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E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Zeh Trinity

Irische Begegnungen

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

ISBN: 978-3-7504-3891-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Irland - hautnah! Ein unbekanntes Irland, mit all seinen Idyllen und Abgründen. Ein Kaleidoskop von Geschichten aus dem Blickpunkt eines Irland-kenners, persönlich, abenteuerlich, humorvoll, wehmütig - ganz wie die Insel selbst. Ein warmher-ziges Liebesbekenntnis zu Land und Leuten, wo Weisheit und Borniertheit nicht weit auseinanderliegen. Wir lernen philosophierende Trinker, wütende Nordiren, schulverweigernde Väter, sanfte Rebellen, antike Antiquare und ignorante Hitlerfreunde kennen. Fernab von ausgetretenen Touristenpfaden kommen wir an kaum bekannte Orte, schwimmen im kalten Atlantik, genießen Hostelgastfreundschaft und haben immer eine Kanne Tee auf dem Fensterbrett. Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen des Nordirland-Konflikts, steigen auf den Groagh Patrick und nehmen an einer Hochzeitsreise teil, und am Ende bleibt das Torffeuer-Gefühl, einem der alten irischen Geschichtenerzähler gelauscht zu haben.

Klaus Zeh, Jahrgang 1965, ist Schriftsteller und Musiker. Er lebt in Reutlingen. Sein erster Roman Taxi erschien 2015. Es folgten Mozart oder der Fall des Harlekins und Lisboa , sowie die Gedichtbände Die Leichtigkeit des Windes, An Ufern aus Jade und Pontoon oder wann immer ich hier sein werde.
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The Rose of Tralee
Gerade fuhren wir noch mitten durch ein Gemälde von David Caspar Friedrich und fühlten uns hineinversetzt in die Rolle des Beschauers. Und schön anzuschauen war dieser irische Sonnenuntergang allemal. Ich bedauerte wieder einmal, nicht mit Pinsel und Farbe umgehen zu können, als die Sonne sich klammheimlich hinter einer Ansammlung flamingofarbener Schäfchenwolken verbarg, und, so wie es aussah, auch nicht mehr zum Vorschein kommen wollte. Irgendwo auf dem Weg nach Limerick stiegen sie zu, setzten sich, schräg versetzt, auf die gegenüberliegende Seite. Vier junge Dinger, lachend, kichernd, lauthals singend, unaufhörlich plappernd, alle hübsch gekleidet in eine Art Tracht. „Eine hübscher als die andere“, stellte Henry fest. Ich zuckte die Achseln. Doch eine unter ihnen gefiel mir tatsächlich. Ich versuchte, in ihrem Gesicht die Rezeptur der Schönheit ausfindig zu machen, weshalb genau dieses Gesicht schöner war als die anderen drei. Ob es an der Stellung der Augen lag, ihrer Größe, Form, der Augenfarbe? Lag es an der Nase? An ihrer Position, ihrer Größe, daran, wo sie zwischen Augen und Mund lag? Oder war es der Mund, die geschwungenen Lippen, ihre Größe, ihre Beschaffenheit? Oder vielleicht die Form der Stirn? Die Wangen, die Grübchen darin? War alles zusammengenommen der Grund für die Schönheit dieses Gesichtes? Weshalb war ich gänzlich hingerissen vom bernsteinfarbenen Leuchten in ihren Augen? Vor allem, wenn sie lachte. „Du solltest sie nicht so anstarren“, meinte Henry. Ich wandte schleunigst den Blick von ihr ab. Die Dämmerung hatte sich mittlerweile unbemerkt herangeschlichen, nahm den Tag in den Würgegriff und blies ihm das Licht aus. Die Midlands verloren an Kontur, verflüchtigten sich am Horizont zu einem scheinbar heraufdunkelnden