E-Book, Deutsch, 308 Seiten
Ziegler LitLab rocks
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7693-4172-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Texte aus dem Literaturlabor
E-Book, Deutsch, 308 Seiten
ISBN: 978-3-7693-4172-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Bar. Ein Stuhl. Ein Text. Und eine Mutprobe. Jeden Monat stellen sich verwegene ATorinnen und Autoren im Literaturlabor auf St. Pauli einem forschenden Publikum. Mit unveröffentlichten Werken, also als eine Art Versuchskaninchen. Das Litlab wird so zu einem Ort der Aufmerksamkeit und Analyse, der Anerkennung und Ausgelassenheit. Dieser Band versammelt Beiträge von Alice Beyer Kim Naemi Birtel Timo Blunck Niels Boeing Robert Brack Juliette Groß Holger In't Veld Nefeli Kavouras Brigitte Liebe Volker Marquardt Hans-Arthur Marsiske Anselm Neft Anne Olschewski Melitta L. Roth Anja Schwennsen Rebecca Spilker Christa Thelen Gabriele Thießen Silke Tobeler Helmut Ziegler
Autoren/Hrsg.
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Das Manifest des Attentäters
Bis auf Sturmhaube, schwarze Gummihandschuhe und die Helmkamera ist alles eingepackt, was ich benötige. Reizgas. Drei Magazine. Die eingeklappte SIG 550. Das Feldmesser. Das Feldmesser, dies für Fetischisten, ist ein Fairbairn-Sykes-Kommando-Dolch mit 17,5 Zentimeter langer geschwärzter Klinge. Wer mit diesem Messer im Zweiten Weltkrieg in deutsche Gefangenschaft geriet, wurde unverzüglich als Spion erschossen. Wenn er Glück hatte. Wenn er Pech hatte, dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS übergeben. So sah es Hitlers persönlicher Befehl vor. Wie auch immer. Ich bin bereit. Ihr fragt, weshalb. Fragt ihr das wirklich? Gut. Der Erste, der mit Yoga anfing, war Patañjali. Über ihn weiß man wenig, der indische Gelehrte soll vor rund 1500 Jahren gestorben sein, vielleicht auch vor 2000. Seither hat die Menschheit einiges gelernt. Dass sich die Erde um die Sonne dreht. Dass der Mensch einen Blutkreislauf besitzt. Dass Frauen gleichberechtigte Wesen sind. All das galt zu Patañjalis Zeiten nicht. Vielleicht fiel er aber auch, wie es die Legende behauptet, als Schlange vom Himmel. Geschickt vom Gott der Abendsonne, der einer Einsiedlerin den Wunsch erfüllte, ihr Wissen weiterzugeben. Denn die Schlange verwandelte sich in einen Jungen und der, Patañjali eben, schrieb ihre Regeln auf. Die Übungen des rechten Handelns, der rechten Gesinnung, des rechten Sitzens, des rechten Atems und des Rückzugs der Sinne. Welche Variante man wählt, vertrauenswürdig erscheint keine. Die erste dürfte inzwischen längst überholt sein, altes Wissen ist vor allem: alt. Die zweite klingt nach einem Märchen wie aus der Bibel. Bedenkt man, dass Patañjalis Regeln von Mund zum Ohr überliefert wurden – Missverständnisse, Fehlinterpretationen und Falschübersetzungen inklusive –, sollte man den Anfängen besser wehren denn vertrauen. Es gibt eine zweite Entstehungsgeschichte. Sie könnte noch weniger gefallen. Ihr zufolge sind die uralten Lehren eine Erfindung der Moderne, 1893 erstmals im Westen vorgetragen von Swami Vivekananda. Der Hindu strich dabei alle negativen Seiten. Aufdringlich bettelnde Mönche? Yogis, die im Sold der Herrschenden kämpften? Kali, die Göttin der Zerstörung mit ihrer Kette aus geköpften