Methodik und Relevanz der Gliederung narrativer Texte
E-Book, Deutsch, 184 Seiten
ISBN: 978-3-8463-4559-7
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Ordnung narrativer Texte zu erfassen, hat auch für die Interpretation neutestamentlicher Erzählungen grundlegende Bedeutung.
Florian Wilk entwickelt im Kontext der aktuellen Forschung ein Verfahren, das sowohl Thema und Inventar als auch Erzählstil und Sprache einer Erzählung zur Geltung bringt, und erweist an unterschiedlichen Textbeispielen seine Effektivität.
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Vorwort V
1. Einleitung 1
1.1 Die Aufgabe 1
1.2 Grundlagen und Vorgehensweise 4
1.3 Technische Hinweise 5
2. Klärung der Methodik anhand des Gleichnisses vom verlorenen Sohn (Lk 15,11b – 32) 6
2.1 Einführung 6
2.2 Themaorientierte Analyse 10
2.3 Inventarorientierte Analyse 13
2.4 Sprachorientierte Analyse 17
2.4.1 Metakommunikative Sätze mit folgender direkter Rede 18
2.4.2 Wiederholungen 20
2.4.3 Wiederaufnahmen 22
2.4.4 Auffällige syntaktische Phänomene 31
2.4.5 Vorläufige Auswertung 34
2.5 Erzählstilorientierte Analyse 34
2.6 Zusammenfassende Auswertung 38
2.6.1 Vergleich der Ergebnisse für die Gliederung von Lk 15,11b – 32 38
2.6.2 Entwurf einer Vorgehensweise zur Gliederung von Erzählungen 44
3. Exemplarische Textanalysen 47
3.1 Das Gleichnis vom Schatz im Acker (Mt 13,44) 47
3.1.1 Überblick über das Inventar und vorläufige Bestimmung des Themas 47
3.1.2 Thema- und inventarorientierte Analyse 48
3.1.3 Einbeziehung der Wiederaufnahmestruktur 48
3.1.4 Einbeziehung des Erzählstils 49
3.1.5 Einbeziehung der Syntax 50
3.1.6 Auswertung 50
3.2 Die Heilung eines Taubstummen (Mk 7,31 – 37) 52
3.2.1 Überblick über das Inventar und vorläufige Bestimmung des Themas 54
3.2.2 Thema- und inventarorientierte Analyse 55
3.2.3 Einbeziehung der Wiederaufnahmestruktur 55
3.2.4 Einbeziehung der Kommunikationsebenen 56
3.2.5 Einbeziehung des Erzählstils 57
3.2.6 Einbeziehung der Syntax 58
3.2.7 Auswertung 59
3.3 Petrus und Kornelius (Apg 10,1 – 11,18) 59
3.3.1 Überblick über das Inventar und vorläufige Bestimmung des Themas 60
3.3.2 Thema- und inventarorientierte Analyse 61
3.3.3 Einbeziehung der Wiederaufnahmestruktur 64
3.3.4 Einbeziehung der Kommunikationsebenen 69
3.3.5 Einbeziehung des Erzählstils 71
3.3.6 Einbeziehung der Syntax 73
3.3.7 Auswertung 73
3.4 Jesus vom Laubhütten- bis zum Tempelweihfest in Jerusalem (Joh 7,1 – 10,39) 77
3.4.1 Überblick über das Inventar und vorläufige Bestimmung des Themas 80
3.4.2 Thema- und inventarorientierte Analyse 82
3.4.3 Einbeziehung der Wiederaufnahmestruktur 84
3.4.4 Einbeziehung der Kommunikationsebenen 91
3.4.5 Einbeziehung des Erzählstils 93
3.4.6 Einbeziehung der Syntax 97
3.4.7 Auswertung 98
3.5 Das Evangelium nach Markus (Mk 1,1 – 16,8d) 101
3.5.1 Überblick über das Inventar und vorläufige Bestimmung des Themas 102
3.5.2 Methodologische Zwischenüberlegung 109
3.5.3 Thema- und inventarorientierte Analyse 110
3.5.4 Einbeziehung der Wiederaufnahmestruktur 112
3.5.5 Thematische Beschreibung der postulierten Hauptteile 116
3.5.6 Einbeziehung der Kommunikationsebenen 130
3.5.7 Einbeziehung des Erzählstils 132
3.5.8 Auswertung 138
4. Schlussbetrachtung 140
4.1 Evaluation der einzelnen Untersuchungsmethoden 140
4.1.1 Überblick über das Inventar und vorläufige Bestimmung des Themas 140
4.1.2 Thema- und inventarorientierte Analyse 141
4.1.3 Einbeziehung der Wiederaufnahmestruktur 142
4.1.4 Einbeziehung der Kommunikationsebenen 142
4.1.5 Einbeziehung des Erzählstils 143
4.1.6 Einbeziehung der Syntax 144
4.2 Evaluation der Vorgehensweise im Ganzen 145
4.3 Leitfragen für die Gliederung neutestamentlicher Erzählungen 146
Literaturverzeichnis 149
Autorenregister 159
Stellenregister 161
|10|2.2 Themaorientierte Analyse
