Ahrbeck / Felder / Dammer | Wege und Irrwege der Sexualpädagogik | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 171 Seiten

Ahrbeck / Felder / Dammer Wege und Irrwege der Sexualpädagogik

E-Book, Deutsch, 171 Seiten

ISBN: 978-3-17-044103-3
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Über Form und Inhalt die Sexualpädagogik sind seit langem heftige Kontroversen entbrannt. Vor allem anhand der Frage, ob die dominierende (neo-)emanzipatorische Sexualpädagogik ("Sexualpädagogik der Vielfalt") Kinder weltanschaulich einseitig beeinflusst, in Intimbereiche eindringt und den Elternwillen missachtet. Aufgrund ihrer queertheoretischen Ausrichtung wird die biologische Binarität des Menschen inzwischen bezweifelt. Das hat gravierende Auswirkungen auf pädagogische Diskurse um Reproduktion, Körperlichkeit und Religion. Grundnahmen der (neo-)emanzipatorischen Sexualpädagogik werden in diesem Buch hinterfragt, Folgen und Irrwege skizziert und gegenüber ideologischer Einseitigkeit neue Denkhorizonte eröffnet.
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Vorwort
Bernd Ahrbeck & Marion Felder Zu Beginn des Jahres 2024 wurde der Abschlussbericht zur Aufdeckung des pädophilen Netzwerks um Helmut Kentler vorgestellt (Baader et al. 2024). Kentler war ein Pädagogikprofessor, der über drei Jahrzehnte, bis in die frühen 2000er Jahre hinein, Jugendliche in Notlagen mithilfe des Berliner Landesjugendamts an pädophile Ziehväter vermittelt hatte. Der Bericht bestätigt auch, was früher nur vermutet wurde: Kentler selbst hat Jugendliche massiv sexuell missbraucht. Strafrechtlich konnte er nicht mehr verfolgt werden, weil die Taten bereits verjährt oder noch gar nicht bekannt waren. Kentler starb 2008. Der Abschlussbericht zeigt auf erschreckende Weise, wie weit Helmut Kentlers pädophiles Netzwerk reichte, bis tief in Universitäten, Behörden, Pflegekinderhilfen und Kirchen der gesamten Republik hinein. Kentler hat aus voller Überzeugung gehandelt. In der sexuellen Stimulierung, die psychosozial stark belastete Jugendliche erfuhren, sprich: ertragen mussten, sah er ein vorwärtstreibendes Element. Man mag es kaum aussprechen: Sie sollte zu einer Stärkung der Persönlichkeit führen, getreu der Annahme, dass die sexuelle Aktivierung für eine gelungene psychische Entwicklung unerlässlich ist. Die Personen »des Beziehungsgeflechts zeichnen sich [...] dadurch aus, dass sie ›pädagogische Reformgedanken‹ [...] teilten, die dazu beitrugen, sexualisierte Gewalt im Zuge von Befreiungsrhetoriken, Neuausrichtungen oder sog. ›Experimenten‹ zu legitimieren und zugleich zu verdecken [...], indem sie sich selbst als zentrale Akteure von Reformkonzepten positionierten, zu deren Sprecher, Vertreter und Deuter sie sich machten« (Baader et al. 2024, S. 15). Der Fall Kentler belegt, wohin Vorstellungen einer grenzenlos befreiten Sexualität führen können und wie selbst Wissenschaftler sexuellen Missbrauch geduldet oder ignoriert haben. Baader et al. (2024) bezeichnen diese Personen als »Bystander«, die von einem gefährlichen und grenzverletzenden Geschehen wussten, aber nicht eingriffen. Trotz des Elends, das Kentler über unzählige junge Menschen gebracht hat, leben seine Ideen zur Sexualität und Sexualerziehung bis heute fort. Sie bilden eine wesentliche Grundlage der »Sexualpädagogik der Vielfalt«, die in weiten Bereichen die Sexualbildung in Deutschland und anderen Ländern bestimmt. »Kentlers Einfluss auf die