Zerbe | Leon, Don Carlos und Ich | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 394 Seiten

Zerbe Leon, Don Carlos und Ich

Theaterroman

E-Book, Deutsch, 394 Seiten

ISBN: 978-3-7598-8242-4
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Es wird die Geschichte erzählt des jungen Schauspielers Leon, der mit seiner ersten Hauptrolle und seinen neu gewonnenen Freunden und Kollegen die weiten Gefilde der Schauspielkunst von der ersten Probe bis zur Premiere durchlebt. Seine unbändige Spielfreude muss er vorerst in brauchbare Bahnen lenken und sich in kleineren Aufgaben beweisen. Wir erfahren, wie unser Held die Höhen und Tiefen seiner Theaterwelt meistert, wie er sich aus seinen eigenen Bedrängnissen herauswindet und seine Persönlichkeit mit der Arbeit an seinen Theaterfiguren wächst. Eine besondere Freundschaft verbindet ihn mit dem smarten Siegertyp, Schauspieler und Frauenheld Max und dem von der Straße aufgegabelten, sehr talentierten schottischen Straßenmusiker Ben. Als Regieassistent in einem Stück mit Max und Ben wird Leon Zeuge, wie sich die Leidenschaft der zu spielenden Figuren auf die Darsteller persönlich überträgt und sie eine intime Beziehung miteinander eingehen. Der erfahrene Schauspieler Max ist es dann, der Leon in der Rolle als 'Don Carlos' zur Seite steht und ihn als Freund durch das Labyrinth der Theaterwelt begleitet. Unter dem Feuer verschiedener Begegnungen sowie unter der eisernen Hand seines Regisseurs Alexander Brückner wächst Leon langsam in seine Figur hinein und hat am Ende Mühe, sich selbst wiederzufinden. ?

Uwe Zerbe wurde 1943 in Berlin geboren und wohnt jetzt wieder in Berlin. Nach einer unerquicklichen Berufsausbildung als Feinmechaniker besuchte er die Schauspielschule in Leipzig und beendete sie 1971 mit einem Diplom. Die ersten Engagements hatte er an den Theatern Cottbus und Leipzig. Später folgten Gastrollen am Deutschen Theater Berlin, den Spielstätten des Friedrichstadtpalastes, am Berliner Kabarett die Distel und am Hans-Otto-Theater in Potsdam. Bei Film und Fernsehen war Uwe Zerbe mit Haupt- und Nebenrollen an über 100 Produktionen beteiligt. Mit 75 Jahren beendete er seine Karriere, ging auf Reisen, schrieb Reiseerzählungen und seinen ersten Roman 'Leon, Don Carlos und ich,' der mit dem jungen Schauspieler Leon die Erfahrungen seiner Theaterzeit autobiografisch verarbeitet.
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Das Haus am Rande des Stadtparks

