E-Book, Deutsch, 87 Seiten, E-Book
Reihe: Systemisches Management
Wimmer Führung und Organisation in Familienunternehmen
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7910-5369-1
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Aufbruch zu zukunftsfähigen Unternehmensstrukturen
E-Book, Deutsch, 87 Seiten, E-Book
Reihe: Systemisches Management
ISBN: 978-3-7910-5369-1
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Prof. Dr. Rudolf Wimmer ist Gründer der osb international, Wien, und einer der prominentesten Vertreter der systemischen Unternehmensberatung. Er hat den Lehrstuhl für Führung und Organisation am Institut für Familienunternehmen der Universität Witten-Herdecke inne und ist seit 2012 Vizepräsident der Universität. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Managemententwicklung, Strategie- und Leitbildfragen sowie zeitgemäßes Führungs- und Organisationsverständnis.
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2 Dominante Theorieansätze zur Führung in der Familienunternehmensforschung
Die Forschung zu Familienunternehmen ist ein vergleichsweise noch sehr junges Feld. Es hat sich in den zurückliegenden drei Jahrzehnten auf internationaler Ebene als eigenständige Subdisziplin der Wirtschaftswissenschaften erfolgreich ausdifferenziert und hat in der Zwischenzeit in der einschlägigen Scientific Community erstaunlich viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen (für einen guten Überblick vgl. Sharma et al. 2014b). Angesichts des Umstandes, dass bei diesem Typus von Wirtschaftsorganisation so unterschiedliche und in ihrer Logik sogar teilweise gegensätzliche soziale Formationen in einer einander prägenden Koevolution zusammenwirken (eine Familie auf der einen Seite und ein Unternehmen auf der anderen Seite), ist es nicht verwunderlich, dass für seine Erforschung ausgesprochen heterogene Theoriezugänge zum Einsatz kommen, um die Besonderheiten dieses Typs angemessen zu erfassen. Diese paradigmatische Vielfalt mag man als ein Problem sehen und dieses dem noch geringen Reifegrad der noch jungen Disziplin zurechnen. Man kann sie aber auch als Spiegel der spezifischen Komplexität dieser weltweit dominanten Ausprägung wirtschaftlicher Aktivitäten sehen, deren Erforschung eben eine eigene komplexitätsadäquate »transdisziplinäre« Theoriebildung benötigt (vgl. dazu etwa Kormann/Wimmer 2018).
Die nun folgenden Überlegungen möchten dazu mit Blick auf das Thema Führung einen kleinen Beitrag leisten. In einem ersten Schritt werden drei in der Forschung aktuell etablierte theoretische Ansätze rekonstruiert, um herauszuarbeiten, was durch diese »Brillen« gesehen werden kann und welche spezifischen Erkenntnisgrenzen mit diesen theoretischen Definitionen verbunden sind. In einem zweiten Schritt wird ein Theorieangebot formuliert, das von sich behauptet, die tradierten Begrenzungen weitgehend hinter sich zu lassen und die Eigentümlichkeiten des Führungsgeschehens in Familienunternehmen realitätsgerechter zu erfassen.
2.1 Die Principal-Agent-Theorie und ihre Grundannahmen für die Funktionsweise familiengeführter Unternehmen
Der Principal-Agent-Ansatz wurzelt im Kern in den theoretischen Grundprämissen der »neueren Institutionenökonomik« (dazu Richter/Furubotn 2003). Die institutionenökonomischen Ansätze gehen von Akteuren aus (Konsumenten, Haushalte, Unternehmern etc.), die in ihren wirtschaftlichen Aktivitäten unvermeidlicherweise mit unvollkommenen Informationen operieren und dabei ganz grundsätzlich eine begrenzte Rationalität aufweisen. In ihrem Zusammenwirken mit anderen, d. h. in ihren wirtschaftlichen Austauschbeziehungen, versuchen diese Akteure (hier der klassischen Annahme des »Homo oeconomicus« folgend), immer und überall ihren ganz persönlichen Nutzen zu optimieren, ihre eigenen Ziele und Interessen durchzusetzen und dies auf eine Art und Weise, die die eigenen Risiken minimiert. Angesichts des Umstandes, dass das Realisieren wirtschaftlicher Interessen immer auf ein Mitwirken anderer Akteure angewiesen ist, die ihrerseits ihren eigenen Nutzen optimieren, sind wirtschaftliche Prozesse erwartbar, die von einer charakteristischen Wettbewerbsdynamik rund um die Lösung von Knappheitsproblemen gekennzeichnet sind. Genau diese Dynamiken sind auf den verschiedenen Ebenen der Gesellschaft letztlich der bevorzugte Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Forschung.
Die Principal-Agent-Theorie konzentriert sich aus diesem weiten Feld wirtschaftlicher Prozesse auf einen ganz bestimmten Zusammenhang: auf die Situation eines Principals, der die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe mit einer klaren Zielsetzung anstrebt und damit jemand anderen (den Agenten) gegen eine definierte Entlohnung mit der Bewältigung dieser Aufgabe beauftragt. Aus dieser vertraglich begründeten Konstellation entstehen für einen Auftraggeber angesichts der unterstellten Prämissen (z. B. persönliche Nutzenoptimierung) spezifische Problematiken (sogenannte »Agency Problems«), deren genauere Analyse und möglichst effiziente Bewältigung Gegenstand der Forschung aus Sicht dieses Theoriezugangs sind (dazu grundlegend Eisenhardt 1989).
