E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Wüst Mein Sturz in den Abgrund
4. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7412-3088-2
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
... und wie ich auf wundersame Weise zur Leichtigkeit fand
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-7412-3088-2
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Mitten in meiner unbeschwertesten und erfolgreichsten Lebensphase traf ich eine fatale Entscheidung, deren Folgen mich in eine tiefe Krise zwangen. Die Folge war mein kompletter Ruin, nicht nur finanziell, sondern auch psychisch. Und doch war das nicht mein endgültiges Scheitern, denn mein Leben nahm eine wundersame Wendung. Der zersetzende Teufelskreis aus Angst, Hoffnungslosigkeit und Depression fand ein Ende. Ich erfuhr eine vollkommen neue Lebensqualität. Meine beglückende Erkenntnis daraus ist, dass Spiritualität ohne jede Weltfremdheit im Alltag integrierbar ist.
Wolfgang Wüst wurde 1944 in einem Schwarzwalddorf geboren. Nach der Schule erlernte er zunächst einen Handwerksberuf, bevor er über den sog. Zweiten Bildungsweg ein Fachhochschul- und Universitätsstudium absolvierte und als Dipl.-Kaufmann, Fachrichtung Marketing, an der TU Berlin abschloss. Nach erfolgreicher Zeit in der Wirtschaft gründete er ein Unternehmen und verlor in der Folge nahezu alles, was er besaß - nicht nur materiell, sondern auch - fast - sein Leben. Erst die Lebensphase danach eröffnete ihm ein Dasein voller innerem Frieden und Leichtigkeit und erkennt im Rückblick sein Schicksal als großes Glück.
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TEIL 2: Wie ich der Hölle entkam.
I. Fluchten und Wunder
Tränen zu einer Heiligen Instanz geweint brauchen nicht andächtige Zeremonien, um erhört zu werden. • Asphalt-Therapie Anfangs schämte ich mich wegen meiner neuen Tätigkeit. Ich, der es gewohnt war, mit Anzug und Krawatte vom Management, dem Chef, Bürgermeister oder Stadtkämmerer nach Terminvereinbarung empfangen zu werden, kam jetzt mit ausgebeulten abgewetzten Klamotten am Lieferanteneingang an, wo mich ganz andere Begrüßungen erwarteten: „Was willst?“, ist dort die Standardbegrüßung (natürlich gibt es auch freundlichere). Aber der Kurierjob hatte auch sein Gutes. Während der täglichen Touren konnte ich meinem inneren Drama freien Lauf lassen, schimpfen und zetern, über alles und alle: Die, die mir vermeintlich das alles eingebrockt hatten, über Gott, mir ein solches Schicksal aufzubürden, und verzweifelt und voller Vorwürfe mir selbst gegenüber ob meines eigenen „Versagens“. Im engen städtischen Verkehrsgetümmel wären solche Ausbrüche im Auto natürlich nicht angebracht gewesen. Schon allein deshalb fühlte ich Erleichterung, wenn ich mit einem entsprechenden Auftrag in der Tasche auf der Autobahn allem davon brausen konnte. Dann konnte ich ungestört dem inneren Toben nachgeben und für eine Weile Druck ablassen. Und dabei verdiente ich auch noch Geld, war es auch noch so bescheiden. Auf den Liefertouren hatte ich oft viel Zeit! Manchmal fuhr ich nach Nordengland, mal nach Salzgitter, Graz, Bremen, Turin oder Paris. Die langen Trips waren Therapie für mich. Dann war das Auto meine Psychocouch und meinen Minitransporter verwandelte ich in einen mobilen Tempel. Zumindest versuchte ich es, indem ich mir hoffend vorstellte, irgendein allwissendes mitfühlendes Wesen möge so gnädig sein und neben mir sitzen und Zwiesprache mit mir halten, oder