E-Book, Deutsch, Band 07, 592 Seiten
Reihe: Wolf-Shadow-Reihe
ISBN: 978-3-8025-8594-4
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Eileen Wilks wurde in Texas geboren und lebt seit über dreißig Jahren in der westtexanischen Stadt Midland. Seit 1996 schreibt sie Liebesromane, die regelmäßig auf die amerikanische Bestsellerliste gelangen, und wurde mehrfach für den RITA Award und den Romantic Times Award nominiert.
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1 Angst schmeckt immer unterschiedlich. Heute Abend schmeckte sie nach sauren Äpfeln mit einem Hauch von Galle. Arjenie schluckte einmal, dann noch einmal. Der Mond stand hoch und war beinahe voll. Ein paar Fetzen von hohen Zirruswolken zogen sich über die Himmelskuppel wie Kratzspuren, die ein paar Riesen beim Schlittern hinterlassen hatten. Arjenie hielt ganz still, damit ja kein Knacken oder Rascheln in die mondbeschienene Nacht drang. Sie war froh über das Mondlicht. So weit entfernt von der Stadt gab es nicht viel künstliches Licht, nur die Gartenbeleuchtung rund um Robert Friars großes, teures Haus. Die allerdings spross überall wie elektronische Pilze – Lampen entlang der Wege, Spots, die Bäume und Büsche anstrahlten, und Unterwasserlampen, die den Pool diamanten schimmern ließen. Überall, außer beim Gästehaus. Ungefähr fünfzehn Meter hinter dem glitzernden Pool stand eine Holzhütte, so groß wie eine Doppelgarage. Hier war es dunkel, vor allem hinter dem Dornenbusch, wo Arjenie kauerte. Weder der Mond noch die Gartenlampen schienen in das Fenster einen halben Meter links von ihr, das einen Spalt offen stand. Hinter der Scheibe war es dunkel. Aus der Dunkelheit drang ein Flüstern zu ihr. »Du gehst besser.« »Ja.« »Und trotzdem bist du noch da.« »Ich will dich nicht hier zurücklassen.« »Ich kann nicht mit dir kommen. Das weißt du. Geh. Sie bringen bald die Tränen.« Arjenie sagte nichts. Es gab nichts zu sagen. Dya brauchte die Tränen, aber Arjenie hasste sie und alles, für das sie standen. »Psst. Ich hätte dich nicht rufen sollen. Du bist nicht –« »Du willst mich doch nicht beleidigen, oder?« »Du hast Angst.« »Kannst du da drinnen hören, wie meine Knie aneinanderschlagen?« »Ach, das ist dieses Geräusch?« Dya prustete leise. »Mach dir keine Sorgen, Füchschen. Mir wird nichts geschehen. Ich bin nicht glücklich, aber mir geht es gut. Er wagt es nicht, mir etwas zuleide zu tun.« »Er wagt es nicht, dich zu töten«, stellte Arjenie richtig. »Das hast du mir selber gesagt. Weil deine Familie es herausfinden würde.« »Es ist auch deine Familie. Jidar-Verwandte gehören auch zur Familie.« Eine Familie, die sie nie gesehen hatte und auch nie sehen würde. »Ich will damit sagen, wenn du dich nicht zum vereinbarten Zeitpunkt meldest, werden sie Alarm schlagen, und dann wird Friar beweisen müssen, dass du lebst und wohlbehalten bist, sonst werden sie Beschwerde einlegen. Das ist da, wo du herkommst, eine große Sache, deswegen wird er es lieber vermeiden, dich zu töten.« »Außerdem braucht er mich für die Umsetzung seiner Pläne. Wenn ich tot bin, bin ich ihm nicht mehr nützlich.« »Zwischen wohlbehalten und tot kann eine Welt des Schmerzes liegen.« Ein einzelnes Zungenschnalzen. »Dann geh, bevor du müde wirst und Fehler machst und mit diesen Glasfläschchen in der Tasche erwischt wirst. Dafür würde er mich streng bestrafen.« »Eine gute Idee.« Vor allem, weil niemand Friar zur Rechenschaft ziehen würde, wenn sie nicht mehr auftauchte. Arjenie hatte den schlimmen Verdacht, dass Friars sie nur zu gern für immer verschwinden lassen würde, wenn er sie hier entdeckte. »Du hast das Prepaid-Handy, das ich dir gebracht habe. Erinnerst du dich noch, wie man es benutzt? Handys sind ein wenig anders als –« »Ich weiß, wie man es benutzt, aber ich werde es nicht tun. Glaub nicht gleich, dass etwas nicht stimmt, wenn ich dich nicht anrufe. Ich will dich nicht in Gefahr bringen.« Große Schwestern hörten vermutlich nie auf, sich um ihre kleinen Schwestern zu sorgen, dachte Arjenie. Wenigstens hatte Dya angerufen, als sie sie wirklich brauchte. »Ich komme wieder. Hab dich lieb, Dya.« »Komm nur, wenn ich anrufe. Hab dich lieb, Arjenie-hennie.« Als sie den Kosenamen hörte, musste Arjenie lächeln. Es war zwar ein recht wackeliges Lächeln, aber nun ja, das sah ja keiner. Sie drehte sich herum, um vorsichtig unter dem Busch hervorzukriechen und … »Au!« »Was ist?« »Blöder, böser Busch«, murmelte sie. »Er hat mich gestochen.« »Blutet es? Arjenie, wenn es blutet –« »Kannst du es wieder in Ordnung bringen?« Ihre Hand blutete, sicher war auch Blut an dem Busch. »Gib mir das Stück, an dem du dich verletzt hast.