Zach | Donaumelodien - Praterblut | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 1, 256 Seiten

Reihe: Geisterfotograf Hieronymus Holstein

Zach Donaumelodien - Praterblut

Historischer Kriminalroman

E-Book, Deutsch, Band 1, 256 Seiten

Reihe: Geisterfotograf Hieronymus Holstein

ISBN: 978-3-8392-6372-3
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Wien, 1876. Als dem Geisterfotografen Hieronymus Holstein der Mord an drei jungen Frauen untergeschoben wird, hat dieser nur sieben Tage Zeit, um seine Unschuld zu beweisen. Gemeinsam mit seinem Freund, den alle nur den „buckligen Franz“ nennen, nimmt er die Nachforschungen auf. Die Suche nach einer ominösen Frau, deren Bekanntschaft Hieronymus am Abend des ersten Mordes gemacht hatte, führt ihn durch alle Wiener Gesellschaftsschichten, während sich die Schlinge um seinen Hals enger und enger zieht …
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V
An der Ecke eines zweistöckigen Hauses in der Spittelberggasse setzte ein großer steinerner Löwe zum Sprung an. Er war der Namenspatron des Gasthauses darin, das gemeinhin nur das »Löberl« genannt wurde. Es galt als eines der verruchtesten Sauf- und Raubnester von ganz Wien, wo täglich Musikanten aufspielten und der Wirt kecke Mädchen dazu anhielt, die Gäste mit Tanz und frivolen Liebkosungen auf jede nur erdenkliche Art und Weise um ihr hart verdientes Geld zu prellen. An diesem Vormittag war davon allerdings nichts zu bemerken. Denn in der Gasse, wo sonst der eine oder andere Tschecherant seinen Rausch vom Vortag ausschlief, hatten sich gut zwei Dutzend Menschen zusammengerottet, die im Flüsterton Vermutungen und Verleumdungen austauschten. Immer wieder blickten sie zu dem zersplitterten Fenster im zweiten Stock hoch oder zu dem maroden Holzgerüst darunter, und auch sonst ließen sie keine Gelegenheit aus, einen sensationslüsternen Blick ins Innere der Wirtsstube zu erhaschen. Zwei Männer der Sicherheitswache standen breitbeinig vor dem Tor des Gasthauses »Zum weißen Löwen«. Sie wirkten in ihren dunkelgrünen Waffenröcken, die pompadourrot eingefasst waren, ernst und streng, die linke Hand auf den Knauf des Säbels gestützt, der an einer ledernen Kuppel an der Seite des Rocks hing. Ihre alleinige Aufgabe bestand darin, zu verhindern, dass sich niemand unbefugt Zutritt verschaffen konnte. Ein dicklicher Mann mit struppigem Backenbart bahnte sich seinen Weg durch die Schaulustigen. Gekleidet in einen abgetragenen Frack trug er einen Zylinder auf dem Kopf. Hieronymus hatte sich, wie ihm Franz attestiert hatte, äußerst gekonnt verkleidet. Stark genug, um nicht erkannt zu werden, aber nicht so stark, dass er alle Blicke auf sich zog. »Was soll denn der Batzen Bahö?«, fragte Hieronymus eine verlebt aussehende ältere Frau, die den Blick nicht von dem Fenster lassen konnte, durch das er selbst erst vor wenigen Stunden getürmt war. »Ein arglistiger Mordbub ist da in der Nacht rausgesprungen, nachdem er so ein armes Tschopperl in Stücke gehauen hat. Jung soll sie gewesen sein, und hübsch obendrein.« Sie schüttelte traurig den Kopf. »Zerhackt … Wissen S’, einfach so.« Sie ahmte mit der Hand ein Hackbeil nach. »Grauslich«, ereiferte sich die Frau weiter. »So eine Bestie. Wer weiß, an welchem hübschen armen Dirndl er sich als Nächstes vergeht.« »Keine Sorge. So, wie du ausschaust, fällst nicht in sein Beuteschema«, konstatierte der Mann neben ihr trocken. Der Frau blieb vor Empörung der Mund offen. »Das ist ja wohl die Höhe!«, keifte sie zurück. Dann machte sie auf der Stelle kehrt und eilte davon. »Hab ich nicht recht?