Nebel. Alles, was davon übrigblieb, war das Gesicht dieser jungen Frau schräg gegenüber, während der Zugfahrt nach Limerick. Es begann zu regnen. Während es draußen unaufhörlich weiter dunkelte, sangen die vier Mädels ein Lied, das für mich zum Soundtrack dieses Irland-Trips wurde. Ihre Stimmen erfüllten das Zugabteil. Und mich. Sie sangen wie Mädchen, die gemeinsam singen, stimmten alle in die gleiche Harmonie ein, suchten die anderen Stimmen, passten sich an, sangen in den Klang der anderen Stimmen hinein. Die Melodie des Songs rüttelte an meiner Seele. Wie ein Sturm, der vom Meer her an losen Fensterläden rüttelt. Sie hatte als einzige eine Altstimme. Man konnte sie heraushören. Beim Klang von Altstimmen muss ich immer an dunkles Holz denken, wohlriechendes dunkles Holz. Und an flauschige Teppiche, auf denen ich barfuß gehe. Jetzt erst bemerkte ich, dass sie eine kleine Krone im Haar trug. Eine Königin? Über welches Reich regierte sie wohl?, fragte ich mich schmunzelnd. Henry scharrte neben mir mit den Füßen, richtete plötzlich sein Wort an die vier Mädchen. Ich zuckte zusammen. Nach kurzer Zeit war er nicht mehr zu bremsen. Er konnte gar nicht mehr aufhören. Sie plapperten mit Henry wie mit einem Bekannten. Das Lachen sprühte nur so aus seinen funkelnden blauen Augen. Er verteilte verschwenderisch Komplimente, scherzte unentwegt, brachte sie zum Lachen, verwickelte sie ständig in irgendein Rätselraten. Davon hätte ich gerne etwas, dachte ich neidisch und beobachtete staunend, wie er die Vier um seinen kleinen Finger wickelte, dieser Spieler. Lernen konnte man so etwas nicht, entweder man hatte es oder man hatte es nicht. Es stellte sich heraus, dass die Vier von einem Schönheitswettbewerb kamen und dass die Altstimme gerne zur Rose of Tralee gekürt worden wäre, es aber leider nicht geschafft hatte. „Doesn‘t matter“, meinte sie und stimmte noch einmal den Song an. Das Lied rührte mich sehr. Auch die Vier stiegen in Limerick aus, lärmten und sangen, was das Zeug hielt, zogen die Blicke der wenigen Menschen auf sich, die eilig Richtung Ausgang strömten. Henry rief und winkte ihnen nach. Über dem Bahnsteig irrlichterte blasses Licht aus verschmutzten Lampen. Die Gleise stanken nach nassem Eisen. Ich trat einen Schritt vor, schaute am Wellblechdach vorbei in den Nachthimmel, kniff wegen des leichten Regens die Augen zusammen und begann mich nach dem Meer zu sehnen, und nach der Küste. „Du solltest Kurse geben“, sagte ich zu Henry. „Kurse?“ „Im Anbaggern.“ „So etwas kann man nicht lernen“, grinste er angeberisch, „aber dieser Song war mir eine Spur zu sentimental, dir nicht auch?“ Ein Kerl kam auf uns zu, offenbar der Zwillingsbruder von unserem Likör-Räuber in Waterford, und erkundigte sich, ob wir ein Zimmer bräuchten, er könne uns ein Hostel empfehlen. Und er könne uns sogar gleich dorthin fahren. Wir guckten uns verwirrt an. „Davor hat mich meine Mutter immer gewarnt“, raunte ich Henry schmunzelnd zu. „No risk no fun“, entgegnete Henry, gab dem Mann die Hand und bedankte sich für das Angebot, uns zu fahren. Der Typ hatte seinen verbeulten, alten Kadett im Halteverbot geparkt. Ich kroch nach hinten, verschaffte mir zwischen Müll und sonstigem Gerümpel einen Fleck zum Sitzen und behielt den Fahrer im Auge. Hinter ihm fühlte ich mich bedeutend sicherer als neben ihm. Henry beschwerte sich