Adamesteanu / Adame?teanu | Das Provisorium der Liebe | E-Book | www2.sack.de
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E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Adamesteanu / Adame?teanu Das Provisorium der Liebe

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8412-2651-8
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

ISBN: 978-3-8412-2651-8
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine der wichtigsten und engagiertesten Stimmen der rumänischen Gegenwartsliteratur Letitia und Sorin arbeiten in einem Kulturinstitut im Rumänien der siebziger Jahre. Sie lieben sich - heimlich. Im Schatten einer Lenin-Statue oder in der schmuddeligen Wohnung eines Freundes. Sorin sucht die wahre Liebe und Letitia eine Flucht aus ihrem traurigen Eheleben. Beide sind sie gefangen in den Strukturen ihrer Familien und den Einschränkungen des kommunistischen Systems, kurz vor der Machtübernahme Ceau?escus. Eine Zwischenzeit, die von Freiheit, Sex, Konsum und Momentglück geprägt ist. Gabriela Adame?teanu gelingt es meisterhaft, die Geschichten mehrerer Generationen zu verweben und diese Zeit des Übergangs lebendig werden zu lassen. Ein Provisorium, das nach Glück und Sehnsucht schmeckt und nach ebenso viel Vergänglichkeit. 'Gabriela Adame?teanu ist in die literarische Landschaft Rumäniens eingefallen wie ein Sonnenstrahl.' Lettre International

Gabriela Adame?teanu, geb. 1942, ist als Schriftstellerin und Publizistin neben Norman Manea und Mircea C?rt?rescu eine der wichtigsten Stimmen der rumänischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Sie war Bürgerrechtlerin und Präsidentin des rumänischen P.E.N. Ihr Roman 'Verlorener Morgen' ist im Verlag Die Andere Bibliothek lieferbar. Eva Ruth Wemme studierte Rumänistik, Germanistik, Philosophie und Musikwissenschaft in Köln, Berlin und Bukarest. Für die Übersetzung von Gabriela Adame?teanus Roman 'Verlorener Morgen' erhielt sie 2019 den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse.
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Kapitel 2
Tanzpartys


»Tanzt du mit mir?«, fragt Sorin jedes Mal, wenn aus dem Magnetophon der Nachbarn Frank Sinatras Stimme schallt, es ist immer dasselbe Band, es fängt an mit All of me, why not take all of me …

Damals, als sie nur Kollegen gewesen waren, hatte Sorin Letitia bei den Betriebsfeiern immer als Erste aufgefordert. Das letzte Mal hatten sie öffentlich bei Sorins Geburtstag getanzt. Sorin hatte sie damals alle bewirtet wie bei einer Party zu Hause, russischen Stalinskaya-Wodka und Moskovskaya, dazu noch einen polnischen Wodka mit einem Bisonkopf auf dem Etikett und einem aromatisierenden Grashalm, der darin konserviert lag. Dalida, Édith Piaf, The Platters, The Beatles, Charles Aznavour schallten durch die geöffneten Fenster bis hinaus zur Lenin-Statue vor dem Gebäude. Man blätterte durch die Paris Match von vor acht Monaten und sprach über Tarkowskis Rubljow. Alle anspruchsvollen Leute waren verwirrt von der Modernität des Drehbuchs und vom Exotismus dieser bizarren Orthodoxie aus dem Kino gekommen, die eigene Orthodoxie schien dagegen rudimentär, dafür aber entspannt.

Und Sorin tanzte mit großen Schritten, hielt wie immer seinen abgeschotteten, in Kleider und konventionelles Gehabe gehüllten Körper zu dem seiner Partnerin auf Abstand. Aber sie bewegten sich beide wie in einer heißen Kugel und der Blick und die Berührung des anderen brannten. Selbst als sie ihre Tanzpartner gewechselt hatten, spürten sie im Rücken die Bewegungen des anderen, die heiße Kugel isolierte sie im Gelärme, vom Rauch, von der Musik.