Männerschädeln? Alles unter den Teppich gekehrt. Stattdessen erzählte Vivekananda all jenen, denen die christliche Kirche mit den Mächtigen zu verstrüppt war und die moderne Wissenschaft zu kalt, es gebe Erlösung auch ohne Erlöser. In einem selbst. Bereits im Diesseits. Klingt verführerisch, oder? Das Mittel dazu: Meditation. Die Kunst der Versenkung war anscheinend das Einzige, was übrig blieb, ließ man Tempeldienste, Kastensystem und den göttlichen Segen für die Familie weg, wenn die Tochter noch vor der ersten Menstruation verheiratet wurde. Zur Kunst der Verrenkung fanden die Inder nämlich erst spät. Alles Turnerische ist ein Re-Import, als amerikanische Wrestler um die Jahrhundertwende auf dem Subkontinent posierten. Sie sahen einfach gesünder und eleganter aus als abgehungerte Asketen. Zeitgleich kam über die britische Armee auch die sogenannte »schwedische Gymnastik« ins Land, eine Lehre, die auf Gewichte verzichtete, nur den eigenen Körper einsetzte. Nach dieser These wäre Yoga ein Produkt des kapitalistischen Westens. Er nahm etwas, was es schon gab, veredelte es mit exotischen Mustern und verkaufte es teuer weiter. Ich weiß, ich weiß, Ihr sagt: Aber Yoga hat mir doch geholfen. Ich bin beweglicher. Ich bin ruhiger. Ich komme darauf zurück. Und werde ehrlich sein: Ich bewundere die, die als Erste die Idee vom Yoga aufbrachten oder die Fackel weitertrugen. Starke, stolze Männer: Sie waren überzeugt und nicht bereit, sich für ihre Existenz zu entschuldigen. Ebenso wenig kann ich es ihnen verübeln, dass sie sich im satten, müden Westen ansiedelten. Wo wir zu kraftlos und unserer selbst zu unsicher sind, um zu sagen: Eure Idee taugt vielleicht für Indien. Hier taugt sie nichts! Denn worin besteht die rattige Grundidee? Patañjalis achtgliedriger Pfad – in Wahrheit viel mehr Regeln und Übungen, aber geschenkt, jeder Heilsbringer neigt nach Bedarf zu Unter- oder Übertreibungen – zielt darauf ab, alle Attribute einer individuellen Persönlichkeit verschwinden zu lassen. Durch Besitzlosigkeit. Enthaltsamkeit. Durch Verzicht auf äußere Reize. Konzentration auf sich selbst. Durch Hingabe an die Schöpfung. Zufriedenheit mit dem, was ist. Durch Aufgabe des Denkens. Hat man all das erreicht, erreicht man ein Selbst-Exil, in dem keine Identität mehr vorhanden ist. Ein Bewusstseinszustand, der über das Träumen hinausgeht, in dem alles Diskursive, das Erörtern von Pro und Kontra, das Bewältigen von Widersprüchen – Fortschritt also – aufgehört hat. »Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Gedanken im Geist.« So heißt es in der Yoga-Sutra, Kapitel Eins, Vers zwei. Und in Vers drei: »Dann ruht der Sehende in seinem wahren Wesen.« Wer einmal in einem Möbelhaus serienmäßig produzierte Plastikvasen gesehen hat, alle gleich, alle glatt, alle leer, hat demnach Vasen gesehen, bei denen alles Sinn ergibt. Die Idee wird natürlich mit einem verlockenden Versprechen verbreitet: Körper, Geist und Seele in Harmonie vereint. Wer will das nicht? Aber wie? Auf miefigen umweltschädigenden Matten? In Schlampen-Leggings mit Blumen- oder Mondphasen-Mustern? Und was ist, wenn der Körper sagt, dass die eigenen Arme zum »Durchspringen« zu kurz sind? Man als Langschläfer keine Lust verspürt, sich vor Sonnenaufgang aufzurappeln? Überhaupt, wie soll der