Wolfersdorf / Etzersdorfer | Suizid und Suizidprävention | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 292 Seiten

Wolfersdorf / Etzersdorfer Suizid und Suizidprävention

Ein Handbuch für die medizinische und psychosoziale Praxis

E-Book, Deutsch, 292 Seiten

ISBN: 978-3-17-037160-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Weltweit versterben jährlich etwa 1 Mio. Menschen durch Suizid und 20-50 Mio. Suizidversuche werden durchgeführt. Psychische Erkrankungen, aber auch Krisen in ihren vielfältigen Ausgestaltungen sind eng mit einem erhöhten Suizidrisiko verbunden. Dieses Buch fasst die heutigen Vorstellungen zu Suizid und Suizidprävention aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht zusammen und stellt umfassend Kriseninterventions- und Präventionsansätze vor. Die 2. Auflage ist um aktuelle Themen ergänzt, wie z.B. die intensiv diskutierte Suizidbeihilfe. Zahlreiche Beispiele runden das praxisorientierte Werk ab.
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1        Einführung
Im Jahr 2013 legte die Weltgesundheitsoragnisation (WHO) einen Aktionsplan vor, der u. a. als Ziel die Reduktion der Suizidzahlen bis 2020 um 10 % enthielt. 2014 erschien dann die WHO-Publikation »Preventing Suicide: A global imperative« (Stiftung Deutsche Depressionshilfe (Hrsg.) (2016) Suizidprävention: Eine globale Herausforderung). Gleich in der Einführung steht: »Es gibt keine einfache Erklärung dafür, warum Menschen durch Suizid sterben.« (S. 8) Im Juni 2008 hat die Europäische Union unter dem Stichwort »Depression and suicide in Europe« in Fortsetzung ihrer gesundheits- und psychiatriepolitischen Entwürfe des letzten Jahrzehnts die hochrangige Bedeutung des Themas Prävention von Suizidmortalität und Depressionserkrankung in den Ländern Europas herausgestellt. 2005 wurde im sog. »Greenbook« der EU-Kommission für Gesundheit diese Orientierung bereits festgelegt, als die Reduktion von Drogenmissbrauch, von depressiven Erkrankungen und Suizidmortalität in der Europäischen Union zu Präventionszielen erklärt und den Mitgliedsländern in die jeweiligen gesundheitspolitischen Programme geschrieben wurde. Diese »high level-conference« im Sommer 2008 geht von zwei wesentlichen Fakten aus: Die Depression als Erkrankung ist häufig in Europa, die Lebenszeitprävalenz liegt bei über 13 %, bei europäischen Männern bei 9 %, bei europäischen Frauen bei ca. 17 %. Der Einfluss von depressiven Erkrankungen auf die Lebensqualität ist dem einer schweren körperlichen Erkrankung gleichzusetzen. Des Weiteren sind depressive Erkrankungen zu einem hohen Grad mit anderen psychischen Erkrankungen und insbesondere mit Alkoholmissbrauch und Angststörungen komorbid verbunden. Im Jahr 2006 verstarben in den 27 EU-Ländern über 59.000 Europäer1 durch Suizid – ca. 45.000 Männer und ca. 14.000 Frauen. Die Anzahl der durch Verkehrsunfälle im gleichen Jahr verstorbenen Menschen liegt bei ungefähr 50.000, also einiges darunter. Damit versterben 12 von 1.000 Bürgern der EU nicht an natürlichen Todesursachen, sondern durch Suizid. Nach Ansicht der EU-Kommission für Gesundheit stehen 90 % aller Suizide in Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen und im Wesentlichen mit affektiven Störungen. Geschätzt wird, dass etwa 60 % aller Suizide im Zusammenhang mit depressiven Störungen geschehen, aber auch mit Alkoholmissbrauchs- und Abhängigkeitserkrankungen (Wahlbeck und Mäkinen 2008). Die entsprechenden Aktivitäten in der deutschen Gesundheitspolitik in den letzten zwanzig Jahren lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Im Gutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen »Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit Band III: Über-, Unter- und Fehlversorgung« von 2000/2001 wird erstmals eine psychische Erkrankung, nämlich die Depression, als bedeutsames Ziel zukünftiger Gesundheitspolitik benannt. Das Forum des Bundesministeriums für Gesundheit »Gesundheitsziele.de« hat 2004 die Arbeitsgruppe »Depression« ins Leben gerufen, eine Expertenkommission, die über mehrere Jahre hinweg Ziele zu einer verbesserten Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation depressiver Erkrankungen formulierte; die entsprechende Publikation ist in der Zwischenzeit erschienen (BMG 2007) und beinhaltet auch Empfehlungen zur Verbesserung der Versorgung suizidaler Menschen. Die im Dezember 2009 verabschiedete S3-Leitlinie/Nationale Versorungsleitlinie zum Thema »Unipolare Depression«, die von verschiedenen Fachgesellschaften unter der Leitung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ) in den letzten drei Jahren entworfen wurde, beinhaltet ein eigenes Kapitel »Management bei Suizidgefahr« und fordert ein direktes Ansprechen des Themas, eine besondere Beachtung und Betreuung im Sinne einer Intensivierung des zeitlichen Engagements und der therapeutischen Bindung. Zudem gibt es auch Empfehlungen zu den Voraussetzungen einer stationären Einweisung sowie zur pharmako- und psychotherapeutischen Behandlung, wie