Ahern | Vermiss mein nicht | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Ahern Vermiss mein nicht

Roman
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-10-400114-2
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

ISBN: 978-3-10-400114-2
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als Sandy Shortt zehn Jahre alt ist, verschwindet ein Mädchen aus ihrer Klasse. Seit dieser Zeit sucht sie leidenschaftlich nach allem, was vermisst wird: nach Socken, Schlüsseln und später auch nach Menschen. In ihrer Suchagentur macht sie Angehörigen Mut, denn sie gibt niemals auf. Doch als Sandy den Auftrag bekommt, den Bruder von Jack Ruttle wiederzufinden, verirrt sie sich im Wald und verschwindet selbst - an einen geheimnisvollen Ort, den alle nur »Hier« nennen ... Fantasievoll, spannend und tief berührend macht sich Cecelia Aherns Roman auf die Suche - nach dem Leben, der Liebe und uns selbst. »Was für ein bezauberndes Märchen!« Für Sie

Cecelia Ahern erzählt Geschichten, die unvergleichlich inspirieren und berühren. Sie ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt und vielseitig wie wenige andere, schreibt zeitgenössische Romane, Novellen, Storys, Jugendbücher, TV-Konzepte und Theaterstücke. Für ihre Werke wurde sie vielfach ausgezeichnet. Ihre Romane wurden fürs Kino oder fürs Fernsehen verfilmt, zum Beispiel »P.S. Ich liebe Dich« mit Hilary Swank und »Für immer vielleicht« mit Lily Collins. Cecelia Ahern ist Jahrgang 1981, hat Journalistik und Medienkommunikation studiert und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern im Norden von Dublin.
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Drei


Geboren und aufgewachsen bin ich im County Leitrim, dem mit ungefähr 25000 Einwohnern kleinsten irischen County. Da meine Heimatstadt früher die Hauptstadt war, sind dort die Überreste einer Festung und noch ein paar andere altehrwürdige Gebäude zu bewundern. Heute hat das Städtchen allerdings seine Bedeutung verloren und ist praktisch zu einem Dorf geschrumpft. Die Gegend ist hauptsächlich hügelig, aber es gibt auch richtige Berge mit tief eingeschnittenen Tälern und pittoresken Seen. Der Boden kann besonders gut Wasser speichern, und es ist ein stehender Witz, dass man die Grundstücke in Leitrim nach Litern und nicht nach Hektar verkauft. Leitrim grenzt nirgends ans Meer, sondern im Westen an Sligo und Roscommon, im Süden an Roscommon und Longford, im Osten an Cavan und Fermanagh und im Norden an Donegal. Wenn ich dort bin, werde ich jedes Mal von klaustrophobischen Gefühlen überfallen.

Besonders bezeichnend für Leitrim aber ist der Spruch, dass das Beste an dieser Grafschaft die Straße ist, die nach Dublin führt. Mit siebzehn war ich mit der Schule fertig und landete tatsächlich auf ebendieser Straße, als ich meinen Ausbildungsplatz bei der Polizei bekam. Seither habe ich den Ort meiner Herkunft nur äußerst selten mit meiner Gegenwart beglückt. Ungefähr alle zwei Monate besuche ich meine Eltern in ihrem Reihenhäuschen, das in der kleinen Sackgasse mit zwölf Häusern steht, in der ich aufgewachsen bin. Gewöhnlich nehme ich mir vor, übers Wochenende zu bleiben, aber meistens halte ich es nur einen Tag dort aus und muss einen dringenden Notfall bei der Arbeit vorschützen, um mir so schnell wie möglich meine Tasche zu schnappen, die ich vorsorglich immer unausgepackt neben der Tür stehen lasse, und in Windeseile auf der Straße, die das Beste an Leitrim ist, das Weite zu suchen.

