Buch, Deutsch, Band 241, 208 Seiten, PB, Format (B × H): 111 mm x 180 mm, Gewicht: 233 g
Reihe: Izvor
Buch, Deutsch, Band 241, 208 Seiten, PB, Format (B × H): 111 mm x 180 mm, Gewicht: 233 g
Reihe: Izvor
ISBN: 978-3-89515-090-6
Verlag: Prosveta Verlag GmbH
'Die Evangelien können im Lichte der alchimistischen Wissenschaft verstanden und interpretiert werden. Dem Anschein nach berichten sie nur vom Leben eines Mannes namens Jesus, der vor zweitausend Jahren in Palästina geboren wurde; doch in Wirklichkeit beschreiben sie auch alchimistische Vorgänge, quer durch die verschiedenen Abschnitte seines Lebens, von seiner Geburt bis hin zu seinem Tod und seiner Auferstehung. Trotz aller Verurteilungen durch die Geistlichkeit hat die Alchimie seit dem Mittelalter die christliche Mystik und Esoterik zutiefst durchdrungen. Und wenn man manche Figuren an der Außenseite wie auch im Inneren von Notre-Dame de Paris oder Notre-Dame de Chartres genau betrachtet, so entdeckt man, dass die Erbauer der Kathedralen Kenntnisse der Alchimie besaßen, wovon die Architektur und Bildhauerei vielfach Zeugnis ablegen.'
Omraam Mikhaël Aïvanhov
Autoren/Hrsg.
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241 – Der Stein der Weisen
Über die Deutung der Schriften / »Was zum Mund hineingeht, das macht den Menschen nicht unrein...« / »Ihr seid das Salz de Erde«, Teil 1 und Teil 2 / »Wenn das Salz seinen Geschmack verliert…« / Den Geschmack des Salzes kosten: die göttliche Liebe / »Ihr seid das Licht der Welt« / Das Salz der Alchimisten / »Und wie alle Dinge aus dem Einen entstammen…« / Die alchimistische Arbeit: Die 3 über der 4 / Der Stein der Weisen, Frucht einer mystischen Vereinigung / Die Regeneration der Materie: das Kreuz und der Tiegel / Der Mai-Tau / Die Entfaltung des göttlichen Keims / Das Gold des wahren Wissens: Alchimist und Goldsucher.
Kapitel 1: Über die Deutung der Schriften
Teil 1: »Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig«
Wenn ich euch über einen wichtigen Punkt des spirituellen Lebens aufklären soll, stütze ich mich, wie ihr bemerkt habt, sehr oft auf die Bibel und vor allem auf die Evangelien. Doch wenn ich das tue, bin ich mir sehr wohl bewusst, dass manche denken: »Warum misst er wohl dem, was in den Evangelien steht, eine derartige Bedeutung bei? Es wurde schon so oft nachgewiesen, dass sie zusammengebastelt, verfälscht und entstellt wurden, und dass sie sogar Widersprüche beinhalten! Wie kommt es, dass er immer noch diese Texte seiner Lehre zu Grunde legt?« So zu denken beweist, dass man mich nicht richtig verstanden hat. Ich messe dem Wortlaut der Evangelien keinen absoluten Wert bei, aber sie dienen mir als Ausgangspunkt, um die ewigen Wahrheiten zu finden, die Jesus lehrte. Ich erkläre euch das mit einem Bild.
Der Sternenhimmel ist eines der größten Wunder der Natur. Doch es gibt verschiedene Weisen, die Sterne zu betrachten. Man kann eine Himmelskarte nehmen und ein Buch über Astronomie, das detailliert darlegt, was man alles über die Himmelskörper und Planeten weiß: ihren Namen, die Entfernungen, die zwischen ihnen liegen, die verschiedenen Stoffe, aus denen sie zusammengesetzt sind, wie sie entstehen, leben und vergehen, welchen physikalischen Gesetzen das Sonnensystem gehorcht usw. Dies ist gewiss sehr nützlich und sehr interessant für unser Verständnis des Universums, doch was bringt all dies unserer Seele und unserem Geist?
