Ackermann / Bong / Brosda | Kann das wirklich weg? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Ackermann / Bong / Brosda Kann das wirklich weg?

57 Interventionen für die Kultur

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-86284-508-8
Verlag: Christoph Links Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kunst und Kultur sind elementar für jede humane, freiheitliche Gesellschaft und für die Demokratie. Sie ermöglichen die grundlegende Reflexion der Gegenwart, brechen mit Routinen unserer Wahrnehmung und bieten Räume für spekulative und ästhetische Alternativen. Doch das Wissen um diese sehr besondere Rolle ist nicht mehr selbstverständlich. Die gesellschaftlichen Verwundungen durch die Corona-Pandemie zeigen dringlich, dass wir uns die Bedeutung und die Kraft der Kultur aufs Neue scharf ins Bewusstsein rufen müssen. Die hier versammelten 50 Plädoyers aus Literatur, Musik, Theater, bildenden Künsten, Film, Museen, Clubs, Buchhandel, Bibliotheken und Archiven wollen Impulse dafür geben.
Mit Beiträgen von Onejiru Arfmann, Anne Bohnenkamp, Kirsten Boie, Sarah Bosetti, Bettina Böttinger, Uta Bretschneider, Simone Buchholz, Neco Çelik, Renan Demirkan, Hannah Dübgen, Friederike Emmerling, Christian Friedel, Arno Geiger, Christian Gerhaher, Kerstin Gleba, Laura Grosse, Kübra Gümüsay, Andreas Gursky, DJ Hell, Candida Höfer, Hauke Hückstädt, Caren Jeß, Sibel Kekilli, Ulrich Khuon, Burghart Klaußner, Karen Köhler, Sebastian Krumbiegel, Norbert Leisegang, Cesy Leonard, Igor Levit, Udo Lindenberg, Jonas Lüscher, Peggy Mädler, Léontine Meijer-van Mensch, Eva Menasse, Hans-Werner Meyer, Maria Milisavljevi?, Axel Pape, Gerhard Richter, Roland Schimmelpfennig, Karin Schmidt-Friedrich, Frank Scholze, Ingo Schulze, Margarete von Schwarzkopf, Shantel, Rainer Sigl, Frank Spilker, Klaus Staeck, Gabriele Stötzer, Wolfgang Tillmans, Regula Venske, Hilke Wagner, Donata Wenders, Wim Wenders, Feridun Zaimoglu.
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Bettina Böttinger TIPP AUS KÖLN
Den 7. März 2020 erinnere ich sehr genau. Es ist ein Samstag, Klausursitzung. Ich bespreche mit meinem Redaktionsteam kommende Sendungen und Projekte. Mein Handy klingelt, und eine Mitarbeiterin der lit.COLOGNE teilt mir mit, Herta Müller habe gerade ihr Kommen und damit die Veranstaltung am darauffolgenden Mittwoch abgesagt. Sie wolle wegen Corona nicht mehr reisen. Ich bin perplex. Ich habe alles von Herta Müller gelesen und bin zugegebenermaßen schon Tage vor unserer gemeinsamen Veranstaltung aufgeregt. Die lit.COLOGNE ist für Tausende Leser*innen wie für mich persönlich einer der kulturellen Höhepunkte des Jahres. Am Dienstagmorgen sickert durch, dass die gesamte lit.COLOGNE abgesagt werden muss. Corona ist da. Wenige Tage später ist Corona dann ganz offiziell da: Am 11. März stuft die Weltgesundheitsorganisation den Ausbruch der Covid-19-Krankheit als Pandemie ein. Und jetzt? Was bedeutet das? Wie sich verhalten? Meine Therapeutin weiß Rat. Woher nur? Die Pandemie werde unser aller Leben durcheinanderwirbeln, und ich müsse meinem Tag eine Struktur geben. Am besten mit Musik. Sie rät mir, täglich eine feste Stunde einzuplanen und konzentriert zu hören. Musik hat in meinem Leben immer eine große Rolle gespielt. Ich kann keine Noten lesen, kein Instrument spielen, eigentlich habe ich keine Ahnung. Aber in meinem Haus stapeln sich die CDs, ich sammle immer noch »Langspielplatten«, wie es früher hieß. Die Auswahl ist groß, vor allem im Bereich Klassik und Jazz. Aber die Kategorien lösen sich auf, und Caterina Valente hat eh alle an die Wand gesungen. Eine neue Zeit hat also begonnen, und niemand ahnt, was konkret kommt. Und wie schnell alles anders werden wird. Also auf jeden Fall Musik zu Hause hören. Das erste Mal stehe ich suchend vor der Auswahl. 