E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Abdel-Qadir / Gunturu / Jansen Mensch sucht Sinn
17001. Auflage 2017
ISBN: 978-3-522-63057-3
Verlag: Gabriel in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fünf Erlebnisse mit den Weltreligionen
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
ISBN: 978-3-522-63057-3
Verlag: Gabriel in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ghazi Abdel-Qadir wurde 1948 in Palästina geboren. Der renommierte Erzähler lebt seit vielen Jahren in Deutschland und publiziert in deutscher Sprache. Für seine Kinder- und Jugendbücher wurden ihm viele Preise verliehen, unter anderem der Zürcher Kinderbuchpreis La vache qui lit 1994 und der Friedrich-Gerstäcker-Preis 1992. Zweimal waren seine Werke auf der Auswahlliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis. Er studierte Islamwissenschaften und Evangelische Theologie. Dr. Vanamali Gunturu wurde 1956 in Nellore, Indien, geboren. Er studierte Geschichte, Englische Literatur und Sanskrit Literatur in Hyderabad und promovierte in München im Fach Philosophie. Er veröffentlicht seit einigen Jahren Bücher für Erwachsene, unter anderem über Mahatma Gandhi und über den Hinduismus bei Diederichs. Um den Hinduismus geht es auch in seiner Geschichte in dieser Anthologie. Hanna Jansen wurde 1946 in Diepholz geboren und wuchs in Osnabrück auf, wo sie später auch studierte. 1968 ging sie zur Referendarausbildung ins Rheinland und arbeitete lange Jahre als Lehrerin und Moderatorin für Lehrerfortbildung in Köln. Ihre vielfältigen Erfahrungen aus Unterricht und Fortbildung machte sie sich als Autorin für Schulbücher und didaktische Schriften zunutze. Zehn Jahre war sie in einem Autorenteam für einen großen Schulbuchverlag tätig und schrieb Texte für Sprachbücher. Im Anschluss daran widmete sie sich zunehmend dem kreativen Schreiben, mit dem sie ihren lang gehegten Wunsch, künstlerisch tätig zu sein, endlich verwirklichte. Ursprünglich wollte sie Schauspielerin werden. Sie lebt mit ihrem Mann in Sassen. Elf Kinder aus aller Welt, überwiegend aus Afrika, fanden bei ihnen ein neues Zuhause. Das vielfältige Leben mit ihrer Großfamilie gibt ihr immer wieder neue Impulse, sich beim Schreiben den Erfahrungen von Kindern und jungen Erwachsenen intensiv zu nähern. Der Roman 'Über tausend Hügel wandere ich mit dir' wurde er mit dem 'Buxtehuder Bullen' ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. Hanna Jansen, deren Buch 'Over a thousand hills I walk with you' bei Carolrhoda Books im April 2006 erschien, wurde vom PEN Club zum New Yorker Literatur-Festival 2006 eingeladen. Judith N. Klein studierte Romanistik, Sozialwissenschaften und Judaistik. Nach Tätigkeiten in Deutschland, Israel und Frankreich sowie einer Habilitation über 'Literatur und Genozid' wandte sie sich dem Übersetzen und Schreiben literarischer Texte zu. Im Jahre 2001 war die Autorin Stipendiatin im Rahmen des Literaturförderungsprogramms der Stiftung Niedersachsen. Judith N. Klein lebt in Paris und Osnabrück. Sybil Rosen ist Amerikanerin. Sie wuchs in einem jüdischen Elternhaus auf und wandte sich als Erwachsene dem Buddhismus zu. Heute arbeitet sie als Drehbuch- und Jugendbuchautorin. Bei Urachhaus erschien ihr autobiographisches Jugendbuch 'Speed of Light', in dem ein Mädchen von seiner Jugend mit einer Überlebenden des Holocausts erzählt. Ihre Erzählung für die Anthologie 'Mensch sucht Sinn' wurde von der renommierten Übersetzerin Cornelia Holfelder-von der Tann ins Deutsche übertragen.
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Buddhismus
Ab jetzt steht Wasser auf meiner Hassliste. Und die wird immer länger. Weil ich nämlich auch noch Camping-Trips draufsetze und Mücken und ältere glatzköpfige Frauen, die so tun, als fänden sie dieses ganze langweilige Zeug toll. Die glatzköpfige Frau ist meine Tante Becky, die jetzt gerade hinter mir in diesem blöden Kanu sitzt, mit einem grünen Netzding über dem weißen Kopf, gegen die Mücken, sodass sie aussieht wie eine Glühbirne hinter einem durchlöcherten Lampenschirm, ohne Witz.
Tante Beckys Glatze kommt nicht daher, dass sie Skinhead ist oder Krebs hat oder diese verrückte Krankheit, wo einem sämtliche Haare ausfallen, überall, sogar die Augenbrauen. Und es war auch kein Unfall, wegen dem man ihr satellitenschüsselgroße Metallplatten in den Schädel einsetzen musste. Das alles wäre ja wenigstens tragisch und schon fast interessant. Nein, meine Tante Becky hat eine Glatze, weil sie eine Nonne ist – eine waschechte Zen-Nonne –, und sag jetzt nicht, das ist doch interessant, weil das nämlich schon fast tragisch wäre.
