E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Abendroth Bodymodification
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-86608-600-5
Verlag: U-Line UG
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Körpermodifikationen im Wandel der Zeit: Tattoos, Piercings, Scarifications
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-86608-600-5
Verlag: U-Line UG
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wann Menschen damit anfingen, auf ihren Körpern Zeichen anzubringen, lässt sich kaum noch datieren. Dass sie es aber ab einem bestimmten Zeitpunkt schön fanden, auf diese Weise geschmückt zu sein und sich so von anderen abzuheben, ist sicher.
Im Zuge der Christianisierung ging das Wissen um die Körpermarkierungen beinahe verloren, um im Zeitalter der Entdecker vor etwas mehr als 200 Jahren mit einer großen Welle in die westliche Welt zurückzuschwappen und eine beachtliche Entwicklung zu durchlaufen.
Dieses Buch beschäftigt sich mit der Geschichte des Körperschmucks, mit Tattoos, Piercings, Brandings, Cuttings, Implantaten und allem, was sonst noch wehtut.
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1.1. Jahrhundertealt und immer wieder neu
Das Tätowieren ist eine alte und weltweit sehr verbreitete Kulturtechnik. Es lässt sich nur schlecht eine einzelne Kultur als Erfinder des Tätowierens ausmachen, die dann diese Tradition an andere Völker weitergegeben haben könnte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Möglichkeit, Farbe unter die Haut zu bringen, zufällig entdeckt wurde, das Ergebnis als schön oder wenigstens ungewöhnlich empfunden wurde und man dann begann, diese Technik zu kultivieren. Diese zufälligen Male werden heute auch Schmutztattoos genannt. Wie leicht ein spitzer Gegenstand Schmutz, Farbe oder Tinte unter die Haut bringen kann, haben viele möglicherweise als Schüler erlebt, wenn sie sich oder ihren aufsässigen Banknachbarn mit der Spitze des Füllfederhalters gestochen haben und am Ende ein kleiner blauer Fleck blieb.3 Unseren Vorvätern und -müttern dürfte es beim Hantieren mit spitzen Gegenständen wie Faustkeilen und Pfeilspitzen bei gleichzeitigem Gebrauch von Asche und färbenden Pflanzenteilen ähnlich ergangen sein. Es ist davon auszugehen, dass die Körperbemalung älter ist als das Tätowieren. Sei es, dass die Bemalung zur Verschönerung des eigenen Körpers aufgebracht wurde, um sich für das andere Geschlecht attraktiver zu machen oder um traditionellen Riten der Heilung oder des Übergangs von einem Lebensabschnitt zum nächsten innerhalb einer Gemeinschaft einen feierlichen Rahmen zu geben. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei diesen Praktiken Farbe in frische Verletzungen eingerieben wurde und später als Farbmal zurückblieb, ist sehr groß. Und da sich Ursache und Wirkung aufgrund des fehlenden medizinischen Wissens für unsere Vorfahren nicht immer sofort erschlossen, scheinen einige Völker davon ausgegangen zu sein, dass von den Farbmalen, die zurückbleiben, nachdem Pflanzensäfte und Asche-, Ruß- oder Kohle-Bestandteile auf die Haut gerieben wurden eine heilende bzw. schützende Kraft ausging. Die Anfänge und auch die Beweggründe vorsätzlich eingebrachter Farbmale liegen allerdings wegen einer nicht vorhandenen schriftlichen Überlieferung im Dunkeln. Eine Schrift erfanden die meisten Kulturen erst danach. Anhand der Funde aus den verschiedensten Regionen, die bislang dokumentiert sind, müssen wir versuchen, Zusammenhänge herzustellen.4 Der spektakulärste Fund in Europa war die mumifizierte Leiche eines Mannes, der 1991 am Hauslabjoch in den Ötztaler Alpen gefunden wurde5. Untersuchungen der Universität Innsbruck stellten fest, dass es sich bei der Mumie um einen Mann aus der Jungsteinzeit handelt, der gut 5.300 Jahre alt ist. Auf der Mumie, die aufgrund ihres Fundortes auch Ötzi genannt wird, wurden 15 Tätowierungsgruppen gefunden, die sich aus 47 Einzeltätowierungen zusammensetzen. Die Tätowierungen waren aus Kohlenstaub und es wird vermutet, dass die Farbmale aus therapeutischen Gründen angebracht wurden. Die parallelen Linien befanden sich im Lendenbereich und einige Streifen um seinen rechten Fußknöchel. Des Weiteren trug er eine Tätowierung in Form eines Kreuzes am Knie und einige Punktierungen an klassischen Akupunkturpunkten. Die sichtbaren Punktierungen kommen daher, dass Heilkräuter mit Nadeln unter die Haut gebracht wurden und Rückstände hinterlassen haben. Diese Vorgehensweise ist auch von anderen Völkern bekannt. Dass es sich um therapeutische Male gehandelt haben muss, schlossen die untersuchenden Wissenschaftler daraus, dass er unter diesen Tätowierungen Abnutzungen bzw. Verletzungen an Gelenken und Knochen im Körper hatte, die ihm Beschwerden verursacht haben mussten. Aus der Jungsteinzeit sind auch Tätowierungen aus Japan bekannt. Allerdings kann man in Japan nicht auf Mumienfunde, sondern lediglich auf Keramikfunde verweisen, die eindeutig Personen mit einschnittartigen, farbigen Mustern darstellen.6 