Adler / Langbein / Lingens-Reiner | Auschwitz | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 341 Seiten

Reihe: eva taschenbuch

Adler / Langbein / Lingens-Reiner Auschwitz

Zeugnisse und Berichte. Mit einer Einführung zur 6. Auflage von Katharina Stengel
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-86393-529-0
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Zeugnisse und Berichte. Mit einer Einführung zur 6. Auflage von Katharina Stengel

E-Book, Deutsch, 341 Seiten

Reihe: eva taschenbuch

ISBN: 978-3-86393-529-0
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die "Zeugnisse und Berichte aus Auschwitz" stellen eine der umfassendsten Dokumentationen der Wirklichkeit im größten nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager dar.

Die zahlreichen Aspekte der Lagergeschichte und die vielen unterschiedlichen Perspektiven und Stimmen, die der Band versammelt, machen ihn nach wie vor zu einer ungewöhnlichen und wertvollen Lektüre.

Diese bleibende Bedeutung konnte die Anthologie nur erlangen, weil die Herausgeber sich gleichsam doppelt gegen den "Zeitgeist" stellten – sowohl gegen die Wahrnehmungsverweigerung der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft als auch gegen die herkömmlichen antifaschistischen Deutungen der KZ-Erfahrungen.

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Tadeusz Paczula
Die ersten Opfer sind die Polen
Das Konzentrationslager Auschwitz wurde im Juni 1940 gegründet. Die Auswahl der Lagerleiter, der Angehörigen der Politischen Abteilung und der SS-Mannschaft war sorgfältig durchdacht. Noch vor der Einlieferung des ersten regulären polnischen Transportes wurden aus Sachsenhausen 30 Häftlinge nach Auschwitz überstellt, durchwegs Berufsverbrecher (BV), die im neuen Lager die leitenden Posten und damit Macht erhielten. Einige von ihnen hatten unter dem grünen Dreieck ein menschliches Herz, auf die Lagerverhältnisse konnten sie aber keinen Einfluss ausüben. Gleich zu Beginn wurde von der SS gemeinsam mit den Grünen eine Schreckensherrschaft eingeführt. Sie haben einander ergänzt, im Morden wetteiferten sie sogar. Als im Lauf der Zeit die Anzahl der Häftlinge zunahm und die Gruppe der Grünen nicht mehr ausreichte, wurde im August 1940 aus Sachsenhausen ein zweiter Transport von grünen und schwarzen (asozialen) Häftlingen nach Auschwitz geschickt. Die Arbeit war schwer; sie war darauf angelegt, die Menschen zu vernichten. Alles musste im Laufschritt geschehen. Das Essen war schändlich, bei der Arbeit wurde geprügelt, jedes noch so kleine Vergehen, jede Fahrlässigkeit wurden mit Totschlag geahndet. Ja, sogar ohne jegliche Ursache gehörte Totschlag zum Alltag. Wenn auf die Frage eines SS-Mannes oder Capos »woher bist du?« ein Häftling sagte »aus Warschau«, so war die Antwort allein oft ein ausreichender Grund dafür, den Häftling umzubringen. Der Hass der Mörder gegen sämtliche Warschauer war sonderbar. Auf Kosten der verbluteten Warschauer konnten wahrscheinlich manche Häftlinge aus anderen Transporten dem Tod entrinnen. Sogenannter »Sport«, Strafübungen, Strafarbeiten, Prügeln beim Suppenkessel, Prügeln bei der Latrine, Prügeln bei der Arbeit, vor der Arbeit und nach der Arbeit, Prügeln bei Tag und bei Nacht: All das hat die Kräfte und den Widerstandswillen der Häftlinge schnell gebrochen. Manche grünen Häftlinge waren so kräftig, dass sie mit einem einzigen Stockhieb einen Schädel zertrümmern konnten. Nicht selten war Hirnsubstanz auf dem Arbeitsplatz des Kartoffelabladekommandos oder auf dem Bauhof zu finden. Niemand hat nach einem Erschlagenen gefragt, und die Erbschaft – sein Lager-Abendbrot – ist dem Blockältesten oder Capo zugefallen ... So wurde oftmals nur wegen eines Stückchens Brot gemordet. Das war das Bild des Lagers im Jahr 1940 für alle, hinter denen das eiserne Tor mit der Aufschrift »Arbeit macht frei« zugeschlagen wurde. Am Tag meiner Ankunft hat uns der Lagerführer, SS-Obersturmführer Karl Fritzsch, persönlich begrüßt, nachdem uns vorher seine Untergebenen mit Gewehrkolben und Fußtritten empfangen hatten. Seine Ansprache auf dem Appellplatz klingt mir heute noch in den Ohren. Sie wurde vom Grafen Baworowski, dem Häftlingsdolmetscher, übersetzt: »Ihr seid im deutschen Konzentrationslager. Der Eingang erfolgte durch das Haupttor, auf dem sich die Aufschrift ›Arbeit macht frei‹ befindet. Hier gibt es nur einen Ausgang: durch den Schornstein des Krematoriums. Für uns seid ihr alle keine Menschen, sondern nur ein Misthaufen. Wir werden euch züchtigen, wie es sich gehört. Davon werdet ihr euch in Kürze selbst überzeugen. Für solche Feinde des Dritten Reiches wie ihr werden wir Deutsche keine Nachsicht und kein Erbarmen haben. Mit wirklichem Behagen jagen wir euch alle durch die Roste der Krematoriumsöfen hindurch. Vergesst eure Frauen, Kinder und Familien. Hier werdet ihr wie die Hunde verrecken.