, die die Kosmische Intelligenz im großen Buch der Natur überall eingeprägt hat. Und schreiben heißt, das große Buch der Natur mit eigener Prägung zu versehen und durch die magische Kraft des eigenen Geistes auf Steine, Pflanzen, Tiere, Menschen einzuwirken. Folglich sollte man nicht nur auf dem Papier lesen und schreiben können, sondern in allen Regionen des Universums.
Omraam Mikhaël Aïvanhov
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Das Buch der Natur
2. Tag und Nacht
3. Quelle und Sumpf
4. Die Vermählung, ein universelles Symbol
5. Die Arbeit mit den Gedanken zur Gewinnung der Quintessenz
6. Die Macht des Feuers
7. Die entschleierte Wahrheit
8. Der Hausbau
9. Rot und weiß
10. Der Strom des Lebens
11. Das neue Jerusalem
12. Lesen und schreiben
Kapitel 1: »Das Buch der Natur«
Von alters her wurde der Mensch als ein kleines Universum betrachtet. In den Tempeln der Antike wurde er als der Schlüssel dargestellt, der die Tore zum Palast des Großen Königs aufschloss, denn alles, was im Weltall als Materie und Energie überhaupt existiert, lässt sich auch im Menschen – jedoch in verkleinertem Maße – wiederfinden. Deswegen wird das Universum »Makrokosmos« (große Welt) und der Mensch »Mikrokosmos« (kleine Welt) genannt. Und Gott ist der Name des erhabenen Geistes, der die große und die kleine Welt schuf, beseelt und am Leben erhält.
Um leben und sich weiterentwickeln zu können, muss dieser Mikrokosmos (der Mensch) unbedingt mit dem Makrokosmos (der Natur) ständig verbunden sein. Beide müssen in stetiger Wechselbeziehung zueinander stehen, denn aus dieser Wechselbeziehung besteht eben das, was man Leben nennt. Das Leben ist nichts anderes als eine ununterbrochene Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur. Findet diese Wechselbeziehung einmal nicht statt, dann treten Krankheit und Tod ein. Alles, was wir essen, trinken und atmen, ist das Leben Gottes. Es besteht überhaupt nichts, was nicht vom göttlichen Geist belebt, beseelt wäre. Alles lebt, atmet ein und aus, alles pulsiert und steht in enger Verbindung mit diesem mächtigen Strom, der von Gott ausströmt und sich über das Universum ergießt – von den Sternen bis zu den winzigsten Materieteilchen. Paulus sagte: »Denn in ihm leben, weben und sind wir« (Apg 17,28).
Austausch ist der Schlüssel zum Leben. Gesundheit oder Krankheit, Schönheit oder Hässlichkeit, Reichtum oder Armut, Klugheit oder Dummheit usw. hängen von der Art und Weise ab, wie sich jener Austausch abspielt. Alles ist Ernährung, Atmung, Wechselbeziehung ohne Ende. Beim Essen haben wir Austausch mit der physischen Welt; wenn wir Gefühle empfinden, wenn wir denken, findet ein Austausch auf der Astral- und Mentalebene statt. Durch ihre Ernährungs- und Atmungsweise verstopfen viele Menschen die Kanäle ihres Organismus; dann können normale Wechselbeziehungen zwischen ihnen und der Natur nicht mehr richtig stattfinden, und sie werden krank. Mit dem Herzen und dem Intellekt steht es genauso. Wenn der Intellekt und das Herz lichtvolle Gedanken und warmherzige Gefühle nicht richtig empfangen, wenn sie sich der negativen Gedanken und Gefühle nicht entledigen, wie man Asche und Abfälle beseitigt, dann stehen sie in größter Gefahr.
Um glücklich und innerlich erfüllt zu sein, müssen die Menschen lernen, korrekte Wechselbeziehungen zu pflegen und insbesondere ihr Herz der Natur gegenüber zu öffnen. Sie sollen lernen, ihrer Verbindung mit der Natur gewahr zu werden und zu spüren, dass sie zu ihr gehören. Wer sein Herz dem göttlichen Strom öffnet, der das Universum durchdringt, der verwirklicht einen vollkommenen Austausch. Dann beginnt er dank dem neuartigen Intellekt, der in ihm erwacht, die subtilsten philosophischen Probleme zu begreifen. Er wird gefragt: »Wissen Sie, dass ein Philosoph über das schon geschrieben hat, was Sie jetzt sagen?« Nein, das weiß er nicht, aber es ist auch nicht so wichtig, dass er es weiß. Was er aber wirklich kennt, ist dieser Austausch, weil er ihn erlebt und tief empfindet. Es ist gut zu wissen, was ein gewisser Denker schon geschrieben hat; aber besser ist es, Beweise aus dem eigenen Leben zu liefern. Statt Bücher zu lesen, ist es besser, sich selbst mit der einzig wirklichen, unerschöpflichen und ewigen Quelle zu verbinden, nämlich der Natur. Aus dem großen Buch der Natur – denn alles steht darin geschrieben – sollen wir künftig lernen, unsere Zitate herauszunehmen. Denn alle Menschen werden einmal sterben, und wegen ihrer Unvollkommenheit werden sie sich alle mehr oder weniger geirrt haben; die Natur hingegen wird in alle Ewigkeit lebendig und wahrhaftig weiterbestehen.
