Achleitner | Das Geheimnis eines guten Lebens | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Achleitner Das Geheimnis eines guten Lebens

Erkenntnisse eines Trauerredners
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-99001-438-7
Verlag: edition a
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Erkenntnisse eines Trauerredners

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-99001-438-7
Verlag: edition a
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Mehr als zweieinhalbtausend Trauerreden hat Carl Achleitner bereits gehalten. Er hat sich dafu¨r mit dem Lebensweg der Verstorbenen befasst und mit ihren Angehörigen gesprochen. In diesem Buch nähert sich der Mann mit der sanften Stimme und dem schwarzen Anzug mit Leichtigkeit und Heiterkeit dem einen großen Geheimnis an: Was es ist, das am Ende zählt und uns unvergesslich macht.

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Edi hat ein Rendezvous
Grau in Grau. Feuchte, windige Kälte kriecht einem durch die Thermo-Unterwäsche bis in die Knochen. »Ich freu’ mich, wenn’s regnet, denn wenn ich mich nicht freu’, regnet es auch«, flüstert mir Karl Valentin zu. Aber der hat leicht reden, der ist tot. Sauwetter, denke ich, als ich die Bäckerei betrete. »Begräbniswetter«, höre ich jemanden vor mir sagen. Klar, das assoziieren wir. Für die meisten ist das so leicht dahingesagt. Für mich ist jeden Tag Begräbniswetter. Würden Sie mich nach meinem Beruf fragen, dann würde ich am liebsten sagen: über das Leben reden. Sie würden dann wahrscheinlich den Kopf schütteln, wenn Sie erfahren, was ich tatsächlich mache. Ich bin Trauerredner. Vor ein paar Jahren hätte ich selbst noch meinen Kopf darüber geschüttelt. Während für die meisten Menschen der Gang zum Friedhof etwas Außergewöhnliches ist, ist es für mich Alltag. Für viele mag der Friedhof ein Ort des Schmerzes und des Schreckens sein. Für mich ist er der schönste Arbeitsplatz der Welt. Ich halte meine Reden in der Sommerhitze am Grab oder bei Minusgraden in zugigen Kapellen. Oder wie heute in der prachtvollen Aufbahrungshalle in Brunn am Gebirge, südlich von Wien. Ich bestelle meine Melange. Die Bäckereiangestellte trödelt. Ich schaue auf die Uhr. Pünktlichkeit ist wichtig in meinem Beruf. Zu spät kommen wäre eine Katastrophe. Deshalb bin ich prinzipiell immer eine Stunde vor Beginn vor Ort. Das gibt mir Zeit, in Ruhe anzukommen und in die jeweilige Lebensgeschichte einzutauchen. Für die mir anvertrauten Menschen ist der Tag des Abschieds etwas Einzigartiges, nicht Wiederholbares. Wenn der Tod auf Besuch kommt, bleibt die Welt kurz stehen. Ich parke mein Auto an der Mauer mit den kahlen Weinreben, die jetzt im Winter wie tot aussehen und doch im Frühjahr die ganze Wand mit üppigem Grün überwuchern werden. Mit meiner Mappe in der Hand gehe ich den schmalen Weg entlang zur Aufbahrungshalle, die von manchen Menschen fälschlicherweise als Aufbewahrungshalle bezeichnet wird. Ich weiß nicht, das wievielte Mal ich schon hier bin. Es ist einer der Friedhöfe, die ich ganz besonders mag. Die Halle ist an der Decke hell verkleidet, Malerei von Herwig Zens an den Wänden, ein bunter Totentanz, viel Tageslicht fällt in den Raum. Der Arrangeur ist auch schon da. Wir kennen uns lange. Ich mag ihn und verzeihe ihm, dass er sagt: »Nichts Besonderes, kleiner Kreis.« Sobald die Leute da sind, ist er Profi, der sich in über zwanzig Jahren Berufserfahrung Pietät und Menschlichkeit bewahrt hat. »Nur ein Gesteck und acht Rosen … Schauen wir mal, wie wir das verteilen, damit es gut ausschaut.