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E-Book

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

Wiedra Barmherzig

Anthologie

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

ISBN: 978-3-7504-7878-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In dieser Anthologie äußern sich Österreichische Schriftsteller zum Thema Barmherzigkeit. Die Barmherzigkeit ist eine Eigenschaft des menschlichen Charakters, die das Herz für fremde Not öffnet und sich dem Notleidenden mildtätig annimmt. Also mehr als Mitleid.
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SOPHIA BENEDICT
Geboren in der UdSSR. Universitätsabschluss mit dem Diplom für Publizistik. Arbeitete in Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernseher. Weiterbildung in Wien, wo sie seit 1984 lebt und arbeitet. Langfristige Akkreditierung als Journalistin und Pressefotografin beim Österreichischen Bundeskanzleramt. Gleichzeitig widmete sie sich der Wissenschaftsjournalistik. Zahlreiche Publikationen in Zeitungen und Fachzeitschriften, über 20 Buchveröffentlichungen in Deutsch und Russisch (Sachbücher, Übersetzungen, Lyrik und Prosa). ICH HAB ALLES VERSTANDEN, MAMA! «Geh’ma zu McDonald´s!» «Vielleicht besser zum Kebab?» «Nein, besser McDonald´s!» «Also, gut!» «Aber wenn du …» «Gut, gut, geh’ ma zum Mac!» «Hast du gestern was abgekriegt, als du spät nach Hause gekommen bist?» «Nein, meine Mutter hatte keine Zeit, mein kleiner Bruder war krank, sie hat sich um ihn gekümmert.» «Deine Mutter ist okay! Meine beginnt sofort zu schreien, deine aber …» «Es kommt vor, dass meine auch … Nein, sie tut nicht schreien, sie kann einen aber so anschauen … Manchmal denke ich, es wäre mir lieber, wenn sie brüllte.» «Ist sie streng?» «Sie hat es schwer ohne Vater». «Wofür hat man deinen Vater …? «Er hat ein Fläschchen Parfüm mitgehen lassen … Er wollte meiner Mutter ein Geburtstagsgeschenk machen.» «Lüg nicht! Für eine Flasche Parfüm kommt keiner in Knast!» «Tja … Er hat die Verkäuferin angeschrien. Sie war erschrocken. Die Polizisten haben dann bei meinem Vater ein Taschenmesser gefunden …» «Die Österreicher stehlen auch, ich habe selber gesehen.» «Das sind Österreicher …» McDonald´s war voll. Mit Mühe drängte ich mich zum kleinen Tisch am Fenster durch. Ein Bursche hat mir Bein gestellt, ich bin fast gestürzt, zusammen mit dem Tablett. Also, ist mir ein tschetschenisches Schimpfwort ausgerutscht und dann noch ein paar russische. Ich stellte das Tablett auf den Tisch und ging zu jenem Burschen zurück. Er saß mit anderen an einem kleinen Tisch. «Das hast du absichtlich gemacht», sagte ich, «geh’ ma raus!» Der Bursche ist aufgestanden und ist mir ruhig zum Keller gefolgt, dorthin, wo die Toiletten sind. Der Gang war leer. Dann habe ich es ihm gegeben. So, ganz leicht mit der Faust nur gestoßen. Er hat sich aber nicht gerührt. Das hat mich noch mehr geärgert, ich stieß ihn wieder. Da ist er ausgewichen und hat friedlich gesagt: «Hey, du bist kein Österreicher. Und ich dachte, dass du ein Österreicher wärst …» «Was meinst du damit?» «Du siehst wie ein Österreicher aus.» «Ich bin Tschetschene! » Viele Tschetschenen haben helles Haar und helle Augen, so wie ich, man glaubt oft, dass ich ein Österreicher wäre. «Ich dachte, du wärst ein Österreicher», wiederholte der Bursche ruhig. «Und wo kommst du her?», fragte ich entgegen. «Wir kommen aus Bosnien. Verzeih, Bruder! Wir sind doch Brüder, nicht wahr? Moslems. Wir dürfen uns nicht streiten. Ich war im Unrecht. Verzeih mir.» «Gut», sagte ich. Wenn man um Verzeihung bittet, ist es unmöglich, sich weiter zu ärgern. Ich schaute zur Seite und sah ein Mädchen die Treppe heruntersteigen. Wir beide starrten sie an. Sie war sehr hübsch, ihr Röckchen war sehr kurz und oben hatte sie so gut wie fast nichts, irgendeinen Stoffflicken über der Brust, ihr Bauch war nackt. Wir glotzten sie an, bis sie hinter der Toilettentür verschwand. Mein Freund Saschka wartete auf mich. «Was ist los?» Ich erzählte es ihm. Saschka