Prosa und Lyrik
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-7578-9379-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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ELMAR
BALDASSERONI
geboren 1977 in Mürzzuschlag. Promotion in Genetik und Moraltheologie in Wien. Romandebut: "die hinrichtung", 2013. Bildender Künstler sowie Mitglied der Grazer Autorinnen- und Autorenversammlung, diverse Stipendien, internationaler ,writer in residence‘, Aufenthalte sowie laufende Publikationen von Prosa und Lyrik in Literaturzeitschriften. IL DECADIMENTO
E LA SCICCHERIA
Markus hatte Lilly tags zuvor beim Einkaufen im Tesco nahe der Rialtobrücke kennengelernt, ihr Parfum hatte ihn an The Merchant of Venice erinnert und er hatte sie danach auf Englisch angesprochen, ihre dunklen Augen leuchteten über der Maske hervor und sie erwiderte, daß es Louis Vuitton gewesen war und nicht The Merchant of Venice, sie war klein und kompakt und der Duft war wie ein dichter Nebel um sie herum gewesen, er erwähnte, daß er als Künstler aus Österreich hergekommen sei, um zu schreiben und zu malen, sie fragte, ob Österreich in Europa läge und erzählte davon, daß sie aus New York kommen würde, sie lebe ein halbes Jahr in den USA und das restliche halbe Jahr hier in Venedig, sie sei Modefotografin, sie überreichte ihm gleich ihre Visitenkarte, sie hieß Lilly, sie meinte, sie könne eine Vernissage hier für ihn organisieren und sie würde ihn gerne zum Kaffee treffen und er solle sich bei ihr melden, sie zwinkerte ihm noch zwischen Parmaschinken und Proseccoflaschen verheißungsvoll zu. Er schrieb ihr schon am nächsten Abend eine Mail und sie antwortete nach nicht einmal einer halben Stunde, es sei ihr eine Freude gewesen, ihn kennenzulernen, sie werde seine Website besuchen, sie sei ihm so dankbar, sie freue sich so sehr darauf, ihn zu treffen, er antwortete ihr am nächsten Morgen und schickte ein paar Fotos seiner Ölbilder dazu, sie schrieb am frühen Nachmittag, daß sie sich für die späte Antwort entschuldigen wolle, sie sei eine „late night person“, sie schlafe erst um fünf Uhr früh ein und wache um zwei Uhr nachmittags auf, sie funktioniere nicht am Morgen, außerdem wäre es am venezianischen Nachmittag in New York gerade Morgen, weshalb sie nun ihre Geschäftskontakte dort pflegen könne, dann würde sie in den Beauty Salon gehen und ins Gym, also ins Fitnessstudio. Sie schlug einen Kaffee im Hadrian für Donnerstag Abend vor. Sie liebe seine künstlerischen Arbeiten, „you are so talented.“ Details würde sie besprechen, wenn sie einander treffen würden. Er antwortete, daß das Hadrian wohl das traditionsreichste Kaffeehaus der Welt sei und Donnerstag um halb sieben für ihn fein wäre. Sie mailte, daß er gerne irgendein Lokal aussuchen könne, das ihm gefalle, sie liebe auch Charly´s Bar, nur sei diese zu teuer, er schrieb, daß sogar Hemingway dort gewesen war, und daß sie zuerst ins Hadrian und dann in Charly´s Bar gehen könnten. Sie sandten einander noch das eine oder andere Mail über das schöne Wetter und das feine Essen, bevor es Donnerstag wurde. Markus spazierte an diesem Donnerstag noch nach Santa Croce, wo er ein Lokal suchte, in dem er damals vor zwei Jahren die wunderbarsten Spaghetti al nero di seppia gegessen hatte, das Ristorante ai Bari, das Tiramisu war zart wie kaum anderswo, und der Caffè corretto hatte ihn damals überrascht und fast aus der Bahn geworfen, hatte er ihn doch mit einem Caffè ristretto verwechselt gehabt, der Schuß Grappa war ihm erst am Ende aufgefallen. Als er vor dem verschlossenen Ristorante ai Bari gestanden war, sprach ihn plötzlich von der Seite Laila, seine marokkanische Künstlerkollegin freundlich an, an ihrer Seite war Carine, deren französische Freundin um die Ende vierzig, groß, dunkle Ponyfrisur mit schlanker, femininer Figur und einem schicken engen Rock und einem weißen süßen Hund, Clandeste, Markus war freudig überrascht, Carine lachte laut und ihre Stimme drehte sich hoch, enchanté, er erzählte auf Italienisch von den Spaghetti al nero di seppia von damals, damals, vor der Pandemie, das Lokal müsse wohl geschlossen sein, vielleicht für immer, Laila erwiderte, daß sie ja ganz in der Nähe wohne und daß es heute Vormittag noch geöffnet gewesen sei, na gut, meinte Markus, der erwähnte, daß er etwas in Eile sei, da er heute Abend noch zum ersten und wohl einzigen Mal in seinem Leben ins Hadrian und in Charly´s Bar gehen wolle, aah, der feine Herr gehe ins Hadrian, feixte Carine, dorthin, wo die bessere Gesellschaft sich treffe, und sie zwinkerte mit