wenigstens meine Hand. Ich strandete an unzähligen Autobahnraststätten. Ihr spezielles Merkmal ist ihre Anonymität. Ohne befürchten zu müssen, man könnte mir den abgestürzten und zerrupften Adler ansehen, als den ich mich fühlte, konnte ich innehalten, die einsamen Ritte über die endlosen Asphaltbahnen unterbrechen und mich den schwer erträglichen Tatsachen stellen, die mich herumjagten oder bei einer Tasse Kaffee vor ihnen wegtauchen. Bei welcher Arbeit wäre das sonst möglich gewesen? Insofern war das Kurierfahren nicht der schlechteste Job in meiner damaligen Lage. Autobahnraststätten sind soziale Kurzzeitbrennpunkte. Ununterbrochen haben dort spontane Szenen ihren Auftritt. Mal skurril, wenn zwischen den LKWs Eier gekocht oder Kebabs gebraten werden. Mal verstörend wegen der sichtbaren Einsamkeit oder der traurig und erschöpft dreinschauenden Fernfahrer, zumal ich mich nicht ganz unbegründet als Schicksalsgenosse fühlen musste. Allein schon deshalb konnte ich mir die Beobachtung nicht ersparen, wie ganze Heerscharen von Fernfahrern tagtäglich einem zermürbenden Überlebenskampf ausgeliefert sind, abzulesen an ihren zerfurchten, aschfahlen und ausdruckslosen Gesichtern. Wie oft kam ich mitten in der Nacht nach Hause, auch mal erst nach zwei, drei Tagen mit ein paar tausend Kilometern im Rücken, zu erschöpft, um nicht einschlafen zu können und das war gut so, denn die quälend schlaflosen Nächte hatte ich so dick. In meiner damaligen Situation konnte ich einfach nicht anders als quasi zu beschließen, daß mir Gott auch bei lärmenden 140 km/h beisteht, auch wenn ich vor Verzweiflung wütend und laut werde oder wenn es nach Schweinshaxe und Ketschup und kalter Zigarettenasche muffelt. In diesen langen Jahren „Asphalttherapie“ erschloss sich mir etwas ganz entscheidendes: Auch wenn man schreit und weint, man vor Verzweiflung die Würde zu verlieren meint, Tränen zu einer Heiligen Instanz geweint brauchen nicht andächtige Zeremonien, um erhört zu werden. • Befreit und doch gefangen Ich plagte mich noch eine gefühlte Ewigkeit in der Lichtlosigkeit herum, doch dann geschah etwas, das mich tatsächlich an Wunder glauben ließ: Meine kompletten Schulden konnten 2001 aufgelöst werden durch einen Vergleich im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, das durch die unfassbar großzügige Hilfe meiner Familie und von Freunden zustande kommen konnte. Ich werde später detaillierter darauf eingehen. Den dunklen Tunnel hinter mir zu wissen – Perspektiven der Befreiung und Erlösung, die für mich nach nicht enden wollenden langen dunklen Jahren wie in einer unerreichbaren Traumwelt verborgen schienen, wurde Wirklichkeit. Natürlich war die Erleichterung erst einmal gewaltig. Ganze Berge von Lasten fielen von meinen Schultern. Ich fühlte mich wie der Sintflut entkommen. Doch Freudengesänge, Bocksprünge vor Begeisterung oder ausgelassenes Feiern gab es nicht. Mir war nicht nach Champagner. Da mussten wohl noch seelische Narben verheilen und ein solcher Heilprozess kann manchmal länger dauern als bei einer Operationsnarbe. Die schmerzhafte Vergangenheit war nicht so schnell aus der Welt zu schaffen. Ich fühlte mich immer noch voller Schuld, voller Ängste und trotz dieses überaus positiven Resultats noch oft genug tief deprimiert. Ersparnisse hatte ich keine mehr. Null, nichts. Ich lebte nur noch von Tag zu Tag. Erneut gab es Zeiten, in denen nicht genug Geld übrig blieb. Der Kurierjob gab es nicht immer her. Wieder