Zampouka | Sozrealismus erzählen und übersetzen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 21, 204 Seiten

Reihe: WeltLiteraturen / World LiteraturesISSN

Zampouka Sozrealismus erzählen und übersetzen

Von der Sowjetunion nach Griechenland und retour

E-Book, Deutsch, Band 21, 204 Seiten

Reihe: WeltLiteraturen / World LiteraturesISSN

ISBN: 978-3-11-102702-9
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der transnationalen Dimension der Kanonisierung von Literatur im Rahmen der griechisch-sowjetischen Literaturbeziehungen. Teil der sowjetischen ideologischen Expansion war auch ein Konzept von Weltliteratur, mithilfe dessen ein normatives ästhetisches Programm exportiert und eine ‚Internationale des Geistes‘ etabliert werden sollte. Die Arbeit betrachtet die Übersetzung und Publikation neugriechischer Literatur in der Sowjetunion als Unterprojekt des sowjetischen Kultur- und Weltliteraturprojekts und erkundet anhand dieses literarhistorischen Fallbeispiels dessen Wege und Realisierungsstrategien. Den Forschungsgegenstand der Arbeit bilden Rezeption, Übersetzung, Publikation und Präsentation neugriechischer Literatur in der Sowjetunion in Hinblick auf narrative Strategien, Übersetzungspraktiken und Vermittlungsaktivitäten. Die Arbeit, die sowohl eine narratologische als auch eine literaturpragmatische Dimension von Kanonisierung in den Blick nimmt und sich weitgehend auf unveröffentlichtes Archivmaterial stützt, stellt die erste systematische komparatistische Untersuchung des bis dato unkartierten Bereichs der griechisch-sowjetischen Literatur- und Übersetzungsgeschichte dar.
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1 Peritexte und Epitexte: Das Instrumentarium der sowjetischen Literaturvermittlung
1.1 Neugriechische Literatur im Rahmen des sowjetischen Übersetzungsprojekts
Im vorrevolutionären Russland des zwanzigsten Jahrhunderts wird vereinzeltes Interesse an der Vermittlung neugriechischer Literatur festgestellt,17 es existiert dennoch keine sich im Verlagswesen dieser Zeit widerspiegelnde systematische Auseinandersetzung, was sich auch in der frühen Sowjetzeit nicht ändert.18 Gleich nach der Oktoberrevolution beginnt in der bereits errichteten Sowjetunion ein groß angelegtes Konkurrenzprojekt zur Etablierung von Weltliteratur. Das ambitionierte riesige Verlagsprojekt Vsemirnaja Literatura (1918–1924) verkörpert Gor’kijs sowohl romantische als auch ideologisch motivierte Vision von Weltliteratur, die einen Moment des Revolutionären in die Auffassung von Weltliteratur einbringt (Khotimsky 2013, 137). Die Übersetzung neugriechischer Literatur wird in Form einer Absichtserklärung im Publikationskatalog des Verlags deklariert,19 hat jedoch im Gegensatz zur Literatur aus Ländern mit langer Übersetzungstradition (wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland) in Russland niedrige Priorität und wird während der kurzen Lebenszeit des Verlags nicht realisiert. Die Geschichte der russischen Übersetzungen neugriechischer Literatur in der UdSSR beginnt mit der griechischen Teilnahme am 1. Allunionskongress der sowjetischen Schriftsteller im Jahr 1934. In der Eröffnungsrede Gor’kijs findet sich eine ideologisch aufgefasste Vorstellung von Weltliteratur wieder: „Die bisher verstreute Literatur aller unserer Völkerschaften zeigt sich im Angesicht des revolutionären Proletariats aller Länder und der mit uns befreundeten revolutionären Literaten als einheitliches Ganzes“ (Gor’kij 1934, 1). Als revolutionäre Aspekte werden in den Werken etablierter klassischer Weltliteratur Konflikte oder Brüche mit dem herrschenden Establishment auf der thematischen Ebene verstanden. Diese dienen