Ab ca. 2000 vor unserer Zeitrechnung sind Tätowierungen auf drei ägyptischen Frauenmumien nachweisbar. Mumienfunde sind sehr selten – insbesondere aufgrund der Grabräubereien des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Die bisher gefundenen Mumien weisen Tätowierungen auf Ober- und Unterbauch sowie auf Schultern, Armen und Oberschenkeln auf. Auch für Ägypten belegen Keramikfunde, dass bereits ab dem 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung tätowiert wurde, hier waren es hauptsächlich Abbildungen auf den inneren Schenkelseiten. Erste Tätowierwerkzeuge wurden in Gurob in Nordägypten gefunden und können auf das Jahr 1450 vor unserer Zeitrechnung datiert werden.7 Bemerkenswert ist, dass im antiken Ägypten ausschließlich Frauen tätowiert wurden. Die männlichen Ausgräber der Neuzeit gingen – auf ihre Erfahrungen der Gegenwart zurückgreifend – davon aus, dass es sich bei den ausgegrabenen Mumien um Damen mit zweifelhaftem Lebenswandel gehandelt haben musste. Im besten Fall nahmen sie an, dass sie hier einbalsamierte Tänzerinnen oder kaiserliche Konkubinen vor sich hatten. Eine dieser Mumien wiesen die Inschriften jedoch als die Hohepriesterin Amunet aus. Das erstaunte die meist männlichen Ausgräber sehr.8 Archäologen waren lange davon ausgegangen, dass Tätowierungen genutzt wurden, um Prostituierte zu kennzeichnen, oder dass Frauen diese Tätowierungen zum Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten bekommen haben. Nach dem Fund der Hohepriesterin Amunet ist aber auch in Betracht zu ziehen, dass die Zeichen eine therapeutische Wirkung haben und bei Frauen als dauerhaftes Amulett während der schwierigen Zeiten von Schwangerschaft und Geburt wirken sollten. Diese These wird dadurch unterstützt, dass die Zeichen an Stellen auf dem Körper angebracht sind, die in Zeiten von Schwangerschaft und Geburt besonders exponiert sind: am Ober- und Unterbauch, an den inneren Schenkeln, an den Brüsten. Auch die Perlschnurmuster der Tattoos am Bauch weisen auf die spezielle Schutzfunktion hin – sie sollen das Kind im Bauch halten und Mutter und Kind vor einer Fehlgeburt schützen. Die Perlschnurmuster an den inneren Oberschenkeln haben die Aufgabe, eine sichere Geburt zu garantieren. Neben den eigenen Tätowierungen der Frauen gab es auch kleine Figuren der Göttin Bes, der Beschützerin der arbeitenden Frau, die im Haus aufgestellt wurden. Es kam auch vor, dass Abbildungen der Göttin Bes auf die Schenkel tätowiert wurden. Dies erklärt auch, warum diese speziellen Tätowierungen nur von Frauen getragen wurden.9 In der nordafrikanischen Region waren Tattoos nicht ungewöhnlich und Nachbarvölker scheinen sich gegenseitig beeinflusst zu haben. Die Nubier im Süden Ägyptens waren dafür bekannt, dass sie Tattoos als dauerhafte Körperverschönerung verwendeten. Überreste von mumifizierten Körpern von Menschen aus der so genannten C-Gruppe, einer vorgeschichtlichen Kultur in Unternubien, belegen, dass diese Gruppe ihre Körper mit Tätowierungen schmückte, wobei diese Tattoos aus gleich verlaufenden Punktlinien über dem Oberbauch bestanden, die an die Bauchtattoos der ägyptischen Frauen erinnern. Die libyschen Nachbarn kannten Tätowierungen in der Zeit von 1300 bis 1100 vor unserer Zeitrechnung dagegen für Männer. Die Männer trugen geometrische Muster auf ihren Armen und Beinen, dies ist belegt durch Zeichnungen in ägyptischen Gräbern, Tempeln und Palastszenen.10 Tätowierungen waren aber auch in anderen Regionen der Welt bekannt. Bei den Pasyryk zum Beispiel, die zu den Skythen gehören und deren Kultur in die Jahre 500 bis 300 vor unserer Zeitrechnung eingeordnet wird. Sie waren im Altai-Gebirge zuhause und nutzten die Tätowierung, um den Träger als Angehörigen des Adels zu klassifizieren. Auch das Nicht-tätowiert-Sein war hier ein Zeichen: nämlich ein Zeichen für niedrige Geburt. Diese Kennzeichnungspraxis bestätigt auch der griechische Historiker Herodot in seinen Aufzeichnungen 450 vor unserer Zeitrechnung, als er die Gebräuche der Skythen und Thraker miteinander verglich.11 Als man 1948 den 2.400 Jahre alten Körper einen skythischen Mannes entdeckte, der bis dahin ins sibirische Eis eingeschlossen war, sah man, dass seine Arme und Beine und auch sein Torso mit mystischen Tierdarstellungen bedeckt waren. 1993 hat man in einer Grabanlage im Altai-Gebirge die Mumie einer Frau gefunden, und wieder stießen die Archäologen auf Tattoos. Wieder waren es mystische Tierdarstellungen an Handgelenken, Daumen. Die Frauenmumie stammte übrigens etwa aus der gleichen Zeit wie der Körper des Mannes und ließ daher auch gute Vergleiche zu. 2006 stieß man erneut auf einen Grabhügel eines skythischen Reiterkriegers.12 Aus römischen Chroniken ist von einem weiteren Volk zu berichten, das sich tätowiert haben soll. Mit Pikten (lat. Picti – die Bebilderten) bezeichneten die Römer im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung Stämme im Norden der britischen Inseln, die Bilder von vielen verschiedenen...