Abbs | Miss Elizas englische Küche | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Abbs Miss Elizas englische Küche

Eine wahre Geschichte über eine besondere Freundschaft
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-641-27878-6
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine wahre Geschichte über eine besondere Freundschaft

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

ISBN: 978-3-641-27878-6
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



England, 1835. London wird geradezu überschwemmt mit aufregenden neuen Zutaten, seltenen Gewürzen und exotischen Früchten. Aber niemand weiß, wie man sie verwenden soll. Als Eliza Acton von ihrem Verleger aufgefordert wird, ihre Gedichte in der Schublade liegen zu lassen und dafür lieber ein Kochbuch zu schreiben, ist sie entsetzt: Ausgerechnet sie, die sie noch nie einen Fuß in eine Küche gesetzt hat? Als aber die Schulden ihres Vaters überhand nehmen und er England und seine Familie verlassen muss, bleibt ihr keine andere Wahl, als das Angebot anzunehmen. Eliza beginnt, Rezepte zu sammeln und sich selbst das Kochen beizubringen. Und sie stellt die junge, mittellose Ann Kirby als Hilfe ein. Eine ungewöhnliche Freundschaft entsteht, die die Grenzen der gesellschaftlichen Klassen überwindet und zum ersten modernen Kochbuch führt. Gemeinsam verändern die beiden Frauen die Kunst des Kochens für immer.

Annabel Abbs ist Schriftstellerin und Journalistin. Nach einem Unfall entdeckt sie ihre Liebe zu langen Wanderungen in der einsamen Natur wieder. Annabel Abbs wurde für ihre historischen Frauenstoffe bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Die Romanbiografie »Frieda«, in der sie das spektakuläre Leben der Frieda von Richthofen nachzeichnet, war u.a. Times Book of the Year. Annabel Abbs lebt mit ihrer Familie in London und Sussex.
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1


ELIZA

Fischgräten

Mittagsstunde in der Londoner City, das Rattern der Karren und Kutschen auf dem Kopfsteinpflaster, das Geschrei der Obst- und Gemüsehändler, das Gedränge von Schubkarren und Leiterwagen, schmalbrüstige Jungen, die hemdlos und hechelnd wie verhungernde Vögelchen noch den letzten dampfenden Dunghaufen wegschaufeln. Es ist der heißeste Tag des Jahres – zumindest kommt es mir so vor, denn ich glühe, in mein bestes Seidenkleid eingeschnürt wie in ein Korsett. In der Paternoster Road strahlt jeder Backstein, jeder Messingklingelzug, jedes Eisengeländer Hitze ab. Selbst die Holzgerüste, die all die halbfertigen Gebäude stützen, halten die Hitze hartnäckig fest und knarzen vor Durst.

Es ist der wichtigste Tag meines Lebens, daher beobachte ich das Geschehen, um meine in Aufruhr befindlichen Nerven zu beruhigen, und fasse es in Worte. Die meisten Menschen drängt es zu der Straßenseite, wo die größeren Gebäude ihren Schatten werfen. Die Pferde, die sich abrackern, sind triefnass vor Schweiß. Aus den Kutschfenstern flattern aus Pfauenfedern gefertigte Fächer. Die Peitschenhiebe des Kutschers erschlaffen. Und die Sonne ist wie ein gewaltiges goldenes Gestirn in einer Kuppel aus lückenlosem Blau.

Ich halte inne, denn der Rhythmus stimmt noch nicht. Vielleicht ist in fernen Lauben aus Blau angenehmer für Ohr und Herz als in einer Kuppel aus lückenlosem Blau. Ich drehe die Wörter im Mund, lasse sie über meine Lippen gleiten und in meinem Ohr verhallen … ferne Lauben aus Blau …

»Schau, wo du hinläuft, du blöde alte Ziege!«

Ich weiche aus und stolpere, wäre beinahe in einen Karren mit faulem Kohl gelaufen. Plötzlich sehne ich mich nach meinem Zuhause, nach seiner Vertrautheit und Freundlichkeit. Mir ist, als gäbe es in dem großen Scharmützel, das London genannt wird, keinen Platz für mich.

Kurz darauf verlasse ich die schattige Seite der Straße mit ihrem mürrischen Menschengewusel. Im heißen Sonnenlicht halten sich weniger Leute auf, aber der Gestank ist übler: ungewaschene Füße, verfaulende Zähne, menschliche Jauche. Allerlei Abfall lauert unter meinen Füßen, verrottet zwischen den Pflastersteinen: gebleichte Heringsgräten und Herzmuschelschalen, rostende Nägel, ausgespuckte Kautabakpfrieme, eine von Maden überquellende tote Maus, vertrocknete Orangenschalen und Apfelbutzen, auf denen es vor Fruchtfliegen wimmelt. Alles ist entweder knochentrocken oder weich und faulig am Verrotten. Ich halte mir die Nase zu, denn ich habe nicht das Bedürfnis, diesen widerlichen Gestank in Dichtung zu verwandeln.