Jetzt forderte er sie nicht mehr auf, nur noch in der Wohnung von Freund Florinel. Er hält sie fest, sie ist nackt, er zur Hälfte entkleidet, durch die hängende Baumwolle seiner Einheitsunterhose fühlt sie seine Erektion, your goodbye left me with eyes that cry. Sorin hat nie im Wohnheim gewohnt, seine Eltern hatten ihm ein Souterrain-Zimmer in der Stadt gemietet, also hatte er nicht Tag für Tag die vielfache Nacktheit in der Gemeinschaftsdusche gesehen. Er kann auch seinen Körper nicht sich selbst überlassen, ihn von außen betrachten. Jedes Mal, wenn sie mit Sorin tanzt, ist Letitia wieder verwundert über seinen Körper, der immer heißer wird, sobald man ihn seiner Kleider entledigt, take my lies, I want to lose them, take my arms, I never use them. Er lacht und drückt ihr das lebende, wachsende Knäul gegen den Bauch, tut’s weh? Er lacht und drückt noch fester, I know that I can be beggar, I can be king, das Eisengeschlecht wird ihr das Schambein sprengen, um einzudringen, sie stöhnt mit zusammengebissenen Zähnen, er lacht, weißt du denn auch, was Schmerz heißt?

*

Weil Letitia durch ihre Gleichgültigkeit geschützt ist, während der arme Sorin angreifbar und ausgeliefert ist. So beschreibt er das Kräfteverhältnis in ihrer Beziehung während der wenigen Momente der Entspannung. Eine Hand streicht über ihre Brüste, die andere streckt sich nach dem Cinzano-Glas neben dem Bett. »Unsere Beziehung negiert einfach meine komplette Lebensstrategie, der beste Beweis dafür, dass ich abhängig von dir bin«, flüstert er. »Ich bin abhängig von dir«, murmelt sie zärtlich. Sie glaubt, dass sie zärtlich ist, sie glaubt auch, dass sie übertreibt, wenn sie sagt, sie wäre abhängig von ihm. Und während sie ihre Fingerspitzen über seine zarte Haut wandern lässt, aus der ab und zu ein blondes, geringeltes Haar wächst, wundert sie sich nach so vielen Jahren noch immer, dass sie jetzt nicht auf Petrus pelzige Brust trifft. »Du bist abhängig von dir selbst«, antwortet Sorin bescheiden. Es wird die Zeit kommen, in der sie merkt, dass sie nur von ihrer eigenen Vorstellung abhängig ist, so wie es ihr mit Arcan passiert ist, das geht Sorin jedes Mal wieder durch den Kopf.

Er weiß, wenn er in ihre Augen sähe, die in den durchscheinenden Nebel über dem See starren, würde er darin die Angst sehen, dass sie auch an diesem Tag, der zu den sicheren zählt, Gott bewahre!, schwanger werden könnte. Als Letitia ihm erzählt hat, dass ihr Mann sie an den fruchtbaren Tagen nicht anrührt, um sie vor einer heimlichen Abtreibung zu schützen, hat er ihr geglaubt. Er hatte so einiges über die Abenteuer des Universitätslektors Arcan mit seinen Studentinnen gehört, aber er hatte Letitia gegenüber nie eine Anspielung auf die Treulosigkeit ihres Mannes gemacht, warum die Sache noch zusätzlich verkomplizieren? Er war eine vorsichtige und diskrete Person, alle kannten ihn so.

Eine seltsame Trübung, eine Mischung aus Schmerz, Ärger und Erregung überkam ihn, wenn er seiner Phantasie freien Lauf ließ und sie mit gespreizten Beinen vor sich sah, wie sie unter dem großen und immer korpulenteren Mann erdrückt wurde, dem er bei ein paar Parteiversammlungen auf Hauptstadtebene begegnet war. Manchmal, wenn er den Druck des Blutes im Hirn und in den Hoden nicht mehr ertrug, führte er seine Hand zum Hosenschlitz, während ein Porno mit einer Letitia lief, die auf alle Seiten gedreht wurde, vergewaltigt wurde, den Hintern erhoben, den Mund geöffnet, in Positionen, in die er sie gerne gebracht hätte, es aber nicht wagte. Er kämpfte mit diesen Bildern, sie erschöpften ihn, und er war angewidert von sich selbst wie dann, wenn ihm der warme Geruch seiner Eingeweide in die Nase stieg.