Geist Harmonie erfahren, wenn der Kursleiter vom Tau auf dem Schieferdach einer Berghütte schwärmt, obwohl man in Gedanken unter Palmen am Strand lag, rauschenden Wellen lauschte? Will die Seele nicht aufjaulen, wenn alles in einem Fantasie-Sanskrit aufgesagt wird? Chaturanga Dandasana, Anjali Mudra – man könnte auch Liegestütz oder Respekt sagen. Klänge weniger eitel. In einer Sprache, die lebt. Und das ewige Geklöppel im Hintergrund, an- und abschwellende Klänge, die den im Universum waltenden Gesetzen gleichen sollen. Schlimmer nur, wenn im Studio zu Bummel-Techno gegriffen wird, garniert mit Bootcamp-Ansagen wie »Da geht noch mehr!« Was übrigens meist geschieht, wenn man schon diverse Positionen auf einem Bein durchgestanden hat. Wenn leichte Krämpfe den Körper durchzittern, trotz Bananen und Magnesium. Müssen wir von Detox-Saftkuren reden, also davon, Geld dafür auszugeben, dass man hungert? Vom Dopaminfasten, bei dem öder Alltag durch Verzicht auf äußere Reize interessant werden soll? Vom stillen Sitzen in der Meditation, als befände man sich in der Schule? Vom Omm, dem Urklang, dem Weltwort, der ersten Äußerung aus der Tiefe der Zeit? Warum, bitte, sollte man das brummen? Ihr entgegnet, all die Argumente seien nur ästhetische. Lest genauer. Welches Wort findet Ihr in ästhetisch? Ethisch. Man muss natürlich suchen. Darüber hinaus: Yoga kann man wirklich hassen. Diese Snobs. Yoga-Studios finden sich in den Hip-Vierteln der Stadt, selten in grauen Vorstädten oder auf dem Land. Und wer kennt sie nicht, die Instagram-Posts von normschönen Menschen bei schlichten Leibesübungen, aber am Strand von Mauritius, in 130 Euro teuren Hosen, deren Mikroplastik in die Ozeane gespült wird? Katzen dehnen und strecken sich den ganzen Tag. Doch kämen sie nie auf die Idee, anderen Katzen einzureden, diese müssten Mäuse für sie fangen, um zu erfahren, wie sie sich am besten dehnen und strecken. Yoga ist Turnen für Leute, die glauben, sie seien etwas Besseres, obwohl sie nur an sich arbeiten. Der entscheidende Punkt aber ist ein anderer. Es gibt etwas, das alle Yoga-Schulen verbindet, so unterschiedlich und sich widersprechend sie auch sind. Alle eint der Kult um das Selbst. Versprechen die Loslösung vom alten Ich, was toll klingt: Das eigene Ich gefällt ja den wenigsten wirklich. Yoga, so wird behauptet, hilft, Fett, Stress und Zweifel loszuwerden. Yoga hilft morgens, fit durch den Tag zu kommen, abends besser einzuschlafen. Aber all das macht man auf der Matte mit sich allein aus – the inner space, heißt es, is more important than the outer space. Und vertreibt die Frage – so man sie sich gestellt hat –, woher das Fett, der Stress, die Zweifel kommen. Yoga sagt auch: Du kannst es ohne Gesellschaft schaffen, alles ist bereits in Dir. Yoga sagt damit zugleich: Wenn Du es nicht schaffst, selber schuld, Pech. Yoga entlässt Dich nicht aus der Verantwortung, Yoga bürdet sie Dir auf. Yoga sagt also: Es ist nicht die Arbeit, die einen kaputt macht, die sinnlos scheint. Du bist es! Es ist nicht die Gesellschaft, die einen auslaugt und verrückt macht. Du bist es! Nichts im Außen ist es, nur Dein Inneres. Aber: Du kannst Dich doch anders entscheiden, jederzeit. Dazu passt: Yoga machen zumeist Frauen. Während Frauen sich so ruhigstellen, machen Männer...