Als »Kern des Textinhalts« umfasst das Thema »den Grund- oder Leitgedanken« eines Textes; jener Textinhalt ist also »das Resultat der Entfaltung«, d.h. der »gedankliche[n] Ausführung des Themas«.[31] Sofern es nicht »in einem Textsegment realisiert« ist, muss es »aus dem Textinhalt abstrahiert werden«.[32] Hat man es erhoben, kann man von ihm aus die Textstruktur beschreiben. Ein ebenso einleuchtendes wie praktikables Verfahren für die thematisch orientierte Analyse des Aufbaus literarischer Werke hat bereits Friedrich Schleiermacher in seinem Kolleg »Hermeneutik und Kritik« entwickelt. Wie er zeigt, lässt sich die »Eigentümlichkeit in der Komposition« aus der »Einheit des Ganzen« – die als »innere Einheit« mit dem »Thema eines Werkes« identisch ist – ableiten.[33] Das Thema »zu finden« sei daher die »[e]rste Aufgabe« des Interpreten. Dafür dürfe man sich nicht auf eine ggf. vorhandene »Angabe des Verfassers zu Anfang oder zu Ende« verlassen.[34] Vielmehr bedürfe es einer gesonderten Untersuchung; und diese sollte sich wie folgt vollziehen: »1. Man vergleiche die entgegengesetzten Punkte Anfang und Ende. [Anm. Die erste Übersicht fängt also so elementarisch an als möglich]. Fortschreitendes Verhältnis = Charakter der historischen und rhetorischen Komposition. Gleichheits-Verhältnis = Char[akter] der intuitiven Komposition. Zyklisches Verhältnis = Char[akter] der dialektischen Kompos[ition]. … Kautelen. 1.) Man unterscheide wohl, was an beiden Punkten auf den Zweck sich bezieht, und was auf die Idee. 2.) Man unterscheide wohl den rechten Anfang und das rechte Ende. a) Der Anfang des Ganzen ist zugleich Anfang seines ersten, das Ende des Ganzen zugleich Ende seines letzten Gliedes. … b) Man unterscheide ja die Grenzen des Ganzen. … 2. Wenn Anfang und Ende nichts oder nicht genug für die Einheit geben, so vergleiche man die akzentuierten Stellen. Die gleich akzentuierten müssen zur Idee im gleichen Verhältnis stehen und daher diese daraus hervorgehen. … 3. Man geht nun weiter ins Einzelne …, um den Akzent zu verfolgen … – Je genauer nun das Abnehmen des Akzents übereinstimmt mit der Entfernung von der vorausgesetzten Idee, desto mehr bestätigt sich die Voraussetzung.«[35] Dieses Verfahren eignet sich in der Tat dazu, das Thema einer Erzählung zu erfassen und von dort her einen Überblick über ihren Aufbau zu gewinnen. Es weist allerdings auch gewisse Unschärfen auf. Seine Vorzüge und seine Grenzen werden bei der Anwendung auf Lk 15,11b–32 gleichermaßen deutlich. Vergleicht man zunächst Anfang und Ende, so fällt unmittelbar auf, dass am Ende ein Pendant zum ersten, vom Erzähler gesprochenen Satz Lk 15,11b: »Ein Mensch hatte zwei Söhne«, fehlt. Die Erzählung schließt stattdessen mit einer an den älteren Sohn (V. 25a) gerichteten Äußerung des Vaters (15,31f.). |11|Dieser Mangel deutet vor allem den Zweck der Erzählung an. Sie richtet sich ja – als zweiter Teil einer Rede Jesu[36] – an »Pharisäer und Schriftgelehrte«, die gegen seine Hinwendung zu und Tischgemeinschaft mit »allen Zöllnern und Sündern« protestieren (Lk 15,1f.). Sie, die Adressaten, sehen sich infolge des offenen Schlusses gleichsam selbst vom Vater angeredet[37] – und somit implizit aufgefordert, ihre Kritik am Verhalten Jesu zu überdenken. Gleichwohl ist jene Diskrepanz auch für die Suche nach dem Thema der Erzählung von Belang. In seinem Schlussvotum reagiert der Vater (Lk 15,28b) auf den Widerspruch seines älteren Sohnes (15,29f.). Dabei vergewissert er ihn als »Kind« ihrer wechselseitigen Gemeinschaft (V. 31), um ihm daraufhin die Notwendigkeit des laufenden Festes zu erläutern (V. 32a); sie ergebe sich aus der Tatsache, dass sein »Bruder« ins Leben zurückgekehrt sei (V. 32b–c). Der Vater verknüpft also den Status des Kindes (das der Ältere für den Vater ist) mit dem des Bruders (das ist er dem jüngeren Sohn) – und sucht so den älteren Sohn in die familiäre Verbundenheit aller drei Personen hineinzuziehen. Angesichts eines solchen Schlusses taugt aber V. 11b alleine nicht als »rechter Anfang« des Ganzen.