jeweils als Selektionskriterium und ideologische Rechtfertigung für deren Übersetzung (Khotimsky 2013, 146?f.) und somit auch deren Annahme als legitime Literaturtradition. Im Rahmen des 1. Allunionskongresses wird das revolutionäre Element in Form des sozialistischen Realismus, der die Wirklichkeit „in ihrer revolutionären Entwicklung“20 abbilden soll, als literarische Darstellungsart gefestigt und damit zum definitorischen Faktor der Etablierung einer zukünftigen proletarischen Weltliteratur gemacht. Griechenland wird im Allunionskongress durch den Philosophen und Pädagogen Dimitris Glinos und den Dichter Kostas Varnalis vertreten. Glinos verkündet in seiner Rede die Bereitschaft des „kleinen“ Griechenlands nicht als „Erbe der antiken Zivilisation, die durch das Porträt eines seiner klassischen Schriftsteller im Konferenzsaal vertreten wird“, sondern als Land, in dem „auch ein Kampf […] für die gemeinsame Sache geführt wird“ (1934, 644) an der Erschaffung der neuen sozialistischen Literatur zu partizipieren. Eine „engere Zusammenarbeit“ und „tiefere Kenntnis der Erfolge der proletarischen Literatur und des sozialistischen Aufbaus“ soll ihm zufolge das Ergebnis der griechischen Teilnahme am Allunionskongress der Sowjetschriftsteller sein (ebd.). Varnalis wird von Glinos in seiner Rede als der namhafteste revolutionäre Dichter Griechenlands vorgestellt. Die zwei Werke von Varnalis, die Glinos nennt – Die wahre Apologie des Sokrates (1931) und Das brennende Licht (1922) – sind auch die ersten beiden neugriechischen Literaturwerke, die jeweils 1935 und 1938 in russischer Übersetzung erscheinen. Das Bild der nur sporadisch erscheinenden neugriechischen Werke ändert sich in der Nachkriegszeit grundlegend. Insbesondere seit den späten fünfziger Jahren nimmt die Übersetzung und Publikation neugriechischer Literatur durch jährliche Veröffentlichungen einen systematischen Charakter an. Die dazu beitragenden Faktoren sind unmittelbar mit dem historischen und politisch-ideologischen Zusammenhang beider nationaler Kontexte verbunden: die erhöhte Popularität der linken Bewegungen nach dem griechischen Bürgerkrieg (1946–1949), das erneute Interesse der Sowjetunion an internationaler Literatur während des Kalten Krieges (Khotimsky 2013, 139?f.), die allmähliche Institutionalisierung des Studiums der neugriechischen Sprache und Literatur in der Sowjetunion (vgl. Gialamas 2007, 375?f.) und in großem Maße die publizistische Tätigkeit der griechischen Politemigranten, die nach Ende des Bürgerkriegs in der Sowjetunion Zuflucht finden und die Verbreitung der neugriechischen Literatur in Moskau vorantreiben. Aufgrund ihrer besonderen Zwischenstellung spielen die Autoren der Politemigration eine doppelte Rolle in den literarischen Beziehungen zwischen Griechenland und der Sowjetunion, indem sie einen zusätzlichen ideologischen Kanal darstellen, durch den sowohl die griechische Rezeption russischer Literatur (vgl. Ioannidou 2005) als auch die Einführung neugriechischer Literatur in die UdSSR fließt. Fasst man die sowjetische Übersetzungsproduktion neugriechischer Literatur auf Grundlage der Periodisierung des sozialistisch-realistischen Kanons innerhalb des sowjetischen Literaturfeldes bzw. des Zielkontextes zusammen, werden einige Werke während der Kanonisierungsphase (in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre) und der Phase der Praktizierung des Kanons (bis etwa zu Stalins Tod 1953) veröffentlicht, wohingegen die überwältigende Mehrheit der Publikationen neugriechischer Literatur vorwiegend während der Phase der Entkanonisierung (1953 bis Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre) und der postkanonischen