Vom baldigen Ende des Kapitalismus
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-86489-609-5
Verlag: Westend
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Peter Zudeick arbeitet als freier Journalist und Korrespondent für fast alle ARD-Rundfunkanstalten und moderiert auf HR2 die Sendung "Der Tag". Seine scharfen politischen Analysen, aber auch seine satirischen Rückblicke haben ihn einem größeren Publikum bekannt gemacht. Zudeick studierte Germanistik, Pädagogik, Philosophie und Theaterwissenschaften und promovierte in Philosophie. 2009 erschien im Westend Verlag "Tschüss, ihr da oben", 2013 der von ihm herausgegebene Band "Das alles und noch viel mehr würden wir machen, wenn wir Kanzler von Deutschland wär'n"
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1 Neulich im Café Größenwahn Eins der populärsten Bilder des 20. Jahrhunderts ist Edward Hoppers »Nighthawks«, also wörtlich »Nachtfalken«. Die Übersetzung »Nachteulen« wäre wohl treffender. Der deutsche Titel »Nachtschwärmer« dagegen führt ein wenig in die Irre. Denn auf diesem Bild wird nicht geschwärmt: Drei Gäste und ein Kellner im Neonlicht eines nächtlichen Cafés, maskenhaft starr, Ikonen der Einsamkeit. Wir stehen draußen, schauen zu, und es fröstelt uns angesichts der Kälte dieses Bildes. Freilich hat das alles auch mit uns zu tun, wir schauen auch uns zu, wenn wir die »Nighthawks« betrachten. Ein nicht ganz so populäres Bild bietet sich den meisten von uns, wenn wir uns umschauen, ins Leben schauen in diesen bewegten, wirren Zeiten. Ähnlich wie bei Edward Hopper und doch auf vertrackte Weise ganz anders. Wieder stehen wir draußen, wieder schauen wir rein: ins Café Größenwahn. Da geht’s hoch her. Da werfen merkwürdige Gestalten – mal finster, mal grellbunt – mit Geld um sich, jonglieren mit Aktien und Zertifikaten, halten Hof, schreiten gespreizt oder toben wie toll umher. Auch sie maskenhaft, selbst wenn’s ganz schrill zugeht. Sie spielen ein Spiel, und wir schauen zu. Und wir wissen, das alles hat auch mit uns zu tun. Denn obwohl wir draußen stehen, ausgeschlossen sind, wird da auch unser Spiel gespielt. Mit uns wird gespielt. Und wir können nicht rein, können nicht eingreifen. Es geht um – fast – nichts Die Geschäfte gehn nicht. Kein Mensch hat Geld.
Es ist ein Elend auf der Welt!
Keine Kredite und keine Kunden!
Wie soll Deutschland dabei gesunden?
Geschäfte machen hat gar keinen Sinn.
Herzliche Grüße! Wir sitzen hier in Lugano.
Kurt Tuchobky, Deutsche Pleite (1925) Im Mai 2005 konnte Wendelin Wiedeking Hoffnung schöpfen. Die frohe Botschaft kam von Justizministerin Brigitte Zypries mit dem Satz: »Es geht nicht um die Einführung des Sozialismus auf Vorstandsebene.« Genau das hatte der Porsche-Chef angesichts der aufgeregten Diskussionen um Managergehälter nämlich befürchtet. Ob dieser Vorgang mehr über den Geisteszustand von deutschen Topmanagern oder den Humor von Spitzenpolitikern aussagt, sei dahingestellt. Uns mag dieses Aperçu dazu dienen, in verschärfter Form die Frage zu stellen, worum es bei der Debatte um Managergehälter denn damals ging. Und bis heute geht. Antwort: um nichts. Oder sagen wir: um fast nichts. »Kontrolle durch Transparenz«, dieses Motto hatte Frau Zypries ausgegeben. Kontrolle von Managergehältern durch die Aktionäre von börsennotierten Kapitalgesellschaften. Das entsprechende Gesetz wurde im Sommer 2005 beschlossen, es trat 2007 in Kraft. Seither müssen Spitzenmanager von Aktiengesellschaften ihre Gehälter offenlegen. Auch Gewinnbeteiligungen, Rentenansprüche, Abfindungen und geldwerte Sachleistungen wie Dienstwagen oder Dienstvilla. Wer gegen diese Vorschrift verstößt, muss bis zu 50 000 Euro Bußgeld zahlen. Eine schreckliche Drohung für Spitzenmanager. Und da in diesen Zusammenhängen meist über Banken geredet wird, nehmen wir mal ein anderes Beispiel: die Stahlindustrie. 2005, als die erste große Woge der Empörung über Managergehälter übers Land kam, hatten die Stahlwerker gerade 3,5 Prozent mehr Lohn und eine Extrazahlung von 500 Euro erstritten. Der erste Stahlstreik seit 27 Jahren war dadurch gerade noch einmal abgewendet worden. Die Spitzenmanager von Thyssen-Krupp hatten sich im Jahr zuvor durchschnittlich 50 Prozent mehr genehmigt. Vorstandschef Ekkehard Schulz kam gar auf 64 Prozent plus, er kassierte damals 2,3 Millionen Euro pro Jahr, heute sind es über vier Millionen. Seine Angst vor einem 50 000-Euro-Bußgeld dürfte dem angemessen sein. Wie gesagt: Es geht um fast nichts. Von Einschränkung oder Begrenzung der Managergehälter war nie die Rede, und auch deren Offenlegung kann verhindert werden: durch eine Dreiviertel-Mehrheit der Aktionäre. Deren Rechte wurden gestärkt. Sie können sich dank Frau Zypries ein Bild über Gehalt