»Ferne Lauben aus Blau«, murmele ich vor mich hin. Ein Kritiker hat meine erste Gedichtsammlung als klar und elegant beschrieben. Ich kann nicht umhin zu denken, dass ferne Lauben aus Blau ähnlich klar und elegant ist, aber was wird Mr Thomas Longman, der Verleger der gefeierten Poeten, davon halten? Der Gedanke an Mr Longman holt mich aus meiner Benommenheit zurück in die Gegenwart, zu meiner Mission. Ich blicke an mir hinunter und sehe die feuchte Seide, dunkelgrün geädert und mit schwarzen, sich ausbreitenden Flecken unter den Achseln. Warum habe ich mir keine Kutsche genommen? Wenn ich zum wichtigsten Treffen meines Lebens erscheine, werde ich klatschnass sein wie ein fieberndes Kind.

Ein Messingschild kündet von den Büros der Herren Longman & Co, Verleger und Buchhändler. Ich bleibe stehen, hole Atem. Und in dieser Sekunde meines Lebens verdichten sich meine Vergangenheit, die immense Größe des Himmels über mir und die wirre Masse Londons zu einem einzigen zitternden Punkt. Da ist er. Der Augenblick, auf den ich zehn lange Jahre gewartet habe. Meine sternenklare Morgendämmerung …

Ich zupfe die losen Locken von meinem Nacken und schiebe sie wieder unter die Haube. Hastig und besorgt streiche ich über die feuchten Knitterfalten in meinem Kleid und bin – wenn auch zitternd – bereit. Nachdem ich an der einschüchternd langen Klingelschnur gezogen habe, geleitet man mich durch Räume, in denen sich die Wände vor Büchern nur so biegen, zu einer schmalen Treppe. Am Ende befindet sich ein einziges Zimmer. Es ist mit Büchern so vollgestopft, dass meine Röcke fast nicht mehr hineinpassen. Mr Longman – ich nehme an, dass er es ist – sitzt hinter einem Schreibtisch und betrachtet eine entrollte Landkarte, sodass ich nur der üppigen Haarpracht auf seinem Scheitel vorgestellt werde.

Er nimmt keine Notiz von mir, und ich nutze die Gelegenheit, ihn mit dem Blick der Dichterin zu beobachten. Er ist schwer mit Gold behangen. Ein goldener Siegelring an jeder Hand und eine goldene Uhrkette, die bis in die schwarzen Falten seines Gehrocks reicht. Sein Haar ist stählern grau und liegt als dicke Matte über den Schädelplatten. Als er den Kopf hebt, sehe ich sein rotes Gesicht, dessen gesunde Farbe von der Krawatte aus lavendelfarbenem Seidentwill, auf der seine Kinnfalten ruhen, noch betont wird. Seine Augen liegen sehr tief, darüber wölbt sich ein buschiges Brauenpaar.

»Ah, Mrs Acton …« Durch halb geschlossene Lider blickt er zu mir auf.

Ich erröte. »Miss Acton«, erwidere ich und hebe beim Wort Miss herausfordernd die Stimme.

Er nickt, dann schiebt er die Landkarten, Bücher und Tintenfässer beiseite, um einen Kanal zu schaffen, durch den er eine Hand hindurchschiebt. Ich blicke konsterniert auf die blasse, fleischige Handfläche. Soll ich diese Hand schütteln, wie in der Herrenwelt üblich? Er macht keine Anstalten, meine Hand zu seinen Lippen zu führen oder aufzustehen und sich zu verneigen. Und als ich die seine schüttle, beschleicht mich eine seltsame Aufgeregtheit; etwas, das ich mir nicht erklären kann, jagt mir einen leichten Angstschauer ein.

»Sie hätten da etwas für mich, wenn ich mich nicht irre.« Er kramt lustlos in den Papieren, die über seinen Schreibtisch verstreut sind.