einem Auge, Clandeste bellte und zog an der Leine, da er sich bewegen wollte, schließlich schlug Markus vor, man könne ja gemeinsam Richtung Rialto gehen, die beiden Frauen waren d`accord, man schlenderte die Straße entlang, Carine war eine Übersetzerin und Dichterin, sie lebte seit Jahren in Venedig. Markus erzählte von seinem großen Wunsch, ebenso einmal in der Stadt zu leben, wobei die Mieten horrend seien, Laila sagte, daß sie für nicht einmal vierzig Quadratmeter mehr als fünfhunderfünfzig Euro pro Monat bezahlte, was immer noch sehr günstig sei. Schließlich kehrten die drei Menschen und der Rüde in einem Lokal ein, ein Cappuccino für Markus, zwei Caffès für die Damen, Markus erzählte schließlich noch von seiner Idee, eine Getränkemarke zu etablieren, das Rezept und das Patent habe er schließlich schon, Carine sah ihn bewundernd an, ein Tausendsassa sei er, während Laila, ganz Realistin, von der Notwendigkeit eines Businessplans sprach, Markus hielt kurz inne, bejahte dies, fragte nach dem Sternzeichen von Carine, da er jenes von Laila bereits wußte, Widder, soso, Aszendent Krebs, er warf ihr einen tiefen Blick zu, den sie erwiderte, während sie sich kurz und beinahe unmerklich auf die Unterlippe biß, er war Krebs Aszendent Löwe meinte er knapp, trank seinen Cappuccino beinahe auf ex, schickte sich an, zu zahlen, wobei die Damen frohlockten, er sei eingeladen, er lehnte dankend ab: wir Künstler müssen schließlich alle darauf schauen, wie wir überleben, und zahlte seinen eigenen Kaffee, Carine sprang auf und tippte noch rasch ihre Telefonnummer samt E-Mail in sein Handy, das er gleich danach wie immer desinfizierte, sie wollte ihm die Hand reichen oder ihn gar umarmen, er berührte ihre ausgestreckte, feine Hand mit dem Faustgruß. Carine, ihr kokettes Wesen und ihr Körper zogen ihn an, doch er mußte weiter, weiter, mit langen stürmischen Schritten durch die engen Gassen von Santa Croce hindurch, vorbei an den Geschäften, vorbei an den Brückengeländern und quasselnden Touristenkarawanen, Lilly schrieb, sie hätte noch ein Fotoshooting, er schrieb, sieben Uhr sei auch in Ordnung, sie dankte, er rannte die Stufen zu seinem Appartement in San Polo hinauf, machte sich frisch, aß einen Happen, und eilte schnellen Schrittes mit regem Atem über die Rialtobrücke, durch die feine Salzluft und die Menschenmassen hindurch, weiter, weiter, Lilly schrieb, sie würde es bis sieben nicht schaffen, er antwortete, sieben Uhr fünfzehn sei auch fein, sein Navigationsprogramm am Handy zeigte ihm noch zehn Minuten Wegzeit an, endlich war er am Markusplatz angekommen und hatte das Hadrian ausfindig gemacht. Eine strahlende Schmuckschatulle direkt am Rande des großen Platzes, ein Kellner im Frack wie in einem Fünfsternehotel öffnete mit knarrenden Schritten, mit leichter Verbeugung und Glacéhandschuhen die schwere Glastüre, während Markus, der sich zuhause noch rasch umgezogen hatte, in seiner schweren kardinalroten Cordhose der mittlerweile leider aufgelassenen Kleidermanufaktur Glengarnock of Scotland, einem weißblau gestreiften Brooks Brothers-Hemd, einem königsblauen V-Pullover und einem graukarierten Burberrysakko und der obligatorischen olivgrünen Barboursteppjacke samt Wachsgilet und den eigens für ihn in einer kleinen Weinviertler Werkstätte maßgefertigten stierblutroten Oxfordmaßschuhen mit den knallroten Schuhbändern den Raum betrat, die Baskenmütze, den beigekarierten Kaschmirschal und die feinen erdfarbenen Florentiner Handschuhe hatte er bereits abgelegt und die kreideweiße FFP2-Maske aufgesetzt. Er wirkte groß, jugendlich, milde, erfolgreich und nahm an einem sauberen, weiß-spiegelnden Marmortischchen in der Ecke Platz, von dem aus er den dunklen Markusplatz überblicken konnte, bordellplüschrote Sitzbänke wurden von blattvergoldeten Leisten umrahmt, darüber befanden sich edle Wandmalereien und Vertäfelungen aus dem achtzehnten Jahrhundert, man fühlte sich wie in einem Salon aus der Zeit Maria Theresias. Die goldumrahmten Porträts von Dogen, Fürsten, Patriarchen, Gesandten, weltlichen wie geistlichen Würdenträgern säumten die Wände. Der patinierte Parkettboden knarrte, wenn die Camerieri um einen herumscharwenzelten. Es roch nach Kaffeespezialitäten und nach dem Puder in den Perücken der alten Damen, nach den kostbaren Duftwässern der betuchten Touristinnen aus allen Erdteilen. Schnell noch ein sogenanntes Selfie, sich im ältesten Kaffeehaus der Welt zu befinden ging mit einer Prise Überlegenheitsgefühl und einem Anflug von touristischer Belustigung einher, auf den Spuren...