Wroblewski Die Geschichte des Edgar Sawtelle
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-641-03720-8
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Roman
E-Book, Deutsch, 704 Seiten
ISBN: 978-3-641-03720-8
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Die Nummer 1 aus den USA!
Immer schon hat Edgar eine besonders enge Beziehung zu den Hunden gehabt, die seine Eltern auf ihrer Farm züchten. Nun ist er auf die Hilfe der Tiere angewiesen, als er eines Tages gezwungen ist, zu fliehen - vor seinem finsteren Onkel Claude. Edgar ist überzeugt davon, dass Claude seinen Vater ermordet hat ...
Eine mitreißende Familiengeschichte und ein Abenteuerroman, der den dramatischen Kampf eines Jungen ums Überleben in der Wildnis vor einer atemberaubenden Landschaftskulisse schildert.
Edgar wächst auf einer abgelegenen Farm in Wisconsin auf, wo seine Eltern Gar und Trudy eine Hundezucht betreiben. Den hochsensiblen 14-Jährigen, der stumm zur Welt kam, verbindet eine enge Freundschaft mit den Tieren; die Hündin Almondine, seine treueste Kameradin, versteht sogar seine Zeichensprache. Eines Tages jedoch hat der Frieden ein Ende: Edgars Onkel Claude taucht auf und gerät wegen Erbstreitigkeiten mit Gar aneinander. Kurz darauf kommt Gar auf mysteriöse Weise ums Leben. Edgar ist überzeugt, dass Claude seinen Vater umgebracht hat, und flieht - nur begleitet von drei jungen Hunden, mit deren Hilfe er lernen muss, in der Wildnis zu überleben.
»Die Geschichte des Edgar Sawtelle« ist ein kluger, lebenspraller Roman über die großen Themen der Literatur: Rache und Schuld, Brudermord und Vaterverlust, Liebe und Hass. Ein zeitloses Epos und eine wahrlich unvergessliche Geschichte über die besondere Freundschaft zwischen einem Jungen und seinem Hund.
David Wroblewski, 1959 geboren, wuchs auf einer Farm in Wisconsin auf, unweit des Chequamegon National Forest, wo auch sein Roman angesiedelt ist. Einige Jahre lang verdienten seine Eltern ihr Geld mit Hundezucht. Bisher arbeitete Wroblewski als Softwareentwickler. Heute lebt er als freier Autor mit seiner Partnerin und seiner Hündin in Colorado. 'Die Geschichte des Edgar Sawtelle' ist sein erster Roman.
Weitere Infos & Material
Pusan, Südkorea, 1952
Nach Einbruch der Dunkelheit fing es wieder an zu regnen, aber er hatte sich nun mal entschlossen, hinzugehen, und es regnete ohnehin schon seit Wochen. Er verscheuchte die Rikscha-Kulis, die am Hafen zusammenstanden, und ging den ganzen Weg vom Flottenstützpunkt zu Fuß, folgte der dürftigen Beschreibung, die er bekommen hatte - durch das Gewühl auf dem Kweng-Do-Markt, vorbei an den Händlern, die Hähne in primitiven Rattankisten feilboten, Schweinsköpfe und giftig aussehende blaue Fische, die ausgenommen und klaffend auf Rosten lagen, vorbei an grauen Kraken in Glaskrügen und alten Frauen, die Kimchi und Bulgoki verhökerten, bis er den Nakdonggang überquerte und damit den ihm bekannten Teil der Stadt verließ.
Im Rotlichtviertel schillerten die Pfützen rot und grün unter Transparenten, die von Dach zu Dach ausgespannt waren. Hier sah man keine anderen Soldaten und auch keine Militärpolizei, und er ging lange Zeit und hielt Ausschau nach einem Schild mit einer Schildkröte und zwei Schlangen. Die Straßen nahmen kein Ende, er sah kein solches Schild, keine der Ecken war rechtwinklig, und nach einer Weile ging der Regen in einen nässenden, sich auflösenden Nebel über. Doch er ging weiter, bog methodisch zweimal rechts und dann zweimal links ab und setzte seine Suche auch fort, als er schon längst die Orientierung verloren hatte. Es war nach Mitternacht, als er endlich aufgab und den Rückweg antrat. Er kam an eine Straße, in der er schon zweimal gewesen war, und da sah er endlich das Schild, klein und gelb und hoch über einer Eckkneipe. Eine der Schlangen bog sich zurück und biss die Schildkröte in den Schwanz. So hatte Pak es ihm beschrieben.
Die Gasse, hatte man ihm gesagt, befinde sich gegenüber dem Schild, und da war sie auch - eng, nass, nur teilweise gepflastert, zum Hafen hin abfallend, erhellt nur von den Schildern und den wenigen erleuchteten Fenstern. Er bog von der Straße ab, ging seinem Schatten nach. Jetzt hätte eine Tür mit einer Laterne kommen müssen - einer roten Laterne. Der Laden eines Kräuterhändlers. Er schaute zu den Dächern hinauf, sah die von unten beleuchteten Wolken über die Häuser strömen. Durch das Fenster eines schäbigen Badehauses drang das Kreischen einer Frau, das Gelächter eines Mannes. Der Tonarm wurde auf eine Platte gesetzt, und Doris Days Stimme hallte durch die Gasse:
I'm wild again, beguiled again,
A simpering, whimpering child again.