Aber noch mal zum Wasser. Es steht jetzt eindeutig ganz oben auf meiner Hassliste. Und zwar Wasser wie dieser Regen, der in Strömen runterrauscht, seit wir auf dem Kanu-Trip sind. Oder wie dieser Fluss, auf den er runterrauscht, sodass wir genauso gut unter Wasser sein könnten, so viel ist da überall.
Alles, was ich dabeihabe, ist klatschnass. Total. Meine Nikes quietschen beim Gehen, mein MP3-Player hat am ersten Tag wegen chronischer Feuchtigkeit den Geist aufgegeben, und Sachen trocknen kann man vergessen – es ist, als ob man eine Wäscheleine im Regenwald spannt. Der Fluss hat die ganze Zeit lauter kleine Pockennarben von den Tropfen, und wenn der Nebel kommt, sieht man kaum die Hand vor Augen. Was ziemlich lästig ist, weil dieser blöde Fluss sich dahinwindet wie eine Schlange und man nie weiß, wann er sich umdreht und einen beißt.
Der Raquette River heißt so nach einem französischen Trapper, der einer der ersten Weißen war, die den Indianern hier oben im Staat New York ihr Land abgegaunert haben, und warum man einen Fluss nach diesem Kerl benannt hat, kapiere ich echt nicht. Na, jedenfalls, das spricht sich Rakett aus, nur ich spreche es Räcket aus, wie das Wort »racket«, das so viel heißt wie: fiese erpresserische Machenschaften von Verbrecherbanden. Und genau das ist dieser ganze Kanu-Trip, eine fiese erpresserische Machenschaft von meiner Mutter und Tante Becky.
Meine Mutter hat mich nämlich gezwungen. Sonst wäre ich jetzt nicht hier. Glaub mir. Zu Dads Ehrenrettung muss man sagen, dass er sich da rausgehalten hat. Er hat nur gesagt, wenn ich mich dafür entscheide, mitzugehen, müssen wir den Hund mitnehmen. Und sein superschickes Handy, das von überall aus funktioniert. Also stand ich vor der Wahl, entweder fünf Tage mit Lobo und Tante Becky den Räcket River runterzupaddeln, oder die ganze Zeit in meinem unklimatisierten Zimmer zu hocken, weil meine Mutter einen regelrechten Nervenzusammenbruch hatte, als ich mein Zeugnis mit nach Hause brachte und meine Noten ganz schön mies waren. Ich meine, echt unterirdisch. Kein Witz.
Also dachte ich, was soll’s, dann geh ich eben mit. Aber wenn sie oder Tante Becky glaubt, dass es mir Spaß machen wird, dann haben sie sich geschnitten. Oder wenn der Sinn der Übung sein soll, dass ich zur Vernunft komme und einsehe, was es doch für ein tolles Erlebnis ist, ein menschlicher Schwamm zu sein, wo ich mir nur wünsche, ich wäre irgendwo, wo ich mit meinen Freundinnen rumhängen könnte. Tja, dann können sie auch das vergessen.
Ist irgendwie komisch, dass ich diesen Fluss so hasse, wo ich doch nach einem Fluss heiße. Ich meine, alle nennen mich Shannon, womit ich ja beinah leben kann und was allemal besser ist als Shenandoah, der Name von diesem Fluss im hinterletzten Virginia, nach dem mich meine Eltern genannt haben. Ich kam nämlich in ihrer Indianerphase zur Welt, bevor sie zum Judentum zurückfanden, und Ewigkeiten bevor sie beschlossen Buddhisten zu werden. Was sie jetzt angeblich sind.
Shenandoah heißt auf Indianisch »Tochter der Sterne«, aber fall da bloß nicht drauf rein. Sie haben mich nicht nach den Sternlein am Himmelszelt genannt, glaub doch das nicht. Sie haben mich nach sich selbst genannt, meine Eltern – sie sind die Sterne, deren Tochter ich sein soll. Weil sie so erleuchtet sind oder so kosmisch oder was. Das ist echt zum Kotzen.
Ich meine, wenn sie so erleuchtet sind, warum können sie sich dann nicht mal entscheiden, welcher Religion sie angehören wollen? Verstehst du, früher haben wir an Gott geglaubt und jetzt ist nie mehr die Rede von ihm, also, ich meine, kannst du mir das erklären? Und wie kommt’s, dass meine Mutter tagelang auf ihrem Bett liegt und mein Vater immer auf dem Absprung in irgendein Retreat ist, um seinen kosmischen Kopf klar zu kriegen? Und wie kommt’s, dass ich eine Schwester habe, die ich nie kennengelernt habe, die tot zur Welt kam und begraben wurde, als Nancy Arlene, so ein hübscher normaler Name, mit dem sie nie leben durfte, während ich dieses Shenandoah am Hals habe?
Aber reden wir nicht von meiner Familie, okay? Die ist mein kleinstes Problem. Glaub mir.