»Ich habe es Ihnen schon in meinem Brief erläutert, Sir. Es ist ein Gedichtband, an dem ich zehn Jahre lang fleißig gearbeitet habe. Mein letzter Band ist von Richard Deck aus Ipswich veröffentlicht worden, und Sie haben ihn tatsächlich hier in dieser Buchhandlung verkauft.« Wie ich so rede – flüssiger, als ich mir vorgestellt hatte –, kommt mir ein Bild in den Sinn: wie Miss L. E. Landon aus meinem Gedichtband vorliest, einer wunderhübsch in Seehundleder gebundenen Ausgabe mit meinem Namen in Goldprägung vorn drauf. Das Bild ist so scharf, so hell, ich sehe die Andeutung einer Träne in ihren Augen, den zustimmenden Zug um ihren Mund, sehe, wie ihre zarten Finger die Seiten berühren, behutsam, als wären sie so fein und kostbar wie Gänsedaunen.

Doch Mr Longman reagiert auf eine verwirrende und bestürzende Weise. Augenblicklich verschwindet Miss L. E. Landon aus meinem Sinn, und mein veröffentlichtes Buch gleich mit. Er schüttelt den Kopf, als hätte ich auf unentschuldbare Weise ein paar Tatsachen durcheinandergebracht.

»Ich versichere Ihnen, Sir, er lag bei Longman & Co auf Lager – sowie in vielen anderen angesehenen Buchhandlungen. Er wurde nach einem Monat schon nachgedruckt und …«

Mr Longman unterbricht mich mit einem langen, ungeduldigen Seufzer. Er zieht die Hand wieder vom Schreibtisch ab, um sich mit einem Taschentuch die Stirn zu wischen.

»Ich selbst habe die Subskriptionsverkäufe in Gang gebracht und sogar Bestellungen aus Brüssel, Paris und der Insel St. Helena erhalten. Meine Leser sind überzeugt davon, dass ich einen Verleger brauche, der über so universelle Macht verfügt wie Sie, Sir.« Ich höre meine Stimme und bin überrascht, wie viel Verzweiflung darin mitschwingt. Und wie viel Hochmut. Die Worte meiner Mutter kommen mir in den Sinn … zu versessen auf Anerkennung … zu ehrgeizig … kein Gespür für Anstand …

Aber Mr Longman schüttelt umso nachdrücklicher den Kopf. Er schüttelt ihn so energisch, dass die Kinnfalten hüpfen und kleine Schweißtropfen von seiner Stirn fliegen und sich wahllos über die Landkarten verteilen.

»Dichtung ist nichts für eine Dame«, knurrt er.

Ich bin so sprachlos, dass jeder Zoll in mir erstarrt. Kennt er Mrs Hemand nicht? Oder Miss L. E. Landon? Oder Anne Candler? Ich öffne den Mund, wie um zu protestieren, doch er starrt ausdruckslos in die Luft, als wisse er schon, was ich sagen will, und habe nicht den Wunsch, es zu hören.

»Allerdings, Romane schreiben … das ist eine ganz andere Sache. Liebesromane, Mrs Acton, sind bei den jungen Damen sehr beliebt.« Er zieht das Wort junge in die Länge, hebt und senkt die Stimme. Ich spüre, wie mein Gesicht erneut aufglüht. Und wie Aufgeregtheit und Trotz samt und sonders verschwinden.

»Liebesromane. Hätten Sie da vielleicht etwas für mich?«

Ich blinzle und versuche meine Gedanken zu ordnen. Hat er meinen Brief überhaupt gelesen? Oder die fünfzig Gedichte, die ich ihm vor sechs Wochen in meiner besten, gestochen klaren Handschrift geschickt habe? Falls nicht, warum hat er mir dann geschrieben und mich zu einem Treffen geladen? Zu meinem Kummer schnürt sich mir die Kehle zu, meine Unterlippe zittert.

»Ja«, fährt Mr Longman fort, als spräche er zu sich selbst. »Einen Schauerroman könnte ich mir gut vorstellen.«

Ich reiße mich zusammen, beiße mir auf die Lippe. In mir entzündet sich ein Funke von Wut – oder Ärger? »Einige meiner Gedichte sind jüngst veröffentlicht worden, im Sudbury Pocket Book und im Ipswich...


Abbs, Annabel
Annabel Abbs ist Schriftstellerin und Journalistin. Nach einem Unfall entdeckt sie ihre Liebe zu langen Wanderungen in der einsamen Natur wieder. Annabel Abbs wurde für ihre historischen Frauenstoffe bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Die Romanbiografie »Frieda«, in der sie das spektakuläre Leben der Frieda von Richthofen nachzeichnet, war u.a. Times Book of the Year. Annabel Abbs lebt mit ihrer Familie in London und Sussex.

Meßner, Michaela
Michaela Meßner übersetzt Literatur aus dem Spanischen, Französischen und Englischen, u. a. von César Aira, Cristina Campos und Arantza Portabales.



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