Ich habe Astronomiebücher gelesen, ich habe Astronomen zugehört, die ihre Forschungsarbeiten vorstellten, und oft war ich sehr beeindruckt. Doch welch ein Unterschied zu den Erlebnissen, die ich hatte, als ich den Sternenhimmel in der einzigen Absicht betrachtete, mit dieser Unermesslichkeit zu verschmelzen! Der Friede, der mich nach und nach überkam, erhob mich; ich hatte nur noch den Wunsch, mich von der Erde loszureißen, mich sehr weit in den Raum zu begeben, um in Verbindung mit den spirituellen Wesenheiten zu treten, deren physische Erscheinungsformen die Himmelskörper sind. In diesen Regionen, in die ich mich versetzt fand, fühlte ich, dass nichts wichtiger war, als mich mit dem kosmischen Geist zu vereinigen, mich von ihm durchdringen zu lassen, um zum wahren Verständnis der Dinge zu kommen, zu einem Verständnis, das alle meine Zellen durchflutete.1
Angesichts der Unermesslichkeit und der Herrlichkeit des Himmels fühlen wir uns zuweilen verloren. Doch das Ziel ist nicht, sich in der Kontemplation des Himmels zu verlieren, man muss darüber hinausgehen. Denn der Sternenhimmel ist auch ein Buch, ein Buch, das sich nicht ausschließlich an unseren Verstand wendet. Das Wissen, das er uns vermittelt, prägt sich uns ein und kann unser Leben verwandeln. Wir lassen auf uns ein Licht einwirken, das unsere Verstandeskräfte übersteigt, und dieses Licht bestimmt die Ausrichtung unserer Gedanken, Gefühle und Handlungen – dies ist das wahre Wissen.
Die Astronomen beobachten den nächtlichen Himmel, doch die meisten von ihnen beschränken sich auf seine materielle Wirklichkeit. Sie wissen nicht, dass intelligente Wesenheiten diese Himmelskörper bevölkern und an ihnen arbeiten; alles wird in mechanischen Gesetzen zusammengefasst. Bei solchen Untersuchungen gewinnen auch ihre Seele und ihr Geist nicht viel. Sie gleichen den Alpinisten, die einen Gipfel einzig mit dem Ziel erklimmen, sportliche Höchstleistungen zu erbringen, die Beschaffenheit der Felsen zu studieren oder die Veränderungen in der Atmosphäre. Sie vergessen dabei, den Berg zu betrachten und mit seiner Schönheit, seiner Reinheit und seiner Kraft in Verbindung zu treten.
Die Betrachtung des Sternenhimmels sollte, genauso wie die Besteigung eines Gipfels, den Menschen die Lösung aller Probleme bringen, denn sie öffnet ihnen die Türen zu ihrem inneren Himmel. Wer es sich zur Gewohnheit macht, die Sterne mit Liebe zu betrachten, wer über die kosmische Harmonie meditiert, über diese Lichter, die von so weit her aus Raum und Zeit kommen, durcheilt mit seinen Gedanken die spirituellen Regionen, die sich auch in ihm selbst befinden. Ihr müsst nun wissen, dass ich in dieser Weise die Heiligen Schriften und insbesondere die Bibel lese, so als ob ich mich einem Himmel näherte, dessen Gestirne mein ganzes Leben erhellen und durchdringen.
Die Bibel spielte eine außerordentliche Rolle in der Prägung des menschlichen Geistes. Sie wurde wieder und wieder gelesen, sie wurde in alle Sprachen der Welt übersetzt; man sagt sogar, dass sie das Buch ist, von dem die größte Anzahl Exemplare gedruckt wurde. Viele von denen, die sie besitzen, lesen sie nicht oder nur sehr selten, doch sie bewahren sie wie eine Art Talisman auf; und viele von denen, die sie lesen, gestehen, dass sie diese Texte nicht wirklich richtig verstehen und sich manchmal entmutigt fühlen.
Jahrhunderte lang haben die Christen die Bibel gelesen, einfach so, ohne sich Fragen zu stellen. In manchen Häusern gab es keine anderen Bücher. In der Bibel lernten sogar viele das Lesen, und sie machten sie zu ihrer täglichen Nahrung. Doch jetzt scheint dieser Text der zeitgenössischen Mentalität immer fremder zu werden. Wie viele Menschen – ob Katholiken, Protestanten oder orthodoxe Christen – sagten mir im Vertrauen, dass ihnen die Lektüre trotz ihrer Bemühungen wenig bringt. Nun, was verstanden denn die Leser vergangener Epochen, was die Männer und Frauen der heutigen Zeit nicht mehr verstehen?