nicht einmal, als ich sagte, er solle den Beifahrersitz nehmen. Wo um alles in der Welt bringt uns dieser Kerl hin, wo sind wir nur hineingeraten?, dachte ich und suchte in dem Gerümpel nach einem Baseballschläger, einem Schraubenschlüssel oder etwas dieser Art. Er raste mit seiner Schrottkarre wie ein Rennfahrer in Rente durch die Stadt, überholte, indem er kurzzeitig halb auf dem Gehweg fuhr, hupte, ließ den Motor aufheulen und überfuhr einmal sogar eine rote Ampel. Alles, ohne eine Miene zu verziehen. Ich sah nichts als die Hauswände von hohen Häusern, enge, zugeparkte Straßen, kaum Schaufensterfronten. Ich kämpfte gegen ein Unbehagen. Versuchte mich auf etwas zu konzentrieren, das uns vielleicht erwartete. Ich sammelte mich. Henry blickte verstohlen nach hinten. Ich gab ihm mit einem Blick zu verstehen, dass ich ihn umbringen werde, wenn es sonst niemand anders tat. Henry fragte den Fahrer in das laute Motorengeräusch hinein, ob er vielleicht einen Bruder in Waterford habe, bekam jedoch keine Antwort. Mit quietschenden Reifen bremste der Mann seinen Wagen. „Da sind wir“, lächelte er. Vielleicht geht es uns doch nicht an den Kragen, dachte ich. „Mein Hostel“, erklärte er weiter, „nicht erschrecken, es ist ein altes Krankenhaus.“ „Great“, sagte Henry augenzwinkernd beim Aussteigen. Der alte Kasten hätte gut und gerne als Kulisse für einen Hitchcock-Film gedient. Die Fassade am Zerfallen, nicht ein Fenster beleuchtet. Verlassen und halb verrottet stand es in der Innenstadt. Jedenfalls kam es mir so vor. Es geht uns doch an den Kragen, sagte ich mir. Der Mann zog einen klimpernden Schlüsselbund aus der Hosentasche, der vage an den Schlüsselbund eines alten Geisterschlosses erinnerte. „Hereinspaziert!“, lächelte er gut gelaunt. Aber es klang eher wie „ab in die Gruft mit euch“. Wir folgten ihm durch die leerstehende Eingangshalle, die verlassene Krankenhausküche, jetzt Hostel-Gemeinschafts-Speiseraum, begleiteten ihn durch Gänge, Treppenhäuser und neue in die Höhe führende Treppenaufgänge. Nirgendwo Geräusche, Stimmen, menschliches Leben. Wir mussten die einzigen Gäste in diesem elenden Kasten sein. Er erzählte uns, er habe das Krankenhaus vor einem Jahr gekauft, um ein Hostel daraus zu machen. Wir schwiegen. Im dritten Stock hielt er schwer atmend vor Zimmer 37. „Das ist euer Zimmer“, sagte er, „gute Nacht. Bezahlen könnt ihr morgen.“ „Wenn es ein Morgen gibt“, sagte ich. Henry knuffte mich in die Seite. Beim Lichtanknipsen stoben eine Handvoll Kakerlaken aufgeschreckt davon und verkrochen sich in irgendwelchen Ritzen. Ein Stockbett, ein Stuhl, nichts sonst. Kein Tisch, kein Schrank, kein Marienbildnis, keines von Jesus und auch sonst kein Bild. Nirgendwo ein Nagel in der Wand. Von der Decke baumelte eine offenbar hundert Jahre alte Glühbirne, die mehr Dunkelheit als Licht spendete. Das Waschbecken hing ein wenig aus der Wand, wackelte. Wasser kam keines. „Wir sind tot“, sagte ich tonlos. „Mann, was für eine eklige Bruchbude“, knurrte Henry fassungslos. „Lass uns abhauen“, sagte ich, „am besten übers Dach, dann kriegt es keiner mit.“ Henry schnüffelte an den Betten. „Die sind okay“, meinte er, „morgen früh sind wir eh wieder weg.“ „Wenn wir morgen früh überhaupt noch da sind“, entgegnete ich, halb im Scherz, halb im Ernst. „Alles gut“,...


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