E-Book, Deutsch, 366 Seiten, Format (B × H): 240 mm x 170 mm
Praxishandbuch für Pflege- und Gesundheitsberufe
E-Book, Deutsch, 366 Seiten, Format (B × H): 240 mm x 170 mm
ISBN: 978-3-456-76077-3
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Das Praxishandbuch zur interdisziplinären Versorgung und Behandlung von Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen
• skizziert die Versorgungssituation von Suchtkranken, die Epidemiologie des Suchtmittelkonsums, Behandlungsleitlinien und Klassifikationssysteme
• beschreibt Diagnostinstrumente für Abhängigkeits- und Begleiterkrankungen, Motivationstheorien und therapeutische Verfahren, wie kognitive Verhaltenstherapie, Gruppentherapie, Motivational Interviewing, Angehörigenarbeit und manualisierte Behandlungsprogramme
• differenziert und charakterisiert stoffgebundene und stoffungebundene Süchte bezüglich Epidemiologie, Mortalität, Inhaltsstoffen, Konsumformen, Wirkung, Entzugserscheinungen und Folgeerkrankungen
• beschreibt stoffgebundene Süchte von Alkohol über Cannabis, Gabapentinoide, Halluzinogene, Kokain, Opiate, Psychostimulanzien, wie Amphetamine und Ecstasy bis hin zu neuen psychoaktiven Substanzen, wie Designer- und Badesalzdrogen
• beschreibt stoffungebundene Süchte, wie pathologisches Glücksspielen, Internetsucht, suchtartiges Arbeits-, Bewegungs-, Kauf- und Sexualverhalten
• vernetzt theoretisches Wissen mit interdisziplinärem Handeln durch Beispiele aus der medizinischen, pflegerischen und sozialarbeiterischen Praxis
• wirft ein Schlaglicht auf die Themenfelder Migration und Sucht, Harm Reduction, Co-Abhängigkeit, Supervision und Stigmatisierung
• wagt einen Ausblick zur digitalen Transformation der Suchthilfe, der stationsäquivalenten Behandlung (StäB) und der Zukunft der interdisziplinären Suchtbehandlung.
Zielgruppe
Suchtmediziner*innen, Pflegefachpersonen, Suchtkrankenpflegende, Sozialarbeitende
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Invalidität, Krankheit und Abhängigkeit: Soziale Aspekte
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Pflege Fachpflege
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Pflege Krankenpflege
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Pflege Psychiatrische Pflege
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete Psychiatrie, Sozialpsychiatrie, Suchttherapie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Suchttherapie
Weitere Infos & Material
|19|1 Die allgemeine Versorgungssituation
Melanie Wolff Die Versorgungssituation von Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung in Deutschland ist vielschichtig. Es gibt eine Fülle von ambulanten, teilstationären und stationären Beratungs- und Behandlungsangeboten. Der Zugang zu den diversen Einrichtungen gestaltet sich sehr unterschiedlich. Die Versorgungsstruktur lässt sich in drei Dimensionen unterteilen (Abb. 1-1): Primäre Versorgung: Hier steht die primäre Versorgung der Menschen mit einer Substanzstörung durch niedergelassene Ärzt*innen, allgemeine Krankenhäuser und allgemeine psychosoziale Beratungsstellen im Vordergrund. Der Zugang zu diesen Systemen ist niedrigschwellig angelegt. Ziel ist es, somatische, psychische oder soziale Risikofaktoren zu erkennen sowie die erste Motivationsförderung zu einer Verhaltensänderung aufzubauen. Sekundäre Versorgung: Die Agierenden dieser Strukturebene finden sich in psychotherapeutischen Diensten sowie allgemeinpsychiatrischen und psychosomatischen Kliniken. Ziel ist eine möglichst frühzeitige Behandlung von Substanzstörungen und komorbiden Begleiterkrankungen. Tertiäre Versorgung: Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen werden in Spezialeinrichtungen ambulant oder stationär behandelt. Gemeint sind Suchtberatungsstellen, Substitutionspraxen und Einrichtungen zur ambulanten und stationären medizinischen Rehabilitation (Bühringer et al., 2009). In diesem System finden sich die unterschiedlichsten Ausprägungen von Substanzstörungen, sowohl mit als auch ohne psychiatrische Begleiterkrankungen. Auch die Variation des Störungsbildes reicht vom schädlichen Gebrauch bis hin zu schwerer Abhängigkeit. Verbunden mit diesen unterschiedlichen Ausprägungen sind auch die verschiedensten Folge- und Begleiterkrankungen. Daraus leitet sich die Notwendigkeit vielfältiger Versorgungsangebote für die diversen Zielgruppen und Störungsmuster ab. |20|Die zuvor dargestellte Versorgungsstruktur mag professionell Helfenden folgerichtig und sinnvoll erscheinen und sie hat ihre Berechtigung. Einem Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung jedoch wird diese Unterteilung sicherlich in den meisten Fällen weder bekannt