Ein großer Meister, ein großer Eingeweihter ist ein Mensch, der über die Struktur des Menschen und der Natur Bescheid weiß; ihm sind auch die Wechselbeziehungen wohl bekannt, in denen er durch Gedanken, Gefühle und Handlungen zu ihr stehen soll. Deshalb sagen die Orientalen, man lerne in fünf Minuten bei einem wirklichen Meister mehr, als in zwanzig Jahren an der besten Universität der Welt. In der Nähe eines Meisters lernt man die Wissenschaft des Lebens, denn jeder große Meister bringt das wahre Leben mit sich.
Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Studium, das man an einer Universität absolviert, und der Ausbildung, die man in einer esoterischen Schule bekommt. An der Universität lernt man alles, was das äußere Leben betrifft, und nach ein paar Jahren solcher Studien sieht man wohl ein, dass man so klug ist wie zuvor: Man hat immer noch die gleichen Schwächen, die gleichen Mängel. Gewiss, man ist vielleicht zu einem namhaften Gelehrten geworden, man versteht sich auf die Handhabung von verschiedenen Geräten, man hat gelernt, Zitate anzuführen, schöne Reden zu halten und sogar eine Menge Geld zu verdienen. Dabei hat sich aber die Fähigkeit gesteigert, die Mentalität der anderen zu deformieren. Wer hingegen mit der esoterischen Lehre vertraut ist, stellt nach bestimmter Zeit eine tiefe Wandlung in sich selbst fest; sein Unterscheidungsvermögen und seine moralische Kraft sind größer geworden, so dass er den anderen zum Segen wird.
Das Studium an der Universität gleicht der Analyse einer Frucht im Labor; mit Hilfe aller möglichen physischen und chemischen Verfahren findet man heraus, aus welchen Elementen Haut, Fleisch, Kerne und Saft bestehen, ohne je die Frucht selbst zu kosten, ohne sie durch die Instrumente zu entdecken, die Gott uns mitgegeben hat, ohne ihre Wirkungen am eigenen Leibe zu spüren. Es mag wohl sein, dass die Einweihungswissenschaft euch nichts über die physische Zusammensetzung der Frucht übermittelt, aber sie lehrt euch, wie sie zu essen ist; und ihr merkt bald, wie das gesamte Räderwerk in eurem Innern in Bewegung gesetzt, belebt und geregelt wird. Erst dann könnt ihr euch in das Studium des großen Buches der Natur hineinwagen. Dort entdeckt ihr alle physikalischen, chemischen, astronomischen Zusammenhänge viel besser erklärt als in den Werken der Akademiker. Euch wird auch einleuchten, auf welche Weise sie miteinander verbunden sind.
Es lohnt sich, bestimmten Disziplinen auf den Grund zu gehen, denn jede von ihnen offenbart uns eine andere Seite des Universums und des Lebens. Solange man aber auf den heutigen Forschungsmethoden beharrt, erfasst man nur die abgestorbene Seite der Dinge. Eines Tages wird man begreifen, dass es unbedingt nötig ist, in die Wissenschaften neues Leben einzuflößen, d. h. einzusehen, dass sie mit allen Gebieten der Existenz verflochten sind. Dann werden beispielsweise die mathematischen Formeln oder die geometrischen Figuren und deren Eigenschaften eine andere, neue Sprache sprechen, und man wird entdecken, dass unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen von den selben Gesetzen regiert werden. Diese Wissenschaft eben betrachte ich als die wirklich wahre Wissenschaft. Heutzutage hat man in der Astronomie oder in der Anatomie viel zu viel Wissen angehäuft, ohne diese Wissenschaften miteinander zu verbinden, und vor allem ohne sie mit dem Menschen und dessen Leben zu verbinden.
Dafür ein Beispiel: Ihr glaubt, ihr beherrscht die vier Grundrechnungsarten (Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division). In Wirklichkeit aber kennt ihr sie nicht, solange ihr nicht wisst, dass das, was in euch addiert, das Herz ist. Ja, das Herz kann nur addieren; es fügt immer etwas hinzu und oft bringt es alles durcheinander. Derjenige, der subtrahiert, ist der Intellekt. Die Multiplikation ist die Tätigkeit der Seele und die Division die des Geistes. Betrachtet, wie sich der Mensch im Laufe seines Lebens verhält. Solange er noch ganz klein ist, fasst er alles an, was er um sich herum findet, hebt es auf und steckt es in den Mund. Die Kindheit ist das Zeitalter des Herzens, der ersten Grundoperation, die Zeit des Addierens. Wenn das Kind zum Jugendlichen heranreift, beginnt sein Intellekt sich zu manifestieren; dann lehnt er allmählich alles ab, was ihm unnütz, schädlich oder unangenehm vorkommt: Er subtrahiert. Später wagt er sich an die Multiplikation heran. Deshalb tauchen Frauen, Kinder, Häuser, Geschäfte und allerlei Errungenschaften in seinem Leben auf... Zuletzt – wenn der Mensch alt geworden ist – denkt er an seine baldige Reise ins Jenseits und macht sein Testament, in dem er sein Vermögen verteilt – er dividiert also.