Phase (seit Anfang der siebziger Jahre) erfolgt (vgl. Günther 1987). Beinahe alle Lebensphasen des Kanons, der durch das jeweilige Zusammenwirken mehrerer Diskursebenen – der allgemeinen politisch-ideologischen, der literaturpolitischen, der literaturkritischen und der eigentlichen literarischen – geprägt wird (ebd., 138?f.), zeichnen sich durch kürzere und längere Perioden der Verengung und der Öffnung, durch Momente der Verschlossenheit und Verschärfung sowie Momente der Lockerung und Erweiterung aus. Dennoch sind die ersten zwei Phasen der Einführung, Ausarbeitung und anschließend Praktizierung des Kanons als ‚künstlerische Methode‘ eng mit der Herrschaft Stalins verbunden und so im Grunde von strikter Verbindlichkeit und Obligatorik in Bezug auf die Anwendung des Kanons charakterisiert. Die Entkanonisierungsphase, die von besonderem Interesse bezüglich der Übersetzungen neugriechischer Literatur ist, kennzeichnet sich hingegen, trotz abwechselnder Perioden der Auflockerung und Verhärtung, durch eine deutliche Öffnungstendenz, die sich in einer zunehmenden Diskrepanz zwischen den (auf der institutionellen und literaturkritischen Ebene aufbewahrten) kanonischen Postulaten und der literarischen Praxis manifestiert, und die zur Degeneration und – vorwiegend in der postkanonischen Phase – zum Verlust der Legitimation des Kanon führt (vgl. Günther 1988). In der Tauwetter-Zeit treten das Postulat der Parteilichkeit und die Gewichtung auf das sozial-kollektive Handeln teilweise zurück, während Konflikte individueller und ethischer Natur, Elemente der Systemkritik und Aufarbeitung der Vergangenheit sowie ein unscharfes inkludierendes Humanismus-Narrativ vermehrt in den Vordergrund treten und – wie im Weiteren zu sehen sein wird – sowohl auf die griechische linke Literaturproduktion als auch auf die Selektionsmechanismen der zu übersetzenden neugriechischen Literatur wirken. Ab Mitte der fünfziger Jahre bis zur Auflösung der Sowjetunion sind Rezeption, Übersetzung und Präsentation neugriechischer Literatur in der sowjetischen Literaturlandschaft hauptsächlich auf drei Gruppen von Akteuren zurückzuführen: Griechische Politemigranten in der UdSSR: In dieser Gruppe figurieren vor allem der Dichter Petros Antaios (1920–2002), der Philologe und Russist Giannis Motsios (geb. 1930) und der Theaterwissenschaftler Dimitris Spathis (1925–2014). Alle drei sind während der deutschen Besatzung und des griechischen Bürgerkriegs auf der Seite der von der Kommunistischen Partei Griechenlands (Kommounistiko Komma Ellados, KKE) im Jahr 1941 gegründeten Nationalen Befreiungsfront (Ethniko Apeleutherotiko Metopo, EAM) am Widerstand beteiligt und haben während der Emigration an Hochschulen der Sowjetunion studiert.21 Vorwiegend in der Zeitspanne 1957–1970 tritt diese Gruppe wiederholt und abwechselnd in der Rolle des Übersetzers, Herausgebers und Verfassers von Peritexten im Kontext der Publikationen neugriechischer Literatur auf. Sowjetische Philologen-Neohellenisten und professionelle Übersetzer: Die zentrale Figur im Bereich der Einführung, Publikation und Präsentation neugriechischer Literatur in der Sowjetunion ist seit den sechziger Jahren und bis zur postsowjetischen Zeit die Absolventin der Philologischen Fakultät der Lomonossow-Universität Moskau Sof’ja Il’inskaja (auch als Sonja Il’inskaja bekannt, geb. 1938).22 Über 45 Jahre fungiert Il’inskaja als Herausgeberin und Übersetzerin eines wesentlichen Teils der auf russisch erschienenen neugriechischen Lyrik und Prosa sowie als Autorin kritischer Aufsätze und Monographien zur...


Niovi Zampouka, Humboldt-Universität zu Berlin.


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