*

Jeden Monat gibt es einen Geburtstag, der mit einer Party zum Feierabend begangen wird, Havana Club, Kaffeelikör, Ananaslikör, Mandellikör, Brote mit Dobrogeakäse und Prager Schinken, Murfatlar-Wein, Azuga-Bier und Taaanz! Ab und zu aber schlägt der Ärger des großen Genossen ein wie ein olympischer Blitz und die Aufrechterhaltung der Disziplin geht zuallererst mit der Maßnahme einher, in allen Einrichtungen den Alkoholkonsum zu verbieten. Aber selbst dann kommen die Geburtstagskinder zwei Stunden später an und bringen zwei Schachteln Schokoladenpralinen mit krümeliger Fondant-Füllung mit. Die Frauen erfüllen die Büros mit dem Duft ihrer Parfüms namens Farmec oder Soir de Paris und mit dem kleinen Geticke ihrer Schuhe von Guban, und die Kollegen machen ihnen Komplimente für das neue Kleid. Auf dem Schreibtisch des Jubilars stehen Blumen in Milchflaschen bereit und das Geschenk, für das man gesammelt hat: Stoff für eine Hose oder Pullover für die Männer, Naturseide für ein Kleid oder Stoff für einen Rock für die Frauen, Pelikan-Füller für Kollegen beiderlei Geschlechts. Küsschen, Glückwünsche, die gestandeneren Männer versuchen, die Gefeierte ein Weilchen länger im Arm zu halten, und geben sich väterlich-jovial, und jeder mischt sich für die Zeit, in der er seine zwei oder drei Pralinen kaut und von einem Fuß auf den anderen tritt, in ein Gespräch über Fußballspiele und die neuesten Filme im Kino ein. Kommen Sie mal wieder vorbei, flüstern die Kollegen dem Geburtstagskind komplizenhaft zu.

Gegen Mittag bringt dann ein Familienmitglied eine Tasche mit Wein und Cico-Limonade, selbstgemachtem Kuchen, Broten und einem Päckchen Snagov-Zigaretten. Die Kaffeetassen werden mit Wein gefüllt, greifen Sie bitte zu, und auch ein Stückchen Kuchen, ein Sandwich. Introvertiertere verkrampfen sich auf einem Stuhl, rauchen eine aus dem angebotenen Päckchen, der Gastgeber hat je nach Alter entweder ein Tesla-Magnetophon mit Rock, Twist oder Cha-Cha mitgebracht oder einen Plattenspieler mit Tango, Walzer und Foxtrott.

Langsam wird die Stimmung ausgelassen, man wählt das beste Tanzpaar, die alten illegitimen Paare verfolgen sich mit eifersüchtigen oder verschwörerischen Blicken und merken gar nicht, wie man in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes mit gedämpfter Stimme über sie spricht, während die Männer über fünfzig nach ein paar Tassen ihren familiären Gehorsam betrauern. Elvis Presley, Tom Jones, Aznavour, Adamo, Mireille Mathieu ertränken die vom Rauch gereizten Augen in klebriger Gefühligkeit. Es reicht aus, dass einer zufällig seine Augen auf die anderen richtet, um sich selbst auf groteske Art vervielfacht in ihren pathetisch leidenden Blicken wiederzufinden.

*

Nur die Chefs erlauben sich Abweichungen vom Protokoll. Zu Eleonora Opreas Geburtstag werden die Rosen, Nelken, Chrysanthemen mit kleinen verschlossenen Umschlägen versehen, die zwischen den Blättern stecken. Manche der unabhängigen jungen Mitarbeiter stecken Eleonora Dunhill- oder Kent-Päckchen zwischen die Blätter, die sie auf dem Schwarzmarkt erstanden haben. Die Sekretärin erzählte, in einem Jahr wären die weißen Fresien sogar von einem Armreifen aus massivem Silber zusammengehalten worden. Nach mehreren Verdächtigungen wurde die Abteilungschefin entlarvt, die mit ihren Untergebenen morgens nach Hause zu Eleonora gegangen war, um die Glückliche mit Sekt und einem Tonband mit Mircea Crisans Witzen zu wecken.

Der Bruch zwischen Eleonora Oprea und Titus Marga wurde für alle offensichtlich, als der Mitarbeiter der Direktorin Bier und Blätterteigteilchen von der Dobrogeana-Bäckerei mitbrachte, die vor Kurzem in der Nähe seiner Wohnung in der Hristo Botev aufgemacht hatte.

»Titus will seine Ära als volksnaher Direktor beginnen«, sagte Sorin und lachte wiehernd. »Aber warum vertue ich deine kostbare Zeit mit diesem ganzen Unsinn?!«

Er streichelte Letitias rötlich braune Strähnen, die sich auf dem mit Watteklumpen gefüllten Kissen ringelten, und sie schüttelte sich wie gewöhnlich. Sie fühlte sich gestört von jeder fremden Hand, die ihr durchs Haar strich, aber auch davon, dass Sorin wie besessen war von dem ganzen Gerangel am Institut. Um ihn zu entschuldigen, sah sie in ihm den kleinen Jungen, den leidenschaftlichen Fan bei diesem in...



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