Nicht dass ich je eine schlechte Beziehung zu meinen Eltern gehabt hätte. Sie waren immer sehr nett zu mir, haben mich unterstützt, wären jederzeit für mich durchs Feuer gegangen oder von einem Berg gesprungen und hätten mich mit ihren Leibern vor heransausenden Pistolenkugeln beschützt. Aber die Wahrheit ist, dass mir ihre Gesellschaft unbehaglich war. In ihren Augen konnte ich sehen, was sie sahen, und das gefiel mir nicht. Ich sah meine Reflektion in ihren Gesichtern deutlicher als in jedem Spiegel. Manche Menschen können das – sie schauen einen an und teilen einem mit ihrem Gesichtsausdruck unmissverständlich mit, wie man sich soeben verhalten hat. Vermutlich verfügten meine Eltern über diese Fähigkeit, weil sie mich liebten, aber ich konnte einfach nicht lange mit Leuten zusammen sein, die mich liebten – wegen dieser Augen, wegen dieses Spiegelbilds.

Schon als ich noch ein Kind war, sind sie auf Zehenspitzen um mich herumgeschlichen, haben mich in dieser selbst erzeugten Stille argwöhnisch beobachtet, Pseudogespräche geführt und gekünsteltes Gelächter produziert, das überall im ganzen Haus widerhallte. Sie versuchten, meine Gedanken abzulenken und eine entspannte Atmosphäre von Normalität zu schaffen. Aber ich durchschaute sie. Ich wusste auch, warum sie sich so aufführten, und so schafften sie letztlich nur, mir bewusst zu machen, dass etwas nicht stimmte.

Sie waren so hilfsbereit, sie liebten mich so sehr, und jedes Mal, wenn ich wieder einmal das Haus auf den Kopf stellte, um etwas zu suchen, gab es die gleichen netten Abwehrmechanismen. Milch und Kekse am Küchentisch, Musik aus dem Radio, das Brummen der Waschmaschine im Hintergrund – alles nur, um die unbehagliche Stille zu übertünchen, die unweigerlich über uns hereinbrach.

Mum betrachtete mich mit einem Lächeln, das nie ihre Augen erreichte, diesem Lächeln, bei dem sie, wenn sie dachte, ich würde nicht hinsehen, die Lippen fest zusammenkniff und leise mit den Zähnen knirschte. Die gezwungene Lockerheit ihrer Stimme, das verbissen glückliche Gesicht, wenn sie neckisch den Kopf schief legte – wobei sie sich alle Mühe gab, mich nicht merken zu lassen, dass sie mich durchdringend musterte – und fragte: »Warum möchtest du denn das Haus wieder durchsuchen, Honey?« Immer nannte sie mich Honey, als wüsste sie, dass ich genauso wenig Sandy Shortt war wie Jenny-May Butler ein Engelchen.

Ganz egal, wie viel Lärm und Geschäftigkeit in der Küche heraufbeschworen wurde, um die Stille zu füllen, es funktionierte nie. Die Stille überschwemmte alles.

»Weil wieder eine Socke weg ist«, beantwortete ich ihre Frage wahrheitsgemäß.

»Von welchem Paar denn diesmal?«, hakte sie nach, mit diesem unecht entspannten Lächeln, mit dem sie mir vorzugaukeln versuchte, dass es sich um ein ganz beiläufiges Gespräch handelte und nicht etwa einen verzweifelten Versuch herauszufinden, wie ich eigentlich tickte.

»Von dem blauen mit den weißen Streifen.« Ich zog grundsätzlich nur farbenfrohe Socken an, weil sie gut zu identifizieren waren und sich im Allgemeinen leicht finden ließen.