« Arjenie tastete nach dem Busch, vorsichtiger dieses Mal, und brach den Übeltäter ab. Sie erstarrte, als es »Knack« machte, wollte instinktiv ihre Gabe nutzen – und zuckte zusammen, als sie einen stechenden Schmerz an der Schläfe spürte. Sie befand sich zu nah an dem Glas der Fensterscheibe, um so viel Energie zu ziehen. Niemand kam, um nachzusehen, dank sei dem Licht, dem Gott und der Göttin. Ungelenk lehnte Arjenie sich vor, um den dornigen Zweig durch den Fensterspalt zu schieben. Einen langen Moment wartete sie, so leise atmend, wie sie konnte. Schließlich flüsterte Dya: »Fertig. Jetzt wird ihn niemand nutzen können, um deine Spur zu finden.« Der Ast glitt wieder durch den Spalt zurück und fiel leise raschelnd zu Boden. »Dya –« »Geh! Und achte darauf, dass du kein Blut hinterlässt.« Arjenie schaffte es hinter dem Busch hervor, ohne sich noch einmal zu stechen. Dann hielt sie inne, immer noch in der Hocke, um das Blut von ihrer Hand zu saugen. Verfluchtes dorniges Dingsbums. Kein Wunder, dass Friar glaubte, niemand könnte sich seinem Gästehaus nähern. Er hatte es mit Kampfpflanzen geschützt. Und natürlich waren da noch die Wachen. Und die Schutzbanne. Die Wachen wären nicht das Problem, sprach sie sich Mut zu. Sie war nicht erschöpft – auf jeden Fall nicht so erschöpft, dass sie sie bemerken würden. Was die Schutzbanne anging … immerhin war sie bis hierher gekommen, ohne einen auszulösen, oder nicht? Jetzt musste sie es nur wieder zurückschaffen. Langsam richtete sie sich auf. Zwischen ihr und dem Pool lagen nur ein Weg von fünfzehn Metern und ein paar niedrige Pflanzen – und dahinter das Haus. Sie fühlte sich schrecklich ungeschützt. Ihr Herz hämmerte. Ihr Mund war trocken. Stell dich nicht so dumm an, sagte sie sich. Niemand würde sie bemerken, also gab es keinen Grund, so ein Angsthase zu sein. Aber das viele Glas im Haus machte ihr Sorgen. Ihr Herz behielt seinen schnellen Rhythmus bei, als sie langsam über den Steinweg ging, der zur Hinterseite der kleinen Hütte führte, die hier in Südkalifornien fehl am Platze wirkte. Aber Friar hatte eine Vorliebe für den rustikalen Stil. Das Haupthaus war ein wenig eleganter – viel Holz, viel Glas und ein hohes Giebeldach, damit der Schnee, der niemals fiel, daran abglitt. Dummes Glas. Sie nahm es wahr wie ein leises Vibrieren, eine dumpfe, aber irritierende atmosphärische Störung. Glas störte ihre Gabe. Doch noch war es zu weit weg, um ein echtes Problem darzustellen, versicherte sie sich. Auch wenn es nicht recht in die Umgebung passte, Friars Haus war schön. Sie wünschte, es wäre nicht so. Ihr war schon klar, dass das Böse nicht als buckeliger Glöckner von Notre-Dame daherkam, doch irgendwie erschien es ihr falsch, dass jemand wie Robert Friar Schönheit erkannte und sie zu schätzen wusste. Auch die Landschaft drumherum war schön, auf eine raue und wilde Art. Sie war hindurchgefahren, als es noch hell war, nicht ganz bis zum Haus, das ein gutes Stück vom Highway entfernt an einer Privatstraße lag. Aber nah genug, um die besondere Schönheit dieser struppigen Berge zu bewundern … oder befand sie sich immer noch im Vorgebirge? Wo endete das eine, und wo begann das andere? Ist doch egal, sagte sie sich streng. Sie wusste, sie neigte dazu, sich in Grübeleien über interessante Details zu verlieren. Egal wie es hieß, die Gegend um Friars Haus war hügelig. Doch die Steigungen waren nicht allzu steil – Gott sei Dank, denn um hierherzugelangen, hatte sie einen Bergkamm überwinden müssen. Sie selber konnte sich vor unerwünschten Blicken verbergen, nicht aber zusätzlich noch ihren Mietwagen. Deshalb hatte sie ihn am Rande eines Feldwegs zurückgelassen, der auf den meisten Karten der Gegend nicht verzeichnet war. Das war Arjenies Stärke: Informationen zu beschaffen, die nicht leicht verfügbar waren. Auf der Rückseite der Hütte war kein Garten, nur eine kleine Terrasse. Kurz dahinter standen auch schon die Bäume – vor allem Kiefern und noch ein paar andere dürre Dinger. Vermutlich bezeichnete man so etwas in diesem trockenen Teil des Landes als Wald. Doch da, wo sie herkam, in Virginia, da gab es ganz andere Wälder. Über den Fluss und durch den Wald gehen wir zu Großmutters Haus … Hier gab es keinen Fluss und auch keine Großmutter, aber der Weg zurück führte durch die Bäume und über den Hügel. Oder den Berg. Was auch immer. Sie hatte gerade den Weg verlassen und ging über knirschende Kiefernnadeln, als sie Stimmen vernahm. Sie erstarrte, und ihr Herz spielte wieder den Angsthasen. Sie widerstand der Versuchung, ihre Gabe noch zu verstärken. Die Stimmen kamen von dem anderen Ende der Hütte, und sie hatte ihre Gabe seit zwei Stunden ohne Unterbrechung genutzt. Sie konnte es sich nicht leisten, all ihre Energie zu verbrauchen. So mächtig war sie...