« Ich nicke. Das Arrangieren der Blumen und Kränze ist namengebender Teil des Anforderungsprofils eines Arrangeurs. Wir gehen gemeinsam unsere Listen durch. »Zwei Lieder.« Er tippt auf seinen Zettel. »Schlusslied ›Sag beim Abschied leise Servus‹ in der Version von Peter Alexander; und zum Einzug des Dings, des Er vom Beethoven.« »Air von Bach meinst du?«, frage ich. »Air oder Sie, is’ eh des Gleiche«, meint er und macht einen Soundcheck. Fünfzig Minuten bis zum Beginn. Noch niemand da. Ich hatte im Vorfeld Kontakt mit Gabi, der Tochter der im 87. Lebensjahr Verstorbenen Maria Binder und weiß, dass sie für Ihren Mann Eduard nicht die »Maria« war, sondern die »Mitzi«. So werde ich sie auch in meiner Rede ansprechen. Ich bin gut vorbereitet. Zeit, die Eckpunkte noch mal durchzugehen. Ich schlage meine Mappe auf, krame in meinen Unterlagen, suche nach dem Manuskript. Ich finde alles Mögliche. Mein ganzes Repertoire an Texten und Zitaten, von Jean Paul über Marie Curie bis Heinz Rickal, von Goethe, Seneca, Eli Wiesel, Annette von Droste-Hülshoff, Astrid Lindgren, Thomas Bernhard, Barbara Pachl-Eberhart, Herman Hesse, Bazon Brock, Grönemeyer, Reinhard Mey, Ambros und Wecker zu Henry Scott Holland, Marc Aurel, Marie von Ebner-Eschenbach, Mascha Kaléko, Leonardo da Vinci, Michelangelo, Antoine de Saint-Exupery, Woody Allen, Dietrich Bonhoeffer, Bertha von Suttner, Janis Joplin, Albert Schweitzer bis zu meinem Vater. In acht Jahren Dienst als Trauerredner sammelt sich so einiges an, gewisse Bausteine, beliebte Gedichte, die ich immer wieder in meine Reden einfließen lasse. Ich finde alles. Nur kein Manuskript. Mir wird heiß. Ich blättere noch einmal alles durch, dann ist es sicher: Ich habe meine Notizen zu Hause vergessen. Das ist mir noch nie passiert. Bei 2.500 Begräbnissen ist schon alles Mögliche vorgekommen. Ich habe Namen falsch ausgesprochen, war statt in Sievering in Simmering zur falschen Zeit am falschen Ort, habe auch schon eine Rede ohne einen einzigen Trauergast gehalten, habe mich über feindselige Arrangeure geärgert, am Sarg von Kindern oder Jugendlichen mit Gott gezürnt, habe während einer Rede die Stimme verloren, bin sogar einmal zu spät gekommen. Aber noch nie, nie habe ich mein Manuskript vergessen. »Ich muss noch mal los«, rufe ich dem Arrangeur zu, der bereits die Kerzen, die in Edelstahlstelen um den Sarg herum stecken, anzündet. Ein Sprint zum Auto, ein Blick auf die Uhr. Das kann sich niemals ausgehen. Auf dem Weg zurück zur Aufbahrungshalle schwöre ich mir, meine Smartphone-Verweigerung endlich aufzugeben. In meinen E-Mails würde ich die wichtigsten Informationen finden, aber mit meinem zwölf Jahre alten Nokia kann ich nur telefonieren, sonst nichts. Ich frage den Arrangeur, ob er ein Handy mit Internet hat. »Du nicht?«, schmunzelt er und zieht seines aus der Hosentasche. Ich bedanke mich, atme tief ein und aus, gebe nur zweimal das Passwort für meinen E-Mail-Account falsch ein. Der Arrangeur wirft mir einen mitleidigen Blick zu. Es ist ein ehrliches Mitleid. Vor einem Monat hat er vergessen, die CD mit der gewünschten Musik mitzunehmen. Fehler passieren. Auch hier am Friedhof, gerade hier, wo wir unter Druck in einer Extremsituation arbeiten, wo nichts schiefgehen darf. Ein Blick auf die Uhr beruhigt mich. Es ist noch etwas Zeit. Genug Zeit, um meine Stichworte aus dem Handy abzuschreiben. Die wichtigsten Punkte habe ich ohnehin im Kopf. Wenn ich etwas in den letzten acht Jahren als Redner gelernt habe, dann ist es, den Dingen die richtige Wertung zu geben. Täglich mit dem Tod beschäftigt zu sein, lässt alles, was passiert, in einem anderen Licht erscheinen. Als der