fühlte ich mich in einem Zustand des Ausgeliefert-Seins. Hinnehmen zu müssen, dass der Kampf noch nicht überstanden ist, machte mich manchmal fast wahnsinnig. Immer noch hatte ich mit runterziehenden bleischweren Stimmungen zu kämpfen: Bringt das Kurierfahren auf Dauer doch zu wenig Geld ein? Geht der ganze Wahnsinn wieder von vorne los? Ist ein Leben am Abgrund mein Schicksal? Werde ich jemals wieder frei atmen können, wieder so etwas wie Freude, Leichtigkeit erleben? Gedanken wie diese klebten an mir wie Pech und Schwefel. Tatsächlich fühlte ich mich manchmal wie geteert und gefedert. Kam ich mir vor wie im sprichwörtlichen Kampf gegen Windmühlenflügel. Gleichzeitig fühlte ich mich undankbar, hatte ich doch so viel Hilfe erhalten und schon so viel Hässliches überwunden. Und doch kam ich nicht an gegen diese Angstmacher, die mir einreden wollten: Das hört nie auf! Das ist dein Leben! Das hast du dir selbst so eingebrockt! Du hast zu viel gewollt. Das stand dir nicht zu. Nun hast du den Salat. Und so fort. Von dem so sehnlich erhofften befreiten, wieder leichteren Lebensgefühl, das schon zum Greifen nahe war nach der Auflösung meiner Schulden, war ich noch weit entfernt. Fragen quälten mich und ich hatte die Antworten einfach nicht und das Wort Schicksal machte mir Angst. Dieser Zustand des Gerade-noch-Überlebens hielt noch Jahre an. An einem Oktobertag 2003 hatte ich wieder einmal reichlich genug und schrieb in mein Tagebuch, halb für mich selbst aber auch hoffend, ein höheres Irgendwas würde einen Funken davon mitbekommen: “Ich habe die Nase voll davon, wie unendlich zäh, zeitlupenartig langsam sich mein Leben bewegt. Habe das ewige Warten auf bessere Zeiten, auf Erfüllung von Wünschen, auf unerfüllte Hoffnungen satt. Mein vergebliches Hinwenden an eine irgendwie geartete Hohe Kraft, sie möge doch mit einer Lösung in mein verkorkstes Leben fahren, endet von mal zu mal in frustrierender Enttäuschung. `Die Angst hat dich im Würgegriff, gegen die kommst du nicht an`, durchfährt es mich. Dies ist nicht die Angst, die du so nebenher entlarvst und sogleich wie ein Unkraut samt Wurzel ausreißt. Sie ist eine, die sich wie ein zäher Nebel über alles legt und lähmt, was es für eine Wende bräuchte: Energie, Disziplin, Klarheit, Mut, Unterscheidungsvermögen, Courage, Power, Begeisterungsfähigkeit, Kreativität. Dass mir diese lebenswichtigen Eigenschaften abgehen, macht mich ganz fertig. Der Kampf gegen die übermächtigen „Dämonen“, die immer noch mehr aus mir herausquetschen wollen, wo doch schon lange nichts mehr da ist, wieso geht der immer noch weiter? Ich laufe schon wieder auf ein finanzielles Chaos zu. Das Ende der Tortur ist wieder einmal nicht abzusehen “. Ich habe unfassbar viel Unterstützung bekommen. Am Ende einer unerträglichen Leidenstour stand der Vergleich, der nachhaltig genug war, um einem neuen Leben ein Fundament zu bauen. Keine Mahnungen, keine Zahlungsbefehle, keine unverschämten Anwaltsdrohungen, keine Gerichtsvollzieher mehr. Dieses säuerliche Drücken in der Magengegend, kaum dass ich mich dem Briefkasten nur nähere, könnte endgültig der Vergangenheit angehören. Alles wäre angerichtet gewesen für die große Befreiung – der zweiten in meinem Leben - wenn ich nur hätte können. Frust blieb, und das löste Folgefrust aus. Wer erlebt hat, in solchem Sumpf zu stecken, kennt das: Das Drama erweist sich oft zuerst als lästiger Quälgeist und und wenn man nicht sehr aufpasst, zementiert es sich...