9. März Beatles, »Nowhere Man« von Rubber Soul. Der hat auch mal gerade keinen Plan. Ein Freund von mir ist gerade noch nach Japan gekommen, wo er am Museum eine Stelle bekommen hat. Zunächst in Quarantäne, allein in einer großen Stadt, schickt er mir den ersten Musiktipp. 11. März Tipp aus Tokio: Claude Debussy, Images, Seong-Jin Cho. Sein Kommentar dazu. »Ein bisschen was für die Seele in unruhigen Tagen« Wohl wahr, so langsam wird einem mulmig. Der erste Mensch in Deutschland ist an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben, wird gemeldet, eine 89-jährige Frau. Man gewöhnt sich an die regelmäßigen Ansagen von Jens Spahn und das zunehmend besorgte Gesicht der Kanzlerin. Ich lese im Netz, dass Igor Levit ab sofort jeden Abend zu Hause konzertieren wolle und man das Ganze im Netz verfolgen könne. Es sei seine Einladung gegen drohende Isolation. 12. März Igor Levit sitzt zu Hause vor seinem Flügel und spielt die Waldsteinsonate von Beethoven. Ich glaube, in Pantoffeln. Früher Abend live. Viele sind im Netz dabei und schicken Herzchen. Wird mein Abendritual. Für durchschnittlich 25 000 bis 30 000 andere auch. In Tokio ist die Lage einigermaßen entspannt. Trotzdem muss mein Freund in seiner kleinen Wohnung in Quarantäne bleiben. Er hält das aus – Musik hilft. Nachricht: Alle Konzerte in der Kölner Philharmonie abgesagt. 19. März Tipp aus Tokio: Philip Glass, Metamorphosis 19. März Tipp aus Köln: J. S. Bach, Italienisches Konzert BWV 971, Chiara Massini Musste ja so kommen. Auch die Konzerte im Rahmen des Beethovenfestes werden abgesagt. Der 250. Geburtstag wird verschoben. Stattdessen zu Hause 5. Symphonie, Wiener Philharmoniker, Carlos Kleiber. Beethoven hatte die berühmten vier Eingangstakte Ta-Ta-Ta-Taaaaa seinerzeit mit den überaus eindrucksvollen Worten überschrieben: »So klopft das Schicksal an meine Pforte!« Ich brauche Drama. Am 22. März tritt der erste Corona-Lockdown in Kraft. Und damit beginnt (auch) eine Entwicklung, die geschlossene Theaterhäuser, Kinos und Museen, verwaiste Konzertsäle mit sich bringt. 31. März Tipp aus Tokio: Bohuslav Martinu, Symphony No. 1, ORF Vienna Symphony Orchestra, Cornelius Meister Mir wird das langsam alles dann doch zu schwer. 1. April Tipp aus Köln: Ich kontere mit Max Raabe, »Der perfekte Moment«. Raabe singt: »Ich dreh’ mich noch mal um / Dann deck’ ich mich zu / Heut’ steh’ ich nicht auf / Ich wüsst’ auch nicht, wozu« Jeden Abend erwartungsvoll mit einem Glas Wein auf Igor Levit warten, Punkt 19 Uhr. So vergeht der erste Monat. 3. April Tipp aus Tokio: Philip Glass, Mishima, Kronos Quartet 4. April Tipp aus Köln: George Gershwin, Rhapsody in Blue, Leonard Bernstein 8. April Tipp aus Tokio: Richard Strauss, Capriccio, Wolfgang Sawallisch 9. April Tipp aus Köln: J. S. Bach, Concerts avec plusieurs instruments, Café Zimmermann 12. April Tipp aus Tokio: Murray Perahia plays Handel and Scarlatti 13. April Tipp aus Tokio: W. A. Mozart, Klavierkonzert Nr. 10, Murray Perahia/English Chamber Orchestra 13. April Tipp aus Tokio: Johannes Brahms, St. Anthony Variations, Murray Perahia Die Tipps aus Tokio häufen sich. Ich fürchte, die Isolation setzt ihm sehr zu. Ich versuche, ihn aufzuheitern. 