Witt | Verhaltensökonomik | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Witt Verhaltensökonomik

Die psychologischen Determinanten menschlicher Entscheidungen

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-17-044547-5
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Behavioral economics, the study of the psychological determinants of economic decision-making and action, is now one of the established areas in economics, enhancing business and economic planning with interdisciplinary contributions from sociology, neurobiology and psychology. The field provides new and economically relevant insights into the formation of preferences and expectations and associated misjudgments, which are now widely accepted. The introduction, written by an experienced university lecturer, provides a clearly structured and comprehensible overview of basic principles, together with research findings and areas of application. The book can be used for training, research and teaching as well as to inform interested readers.
Witt Verhaltensökonomik jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


5Unsere Ziele und Präferenzen
Wir haben grundlegende Bedürfnisse, die unser Handeln leiten In der klassischen Ökonomie wird die Frage nach den Zielen menschlichen Verhaltens sehr einfach beantwortet. Es wird angenommen, dass Menschen in ihrem Verhalten und in ihren Entscheidungen ihren Nutzen maximieren und so Bedürfnisse befriedigen. Das wirft allerdings die Frage auf, was uns Menschen Nutzen verschafft oder welche Bedürfnisse für uns handlungsleitend sind. Dazu gibt es mehrere Theorien mit dem Anspruch auf breite Gültigkeit. Eine der ältesten und bekanntesten davon ist die Bedürfnispyramide von Abraham Maslow (1943, 1970). Der Psychologe unterschied fünf Ebenen menschlicher Bedürfnisse. Er nahm an, dass sie hierarchisch sind, also nacheinander einsetzen. Erst wenn eine bestimmte Bedürfnisebene erfüllt ist, werden nach dieser Theorie die Bedürfnisse der nächsten, darüber liegenden Ebene handlungswirksam. Ein temporär erfülltes Bedürfnis hat keine Motivationswirkung mehr. Die einzige Ausnahme stellt die oberste Ebene dar, darauf werden wir gleich noch näher eingehen. Maslows Theorie wird aus diesem Grund auch als Bedürfnishierarchie bezeichnet. Die unteren beiden Ebenen beschreiben individuelle Bedürfnisse. Sie treten unabhängig vom Umgang mit anderen Menschen auf, haben also keinen sozialen Bezug. Auf der untersten Ebene stehen physiologische Bedürfnisse wie Hunger und Durst. Sie führen aus ökonomischer Sicht zu typischen Beschaffungsentscheidungen wie Lebensmittel einkaufen oder stehlen. In der Psychologie wird der entsprechende Prozess als Triebreduktion bezeichnet und etwas differenzierter dargestellt (Myers/DeWall 2023, S.?470). Demnach besteht zunächst ein Bedürfnis, zum Beispiel nach Essen. Es führt zu einem Trieb, dem Hunger. Der wiederum bewirkt triebreduzierendes Verhalten wie die Suche nach Nahrungsmitteln und ihren Verzehr. Externe Anreize verstärken die Motivation zur Triebreduktion. Wer beispielsweise Hunger hat, der wird geradezu magisch vom Geruch gebratenen Fleisches oder vom Logo eines Fastfood-Restaurants angezogen. Das Bedürfnis nach Schlaf lässt sich auch der untersten Ebene der Bedürfnishierarchie zuordnen. Wir empfinden Müdigkeit und suchen dann nach Möglichkeiten zum Schlafen. Wer satt und ausgeschlafen ist, der empfindet keine handlungsleitende Motivation mehr auf der ersten Ebene und reagiert auch nicht auf entsprechende externe Anreize. Auf der zweiten Ebene stehen Sicherheitsbedürfnisse wie etwa ein Dach über dem Kopf zu haben oder