Bewitched, bothered and bewildered am I.
Vor ihm krümmte sich die Gasse nach rechts. Hinter der Biegung erblickte er die Laterne, eine Kürbisflasche aus rubinrotem Glas in einem schwarzen Drahtgeflecht, die Flamme darin eine Rose, die flackernd am Hals des Gefäßes leckte, sodass die Drähte rippenförmige Schatten auf die Tür warfen. Der Eingang war von einem flachen Satteldach gekrönt. Durch das einzige bleiche Fenster sah er nur einen rauchfleckigen Seidenvorhang, bestickt mit Tieren, die in einem Boot über einen Fluss ruderten. Er spähte in die Gasse und dorthin zurück, wo er hergekommen war. Dann klopfte er an die Tür und wartete, schlug den Kragen seines Marinemantels hoch und stampfte mit den Füßen, als ob er fröstelte, obwohl es nicht kalt war, sondern nur nass.
Die Tür ging auf, und ein alter Mann trat heraus. Er trug schlichte Baumwollhosen und einen Kittel aus einem Stoff fast so grob wie Sackleinen. Sein braunes Gesicht war wettergegerbt, und seine Augen saßen in origamifaltiger Haut. In seinem Laden schwangen reihenweise milchige Ginsengwurzeln an Bindfäden hin und her, als wären sie gerade liebkost worden.
Der Mann in dem Marinemantel schaute ihn an. »Pak sagt, Sie können Englisch.«
»Etwas. Sie sprechen langsam.«
Der alte Mann zog die Tür hinter sich zu. Aus der Nebelnässe war wieder Regen geworden. Es war nicht klar, wann das geschehen war, aber es hatte fast ohne Unterlass geregnet, und das Geräusch von rinnendem Wasser war so selbstverständlich geworden, dass er es nicht mehr hörte. Trocken war es immer nur vorübergehend; die Welt war ein Ort, an dem Wasser von oben kam.
»Sie haben Medizin?«, fragte der alte Mann. »Ich habe Geld.«
»Ich brauche kein Geld. Das hat Pak Ihnen doch gesagt, oder nicht?«
Der alte Mann seufzte und schüttelte unwillig den Kopf. »Er soll nicht davon reden. Sie sagen, was Sie wollen.«
Hinter dem Mann in dem Marinemantel schlich ein herrenloser Hund durch die Gasse; er humpelte tapfer auf drei Beinen und beäugte die beiden Männer. Sein nasses Fell glänzte wie das eines Seehundes.
»Angenommen, wir haben Ratten«, sagte der Mann. »Schwierige Ratten.«
»Ihre Marine kann Ratten töten. Sogar armer Dschunkenkapitän tötet jeden Tag. Sie nehmen Arsen.«
»Nein. Ich brauche - wir brauchen - etwas Spezielles. Was Pak beschrieben hat. Etwas, das sofort wirkt. Keine Bauchschmerzen für die Ratte. Keine Kopfschmerzen. Die anderen Ratten sollen denken, dass die eine Ratte eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht ist.«
»Wie wenn Gott sie ganz schnell genommen.«
»Genau. Damit die anderen Ratten nicht denken, dass der einen Ratte was Unnatürliches passiert ist.«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Viele wünschen das. Aber was Sie wollen - wenn es gibt -, wer das besitzt, fast ist wie Gott.«
»Wie meinen Sie das?«
»Gott gibt Leben und Tod, ja? Wer andere ganz schnell zu Gott schickt, halb seine Macht hat.«
»Wir alle haben diese Macht. Nur die Methode ist anders.«
»Wenn Methode aussieht wie wahrer Ruf von Gott, dann ist etwas anderes«, sagte der Kräuterhändler. »Mehr als Methode. So etwas soll sein brutal und offen. Das ist Grund, warum zusammenleben in Frieden.«
Der alte Mann hob die Hand und zeigte hinter seinen Besucher.
»Ihr Hund?«
»Hab ich noch nie gesehen.«
Der Kräuterhändler ging in seinen Laden zurück und ließ die Tür offen stehen. Hinter dem Ginseng lag ein Haufen ineinander verhakter Geweihe unter einem Bord mit Karaffen. Als er wiederkam, hielt er in einer Hand eine kleine irdene Suppenschüssel und in der anderen ein noch kleineres Bambuskästchen. Er stellte die Schüssel auf das Kopfsteinpflaster. Aus dem Kästchen nahm er eine Glasflasche, die wie ein Parfümflakon oder auch ein Tintenfass geformt war. Das Glas war grob und wellig. Die Flasche war mit einem Stöpsel verschlossen und zusätzlich mit Wachs versiegelt.