«, polterte der Mann Hieronymus an. Sein Atem stank beißend nach Fusel, trotzdem nahm er einen Schluck aus seinem Flachmann. Der nickte nur knapp, da er kein Aufsehen erregen wollte, und wandte sich an den Mann vor ihm, der ob seines gepflegten Äußeren einen höheren Stand zu bekleiden schien. »Hat jemand den Mörder erkannt?« »Was man bisher gehört hat, nicht.« Der Mann deutete auf das Holzgerüst und den durchgebrochenen Boden. »Aber wenn das da nicht hier gestanden hätte, dann bräuchte man ihn jetzt nicht zu suchen. Der wär mit dem Kopf auf den Pflastersteinen aufgeschlagen wie ein Ei, und das wär es gewesen.« Hieronymus lief bei dem Gedanken daran ein Schauer über den Rücken. Er drängte sich nach vorn, bis er vor den beiden Männern der Sicherheitswache stand. »’tschuldigen S’, wann sperrt denn das ›Löberl‹ heute auf?« Der linke Wachmann sah Hieronymus erst prüfend an, dann lächelte er freundlich. »Das ist leider unsere Schuld, dass es noch geschlossen ist. Die Kollegen haben sich vertratscht, wissen S’? Aber wenn S’ wollen, dann frag ich gleich nach, wann der Wirt wieder seinen gepantschten Fusel ausschenkt.« Natürlich war Hieronymus klar, dass sich der Wachmann gerade einen Spaß auf seine Kosten erlaubte, aber er würde eben mitspielen. »Danke, das wäre urfreundlich von Ihnen«, entgegnete er mit dreistem Grinsen. Die anderen Schaulustigen lachten teils hell auf. Die andere Wache zog am Knauf ihres kurzen gebogenen Säbels, dass er sich ein Stück weit aus der ledernen Scheide hob. »Aber jetzt ganz schnell wiederschaun, haben S’ gehört?« Hieronymus wandte sich ab und begab sich wieder in die Menge der Schaulustigen. Langsam dämmerte ihm, in was er da hineingeraten war. Zeit, die Sache zu verarbeiten und darüber zu sinnieren, was das alles zu bedeuten hatte, hatte er allerdings noch nicht gehabt. Mit seiner Flucht hatte er instinktiv reagiert und sich heute direkt ins Getümmel gestürzt. Die Zeit der Besinnung würde kommen, das wusste Hieronymus, sie musste sogar kommen, aber zuvor wollte er zumindest eine seiner Fragen beantwortet wissen. Nur, hier war nicht der Ort dafür, das spürte er überdeutlich. Was konnte er also tun? Schlagartig erkannte Hieronymus, dass er gerade im Begriff war, das Pferd sprichwörtlich von hinten aufzuzäumen. Nicht das Ende des Abends galt es zu erkunden und auszuloten, sondern seinen Beginn. Denn alles, was geschehen war, führte schließlich in das Haus »Zum weißen Löwen«. Zielstrebig schritt er die Gasse bergab, durch die er letzte Nacht noch verfolgt worden war, und nahm sich jene Lokalität als Ziel, von der alles seinen schicksalhaften Ausgang genommen hatte. Das Café Central, gelegen an der Ecke Herrengasse und Strauchgasse, war erst in diesem Jahr von den Gebrüdern Pach feierlich eröffnet worden. Geplant von Architekt Heinrich von Ferstel, wirkte das hohe zweistöckige Gebäude, das auch die »k.k. privilegierte Nationalbank« beherbergte, wie eine Mischung aus königlichem Herrschaftssitz und steinerner Trutzburg. Repräsentativ war es allemal. Hieronymus prüfte kurz, ob sein falscher Backenbart noch dort klebte, wo er sollte, dann öffnete er die zweiflügelige Tür des Cafés und trat in die prunkvolle Säulenhalle, über der ein imposantes Kreuzgewölbe thronte. Eine allgegenwärtige und sich doch immer verändernde Geräuschkulisse aus Gesprächen, Gelächter und dem Geschepper von Porzellan empfing ihn, Tabakschwaden und aromatischer Kaffeegeruch durchzogen die Luft und regten den Appetit an. Hieronymus ging zu dem kleinen Tisch im Eck, an dem er auch gestern gesessen hatte, und nahm Platz. Er bestellte beim