auch Einkommenssicherheit. Wir versuchen, sie zu erfüllen, indem wir einen Job annehmen, eine Wohnung mieten oder Geld sparen. Sicherheitsbedürfnisse betreffen auch unsere Umgebung. Wir wünschen uns, dass die Welt geordnet ist und dass wir uns sicher fühlen können. Aus ökonomischer Sicht bedient der Markt für Versicherungen das Sicherheitsbedürfnis der Menschen. Manche Versicherungen werden in bestimmten Gesellschaften wie der deutschen als so unerlässlich angesehen, dass ihr Abschluss gesetzlich vorgeschrieben ist. Ein Beispiel ist die Krankenversicherung. Andere Versicherungen sind freiwillig. Hier entscheidet das individuelle Sicherheitsbedürfnis jedes Einzelnen darüber, ob sie gekauft werden oder nicht. Beispiele sind die Hausratversicherung oder die Berufsunfähigkeitsversicherung. Wer die Wahrscheinlichkeiten des Eintretens der entsprechenden Risiken hoch einschätzt und ein starkes Sicherheitsbedürfnis hat, der wird solche Versicherungen haben wollen. Wer sich hinsichtlich des Abbrennens der eigenen Wohnung oder einer Berufsunfähigkeit weniger Sorgen macht, der verspürt kein Bedürfnis nach entsprechenden Versicherungen. Auf den Ebenen drei und vier finden sich soziale Bedürfnisse wie Liebe und Anerkennung sowie dann Status und Prestige. Auch sie führen zu bekannten und wissenschaftlich vielfach untersuchten Entscheidungen und Handlungen. Wir suchen nach einem Partner oder einer Partnerin. Wir zeugen Kinder. Wir engagieren uns in wohltätigen Organisationen oder Kirchen, um in unserer sozialen Umgebung anerkannt zu werden. Wir kaufen Dinge, die unseren Status und unsere gesellschaftliche Stellung sichtbar machen. Wir arbeiten hart, um Karriere zu machen, Titel zu erwerben oder bekannt zu werden. Die Theorie sozialer Bedürfnisse geht jedoch noch weiter. Nach ihr ziehen Menschen ihren Nutzen auch daraus, wie gut oder schlecht es anderen Personen geht (Beck 2014, S.?271). Sie haben die bereits erläuterte Ungleichheitsaversion. Wir fühlen uns unwohl, wenn es Menschen in unserem sozialen Umfeld gibt, die wirtschaftlich deutlich schlechter gestellt sind als wir selbst. Als Reaktion spenden wir Geld für gute Zwecke, engagieren uns ehrenamtlich oder unterstützen Bedürftige direkt. Das Prinzip wirkt jedoch auch in die andere Richtung. Wir fühlen uns potenziell ebenso unwohl, wenn es Menschen in unserer Umgebung wirtschaftlich sehr viel besser geht als uns selbst. Dann empfinden wir ein Gefühl von Ungerechtigkeit oder sogar Neid. Daraus resultieren Bedürfnisse nach staatlichen Umverteilungsmaßnahmen, zum Beispiel in Form einer Vermögenssteuer, einer Erbschaftssteuer oder einer Einkommensteuer mit mehr Progression. Manchen Menschen geht es sogar dadurch besser, dass anderen Menschen, die sie beneiden oder die sie nicht leiden können, etwas Ungünstiges zustößt. Die oberste Ebene der Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow beschreibt das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Es ist im Gegensatz zu den vier darunter liegenden Ebenen ein Nichtsättigungsbedürfnis, kann also nie abschließend erfüllt werden. Es motiviert uns immer weiter. Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung ist von allen fünf Ebenen der Bedürfnispyramide die inhaltlich am schwierigsten zu greifende. Zumindest kann es für jeden einzelnen Menschen sehr unterschiedliche Wege geben, um sich selbst zu verwirklichen. Im Kern geht es aber immer darum, die eigenen Potenziale zu nutzen und das Bestmögliche aus dem eigenen Leben zu machen. Manche Autoren ergänzen das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung um ein Bedürfnis nach Selbsttranszendenz. Psychologen sprechen auch von Selbstüberschreitung (Myers/DeWall 2023, S.?471–472). Damit ist der Wunsch gemeint, über das eigene Dasein hinaus Sinn und Identität zu finden. Dieses Bedürfnis kann beispielsweise durch den Glauben an eine bestimmte Religion oder durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familiendynastie erfüllt werden. So plausibel das auch alles klingt, es sind doch einige einschränkende Kommentare zu Maslows Theorie nötig. Sie ist in den 1950er Jahren entstanden und für Menschen aus der amerikanischen Mittelschicht dieser Zeit empirisch nachgewiesen worden. Insofern ist nicht sichergestellt, dass die Theorie auch auf Menschen aus anderen Kulturkreisen und anderen Zeiten passt. Spätere Studien haben zudem nachgewiesen, dass die Annahme der strikten Hierarchie der Bedürfnisebenen so nicht haltbar ist. Selbst wenn ein Bedürfnis auf einer niedrigeren Ebene noch nicht erfüllt ist, könnte das menschliche Handeln und Entscheiden schon von Bedürfnissen einer höheren Ebene geprägt sein. Die Ebenen würden demnach eine parallele Motivationswirkung aufweisen. Das zeigt ein Beispiel: Selbst Wohnungslose, die jeden Abend nach einem Platz zum Schlafen suchen müssen, können ein Bedürfnis nach Liebe haben. Ansonsten hat das Modell der Bedürfnispyramide jedoch gute empirische Bestätigung erfahren. Es bietet eine plausible Erklärung für viele unserer Entscheidungen und vor allem für die Prioritäten, die wir bei unserer Bedürfnisbefriedigung anlegen. Daran ändern auch pathologische Verhaltensweisen nichts, die natürlich ebenso in der Praxis beobachtet werden können. Das beste Beispiel ist der Hunger. Die meisten Menschen hören auf zu essen oder nach Essen zu suchen, wenn sie satt sind. Aber einige essen mehr als ihnen guttut. Ähnliches gilt für Statussymbole. Die meisten Menschen haben irgendwann genug davon, aber einige können ihr Bedürfnis nach Status nie ganz sättigen und brauchen immer mehr. Die Bedürfnistheorie nach Maslow setzt nicht voraus, dass Menschen sich ihrer handlungsleitenden Bedürfnisse immer bewusst sind. Es kann durchaus sein, dass wir sogenannte latente Bedürfnisse haben. Sie stecken in uns, aber wissen es nicht. Wenn wir nach ihnen gefragt werden, bestreiten wir ihre Existenz. Aber unser Verhalten zeigt, dass sie doch da sind und unsere Entscheidungen prägen. So adressieren Social Media wie Facebook oder Instagram sehr effektiv das Bedürfnis nach Anerkennung und Verbundenheit mit anderen Menschen. Dieses Bedürfnis ist vielen Nutzern jedoch nicht bewusst. Hätte man sie vorab gefragt, ob sie persönliche Bilder von sich in das Internet stellen und ihre Aktivitäten täglich mit anderen Internet-Nutzern teilen wollen, hätten sie das vermutlich verneint. Aber seit es die entsprechenden Technologien gibt, erfreuen sich Social Media einer regen Nachfrage. Latente Bedürfnisse finden sich auch für Sicherheitsmotive. Viele Deutsche sind überversichert in dem Sinne, dass sie mehrere Versicherungen für das gleiche Risiko abschließen oder unerklärlich hohe Schadenssummen versichern. Dahinter stecken Ängste, die den betroffenen Personen nicht bewusst sind. Eine Erklärung verweist beispielsweise auf das kollektive Erleben von zwei Weltkriegen, bei dem alle materiellen Besitzstände verloren gingen, und das über Generationen hinweg eine latente Risikoaversion bewirkt hat. Wir wissen manchmal nicht genau, was wir wollen Ein grundsätzliches Problem entsteht im Zusammenhang mit...


Prof. Dr. Peter Witt holds the Chair of Technology and Innovation Management at the University of Wuppertal.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.