Friedhof in mein Leben gekommen ist, ist, so komisch das klingen mag, auch Leichtigkeit mit eingezogen. Aber erst mal zurück zur Rede. Maria Binder, Jahrgang 1931, vor einer Woche nach langer Krankheit gestorben. Mitzi, die natürlich, obwohl 86-jährig, nicht nur Großmutter, alte Frau und eine der ersten Direktorinnen einer Wiener Ganztagsschule war, sondern auch mal Baby, Kind, Jugendliche, junge Frau, Geliebte, und die bis zuletzt immer noch Ehefrau und Mutter war. Mutter von Gabi. Die sitzt mir wenig später in der kleinen Kammer neben der Aufbahrungshalle gegenüber. Obwohl Gabi schon Anfang sechzig ist, mit schwarzem Kostüm und knappem Hut, wird sie vor meinen Augen wieder zur kleinen Tochter, mit Blick nach unten und ineinander geknoteten Fingern. Währenddessen sitzt der Witwer Eduard, neunzig, ehemaliger Polizist und in seiner Jugend in Ottakring nur »der fesche Edi« genannt, mit dem Rest der Familie bereits vor dem Sarg. Schweigend. Auf der einen Seite sein Rollator, auf der anderen seine zwölfjährige Urenkeltochter Lena, die seine Hand hält. »Machen Sie es schlicht, es gibt nicht viel zu sagen«, meint Gabi. »War sie eine gute Mutter für Sie?« frage ich die heikelste aller Fragen. »Die Beste«, antwortet Gabi ohne das geringste Zögern. Das ist schon viel, denke ich. »Also hinterlässt sie Spuren der Liebe?« »Spuren? Canyons!« Gabi erzählt, was für ein schönes Liebespaar ihre Eltern waren. »Er hat sie auf Händen getragen, seit 71 Jahren, sie war damals 16. Er hat sie die letzten vier Jahre gepflegt, gefüttert, gewaschen, gewickelt und bespaßt, bis er selber nicht mehr konnte.« Das ist sehr viel, denke ich. Ich frage, ob ich mich bei ihrem Vater vorstellen darf. Gabi stimmt zu, gemeinsam gehen wir zu ihm. Da sitzt er, der Binder Edi, in einem eleganten Dreiteiler, mit akkurat gestutztem David-Niven-Bärtchen, dezent nach Lavendel duftend. Ich stelle mich vor und kann mir ein »Wow, Sie haben sich aber fesch gemacht« nicht verkneifen. »Das ist unser letztes Rendezvous«, antwortet er mit brüchiger Stimme und blickt traurig lächelnd zum Sarg. In diesem Moment würde ich ihn am liebsten einfach nur in den Arm nehmen. Eine stumme Umarmung, habe ich irgendwo gelesen, sei die wirksamste Art zu trösten. Aber das geht für mich als Trauerredner natürlich nicht. Meine Aufgabe ist es, Worte zu finden, wo Worte eigentlich zu klein sind, um dem Geschehenen gerecht zu werden. Wenn ich meinen Dienst tue, dann tue ich das in dem Wissen, dass ich nichts ändern kann. Ich kann dem Edi seine Mitzi nicht zurückgeben. Ich kann auch den Schmerz nicht von ihm und all den anderen Trauernden nehmen. Aber ich kann versuchen, den Abschied so zu begleiten, dass Edi und seine Familie ein klein wenig getröstet nach Hause gehen. Das ist immer mein Ziel. Dass sie nach einiger Zeit nicht mit Schrecken, sondern mit guten Gefühlen an diesen Tag zurückdenken. Der Arrangeur fragt: »Bist du bereit? Es geht gleich los.« Ich muss daran denken, dass er es war, der mir in meiner Anfangszeit sein Motto durch eine einfache Geste veranschaulicht hat: »So klein …«, zwei Zentimeter zeigt er mit Daumen und Zeigefinger als Größe an, »… kommen die Leute hier herein. In die Aufbahrungshalle, wo sie den Sarg erstmals sehen. Und so groß …«, er...


Achleitner, Carl
Carl Achleitner, geboren 1963 in Grieskirchen in Oberösterreich, ist neben seiner Karriere als Film- und Theaterschauspieler seit 2012 als Trauerredner tätig. Mehr als zweieinhalbtausend Menschen hat er in dieser Tätigkeit bereits auf ihrem letzten Weg begleitet und verabschiedet.



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