Das Paradebeispiel für eine solche Kooperationssituation bildet das Verhältnis des Eigentümers zum Topmanagement seines Unternehmens, sobald es zu einer Trennung der Funktionen Eigentum und Unternehmensführung gekommen ist (vgl. Jensen/ Meckling 1976). »Separation of ownership and management is a key component of agency theory« (Madison et al. 2017, S. 46). Jene Grundprobleme, die das spezifische Verhältnis des Principals zu seinem Agenten prägen, können unternehmensintern neben dem bestimmenden Verhältnis der Eigentümer zu ihrem Management auch auf alle anderen Führungsbeziehungen angewendet werden (Eisenhardt 1989). Unternehmen lassen sich vor diesem Hintergrund als subtiles, vertragsbasiertes Geflecht ineinander verwobener Principal-Agent-Beziehungen begreifen und interpretieren. Sie stellen in dieser Perspektive eine organisationsförmig strukturierte Arena zur Verfügung, auf der die Akteure in der Verfolgung ihrer Interessen zwar voneinander abhängig sind, es aber im Grunde darum geht, die unvermeidlichen Informationsasymmetrien, die begrenzte Rationalität bzw. das spezifische Risikoverhalten der jeweils anderen in diesem Spiel für die eigene Nutzenoptimierung gezielt auszuschlachten.
Die mit dieser Führungskonstellation einhergehenden Herausforderungen lassen sich im Wesentlichen auf zwei Problemfelder zuspitzen. Zum einen ist davon auszugehen, dass der Agent in der Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben seine eigenen Ziele verfolgt, also ein opportunistisches Verhalten an den Tag legt, und der Principal die damit verbundenen Abweichungen mangels realitätsgerechter Einblicke in das jeweilige Arbeitsgeschehen im Detail gar nicht beurteilen kann. Die aus diesem Umstand einer schwer zu vermeidenden Informationssymmetrie resultierenden Verhaltensmöglichkeiten des Agenten werden gerne unter dem Begriff des »Moral Hazard« zusammengefasst (Eisenhardt 1989). Zum anderen hat der Agent immer die Möglichkeit, den Principal hinsichtlich seiner tatsächlichen Fähigkeiten im Unklaren zu halten. Persönliche Fehleinschätzungen in der Auswahl des Agenten sind daher wahrscheinlich (Problem der »Adverse Selection«). Für beide Problemfelder gilt es, eine geeignete Vorsorge zu treffen, etwa durch gezielte Governancelösungen, die die Leistungsprozesse des Agenten gut beobachtbar und damit einschätzbar machen, bzw. durch maßgeschneiderte Incentivelösungen, die sich stärker am Ergebnis der Aufgabenerfüllung orientieren und so die Interessenslagen zwischen Principal und Agent aneinander angleichen (dazu Fama/ Jensen 1983 sowie Eisenhardt 1989). Die Forschung zielt, geleitet von den Gedankengängen der Principal-Agenten-Theorie, darauf ab, die hier nur grob geschilderten »Agency Problems« in ihren kausalen Wirkungsmechanismen immer genauer zu erfassen und Lösungen zu finden, die den damit verbundenen »Agency Cost« möglichst gering halten, um so die angestrebte Effizienz der Unternehmensleistung zu gewährleisten (nach wie vor grundlegend dazu Jensen/Meckling 1976).
Da die Principal-Agent-Theorie vornehmlich in der Theoriearchitektur des wirtschaftswissenschaftlichen Denkens begründet ist, ist ihre bis heute prägende paradigmatische Dominanz in den Management Sciences gut nachvollziehbar. Auf den ersten Blick scheint ihre besondere Erklärungskraft im Kontext von familiengeführten Unternehmen allerdings nicht zum Tragen zu kommen. Überall dort, wo die Einheit von Eigentum und Führung an der Spitze eines Unternehmens noch voll in Wirksamkeit ist, dürften eigentlich keine der bekannten »Agency Problems« zu beobachten sein (vgl. Jensen/Meckling 1976, Chrisman et al. 2004, Shukla et al. 2014, S. 103).
Ein genauerer Blick im Rahmen der Forschung seit der Jahrtausendwende hat allerdings auch bei Familienunternehmen eine Reihe von Konstellationen zutage gefördert, die sich gerade durch diese Theorie in ihrer Problematik gut verstehen lassen. Dazu zählen etwa Situationen, in denen die Familie ihren außergewöhnlichen Einfluss an der Unternehmensspitze dafür nutzt, Erträge in einem unangemessenen Ausmaß für die Familie abzuzweigen, Familienmitglieder in der Firma zu bevorzugen, Nachfolger in der Führung zu etablieren, obwohl ihnen die erforderliche Eignung fehlt, und ähnliche Phänomene, die man gerne als Nepotismus bzw. als »Asymmetric Altruism« bezeichnet (vgl. Madison et al. 2016, S. 68). Ihnen ist gemeinsam, dass die Eigentümer den Familieninteressen einen deutlichen Vorrang gegenüber den Überlebenserfordernissen des Unternehmens einräumen und dieses damit in seiner Entwicklungsfähigkeit nachhaltig schädigen (dazu vgl. etwa auch Shukla et al. 2014, S. 106 sowie Chua et al. 2009).
Zu den typischen Problemfeldern,...