Seit zwei Tagen weiß Leon, dass er mit der Rolle des Carlos besetzt ist. Leon Brandt, sein Name strahlte ihm von der obersten Reihe der Besetzungsliste entgegen. Wird Zeit, dachte er, und grinste euphorisch in den Schaukasten. Die Luft, die er atmete, erschien ihm gleich frischer und würziger. In seinem Freudentaumel nahm der so triste Bühneneingangsbereich mit der grauen Pförtnerloge gleich fürstliche Formen an. Heute, am späten Vormittag, verlässt er die Wohnung, zieht die Wollmütze über sein struppiges blondes Haar, legt die Kopfhörer um und wirft den Rucksack über die Schulter. Darin Smartphone, Zeichenblock, Zeichenkreide und natürlich das Rollenbuch Don Carlos der Infant von Spanien. Seine angespannten Nerven bewirkten Freudensprünge in seinen Gehirnwindungen. Nun ist es amtlich und auch die anderen haben es schriftlich. Allerdings, die Zeit, locker mit dem Theater umzugehen, hat jetzt ein Ende. Große schauspielerische Mittel werden von ihm erwartet, Ausdauer und Durchsetzungskraft. Leon ist fest entschlossen, allen zu zeigen, was in ihm steckt. Gestern Abend ließ er in seiner WG gleich eine Flasche guten Rotweins springen. Mit Antipasti und Kerzenlicht wurde es gemütlich in der geräumigen Wohnküche der Dreier-WG am Rande des Stadtparks. Das gemeinsame Projekt von Friedrich Schillers Don Carlos verbindet sie, Maike, Frederik und Leon. Maike erarbeitet die Dramaturgie und Frederik das Bühnenbild. Beide sind nicht wesentlich älter als er. Sogleich diskutierten sie über das Stück und über Leons Rolle. Er wird also den Sohn des mächtigsten Herrschers Europas und Enkel des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation spielen. Ein leichtes Unbehagen schlich aus der Magengrube in sein Bewusstsein. Maike und Frederik sprachen darüber, dass dieser historische Carlos ein sehr kurzes Leben gehabt hatte und dieses kurze Leben ganz und gar nicht einfach gewesen war. Sie schauten sich alte Bilder an und stellten fest, dass Carlos‘ Vater und Großvater nicht gerade sympathische Erscheinungen waren. Mit ihren langen Köpfen und roten Haaren, mit den hervorquellenden Augen, dem kräftigen Unterbiss und der vorgestreckten Unterlippe des Habsburger Herrschergeschlechts hätten sie Leon schon beim bloßen Anblick in Stillschweigen versetzt. Dazu erfuhr er, dass sie obendrein noch mächtige Säbelrassler waren, von Machtstreben und Skrupellosigkeit geprägt. In Schillers Stück haben sie die Niederlande beim Wickel. Das bringt die Figuren um Don Carlos so richtig auf Trab. Da verwundert es nicht, dass Leon letzte Nacht böse Träume hatte. Freude, aber auch Bedenken, Zweifel und Erfolgszwang geistern durch seinen Kopf, als er auf dem Weg ist, das gutbürgerliche Wohnhaus zu verlassen, in dem er seit über einem Jahr im dritten Geschoss sein Zuhause gefunden hat. Das Gute an diesem Haus wurde allerdings schon von der Zeit aufgebraucht und die abgetretenen, ächzenden Treppenstufen erinnern mit jedem Schritt an das alte Bürgerliche. Stimmengewirr hinter den Wohnungstüren begleitet ihn bis zur Haustür. Schimpfen, Stöhnen, ein Hund bellt, zwei Kinder krachen gegen die Wohnungstür. Ein in die Jahre gekommener Nachbar im 1. Stock, allein und neugierig, verwickelt ihn manchmal in ein Gespräch. Heute schaut er geräuschvoll nur durch den Türspion. Die drei aus der WG sind ihm suspekt, sind vom Theater, da ist Achtsamkeit geboten. Kraftvoll stemmt Leon die Schulter gegen die eichene Haustür, hält seinen Kopf in den Wind und lässt seine spannungsgeladenen Gedanken mit dem stürmisch wirbelnden Herbstlaub davontragen. Der Sommer liegt in den letzten Zügen. Der Herbst setzt erste Zeichen, malt die Blätter der Bäume in seinen Farben an und bringt Bewegung in den müden Altweibersommer. Der alte Laubbaum am Rande des Hofes, der gerade seine mächtige Krone gegen den Wind stemmt, hat etwas Vertrautes, weckt Erinnerungen an sein altes Zuhause. Sein Großvater sprach mit den Bäumen, redete mit ihren rauschenden und säuselnden Blättern, so als wären sie einzigartige Wesen. Mit der alten Linde in der Mitte seines Gartens redete er gern und Leon hörte ihm zu. Sie war so wie der Baum hier im Hof seines neuen Zuhauses. „Mit ihren tiefen Wurzeln kann sie den Stürmen des Lebens trotzen“, pflegte sein Großvater zu sagen und dann wünschte sich Leon ebenso tiefe, feste Wurzeln. Er muss jetzt darüber lächeln. Sein Großvater malte die Linde und er bewunderte ihn. Mit groben Farbstrichen fuhr er über die Leinwand, unter denen der Stamm seine reale, ganz bestimmte und einzigartige Gestalt annahm. „Wenn du ihm zuhören könntest, würde er dir erzählen, wie das Leben geht. Hinter dem verschlungenen Geäst verbirgt sich eine geheimnisvolle Welt aus vielen Jahrhunderten,“ erklärte sein Großvater und Leon spürte, wie sich das Geäst mit jedem Pinselstrich um seinen Körper wand. „Du musst dich mit ihm zusammentun, ein Teil von ihm werden, seine Geschichte erzählen. Wenn du das machst, wirst du auch andere mit deiner Kunst berühren.