E-Book, Deutsch, 168 Seiten
ISBN: 978-3-7519-9272-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Klaus Zeh, Jahrgang 1965, ist Schriftsteller, Musiker und Liedermacher. Er lebt in Reutlingen. Der Autor hat sich schon seit Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit gegen die Veröffentlichung im herkömmlichen Verlagswesen entschieden. Ihm ist es ein großes Anliegen, seine künstlerische Unabhängigkeit, sowie die Rechte an seinen Werken zu behalten.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Take Five Die Hotelbar, im Halbdunkel. Die Schritte weich, vom Teppich abgefedert. Polstergeruch empfängt ihn. Ledernes Fluidum. Vermischt mit dem kalten Rauch der Zigaretten, die hier geraucht werden dürfen. Scharlachrote Cocktail-Sessel. Ausschweifende Sofas an den Wänden. Den halben Tag schon freut er sich auf seinen abendlichen Highland Single Malt Scotch. Jetzt will er ihn genießen. Ungestört. Das Abendritual. Die Belohnung. Die Besinnung. Nach all den Gesprächen in den Konferenzräumen, all dem Reden, der vielen Worte, den Zahlen. Die eifrigen, ehrgeizigen Gesichter. All das Werben, Informieren, Gewinnen wollen. All das Schleimen. Man kann es oft nur mit einem Scotch ertragen. Oder auch mit Zweien. Das weiß er von sich. An der Bar sind sämtliche Hocker noch unbesetzt. So hat er es sich gewünscht. So war es bis jetzt jeden Abend. Auch an den Tischen sitzen noch keine Gäste. Das ist gut so. Bis jetzt nur das sanfte Klirren von Gläsern und Flaschen, vom Barkeeper erzeugt. Das ist wirklich gut so. Seit drei Abenden steuert er sofort nach den Sitzungen in die Bar. Sitzt, trinkt schweigend. Von Zeit zu Zeit betrachtet er die Schwarz-Weiß-Fotografien der Jazz-Musiker an den auberginefarbenen Wänden und fragt sich, welche Art Leben sie wohl geführt haben. Das alles seien Jazzgrößen aus den 30er, 40er, 50er und 60er Jahren, hatte ihm der Barkeeper am ersten Abend erklärt. Er hatte kurz die Augenbrauen angehoben. Er setzt sich an seinen Lieblingsplatz, ganz ans Ende der Bar und grüßt den Barkeeper, der ihm bei seinem Eintreten den Rücken zugewandt hatte. Das Gleiche wie immer?, fragt der Mann hinter der Theke mit unbeweglicher, aber nicht unfreundlicher Miene. Er nickt und löst die Krawatte ein wenig. Verdammt, denkt er, welcher Vollidiot hatte sich nur dieses unförmige, ungemütliche, völlig unnütze Kleidungsstück ausgedacht – eine Krawatte. Und zu welchem Symbol hatte sie sich entwickelt. Er knöpft den Kragen auf. Endlich!, denkt er grimmig. Die Krawatte hindert ihn daran, wenn er wütend ist, einfach loszubrüllen. Das hat er schon oft bemerkt. Nach Losbrüllen ist ihm oft genug zumute. Nach Schreien. Nach Toben. Danach, etwas oder jemanden zu schlagen. Danach, alle Schleusen zu öffnen, alles herauszubrüllen. Unsagbar laut und gewaltig. Wie ein Eisenring legt sich der zugeknöpfte Hemdkragen um seinen Hals. Ein Sträflings-Kragen. Galeerensträfling, flüstert er grimmig vor sich hin. Die Krawatte schnürt ihm immer wieder die Luft ab. Mit dem Zeigefinger hinter den Hemdkragen zu fahren, sich Luft zu verschaffen, bringt meistens nur für einen kurzen Moment Linderung. Der lächelnde Barkeeper stellt behutsam den Whiskey vor ihn auf die Theke. Das Getränk reflektiert die Deckenlichter. Einige Sekunden lang beobachtet er nur die Lichtspiele auf der Oberfläche des Drinks. Nein, er nimmt noch keinen Schluck. Noch nicht. Er will bersten vor Ungeduld. Will es kaum noch aushalten können. So hat er auch Sex am liebsten, nach einer Ewigkeit der Erwartung. Wenn er welchen hat. Das ist jedoch schon eine ganze Weile her. Er weiß nicht einmal mehr, wie lange. Ihm ist selten danach. Eine Freundin hatte ihm einmal geraten, es mit Tantra zu versuchen. Von da an hat er sich nie wieder mit ihr getroffen. Ist hier noch frei?, fragt eine Stimme mitten in seine Erinnerung hinein. Erschrocken wendet er sich um. Natürlich, antwortet er brüsk, ohne den Mann angesehen zu haben. Sogleich ärgert er sich sichtlich über seine spontane Zusage. Er will alleine bleiben, seine Ruhe haben. Der etwas heruntergekommene Typ, der sich gerade nur zwei Barhocker entfernt neben ihn gesetzt hat, kann ihm gestohlen bleiben. Ich …, beginnt er. Entschuldigen Sie, kommt der Fremde ihm lächelnd zuvor, ich sitze ungern alleine, ich hoffe, es stört Sie nicht. Er zuckt nur mit den Schultern, entgegnet: Ich sitze sehr gerne alleine. Der Fremde lächelt und fragt verlegen: Ist der Pianist noch gar nicht aufgekreuzt? Seit drei Abenden sitze ich nun schon hier, einen