auch zur Nachsorge bei suizidalen depressiven Patienten. Seit 2002 existiert in Deutschland auch ein »Nationales Suizidpräventionsprogramm (NaSPro)«, lange unter der Leitung von Schmidtke und Fiedler (Schmidtke und Fiedler 2007), heute von Schneider und Lindner (Glasow und Henry 2016). Abgesehen von den Aktivitäten der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention – Hilfe in Lebenskrisen e. V. (DGS) seit nun fünf Jahrzehnten einschließlich der dort zugehörigen »Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung suizidalen Verhaltens« der DGS und des vor einigen Jahren entstandenen »Referats Suizidologie« der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) wurde damit eine bedeutende weitere Initiative gestartet. Insgesamt wird offensichtlich, dass auf der gesundheitspolitischen sowie auf verbandspolitischer Ebene der Fachgesellschaften das Thema Suizidalität in den letzten Jahrzehnten einen neuen Stellenwert bekommen hat, sodass – und hier sei eine wichtige Hypothese gleich eingangs genannt – der Rückgang der Suizidzahlen und -raten in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten auch im Zusammenhang mit einer deutlich verbesserten Wahrnehmung von Suizidalität, von Menschen in suizidalen Krisen und belastenden Lebenssituationen, in der Verbesserung des Erkennens und des Behandelns depressiver, aber auch anderer psychischer Erkrankungen, die mit erhöhter Suizidalität einhergehen können, interpretiert wird. Anfang der 2000er Jahre begann in Deutschland eine gesellschaftlich breite Diskussion um das Thema »Suizidbeihilfe/(ärztlich) assistierter Suizid«, die zur Formulierung des § 217 StGB führte und der letztlich 2020 vom Bundesverfassungsgericht wieder aufgehoben wurde. Die aktuelle Diskussion spannt sich zwischen Suizidbeihilfe versus Suizidprävention aus. Wenn es ein Gesetz zur Beihilfe zum Suizid geben wird, muss es zwangsläufig auch ein Suizidpräventionsgesetz geben. Dass sich im Rahmen der Diskussion um »Suizidbeihilfe« mit Formulierung des ehemaligen § 217 StGB im Bundestag eine überfraktionelle Arbeitsgruppe gegen die Freigabe der Suizidbeihilfe gebildet hat und auch vom Bundestag ein Projekt »Suizidprävention Deutschland – Akueller Stand und Perspektiven« auf den Weg gebracht wurde, ist bemerkenswert. Das Thema Suizid und Suizidgefahr bzw. Suizidprävention ist heute Standard in den Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen und in den Ausbildungsangeboten in allen »Psych«-Fächern, sei es die Ausbildung der Medizinstudenten, der Psychologen, die Ausbildung von Sozialpädagogen, Theologen oder auch Philosophen; sei es die Facharztweiterbildung oder die Ausbildung der Psychologischen Psychotherapeuten. In den somatischen Fächern scheint noch mehr Bedarf an Fort- und Weiterbildung zu bestehen, wie eine aktuelle Umfrage vermuten lässt (Wolfersdorf, Schneider et al. 2020 unveröffentlicht). Immer noch sterben in Deutschland mehr Menschen durch Selbsttötung als durch Verkehrsunfälle, Mord und Totschlag, illegale Drogen oder Aids zusammen (Fiedler und Schmidtke 2007, Tab. 1). Tab. 1:   Todesursachen in Deutschland 2005 und 2018 (Fiedler und Schmidtke 2007, Müller-Pein 2020; Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Stand Mai 2020) Daraus leitet sich die Verpflichtung ab, die Themen Suizidalität, Suizid und Suizidprävention sowie Hilfe für Menschen in suizidalen Lebenskrisen weiterhin und verstärkt nicht nur einer Fachöffentlichkeit, sondern im Bewusstsein der Allgemeinbevölkerung zu etablieren und damit die heute bereits bestehenden Hilfsmöglichkeiten weiter zu verbessern. Denn, wie es anlässlich eines der letzten World Suicide Prevention Days im Rahmen einer Öffentlichkeitsaktion formuliert wurde: »Keiner bringt sich gerne um!« Suizidprävention ist ein gesundheitspolitisches Thema geworden, ganz im Sinne der WHO-Position (2014): »Suizide sind vermeidbar«. 1.1        Anmerkungen zur Geschichte des Suizids
Johann Wolfgang von Goethe (Sprengel 1985, S. 617) schrieb: »Der Selbstmord ist ein Ereignis der menschlichen Natur, welches, mag auch darüber schon soviel gesprochen und gehandelt worden sein als da will, doch einen jeden Menschen zur Teilnahme fordert, in jeder Zeitepoche wieder einmal verhandelt werden muss«. Und damit verlange die Frage des Suizids nach Lind (1999) jedem Menschen eine persönliche Stellungnahme ab und die Gesellschaft...


Prof. Dr. med. Dr. h.c. Manfred Wolfersdorf, FA für Psychiatrie und Psychotherapie, FA für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, ehemals Ärztlicher Direktor des BKH Bayreuth und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, ehemals Leiter des DGPPN-Referats Suizidologie und Sprecher der AG "Suizidalität und psychiatrisches Krankenhaus".
Univ.-Prof. Dr. med. Elmar Etzersdorfer, Psychiater und Psychoanalytiker, Chefarzt des Furtbachkrankenhauses in Stuttgart, stv. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention e.V. (DGS).


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