Manche sagen, man verstehe die Bibel, indem man sie immer wieder lese, und man müsse sich auch mit Hilfe von Gebet und Fasten auf diese Lektüre vorbereiten... Andere empfehlen, die Schriften der Kommentatoren zu studieren. Diese Ratschläge enthalten zweifellos etwas Gutes, doch die wahre Antwort ist nicht hier zu finden. In vielen Fällen haben auch die Ausdeuter, die sich daranmachten, die Bibel vom wissenschaftlichen Gesichtspunkt her zu studieren, ihren Wert herabgesetzt. Ihre analytische Arbeit brachte vor allem Abschreibfehler, Lücken und Widersprüche zum Vorschein, und statt Inspiration und Licht zu finden, häuften sie bloß Stoff für endlose Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten an. Wissenschaftliche Methoden sind natürlich immer nützlich, doch je nach ihrem Bereich sind sie ungleich wirksam. Die Geheimnisse der Seele entgehen ihnen, und sie sind nur auf einen winzig kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit anwendbar.
Die Frage, zu welcher Zeit dieser oder jener Teil des Alten oder Neuen Testaments geschrieben wurde, ob er von einem oder mehreren Autoren verfasst wurde, sein Vokabular zu untersuchen und es mit demjenigen verwandter Sprachen zu vergleichen, ist gewiss interessant. Aber ein Vorgehen, das darin besteht zu analysieren, zu durchwühlen und zu zerlegen, hinterlässt oft nur Staub und Asche. Das Verständnis der Heiligen Schriften, welcher auch immer, der Veden, des Zend-Avesta oder des Korans, erfordert eine andere Art des Vorgehens.
Die erste Regel ist, sich in einen Zustand der Empfänglichkeit zu versetzen, um den durch das Gelesene hervorgerufenen Bildern und Empfindungen die Möglichkeit zu geben, eine Arbeit am Unterbewusstsein zu verrichten. So werdet ihr umso mehr spüren, wie sich in euch eine Klarheit einstellt, je öfter ihr die Bibel lest. Sonst werdet ihr euch bloß vom Sinn entfernen. Ihr nehmt am Ende gar eine gleichgültige und skeptische Haltung ein, so als ob all dies nicht mehr als ein bisschen Neugier verdienen würde. Ihr sagt euch, es sei immer interessant zu entdecken, wozu das menschliche Gehirn fähig ist, weil diejenigen, die Gott, die Seele, den Geist und die anderen Welten erfunden haben, eine so große Originalität und Phantasie bewiesen! Doch dies ist keine Sichtweise, mit der ihr euer inneres Leben nährt.
Alles, was die Heiligen Schriften sagen, ist richtig, vielleicht nicht nach den Maßstäben des Verstandes, der sich immer wortgetreu an den Text hält, jedoch für die Seele und den Geist. Dies ist der Sinn der Aussage des heiligen Paulus im zweiten Korintherbrief: »Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig« (2. Kor 3,6).
Die in der Bibel dargelegten Wahrheiten wurden von herausragenden Geistern gelebt. Um sie zu verstehen, muss man sich bemühen, ihnen bis in die Regionen zu folgen, zu denen sie sich selbst emporschwangen, man muss sich also deren Sichtweise zu Eigen machen. Kann man die Gleichnisse Jesu besser deuten, weil man die Grammatik einer alten Sprache studiert hat, die Geschichte eines Volkes oder die Archäologie? Nein, um die Gleichnisse Jesu zu deuten, ist eine andere Wissenschaft nötig, die Wissenschaft der Symbole, die nur durch Übung der Fähigkeiten der Seele und des Geistes zu erwerben ist.
Wir können die heiligen Texte nicht verstehen, solange es uns nicht gelingt, auf der gleichen Wellenlänge zu schwingen wie deren Verfasser. Ihre Sprache, ihre wirkliche Sprache bleibt uns fremd. Man muss fühlen, was sie selbst fühlten, durchleben, was sie selbst durchlebten, das heißt, man muss sich bis zu ihrem Bewusstseinsniveau erheben; und dann erst erstrahlt wirklich das Licht!