»Hmm, vielleicht hast du sie nicht beide in den Wäschekorb getan, vielleicht ist eine noch bei dir im Zimmer.« Erneut das aufgesetzt entspannte Lächeln, das unterdrückte nervöse Gezappel, das mühsame Schlucken.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich hab beide in den Korb geworfen, und ich hab auch gesehen, wie du beide in die Waschmaschine gesteckt hast. Aber es ist nur eine wieder rausgekommen. Sie ist nicht in der Maschine und auch nicht im Korb.«

Der Plan, als Ablenkung die Waschmaschine anzustellen, erwies sich als Schuss in den Ofen, denn stattdessen rückte die Maschine jetzt ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Trotzdem bemühte sich meine Mum, auch beim Anblick des umgekippten Wäschekorbs ihr gelassenes Lächeln aufrechtzuerhalten. Alle säuberlich zusammengefalteten Sachen lagen chaotisch auf dem Boden herum. Für eine kurze Sekunde konnte ich hinter die Fassade blicken. Wenn ich geblinzelt hätte, wäre es mir entgangen, aber ich sah den Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie rasch und verstohlen nach unten schaute. Es war die nackte Angst. Nicht wegen der vermissten Socke, nein, meine Mutter hatte Angst um . Doch unverzüglich klebte sie ihr Lächeln wieder an und zuckte die Achseln, als wäre nichts geschehen.

»Vielleicht hat der Wind sie weggeblasen, ich hab vorhin die Verandatür aufgemacht«, meinte sie lächelnd.

Ich schüttelte entschieden den Kopf.

»Sie könnte auch aus dem Korb gefallen sein, als ich ihn rübergetragen habe.«

Erneutes Kopfschütteln meinerseits.

Sie schluckte, und ihr Lächeln wurde noch verkniffener. »Vielleicht hat sie sich zwischen den Laken verfangen. Die sind riesig, da übersieht man so eine kleine Socke schon mal.«

»Ich hab aber nachgeschaut.«

Sie nahm sich einen Keks vom Tisch und biss viel zu heftig hinein, weil ihr Gesicht vom Lächeln schmerzte und sie sich irgendeine Erleichterung verschaffen musste. Dann kaute sie eine Weile, tat so, als würde sie nicht nachdenken, sondern dem Radio lauschen, summte dabei aber einen ganz anderen Song. Sie wollte mir unbedingt weismachen, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauchte.

»Honey«, lächelte sie schließlich wieder. »Manchmal gehen Dinge einfach verloren.«

»Aber wo kommen sie denn hin, wenn sie verloren gegangen sind?«

»Sie nirgendwohin«, lächelte sie. »Sie bleiben einfach dort, wo die Person sie fallen lassen oder vergessen hat. Wir suchen einfach nur nicht an der richtigen Stelle, wenn wir etwas nicht finden können.«

»Aber ich hab gesucht, Mum. Das tu ich .«

Das stimmte. Ich drehte jeden Stein um, ich kehrte das Unterste zuoberst, und in unserem kleinen Haus gab es garantiert keinen Winkel, den ich vergaß.

»Eine Socke kann ja ohne Fuß nicht einfach so wegmarschieren«, pseudolachte sie.

Seht ihr, genau an diesem Punkt, an dem Mum aufgab, hören auch die meisten anderen Leute auf zu überlegen. Auf einmal kümmert es sie nicht mehr, was eigentlich los ist. Man findet etwas nicht, man weiß, es muss irgendwo sein, aber obwohl man nachgeschaut hat, bleibt es verschwunden, spurlos. Von einem Moment zum andern gibt man sich damit zufrieden, hält sich vielleicht für verrückt, gibt sich die Schuld, dass man das Betreffende verloren hat, und vergisst den Vorfall irgendwann. Aber genau das konnte ich nicht.

Ich weiß noch, wie mein Dad an diesem Abend von der Arbeit zurückkam, in ein Haus, in dem buchstäblich nichts mehr an seinem angestammten Platz war.

»Hast du was verloren, Honey?«

»Eine von meinen blau-weiß gestreiften Socken«, ertönte gedämpft meine Antwort von unter dem Sofa.

»Wieder nur die eine?«

Ich kam zum Vorschein und nickte.