sein, noch wird eine selbstständige Verortung in diesem System gelingen. Daher sollten sich die Mitarbeitenden im Suchthilfesystem im Sinne der Klient*innen-/Patient*innenorientierung auch als Clearingstelle für eine weitere Beratungs- und Behandlungsplanung verstehen. Barth (2011) leitet aus der Erkenntnis ab, dass es viele unterschiedliche Wege in die Sucht gibt. Folgen müsse, dass auch eine Vielzahl von Auswegen aus den lebensbedrohlichen Umständen und letztlich auch aus der Abhängigkeit selbst bereitstehen müssen. Die verschiedenen Therapieformen sind aus der Notwendigkeit entstanden, dass einer Abhängigkeitserkrankung individuelle Schicksale zugrunde liegen, welche eine ebenso individuelle Behandlung benötigen. Dabei soll jedes therapeutische Angebot im Kontext des umfassenden Hilfesystems gesehen werden, so dass hier keine entweder/oder-Entscheidung getroffen werden muss, sondern die Beratung und Behandlung nach einer sowohl/als auch-Maxime verstanden werden soll. Zusammenfassend schließt Barth (2011): „Es gibt in diesem System keine Einbahnstraßen und keine linearen Wege“ (S. 250). Aktuell verläuft die Abstimmung zwischen den verschiedenen Beteiligten in der Versorgungslandschaft noch nicht optimal und dementsprechend wird dem individuellen Bedarf der betroffenen Personen sowie ihren Angehörigen noch nicht ausreichend Rechnung getragen. Die Schwierigkeiten liegen v.?a. an Schnittstellenproblemen zwischen den einzelnen Versorgungsangeboten (Oliva & Walter-Hamann, 2013). War bis vor kurzem das wesentliche Ziel einer Behandlung von Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung noch die Abstinenz, so hat sich dies heute gewandelt. Die Behandlung wird nun vielschichtiger gesehen und in dem Zusammenhang stehen auch mehrere Ziele im Fokus der Behandlung. Diese reichen von der Sicherung des Überlebens in Phasen von akutem Substanzmissbrauch über die Kompensation psychosozialer und/oder körperlicher Schäden bis hin zu Konsumreduktion (ggf. bis zur Abstinenz), beruflicher Integration und Verbesserung der sozialen Situation (Trost & Schwarzer, 2009). 1.1 Multiprofessionelle und trägerübergreifende Zusammenarbeit
Aufgrund der vielschichtigen Problemlagen und diversen Belange der Betroffenen ist es notwendig, dass verschiedene Leistungserbringer institutionell und fallbezogen zusammenarbeiten. Dabei gestaltet sich die Vernetzung der einzelnen Einrichtungen und Dienste sehr heterogen und reicht von lockerer kooperativer Zusammenarbeit bis zu verbindlichen Verbundvarianten zwischen mehreren Trägern. Inhaltlich ist mit „Verbund“ ein Zusammenschluss von mehreren Trägern zu verstehen, welche unterschiedliche Angebote für zielgerichtete Hilfen vorhalten. Es liegt ein verbindlicher organisatorischer Rahmen vor mit dem Ziel, die Kooperation systematisch und planvoll zu steuern. Damit soll die Hilfeerbringung abgestimmt werden, um eine möglichst hohe Wirksamkeit zu erreichen. Thematisch erstreckt sich die Zusammenarbeit sowohl auf den individuellen Hilfeprozess als auch auf die institutionelle Umsetzung der Angebote. Hingegen arbeiten viele Einrichtungen in eher unverbindlicheren Kontexten zusammen. Die Spannbreite umfasst hier sowohl eine sporadische Zusammenarbeit als auch eher wiederkehrende oder dauerhaft angelegte Kooperationen (Oliva & Walter-Hamann, 2013). |21|Es lassen sich sowohl auf institutioneller als auch auf personenbezogener Ebene verschiedene Faktoren identifizieren, die sich einerseits fördernd, andererseits hemmend auf die Kooperation auswirken können. Voraussetzung für eine generelle Zusammenarbeit ist der grundsätzliche Wille zum Aufbau von Kooperationsstrukturen. Fördernde signifikante organisatorisch-institutionelle Voraussetzungen sind: ein klares Kooperationsverständnis verbindliche Zusammenarbeit transparente Vereinbarungen zur Weiterentwicklung der Kooperation sowie der personellen und zeitlichen Ressourcen eine realistische Arbeitsplanung personelle Kontinuität regelmäßiger Austausch und Abstimmung. Zu den weiter fördernden persönlichen Voraussetzungen der Agierenden gehören: die Identifikation mit den Kooperationszielen eine persönliche Überzeugung vom Nutzen der Kooperation Kennerschaft der einzelnen Mitwirkenden und deren Fachlichkeit Kommunikations-, Moderations- und Konfliktfähigkeit Wissen zu den internen Abläufen und Personalressourcen der eigenen Einrichtung Kenntnisse der lokalen Versorgungsstrukturen Offenheit, Empathie, Geduld und Beharrlichkeit im Umgang mit allen Beteiligten. Dagegen sind hemmende Faktoren: unzureichende Kenntnisse über die anderen Einrichtungen die fehlende Anerkennung der Fachlichkeit der anderen...