« Diese harte, übermütige und mit brutalen Drohungen gespickte Ansprache schien mir im ersten Augenblick stark übertrieben zu sein. Aber am nächsten Tag bemerkte ich während meiner Arbeit auf dem Appellplatz einen merkwürdigen Trauerzug. Fünfzehn rechteckige Kisten, die Trögen ähnelten, wie man sie in Schlachthäusern zum Schweinebrühen verwendet, wurden von je sechs Häftlingen zum Lagertor getragen. Neugierig fragte ich einen älteren Häftling: »Was ist das?« »Das sind Särge mit Leichen von Häftlingen, die ins Krematorium getragen werden.« »So, also ein Begräbnis. Aber ... sind so viele Häftlinge gestorben?« Mein Kamerad lachte: »In jedem Sarg sind drei oder vier Leichen.« Ehrerbietig nahm ich meine Mütze ab. Kaum war dies geschehen, als auf meinen rasierten Schädel ein gewaltiger Stockschlag fiel: »Verfluchter Hund!« Nach einer Weile kam ich wieder zur Besinnung. Ich war um ein Erlebnis reicher – und blutüberströmt. Hier galten andere Gesetze und andere Regeln des Verhaltens als in der Freiheit. Sich auf sie umzustellen, war nicht leicht. Für die Mehrzahl kam der Tod schneller als die Umstellung. Obersturmführer Fritzsch hat doch recht gehabt ... Im Dezember 1940 wurde auf dem Appellplatz vor der Küche ein riesiger Christbaum aufgestellt, reichlich mit Glühbirnen beleuchtet. Zum Appell musste sich die Strafkompanie vor dem Christbaum aufstellen. So standen 200 lebende Skelette beim Lichterbaum, und unter den Zweigen der riesigen Fichte lagen nach jedem Appell mehrere verstümmelte Leichen. Der Winter hat die schlecht ernährten und schlecht gekleideten Häftlinge arg gequält. Das lange Stehen auf dem Appellplatz vor Sonnenaufgang im Licht der Scheinwerfer wirkte sich auf die bis ins Mark frierenden »Feinde des Dritten Reiches« entsetzlich aus. Oft hörte man während der Appelle Gewehrschüsse. Seelisch zusammengebrochene Häftlinge verkürzten ihre Qualen durch Selbstmord. Sie verließen die Reihe und liefen in die Drähte, die das Lager umgaben. Der Drahtzaun war mit Hochspannungsstrom geladen, verursachte aber nur selten den Tod, denn bevor der Selbstmörder die Drähte erreichte, traf ihn die Kugel des wachsamen SS-Mannes aus dem Wachtturm. Besser für den Häftling, wenn der Schuss gut gezielt war – dann war die Qual kürzer. Auschwitz hatte sein Krankenhaus, den HKB oder Häftlingskrankenbau. Dorthin kamen die Häftlinge zum Verbinden, zum Abholen von Medikamenten – und zum Sterben. Doch nicht jeder konnte im Krankenhaus sterben. Dazu langten die Plätze nicht. Die Leute starben in den Arbeitskommandos, auf dem Appellplatz, wo immer es sich gerade fügte. Im Krankenhaus war der Tod milder, ruhiger. Häufige Todesursachen waren Lungen-, Rippenfell-, Nierenentzündung, schwere Verletzungen durch Schläge, Durchfall, Phlegmone, Hungerkrankheit, Kreislaufstörungen. Der Krankenbau hatte wenig Heilerfolge aufzuweisen, denn es fehlte an Medizin. Wohl schien im Sinn deutscher Ordnung und Organisation die Anstalt selbst unentbehrlich, aber auf ihre Leistungen wurde kein Wert gelegt. Außer dem Krankenbau gab es noch einen Schonungs- und einen Invalidenblock. Zwar mussten die Kranken dort nicht arbeiten, aber stundenlang singend »stillgestanden« verharren, wobei die »Betreuer« sie mit Wasser begossen. Die Ergebnisse dieser »Heilmethoden«, besonders im Winter, kann man sich leicht vorstellen. Die Menschen starben wie die Fliegen. Der Terror des allgemeinen Lagerbetriebs reichte offenbar noch nicht aus. Neben dem Lager war die Politische Abteilung untergebracht. Erst 1941 fing sie regelrecht zu arbeiten an. Man stöberte in den Akten der Häftlinge, um Opfer zum Erschießen zu finden. Auswärtige Gestapostellen übermittelten der Politischen Abteilung Todesurteile. Aus eigener Machtbefugnis veranstaltete diese Abteilung Selektionen. Außerdem verhängte auch die Lagerleitung Todesstrafen für verschiedene Vergehen. Im Jahr 1941 hörte man oft im Lager die Gewehrsalven der Hinrichtungskommandos. Bald aber hörte das auf, die Munition war zu kostbar und teuer. Wozu mehrere Kugeln für einen Häftling verwenden? Außerdem waren die SS-Männer keineswegs immer davon überzeugt, Banditen oder Feinde des Dritten Reiches zu erschießen, namentlich wenn an der Exekutionswand zwölf- bis dreizehnjährige und manchmal sogar noch jüngere Knaben standen. Darum ging man dazu über, mit Genickschüssen zu ermorden. Die ganze Schauerkomödie mit Exekutionspeloton, Stahlhelmen, Degen, weißen Handschuhen des Peletonkommandanten und mit der Urteilsverlesung vor der Todeswand entfiel. Von nun an wurden die Häftlinge nackt und einzeln mit schalldämpfenden Kleinkaliberwaffen schnell und geräuschlos erschossen. Besonders geeignete Männer – die SS-Hauptscharführer Palitzsch und Pfütze, die SS-Oberscharführer Gehring, Stark und andere mehr – wurden zur Vollstreckung ausgesucht. Sorgfältig kämmte die Politische Abteilung jeden Häftlingstransport durch. Manchmal kam ein Häftling erst nach zwei Jahren vor die Todeswand, ohne zu wissen warum. Die Politische Abteilung brauchte ihr Vorgehen vor...