heutige ›sexuelle Bildung‹, die der Forderung ›Lernen durch Tun‹ folgt, ist enorm, wenn auch kaum diskutiert« (Voigt 2024, S. 6). Die Befreiung aus gesellschaftlichen Zwängen ist ein uralter Traum, der über die Generationen fortwährt und jeweils zeittypische Ausdrucksformen annimmt. Gegenwärtig sind es die Themen Gender und Transgender, die Befreiungsvisionen bedienen. Das Geschlecht, selbst das biologische, wird zu einer sozialen Konstruktion verklärt, die zu verändern in das Belieben des Einzelnen gestellt wird. Dem sind kaum noch Grenzen gesetzt, auch hinsichtlich des Lebensalters. Nach dem neuen Selbstbestimmungsgesetz können bereits 14-Jährige standesamtlich ihr Geschlecht per Sprachakt wechseln, mit familienrichterlicher Unterstützung auch gegen das Votum ihrer Eltern. Ihrem Willen soll gefolgt werden. Einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Begutachtung bedarf es nicht mehr, da sie als diskriminierend gilt. Dieser transaffirmative Weg wird auch durch die »Neue-S2k-Leitlinie-zu-Geschlechtsinkongruenz-und-dysphorie-im-Kindes-und-Jugendalter« gestärkt. »Man verlegt sich darauf, den Transitionswunsch gar nicht mehr zu hinterfragen« (Korte in Louis 2024, S. 2). Die hohen psychischen Belastungen dieser Personengruppe gelten primär als Folge sozialer Diskriminierung. Der Einsatz von Pubertätsblockern gehört jetzt zu den gängigen Behandlungsempfehlungen, ohne dass Altersgrenzen formuliert werden. Gleiches gilt für irreversible geschlechtsangleichende Operationen. Entscheidend sei der psychische Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen, ihre Fähigkeit, über sich selbst zu entscheiden. Damit wird wesentlich der nicht unumstrittenen »World Professional Association for Transgender Health« gefolgt. Diese Leitlinie beruht auf einer Konsensentscheidung, keiner gesicherten Empirie. »Aussagekräftige Langzeitstudien fehlen bisher. Die aktuelle Studienlage deutet derzeit nicht darauf hin, dass sich die GD [Geschlechtsdyphorie] im Speziellen und die psychische Gesundheit im Allgemeinen im Verlauf der weiteren Entwicklung nach Gabe von PB [Pubertätsblockern] oder CSH [Cross-Sex-Hormonen] bedeutsam verbessern« (Zepf et al. 2024, S. 1). Deshalb hat in Ländern wie Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden ein Umdenken eingesetzt. In England kommt der Cass Review (NHS England and NHS Improvement 2024) zu dem Schluss, dass dem transaffirmativen Weg die wissenschaftliche Evidenz fehlt. In allen Bereichen: von sozialer Transition bis hin zu pharmakologischen und operativen Behandlungen. Der Bericht mahnt insbesondere bei pharmakologischen Interventionen zu größter Vorsicht. Die Gabe von Pubertätsblockern wird in England nur noch unter strikten klinischen Versuchsbedingungen und in einigen Privatkliniken erlaubt (John 2024). Auch Schottland schließt sich den Erkenntnissen des Cass Review an. Unter 18-Jährige erhalten keine Gegenhormone mehr (McCool 2024). In Deutschland hingegen wird das transaffirmative Modell unbeirrt durchgesetzt. Die skandalösen Handlungen und Überzeugungen Kentlers haben inzwischen eine breite Öffentlichkeit erreicht. Sie stoßen auf Empörung und Ablehnung, zugleich unterbleibt jedoch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine Auseinandersetzung mit ihren sexualpädagogischen Folgen, die bis heute währen (Andresen & Tippelt 2018; Baader 2018). Hier herrscht überwiegend Schweigen. Im Falle der Genderdysphorie und Transsexualität