“ Leon verbrachte viel Zeit mit seinem Großvater. Er wollte ebenso sein, wollte ebenso malen. Weil er ihn ständig mit Fragen nervte, schenkte ihm sein Großvater irgendwann ein Buch mit vielen Bildern über die Malerei und das Leben des Malers Claude Monet. Es steht jetzt neben den Theaterbüchern auf dem Bord über seinem Bett. Die Leidenschaft seines Großvaters für die Kunst hatte sich auch auf ihn übertragen. Wenn er anfangs auch nicht ganz begriff, worum es ging, nicht gleich alles einordnen konnte, brachten ihn jedoch die vertraulichen Gespräche und gemeinsamen Beobachtungen auf seinen jetzigen Weg. Und dieser Leon eilt jetzt wachen Schrittes durch den Stadtpark und möchte hier am Theater tiefe und feste Wurzeln in das Erdreich des Lebens graben. Er wird dem Carlos seine Gestalt geben, ihm seine Geschichte aufdrängen und hoffentlich die Anderen damit berühren. Dahinten, ganz am Ende des Parks, umschlossen von Baumgruppen und Gebüsch, erhebt sich ein stattliches Gebäude aus der Gründerzeit. Wie aus dem Boden gewachsen schaut es über die Baumwipfel: das Theater, sein Theater. Die Wände strahlen in lichtem Ocker, der Stuck und die Einrahmungen der Fenster sind abgesetzt in hellem Beige. Steinputten schmücken den Bereich rechts und links der Fenster und des Eingangsportals. Vor einem Jahr, in den ersten Tagen seines Engagements, ging er meist zwei, dreimal um das Haus herum, bevor er es betrat. Nicht nur aus Achtung vor dem imposanten Bau. Er konnte es einfach nicht fassen, dass er es geschafft hatte, an so einem Haus sein Theaterleben beginnen zu dürfen. Ein turbulentes Jahr lag jetzt hinter ihm und der Weg bis hierher war nicht einfach. Schon bevor alles begann, war Leon in seinem Elternhaus abgestempelt als ausgeflippter Störenfried. Mit seinem unangemessenen Berufswunsch, Schauspieler zu werden, rüttelte er am mühselig geschaffenen Sockel der Lebensgrundlage seines Vaters, der nicht gerade auf festem Boden stand. Vater und Bruder warfen ihm vor, er würde sich in Lebensbereiche begeben, die keiner mehr überschauen kann und taten seine Offenbarung als eine seiner üblichen Spinnereien ab. Für sie entsprangen Schauspieler einer imaginären Kinowelt und waren nicht greifbar. So einer wie er könne unmöglich zu dieser Kategorie gehören. „Du wirst nie ein Schauspieler werden,“ schimpften sie und waren auch gleich dabei, es zu begründen. Richtige Schauspieler müssen von Glanz und Größe umgeben sein, müssen das R auf der Zunge rollen.“ Seitdem rollte sein Bruder, wenn sie darüber sprachen, dieses R und sah ihn dabei süffisant grinsend an. Zur verschreckten Mutter gewandt, verteidigte der Vater seine Ansichten mit den Worten: „Mit seiner brotlosen Kunst wird er der Familie konstant auf der Tasche liegen und zu einer unzumutbaren finanziellen Belastung werden.“ Sein Bruder nickte ihm hämisch grinsend zu, rang wie üblich als der Erstgeborene um die Vormachtstellung und machte abfällige Bemerkungen. Zu mehr, als dem dritten Pagen von links würde er es ohnehin nicht bringen. Leons Verteidigungsversuche winkte der Vater mit der üblichen Geste ab, hieß ihn zu schweigen und sagte nur: „Kommt sowieso nichts Gescheites dabei heraus.“ Leon lag es damals nicht, geschickt mit Worten umzugehen, schon gar nicht gegenüber seinem Vater. Also ließ er das Reden und handelte. Er brach die Beziehung zu seiner Familie ab. Ein wenig litt Leon unter dem Entzug seiner familiären Bindung, aber das Studium an der Schauspielschule wie auch das Engagement am Theater, brachten ihm die ersehnten Freudenschauer. Das mit der Familie würde sich schon wieder einrenken. Er nickt besorgt und schiebt die schlechten Erinnerungen beiseite. Auf dem Weg durch den Stadtpark bestimmt jetzt das Buch in seiner Hand den Fortlauf seines Denkens. Er hat es gelesen, etwas über seine Rolle erfahren und wieder gelesen, war dann hinübergedämmert und in seinem Zimmer eingeschlafen. Im Traum erschienen ihm Schillers Figuren, verschmolzen zu einer riesigen, tobenden Wolkenmasse. Tiefhängende schwarzblaue Wolken standen den schnell umhertreibenden, helleren bedrohlich gegenüber, türmten sich weit in die Atmosphäre, umhüllten ihn mit ihrem spannungsgeladenen Kampfgetümmel. Darüber sah er das Himmelsgewölbe in einem zarten unschuldigen Blau. Ein alles überspannendes Dach, unter dessen Obhut das Leben gut behütet und geschützt sein Dasein fristet. Leon schaut jetzt den am Himmel dahinfliegenden Wolken hinterher. Sie schaffen in ihm lustvolle Vergleiche. Erinnern an den Traum und an das Stürmen und Drängen in Schillers Drama. Dazu das Grollen, Donnern und Blitzen in der Ferne. Es klingt, als wollte sich das...


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