[38] Dieser umfasst vielmehr 15,11b–12; denn erst V. 12 benennt mit der vom jüngeren Sohn geforderten, vom Vater daraufhin vollzogenen Erbteilung[39] die Voraussetzung für das Zerwürfnis, dessen vollständige Heilung der Vater am Ende herbeiführen möchte. Das auf den Protest des Älteren antwortende Schlusswort des Vaters greift demnach seine auf Wunsch des Jüngeren vollzogene Erbteilung auf, sodass – mit Schleiermacher zu sprechen – ein »fortschreitendes Verhältnis« von Anfang und Ende und damit eine Art »historischer Komposition« vorliegt. Deren Thema ist dann die freudvolle Wiederherstellung der Gemeinschaft zwischen dem Vater und seinen beiden Söhnen; und dabei besteht die Pointe darin, dass jene Wiederherstellung zwar durch das Verhalten des Jüngeren notwendig geworden, schließlich jedoch seitens des Älteren zu vervollständigen ist. Es besteht also durchaus Anlass, die traditionelle Überschrift »Das Gleichnis vom verlorenen Sohn« zu verändern; diese bildet den elementaren Sachverhalt, dass eine »Dreiecksgeschichte« vorliegt, nicht ab.[40] Freilich sollte man dann nicht von »den verlorenen Söhnen« sprechen. Es werden ja gerade nicht einfach »zwei Typen einander gegenübergestellt«[41]. Vielmehr macht schon der Kontrast von Anfang und Ende deutlich, dass es dem Erzähler um die Reaktion des älteren auf das Geschick des jüngeren Sohnes geht. Fragt man nun weiter nach den akzentuierten Stellen, so gilt es Stellen aufzuspüren, die für den Fortschritt der Erzählung im Zeichen des Themas maßgeblich sind. Da sie von der Wiederherstellung einer familiären Gemeinschaft handelt, |12|kommen dafür solche Stellen in Betracht, die Veränderungen in den Beziehungen zwischen den beteiligten Personen signalisieren. Dies geschieht zum ersten Mal mit Lk 15,13: Nach der vom Vater durchgeführten Erbteilung (V. 12d) zog der jüngere Sohn mit seinem Anteil in ein fernes Land, wo er all sein Gut verprasste. Die folgenden Verse (15,14–16) schildern, wie er danach immer tiefer ins Elend geriet.[42] Die zweite deutliche Zäsur ist mit V. 17 gegeben: Angesichts seiner Not ging der Sohn in sich und gedachte seines Vaters. In 15,18–20a wird erzählt, dass er sich daraufhin entschloss, in der Stellung eines Tagelöhners zu seinem Vater zurückzukehren. V. 20b markiert den nächsten Einschnitt: Noch bevor der Sohn das Vaterhaus erreichte, sah ihn sein Vater, wurde von Mitleid ergriffen und begrüßte ihn herzlich. Bis ans Ende von V. 24 reicht dann die Darstellung der freudigen, in ein Freudenfest einmündenden Aufnahme des reuigen Sohnes durch den Vater. Erneut vorangetrieben wird die Geschichte mit V. 25: Der ältere Sohn kam vom Feld, näherte sich dem Haus und hörte, dass dort gefeiert wurde. In 15,26–28a folgt die Darstellung seiner in zwei Stufen vollzogenen, in zornigem Fernbleiben gipfelnden Reaktion auf das Fest. Schließlich leitet V. 28b den letzten Abschnitt ein; die Notiz, dass der Vater herauskam und dem älteren Sohn zuredete, führt zur Wiedergabe eines Wortwechsels zwischen beiden (15,29–32), mit der das Ganze endet. Somit weist der Text insgesamt fünf markante Stellen auf, an denen jeweils von einer – und sei es innerlichen – Bewegung gesprochen wird, die die Beziehungsgeschichte zwischen dem Vater und seinen beiden Söhnen weiterführt. Diese Akzente sind allerdings unterschiedlich stark. Vergleichbar sind zum einen Lk 15,13 und V. 25; beide Stellen lenken das Augenmerk darauf, dass je einer der Söhne durch sein anschließend geschildertes Verhalten die familiäre Gemeinschaft verletzte. Auf derselben Ebene stehen zum andern V. 20b und V. 28b; hier wie dort wird gezeigt, wie der Vater dem betreffenden Sohn entgegenkam. So ergibt sich folgende Gliederung: Die exemplarische Anwendung auf Lk 15,11b–32 zeigt: Eine thematisch orientierte Analyse im Sinne Schleiermachers führt zu einem klaren, durchaus erhellenden Ergebnis. Solch eine Analyse ist insbesondere dazu geeignet, den Spannungsbogen, der eine Erzählung als ganze überspannt, zu erfassen und daraufhin die wesentlichen Schnittstellen zu erkennen, die jeweils den weiteren |13|Verlauf jenes Bogens vom Anfang bis zum Ende gewährleisten....