verhält es sich anders. Dort sind heftige Kämpfe entbrannt, mit massiven Angriffen und Anschuldigungen gegenüber denjenigen, die den transaffirmativen Weg infrage stellen. Die Bedrohungen, die sich daraus für die Wissenschaftsfreiheit ergeben, sind nicht unerheblich (Ahrbeck, Felder, Kunze & Reichardt 2024). Vor diesem Hintergrund ist das vorliegende Buch entstanden, das sich mit Irrungen und Wirrungen der Sexualpädagogik befasst. Es nimmt Themen auf, die bisher nur unzureichend oder höchst einseitig behandelt wurden, obgleich sie von erheblicher wissenschaftlicher wie praktischer Relevanz sind und einer dringenden Klärung bedürfen. Bernd Ahrbeck und Marion Felder (»Sexualpädagogik heute. Eine Kritik – Rückblick und Ausblick«) beschreiben und analysieren den gegenwärtigen Stand der Sexualpädagogik unter ideengeschichtlichen, juristischen, psychologischen und pädagogischen Gesichtspunkten. Sie setzen sich dabei kritisch mit den Grundlagen und Folgen der »Sexualpädagogik der Vielfalt« auseinander. Exemplarisch wird am Beispiel Transgender ausgeführt, welche Fehlentwicklung sich an Schulen und Kindertagesstätten einstellen können, wenn einer vermeintlichen Befreiungsvision unbedacht gefolgt wird. Karla Etschenberg bezieht sich in ihrem Beitrag »Fehleinschätzungen der Sexualpädagogik« auf drei große Themenkomplexe. Zunächst wird dem Einfluss nachgegangen, den Helmut Kentler, obgleich längst als Förderer der Pädophilie entlarvt, bis in die heutige Zeit auf die Sexualpädagogik ausübt. Sodann erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Zudem beschäftigt sich Etschenberg mit der inzwischen verbreiteten Annahme, biologisch gäbe es mehr als zwei Geschlechter. Monika Klissenbauer berichtet über »Mädchen und junge Frauen mit Autismus-Spektrums-Störungen«, die auffällig häufig Genderdysphorien aufweisen und dadurch sexualpädagogische Aufmerksamkeit erfordern. Der Komplexität dieses Phänomens wird nachgegangen und auf Identitätsprobleme, die sich daraus ergeben, verwiesen. Die Autorin ist besorgt darüber, dass ein transaffirmatives Umfeld diese jungen Menschen noch weiter verunsichern kann, sodass sie in einer Transition einen Ausweg sehen, obgleich ihre Probleme ganz andere sind. Simone Danz analysiert die Rolle der modernen Sexualpädagogik angesichts aktueller Debatten um die Körperlichkeit, einschließlich des sozialen Drucks, der von geschlechtsrollenbasierten Identitätsentwürfen, Körperidealen und Schönheitsnormen ausgeht (»Körper als Orte der Freude? Neue Aufträge an die Sexualpädagogik«). Anstelle einer Selbstoptimierung, die zu riskanten Körpermodifikationen führen kann, verweist sie auf die Bedeutung der Resonanz in zwischenmenschlichen Beziehungen. Der eigene Körper, auch wenn er nicht perfekt ist, sollte als Quelle der Freude betrachtet werden. Heike Stammer beschäftigt sich mit »Moderne?[r] Familienplanung, Reproduktionsmedizin und ihre?[n] Auswirkungen auf die Sexualbildung«. Vorgestellt werden die wichtigsten medizinischen Behandlungsansätze bei unerfülltem Kinderwunsch, die zu neuen Familienmodellen und entsprechenden Dynamiken führen können. Dabei geraten auch die Schattenseiten...


Professor Dr. Bernd Ahrbeck lehrt Psychoanalytische Pädagogik an der Internationalen Psychoanalytischen Universität (IPU) in Berlin. Prof. Dr. Marion Felder lehrt mit dem Schwerpunkt Inklusion und Rehabilitation an der Hochschule Koblenz.


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