Anfangs häuft man Dinge an; später trennt man sich von vielen Dingen. Was gut ist, soll man einpflanzen, damit es sich vermehre. Wer sich nicht darauf versteht, Gedanken und Gefühle einzupflanzen, hat keine Ahnung von der wahren Multiplikation. Derjenige aber, der sich auf's Einpflanzen versteht, sieht bald die Anzeichen einer großen Ernte; dann kann er dividieren, d. h. die geernteten Früchte verteilen. Im Leben werden wir dauernd mit den vier Grundoperationen konfrontiert. Etwas rührt sich in unserem Herzen, aber wir sind nicht fähig, es zu »subtrahieren«. Oder unser Intellekt wendet sich von einem wahrhaftigen Freund unter dem Vorwand ab, er gehöre weder zu den Gelehrten noch zur Prominenz. Manchmal kommt es vor, dass wir das Schlechte multiplizieren und versäumen, das Gute einzupflanzen. Wir sollten also anfangen, die vier Operationen im täglichen Leben zu erlernen. Dann können wir uns mit den Potenzen, Quadratwurzeln und Logarithmen befassen. Augenblicklich müssen wir uns aber mit dem Erlernen der ersten vier Grundoperationen begnügen, denn bis jetzt haben wir das Addieren und Subtrahieren noch nicht einmal richtig gelernt. Manchmal machen wir eine Addition mit einem Erzschurken oder lehnen einen guten Gedanken, ein hohes Ideal ab, einfach weil der Erstbeste uns sagt, mit solchen Ideen würden wir ganz bestimmt verhungern.
Alles, was wir in unserer Umgebung sehen, alles, was wir zum Leben brauchen, alles, was wir tun, hat eine tiefgehende Bedeutung. Selbst in unseren Alltagsgesten stecken ungeahnte, zu entschlüsselnde Geheimnisse. Meister Peter Deunov sagte: »Die Natur belustigt die gewöhnlichen Menschen; sie belehrt die Schüler der Einweihungswissenschaft, aber nur den Weisen enthüllt sie ihre Geheimnisse.« Jedes Ding in der Natur hat eine Form, einen Inhalt und einen Sinn. Die Form ist für die gewöhnlichen Menschen, der Inhalt für die Schüler der Einweihungswissenschaft, der Sinn wird aber den Weisen und Eingeweihten vorbehalten.
Die Natur ist das große Buch, aus dem man lesen lernen soll. Sie ist das große kosmische Reservoir, mit welchem wir in Verbindung treten müssen. Wie soll das vor sich gehen? Es ist sehr einfach: durch das Geheimnis der Liebe. Wenn wir die Natur lieben – nicht aus Vergnügungs- und Unterhaltungszwecken, sondern weil sie das große von Gott geschriebene Buch darstellt –, wird in uns eine Quelle sprudeln, die alle Unreinheiten wegspülen und die verstopften Kanäle wieder freilegen wird. Dank des Austausches, der stattfindet, werden wir das Leben verstehen und neue Erkenntnisse gewinnen. Sobald die Liebe herannaht, blühen alle Wesen und Dinge auf wie Blumen. Deshalb spricht uns die Natur innerlich an, wenn wir sie lieben; denn auch wir sind ein Teil der Natur.
Der große deutsche Mystiker Jakob Boehme war Schuster. Sicherlich hatte er sich in einer früheren Inkarnation folgendes Privileg verdient: Eines Tages erfuhr er eine derartige Erleuchtung, dass er sie als unerträglich empfand, denn alle Gegenstände um ihn herum strahlten. Verwirrt verließ er sein Haus und flüchtete aufs Feld. Mitten in der Natur wurde es noch ärger: Steine, Bäume, Blumen, Gras, alles strahlte und sprach zu ihm durch dieses Licht... Viele Hellseher und Mystiker haben dieselbe Erfahrung gemacht und wissen, dass überhaupt alles in der Natur lebendig und lichtvoll ist.
In dem Maße, wie wir der Natur gegenüber unsere Einstellung ändern, ändern wir auch unser eigenes Schicksal. Wenn wir meinen, die Natur sei tot, vermindern wir das Leben in uns; wenn wir denken, die Natur sei voller Leben, dann belebt alles, was sie enthält – Steine, Pflanzen, Tiere, Sterne... – unser Wesen und fördert die Kraft unseres Geistes.