Ober, der die Nase höher zu tragen schien als seinen pomadisierten Scheitel, eine Melange und dazu einen Apfelstrudel. Schließlich atmete er tief durch. Ja, hier hatte er gesessen. Hatte den Tag Revue passieren lassen. Hatte sich ein wenig darüber geärgert, dass er keinen neuen Kunden hatte gewinnen können, der entweder ein gewöhnliches Porträt haben wollte oder aber Hieronymus mit jener speziellen Anfertigung beauftragte, von der dessen Schindelwagen so farbenfroh kündete: das bildhafte Ablichten von Kunden und möglichen geisterhaften Seelen, die ja allgegenwärtig waren. Am Standort konnte es jedenfalls nicht liegen, da war sich Hieronymus sicher, denn er und Franz hatten sich vor das »Aquarium« gestellt, vor dem die lang gezogene und stark frequentierte Hauptallee des Praters verlief. Hieronymus sah sich in dem Kaffeehaus um und fühlte sich zutiefst an den gestrigen Abend zurückerinnert. Mit einem Mal bemächtigte sich seiner eine eigenartige Ahnung, eine Irritation seines Zeitempfindens, als würde er zwischen gestern und dem Heute hin- und herspringen. Als wäre in der Zwischenzeit nichts geschehen, nur der Wechsel von Tag zu Nacht und umgekehrt. Hieronymus trat der Schweiß auf die Stirn. Ihm war, als säße er im Führerhaus einer Lokomotive, die unter vollem Dampf auf das Ende des Gleiskörpers zuraste, der direkt in eine Schlucht führte – und er war unfähig, die Bremsen zu betätigen. »Bittschön, der Herr.« Die Worte des Obers und das Scheppern des Geschirrs auf dem silbernen Tablett, das dieser unsanft auf der steinernen Tischplatte abstellte, rissen Hieronymus wieder in die Wirklichkeit zurück. Er nickte höflich. Dann trank er einen großen Schluck des Milchkaffees und schob sich ein Stück Apfelstrudel in den Mund. Er schloss die Augen, genoss den säuerlichen Geschmack der Äpfel, der mit süßem Zimt gepaart war, und aß dann gierig den Rest. So gestärkt blickte er zum Nebentisch, wo zwei Herren mit weißen Hemden und Gehrock saßen und über scheinbar wichtige Dinge konferierten. Gestern war das anders. Gestern saß da jene Dame, die ihm erst keck zugelächelt hatte und sich danach, auf Hieronymus’ höfliche Einladung hin, zu ihm begeben hatte. Maria hatte sie geheißen. Maria und noch etwas … Ihr Nachname wollte Hieronymus partout nicht in den Sinn kommen. Er versuchte sich zu erinnern, was dann geschehen war, und schmunzelte unwillkürlich, als Maria vor seinem geistigen Auge auf einmal neben ihm saß und ihn anlächelte. Sie war von dem lieblichen, blumigen Duft ihres Parfüms umgeben, das in Hieronymus das Gefühl von Vertrautheit weckte und in ihm das Verlangen aufkommen ließ, sie in den Arm zu nehmen und an sich zu drücken, auch wenn sich das nicht geziemte. Daher hatte er den Ober hergewunken und zwei Achterl Weiß bestellt. Und zwei weitere, da die ersten beiden so schnell getrunken waren. Dann waren sie aufgebrochen. Hieronymus nippte den letzten Schluck Kaffee, legte neunzig Kronen auf den Tisch und verließ das Café Central. Vor dem Kaffeehaus hatten er und Maria den nächstbesten freien Fiaker genommen, waren sich im Wageninneren sittlich gegenübergesessen und schließlich an ihrem Ziel...


Zach, Bastian
Bastian Zach wurde 1973 in Leoben geboren und verbrachte seine Jugend in Salzburg. Das Studium an der Graphischen zog ihn nach Wien, als selbstständiger Schriftsteller und Drehbuchautor lebt und arbeitet er seither in der Hauptstadt. Die Liebe zu historischen Geschichten, die in seiner Wahlheimat Wien an jeder Ecke lauern, inspirierte ihn zu seinem Kriminalroman-Debüt.


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