Dieses hohe Bewusstseinsniveau kann jedoch nur erreicht werden, wenn wir unsere Lebensweise verbessern, wenn wir uns den Gesetzen der spirituellen Welt gegenüber aufmerksamer und respektvoller zeigen. Wie viele meinen, sie könnten sich zu den höheren Ebenen aufschwingen, ohne an ihren Lebens- und Denkgewohnheiten etwas zu verändern! Oh nein, und wenn sie sich noch so sehr aller Art von Hirngespinsten hingeben, so werden sie »nicht über den Buchstaben hinauskommen«, und sie werden nichts verstehen.
Ihrer Lebensdisziplin verdanken es die Patriarchen und Propheten, die Eingeweihte waren, dass sie sich bis zur göttlichen Welt erheben konnten. Diese Lebensdisziplin müssen wir uns aneignen, damit wir ihnen nachfolgen und bis dort hinauf aufsteigen können, wo sie Offenbarungen empfingen, es gibt keine anderen Methoden. Wenn ihr daher die Bibel lesen wollt, beginnt damit, euch zu fragen, was ihr in eurem Leben verbessern müsst, und seid nicht beunruhigt, wenn ihr nicht sofort alles versteht. Es gibt so viele schwierige Texte! Die Genesis zum Beispiel oder die Apokalypse... Doch lasst euch nicht irre machen, lest und seid bestrebt, euch im Denken zu erheben, indem ihr den Heiligen Geist bittet, euch sein Wissen zu geben.
Mehrfach habe ich euch aus dem Johannesevangelium die Stelle vorgelesen, die man das hohepriesterliche Gebet nennt: »Vater, die Stunde ist da: Verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche, denn du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast«... (Joh 17,1-2).
Was dieser Text aussagt, ist im intellektuellen Sinn vielleicht nicht zu verstehen; doch weil er von der Seele und vom Geist Christi kommt, sind es unsere Seele und unser Geist, an die er sich wendet, denn auf sie übt er seine Macht aus; und wenn diese Worte unsere Seele und unseren Geist erst einmal berührt haben, dann fühlt unser ganzes Wesen, bis hin zu unserem physischen Körper, seine Schwingungen. »Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben; und sie haben dein Wort bewahrt... (Joh 17,6). Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst. Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war« (Joh 17,22-24).
Ja, diese Schwingungen, die der Welt der Seele und des Geistes entspringen, werden von unserem ganzen Wesen gefühlt, etwas, was in uns schlummerte, erwacht und setzt sich in Bewegung. Die biblischen Texte, deren Stil von gewissen Gelehrten oft kritisiert wird, sind vergleichbar mit Kraftströmen, die die Macht haben, die Seelen zu erwecken, sie zu sättigen und zu heilen. Das hohepriesterliche Gebet ist einer der gültigsten, wahrhaftigsten und tiefgründigsten Texte, die es zu lesen gibt. Man kann diejenigen nur bedauern, die sich darauf beschränken, die Texte zum Gegenstand einer kritischen Analyse zu machen!
Im Laufe der letzen Mahlzeit, die Jesus zusammen mit seinen Jüngern einnahm, sagte er zu ihnen: »Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat« (Joh 16,5) und: »Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten« (Joh 16,12-13).2
Mit diesen Worten lenkte Jesus die Aufmerksamkeit seiner Jünger auf die grundlegende Rolle des Geistes. Ja, der Geist, und nicht der Buchstabe! Lasst euch daher von den Worten der Evangelien durchdringen, indem ihr darüber meditiert, indem ihr ihre Essenz in euch selbst erhöht, indem ihr euch mit den himmlischen Wesen verbindet. Von dem Tag an, an dem es euch gelingt, diese großen Wahrheiten als lebendige, in euch selbst wirkende Wirklichkeiten zu spüren, wird euer ganzes inneres Wesen durch sie gereinigt, erhellt und regeneriert.
Anmerkungen
1. Siehe Band 229 der Reihe Izvor »Der Weg der Stille«, Kapitel 13: »Die Offenbarungen des Sternenhimmels«.
2. Siehe Band 234 der Reihe Izvor »Die Wahrheit, Frucht der Weisheit und der Liebe«, Kapitel 7: »Der blaue Strahl der Wahrheit«.