Pianisten habe ich bisher noch nicht gesehen, antwortet er. Heute Abend soll hier Live Jazz gespielt werden, erklärt der Fremde, dort hinten am Klavier. Er schaut sich um, betrachtet im hinteren Bereich das Klavier auf der kleinen Bühne. Live Musik?, wiederholt er ein wenig abfällig, wenn es sein muss. Das ist großartig, entgegnet der Fremde lachend, sie werden sehen, nein, hören. Einer, der über seine eigenen Witze lacht, murmelt er leise vor sich hin. Der Fremde überhört das Flüstern und bestellt einen Cognac. Cognac, sagt er, das Gesöff meines Vaters. Er hat es literweise in sich hineingeschüttet. Mit Cola vermischt. Cola Schuss, nannte er das. In den letzten Jahren seines Lebens war es allerdings zunehmend mehr Schuss als Cola. Er grinst kühl und schaut sich den Mann genauer an. Der Typ ist bestimmt zehn Jahre älter, vielleicht fünfzehn. Schütteres Haar. Ungepflegte Erscheinung. Speckige Jeans, Turnschuhe, einfarbiges Hemd, hellgraue Stoffweste und ein dunkelgraues Jackett darüber. Wie ist der überhaupt hier hereingekommen? Draußen, vor der blank geputzten riesigen Fensterfront, ist die Dämmerung nun vollends in Nacht übergegangen. Wegen der gedämmten Beleuchtung in der Bar sieht man fast ohne störende Spiegelungen auf die Stadt hinunter. Ein wahres Lichtermeer, in alle Himmelsrichtungen. Die Skyline mit den Hochhäusern glitzert weit in den Nachthimmel hinaus. Beeindruckend, all diese Lichter, finden Sie nicht, sagt der Fremde. So ist das eben in einer Hotelbar im 18. Stock eines Hochhauses. Der Fremde nimmt einen Schluck aus seinem Cognacglas und schnalzt mit der Zunge. Haben Sie den Auflauf an Fans heute Abend vor dem Hotel bemerkt? War ja nicht zu übersehen, sagt er, vermutlich irgendein Schlagerstar. Er nippt verächtlich an seinem Glas. Ein Rap-Musiker, wirft der Fremde belehrend ein. Er mustert ihn fragend. Rap, Sie wissen schon, die Musikrichtung, erklärt der Fremde. Natürlich, was denken Sie denn. Entschuldigen Sie, tut mir leid, das war keineswegs persönlich gemeint. Überflüssig, sagt er, schwenkt den Scotch und nippt erneut, alles Plattitüden. Nicht alles, widerspricht der Fremde. Natürlich, entgegnet er, Großmäuler. Posaunen ihren Scheiß von Bandenkriegen und Bitches in die Welt, dieser ganze unnötige Ballast von Ehre, Kampf und Bestehen, billigen Huren oder ehrbaren Bräuten, die sie verehren wie ihre Mütter. Und gerade die verehrten Mütter sind es doch, die an den Taten ihrer Söhne leiden. Ehre, Stolz, Eigenliebe und Hass sind die Botschaften dieser Söhne. Rivalisierende Gangs, testosterongesteuerte Proleten und hirnlose Mädchen, deren ganzer Ehrgeiz es ist, die Pussy einer dieser Typen zu sein. Er nimmt einen Schluck. Ich denke, es ist die letzte große Bewegung mit der Kraft, viele zu vereinen – musikhistorisch gesehen, betont der Fremde. Musikhistorisch? Was sind Sie, Musiker? Nein, ich bin Musikjournalist, allerdings für Jazz. Na so was, bemerkt er, wie nebenbei. Wen vereinen sie denn, Ihre Rapper, das ganze Junggemüse, das vor lauter Langeweile und Aggression nicht weiß, wohin mit dem Frust. Unfähig, die eigene Perspektivlosigkeit zu töten. Ideenlos. Stattdessen singen sie vom Killen der Feinde. Also, wenn das Ihre letzte musikhistorische Bewegung von Bedeutung sein soll, dann packen Sie schon mal Ihren Koffer, schließt er, höhnisch grinsend. Ich denke, Sie haben es ein wenig vereinfacht dargestellt, denn …, beginnt der Fremde. Vereinfacht, unterbricht er ihn, Quatsch. Eine Bewegung, sagen Sie. Sollten Bewegungen nicht zu etwas Größerem als zu sich selbst führen? Diese Musiker mit ihren Plattenverträgen und dicken Konten sind doch nur die Dukaten-Esel der Plattenbosse. Der Fremde meint, sich räuspernd: Das Geschäft funktioniert nicht ganz so schwarzweiß wie Sie es darstellen, auch wenn es mitunter ganz schön schäbig ist, und ich denke auch, nicht alle Rap-Musiker passen in Ihre Schablone. Ach nein? Nein, entgegnet der Fremde, einige unter ihnen haben durchaus etwas zu sagen, und schielen nicht nur nach dem Geld. In ihren Texten machen sie den jungen Menschen Mut, sich dem Leben zu stellen, sich selbst und den eigenen Ängsten. Die Jugend braucht so etwas. Jugend braucht Vorbilder. Solche?, fragt er und blickt den Fremden herausfordernd an. Wenn es keine anderen gibt, sagt dieser achselzuckend, in der Regel werden alle später vernünftig und finden andere Wege ins Leben. Haben Sie das nicht auch. Bis auf diejenigen, die es tatsächlich ernst nehmen und keine anderen Wege suchen, entgegnet...