14. April Tipp aus Köln: Frank Sinatra, Come fly with me 16. April Tipp aus Tokio: Richard Strauss, Das Spiegelbild der verliebten Madeleine, Wolfgang Sawallisch 18. April Tipp aus Köln: Esbjörn Svensson Trio, »Believe, Beleft, Below« 20. April Tipp aus Tokio: Erik Satie, Avant-dernières pensées 21. April Tipp aus Tokio: Richard Strauss, Four Last Songs, Jessye Norman 22. April Tipp aus Tokio: Keith Jarrett, »So tender« 23. April Tipp aus Köln: John Coltrane, A Love Supreme 24. April Tipp aus Tokio: Johannes Brahms, Concerto for Piano and Orchestra No. 1, Leonard Bernstein/Glenn Gould Es scheint bergauf zu gehen, Anfang Mai eröffnen die ersten Schulen und Friseursalons wieder. Bald darauf auch Restaurants und Bars. Die Politikerinnen und Politiker überschlagen sich förmlich mit Versprechen für Wirtschaftshilfen. Von Kultur ist auffallend wenig die Rede. 17. Mai Tipp aus Köln: Brad Mehldau, L. A. Pastorale 18. Mai Tipp aus Tokio: Sergej Rachmaninoff, Piano Duets, Hélène Mercier/Louis Lortie 19. Mai Tipp aus Tokio: Abdullah Ibrahim, Cape Town Revisited 20. Mai Tipp aus Köln: Isolina Carrillo, »Dos Gardenias«, Sarah Willis 21. Mai Tipp aus Tokio: Philip Glass, Mishima, Maki Namekawa 22. Mai Tipp aus Köln: Goldmund Quartett, Travel Diaries Das sind unsere ersten drei Monate gewesen. Musikalischer Rettungsring gegen kulturelle Verödung. Wir schicken uns weiter unsere Tipps. Unseren Ohren tut das gut, unseren Seelen auch. Privatvergnügen. Kulturschaffende lassen ihrem Missmut mehr und mehr Lauf: Keine Auftritte, keine Proben, kein Einkommen, harte Existenzsorgen. Immerhin: Ein sogenannter »Neustart Kultur« verspricht vage Hilfen in Milliardenhöhe. Doch die meisten scheinen nicht anzukommen. Die sogenannten Soloselbstständigen trifft es am schlimmsten. Eine Freundin, gefeierte Sopranistin, weint am Telefon. Seit Monaten keine Engagements, sie kann die Miete nicht mehr zahlen. Die Auswirkungen auf den Kulturbereich sind dramatisch, in den Sommermonaten dürfen einige Einrichtungen unter strengen Auflagen wieder öffnen. Der 13. September wird ein aufregender Tag. In der Kölner Philharmonie feiern wir nach der gedehnten Zeit die Wiederaufnahme des Konzertlebens mit dem Gürzenich-Orchester Köln. Aus Sicherheitsgründen viele leere Plätze. Ein aufgekratztes Publikum. Das Concerto funebre für Solovioline und Streichorchester von Karl Amadeus Hartmann ist nicht nur für das Orchester, auch für das Publikum eine Herausforderung. Standing Ovations, wir bejubeln nicht nur das Orchester, wir bejubeln das Erlebnis als solches. Endlich ein Ende des Ausgesperrtseins aus den Konzertsälen. Ein Glück! Die Erleichterung hält nicht lange an. Im November 2020 machen Begriffe wie »Lockdown light« die Runde. Sie versprechen gemäßigte Maßnahmen, niemand soll verschreckt werden. Doch für Opern- und Konzerthäuser macht »light« oder »nicht light« keinen wirklichen Unterschied. Geschlossen ist geschlossen. November. Längst ist alles wieder geschlossen. Nur in den Lebensmittelläden und auf den Wochenmärkten drängeln sich die KundInnen. SchauspielerInnen, SängerInnen, all jene, die hinter den Kulissen arbeiten, ganze Kulturbranchen befinden sich seit einem Jahr im Lockdown. Das ist schlimm. Aber schlimmer ist, dass die Politik Kultur offensichtlich für...


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