und Leistung von Topmanagern machen. Wenn sie wollen. Sie können allerdings nicht an der Gehaltsschraube drehen. Der Aufsichtsrat soll darauf achten, dass die Gesamtbezüge des Managements in einem angemessenen Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur Lage der Gesellschaft stehen. So steht es im Aktiengesetz. Aber die Aktionärsversammlung kann keine Managergehälter regulieren. Sie kann höchstens Vorstände rausschmeißen, die es allzu unverschämt treiben. Der staatliche »Eingriff in die Firmenpolitik«, über den Vorstände und Manager lautstark klagten, ist damals also abgewendet worden. Mit guten Gründen – aus Sicht der Unternehmen. Denn zur Firmenpolitik vor allem börsennotierter Unternehmen gehört es, Spitzenmanager mit Spitzengehältern zu ködern, damit sie ihren Job tun, und der heißt: die Rendite steigern. Solange das funktioniert, ist auch wenig dagegen zu sagen. Wenn ein Vorstandschef den Aktionären, also den Besitzern, mehr Reichtum verschafft, dann hat er seinen Job gemacht. Das ist die ökonomisch-technokratische Logik. Über deren Geltungsanspruch noch zu reden sein wird. Denn wenn dieser zusätzliche Reichtum auf Kosten der Beschäftigten geht – durch Massenentlassungen, Lohn- und Gehaltseinschränkungen, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen –, dann müsste man über diese Logik doch noch einmal nachdenken. Inzwischen aber brachen immer wieder neue Wellen der Empörung über die Topmanager herein. Anfang 2008 stellt die Unternehmensberatung Kienbaum fest: Im Geschäftsjahr 2006/2007 waren die Gehälter von Vorständen deutscher Unternehmen im Schnitt um 17,5 Prozent gestiegen. Deutsche Chefs verdienen glänzend, vor allem die von börsennotierten Unternehmen: plus 23,3 Prozent. Die Grundvergütungen sind dabei weitgehend gleich geblieben, dafür wuchsen die erfolgsabhängigen Prämien und Zulagen. Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, liegt mit 13,9 Millionen Euro Jahresgehalt an der Spitze und damit rund zehn Millionen über dem mittleren Einkommen von Vorstandsvorsitzenden in den größten deutschen Unternehmen: 3,9 Millionen Euro. Insgesamt sind die Vorstandsgehälter in den Dax-Unternehmen in den zwanzig Jahren seit Einführung des Deutschen Aktienindex um 650 Prozent gestiegen. Warum müssen Topmanager so viel einnehmen? (Ob sie’s verdienen, ist ja noch eine andere Frage.) Weil die Spitzenleute sonst aus dem Ausland weggekauft werden, lautet ein Argument. Freilich hat noch niemand eine besonders hohe Nachfrage nach deutschen Managern zum Beispiel aus den USA, aus Großbritannien, Frankreich oder der Schweiz bemerken können. Da kassieren Topmanager mehr. Je nachdem, wie man rechnet. Beim Bargehalt nämlich liegen deutsche Manager deutlich vor ihren französischen, schweizerischen und amerikanischen Kollegen. Im Schnitt kassiert ein Dax-Vorstandschef 3,82 Millionen Euro. In Frankreich käme er nur auf 2,3, in der Schweiz immerhin auf 2,99 und in den USA auf 3,03 Millionen Euro. Das hat die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) für 2007 ausgerechnet. Allerdings sind da die Sahnehäubchen nicht mit drin: die Aktienoptionen. Da kommen in der Schweiz zum Beispiel noch einmal drei Millionen Euro im Schnitt drauf. Und in den USA kann man mit Aktienoptionen so richtig abräumen. Was auch daran liegt, dass für Aktien und Optionsscheine in den USA weniger als der halbe Steuersatz gezahlt werden muss. Das lohnt sich also doppelt. So schrauben sich die Jahreseinkommen von US-Spitzenmanagern auf 15,7 Millionen Euro hoch. Im Durchschnitt, versteht sich. Da machen sich die 13,9 Millionen von Josef Ackermann geradezu bescheiden aus. In der Schweiz, wo Josef Ackermann herkommt, sind die Verhältnisse ähnlich wie in Deutschland. Da haben sich die Vorstandsbezüge in den zwanzig größten Aktiengesellschaften von 2005 bis 2006 um 17 Prozent erhöht. In einigen Unternehmen fiel die Steigerung in den vergangenen Jahren besonders üppig aus. Bei Nestlé bekamen die Chefs im Jahr 2002 insgesamt 17 Millionen Euro, 2006 waren es 33 Millionen. Ein Plus von 95 Prozent. Bei der Credit Suisse stiegen die Chefgehälter im selben Zeitraum um 88, bei der Zürich-Gruppe um 188 Prozent. »Solche Vergütungen sind wirtschaftskriminell, Diebstahl am Vermögen der Aktionäre.« Sagt Thomas Minder. Er ist Zahnpastafabrikant, Chef eines Familienunternehmens mit dreißig Angestellten. Seine Firma lieferte Zahnpasta und Mundwasser auch der Swissair – bis zum Konkurs der Fluggesellschaft. Minder blieb auf seinen Rechnungen sitzen, während der letzte Swissair-Chef sich im voraus fünf Jahresgehälter hatte auszahlen lassen – 7,6 Millionen Euro. Da platzte dem Zahnpastamann der Kragen. Er gründete im Oktober 2006 eine »Volksinitiative gegen Abzockerei«....