H.G. Adler, 1910-1988, arbeitete vor dem Krieg als Lehrer und Radioredakteur in Prag, nach dem Krieg als Schriftsteller in London. Er wurde 1941 zunächst als Zwangsarbeiter interniert, dann nach Theresienstadt deportiert und später nach Auschwitz. 1945 Befreiung aus dem KZ Langenstein-Zwieberge. Er gehörte dem Internationalen Auschwitzkomitee an und organisierte dessen Arbeit in Großbritannien. Von 1973 bis 1985 war er Präsident des P.E.N.-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland.

Hermann Langbein, 1912-1995, Schriftsteller und Publizist, war in den Konzentrationslagern Dachau, Auschwitz und Neuengamme inhaftiert. 1954 Mitbegründer des Internationalen Auschwitzkomitees (IAK) und Sekretär der österreichischen Lagergemeinschaft Auschwitz. Er trat als Zeuge in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen auf und schrieb mehrere Bücher über Auschwitz.

Ella Lingens-Reiner, 1908-2002, war Juristin und Ärztin. Versteckte jüdische Bürger vor der Gestapo, wurde denunziert und in das KZ Auschwitz deportiert. Veröffentlichte 1947 und 2003 einen Bericht über ihre Lagererfahrungen. Als Zeitzeugin erinnerte sie in Schulen und Seminaren an die
Verbrechen der Nationalsozialisten.

Katharina Stengel ist Autorin einer 2012 erschienenen Biographie über Hermann Langbein.



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