Ich meine, da ist die Schule. Die ist zwar weniger ein Problem als einfach nur nervig. Das einzige Problem, das ich mit der Schule habe, ist, dass ich jeden Tag hinmuss. Kann mir bitte mal jemand sagen, warum? Ist doch nicht so, dass ich da je was Nützliches lernen würde. Und ich hab zwar nicht so viele Freunde, aber die, die ich habe – die sind auch ein Problem. Denn das, was mir echt zu schaffen macht, kann ich mit denen auch nicht besprechen.
Also, mein wahres Problem ist: Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt existiere. Ich meine, woher soll man das wissen? Darüber kann man nicht einfach mit irgendwem reden, weil einen die Leute nur anstarren, als ob man bescheuert wäre oder so . Oder sie gucken durch einen durch, was irgendwie mein Problem nur noch schlimmer macht. Aber ehrlich, manchmal frag ich mich das echt.
Klar, ich gucke in den Spiegel und sehe, dass ich da bin. Und, okay, ich weiß, die Leute reden mit mir, also muss da ja was sein, dem sie antworten können, aber vielleicht hoffen sie ja nur, dass das heißt, sie existieren.
Klar, ich höre Sachen und fühle Sachen und denke, okay, das war das Telefon, das geklingelt hat, oder dieser Ofen ist heiß. Aber das ist ja nur das, was mir meine Ohren und Finger sagen, also, ich meine, woher weiß ich, was wirklich stimmt? Manchmal ist da diese schreckliche Unsicherheit und ich weiß nicht, was ich damit machen soll. Also decke ich sie damit zu, dass ich vor mich hin träume oder so tue, als würde ich Zukunftspläne schmieden wie meine Freundinnen, denn selbst wenn ich jetzt nicht existiere, dann ja vielleicht eines Tages. Aber nichts davon macht mich wirklich an. Ich bin nicht scharf drauf, Star zu werden oder das Geheimnis gesunden Alterns zu entdecken oder auch nur eine Horde Kinder zu kriegen, die vielleicht auch gar nicht existieren.
Mein Dad sagt immer: »Mach dir nichts draus, Shannon. Du bist doch erst fünfzehn. Du wirst dich schon noch finden.« Aber das Problem ist, dass ich gar nicht wirklich suche. Manchmal denke ich, meine Schwester hat es richtig gemacht. Einfach nur geboren werden und sterben und den ganzen verwirrenden Kram dazwischen überspringen.
Noch was total Peinliches an meiner Tante ist, dass sie immer singt. Ich meine, überall. Und jederzeit. Und jodeln kann sie auch. Ohne Scheiß. Oder sie erfindet diese blöden Verse. Zum Beispiel dieses eine Teil, das sie auf Schritt und Tritt vor sich hin rappt: »Was würde wohl der Buddha an meiner Stelle tun? Oder an deiner?« Voll bescheuert.
Ach, ja, da ist noch was an meiner Tante, was ich vielleicht erwähnen sollte: Sie hat nur eine Hand. Na ja, okay, sie hat zwei Hände, aber nur fünfeinhalb Finger. Ihre linke Hand besteht nur aus dem Handteller, der da, wo die Finger rauskommen müssten, so nach innen eingeschlagen ist, mit einem kleinen, aber nützlichen Daumenstummel. Sie kam schon so zur Welt, deshalb fällt es in unserer Familie keinem mehr auf. Und was sie damit alles kann, zum Beispiel ein Paddel halten oder einen Knoten machen oder ein Feuerzeug anzünden, indem sie’s zwischen den Stummeldaumen und die unvollständige Hand klemmt.
Meistens versteckt Tante Becky ihre Hand. Sie sagt, die bringt die Leute nur in Verlegenheit, und darauf legt sie’s nicht an. Was ein ziemlicher Witz ist, weil ich echt nicht weiß, was die Leute mehr in Verlegenheit bringt, ihre komische Hand oder ihre Glatze. Aber jedenfalls, sie lässt sie meistens in der Hosentasche – die Hand, meine ich, nicht die Glatze – und niemand weiß, dass sie da ist oder vielmehr nicht da ist, bis sie sie aus irgendeinem Grund rausziehen muss.
Zum Beispiel, als wir in dem Laden waren, in dem kleinen Ort am See, wo wir das Kanu abgeholt haben, da musste sie unsere Camping- Vorräte bezahlen und anderthalb Hände sind nun mal schneller als eine. Hinterm Ladentisch stand dieser hagere, alte Hinterwäldler, und als er ihre Hand sah, kriegte er einen stieren Blick und brach sich total einen ab, sie nur ja zu ignorieren, und überschlug sich dann fast vor Hilfsbereitschaft, als es drum ging, unser Zeug in das Kanu zu verfrachten. Es regnete schon die ganze Zeit, seit wir in den Catskills abgefahren waren, aber hier oben in den Adirondacks ließ es etwas nach, nur noch kleine Silbernadeln, die den grauen Long Lake zerpiksten.
»Werdet ihr denn klarkommen, Mädels?«, fragte der Alte mit seinem...