»Die linke oder die rechte?«

»Die linke.«

»Okay, ich schau mal oben nach.« Er hängte seinen Mantel an die Garderobe neben der Tür, stellte den Schirm in den Schirmständer, gab seiner nervösen Frau einen zärtlichen Kuss auf die Wange und strich ihr beruhigend mit der Hand über den Rücken. Dann ging er die Treppe hinauf. Zwei Stunden lang verschanzte er sich im Elternschlafzimmer und suchte. Aber ich hörte ihn nicht umhergehen, und als ich nach einer Weile einen Blick durchs Schlüsselloch riskierte, sah ich, dass er mit einem nassen Waschlappen über dem Gesicht auf dem Bett lag.

Bei meinen Besuchen in späteren Jahren stellten meine Eltern stets dieselben entspannten Fragen, die niemals übergriffig sein sollten, sich für jemanden, der schon bis zur Nasenspitze mit Argwohn gewappnet war, aber so anhörten.

»Irgendwelche interessanten Fälle bei der Arbeit?«

»Was gibt’s Neues in Dublin?«

»Wie ist die Wohnung?«

»Fester Freund in Sicht?«

Es war nie ein fester Freund in...


Ahern, Cecelia
Cecelia Ahern erzählt Geschichten, die unvergleichlich inspirieren und berühren. Sie ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt und vielseitig wie wenige andere, schreibt zeitgenössische Romane, Novellen, Storys, Jugendbücher, TV-Konzepte und Theaterstücke. Für ihre Werke wurde sie vielfach ausgezeichnet. Ihre Romane wurden fürs Kino oder fürs Fernsehen verfilmt, zum Beispiel 'P.S. Ich liebe Dich' mit Hilary Swank und 'Für immer vielleicht' mit Lily Collins. Cecelia Ahern ist Jahrgang 1981, hat Journalistik und Medienkommunikation studiert und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern im Norden von Dublin.

Strüh, Christine
Christine Strüh, geboren 1954, lebt in Berlin. Sie ist Übersetzerin von Gillian Flynn, Cecelia Ahern, Judy Blume, Pete Hamill, Laini Taylor und anderen.

Cecelia AhernCecelia Ahern erzählt Geschichten, die unvergleichlich inspirieren und berühren. Sie ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt und vielseitig wie wenige andere, schreibt zeitgenössische Romane, Novellen, Storys, Jugendbücher, TV-Konzepte und Theaterstücke. Für ihre Werke wurde sie vielfach ausgezeichnet. Ihre Romane wurden fürs Kino oder fürs Fernsehen verfilmt, zum Beispiel 'P.S. Ich liebe Dich' mit Hilary Swank und 'Für immer vielleicht' mit Lily Collins. Cecelia Ahern ist Jahrgang 1981, hat Journalistik und Medienkommunikation studiert und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern im Norden von Dublin.
Christine StrühChristine Strüh, geboren 1954, lebt in Berlin. Sie ist Übersetzerin von Gillian Flynn, Cecelia Ahern, Judy Blume, Pete Hamill, Laini Taylor und anderen.

Cecelia Ahern erzählt Geschichten, die unvergleichlich inspirieren und berühren. Sie ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt und vielseitig wie wenige andere, schreibt zeitgenössische Romane, Novellen, Storys, Jugendbücher, TV-Konzepte und Theaterstücke. Für ihre Werke wurde sie vielfach ausgezeichnet. Ihre Romane wurden fürs Kino oder fürs Fernsehen verfilmt, zum Beispiel »P.S. Ich liebe Dich« mit Hilary Swank und »Für immer vielleicht« mit Lily Collins. Cecelia Ahern ist Jahrgang 1981, hat Journalistik und Medienkommunikation studiert und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern im Norden von Dublin.  Christine Strüh, geboren 1954, lebt in Halle an der Saale. Sie ist Übersetzerin von Gillian Flynn, Cecelia Ahern, Judy Blume, Pete Hamill, Laini Taylor und anderen.



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