zuckte mit den Schultern: «Idioten!» Er meinte die Bosnier. Wir aßen und dann tranken wir langsam Cola aus Strohhalmen. Jener Bursche und seine Freunde blieben auch sitzen, obwohl sie mit ihren Hamburgern längst fertig waren. Wir hörten etwas aus ihrem Gespräch. «Lässt du das einfach so geschehen?», sagte ein Bursche zu dem, mit dem ich mich schon zurechtgefunden hatte. Bosnisch ist eine slawische Sprache, also dem Russisch sehr ähnlich, so können wir auch etwas davon verstehen. Jener Bursche schwieg. Kurz gesagt, sie kamen an uns heran und sagten, dass wir auf die Straße hinausgehen sollen. Also sind wir eben hinausgegangen und haben uns unter irgendeinen Torbogen begeben. Kein Mensch ringsumher. Sie waren drei, wir zwei. Aber ich fürchtete mich nicht. Äußerlich sind Saschka und ich nichts Besonderes, aber wir sind sehr stark, und Saschka lernt Taekwondo. «Gebt uns sofort eure Telefone und leert eure Taschen!», sagte einer der Burschen auf Deutsch. Da hat Saschka ohne nachzudenken ihm eine geklebt. Und zwar ordentlich! Ohne was zu sagen. Ohne Worte. Der Bursche erwartete das nicht, der Schlag war aber so kräftig, dass er auf die Knie fiel und Blut aus seiner Nase strömte. Den anderen habe ich einfach kräftig gestoßen und er ist umgekippt. Jener Bursche, mit dem ich mich vorher fast verbrüdert hatte, stand einfach an der Wand, er wollte nicht raufen, aber Saschka hat das nicht verstanden, blitzschnell hat er mit dem Ellbogen seinen Hals an die Wand gedrückt. «Nun, gebt uns jetzt eure Telefone! Und Geld auch! Also pronto! », brüllte Saschka. Sein Gesicht strahlte Bosheit aus, die Bosnier glaubten, dass er ihren Freund zu Tode drücken würde. Der Bursche wollte etwas sagen, aber aus seiner Kehle drang nur ein heiseres Röcheln, als hätte man auf dem Schnellkochtopf das Ventil geöffnet. Da erschrak sogar ich. Die Burschen haben sofort ihre Mobiltelefone auf den Boden geworfen. Eines war ein iPhone, sicher geklaut. Sie haben auch ihre Taschen herausgezogen, aber an Geld war da fast nichts, fünf Euro und ein paar Münzen. Ich habe die Telefone und das Geld eingesammelt. Saschka hat die Burschen gehen lassen, und dabei gedroht, dass er sie alle umlegen würde, sollten sie zur Polizei gehen. «Versprecht ihr mir, dass ihr nicht zur Polizei geht?» Sie versprachen. Auf so einen Freund wie Saschka kann man sich verlassen. Er ist ein Jahr älterer als ich, also, ist er für mich wie eine älterer Bruder. Die Bosnier sind dennoch zur Polizei gegangen. Wahrscheinlich, haben sie ihre Eltern dazu gezwungen. Ich hätte schwören können, dass sie nicht zur Polizei gehen würden, so mies haben sie sich gefühlt als wir weggingen. Doch wir waren tatsächlich quitt, sie haben angefangen, und sie haben einfach nicht erwartet, dass die Sache so eine Wendung nehmen würde. Wir, ich und Saschka, haben mit denen das gemacht, was sie mit uns machen wollten, nur ihnen ist das nicht gelungen. Sie haben alles das verdient! Ich und Saschka sind nicht schuldig. Im Gegenteil! Es war wie im Kino, wo die gerechten Rächer siegen. Die Gerechtigkeit war unser, wir haben gesiegt. Die Polizisten dachten aber anders. Die Burschen liefen sofort ins Krankenhaus, also wurden sie zu Opfern und wir waren die Täter. Ihre Wunden sind schon längst verheilt, wir aber sitzen immer noch in Untersuchungshaft. Jetzt sagen Sie mir selbst, wo ist die Gerechtigkeit?! Man sollte diese Bosnier in den Knast stecken, nicht uns! Sie haben doch angefangen! Die Bedingungen im Knast sind eigentlich nicht so schlecht, wie ich erwartet habe. Die Zelle hat vier Betten, so wie ein Zimmer in einem Wohnheim. Drei Mal am Tag bekommen wir was zum Essen. Es ist nicht schön, aber man kann leben. Nur verrecke ich vor Langeweile! Von Tag zu Tag fühlte ich mich schlechter. Saschka saß in einer anderen Zelle, ich sah ihn nur einmal im Gang. Dafür kam meine Mutter mich sehr oft besuchen. Es ist gut, dass ich in Wien geblieben bin, sonst wäre sie nicht zurechtgekommen, doch muss sie auch meinen Vater besuchen. Meine Mutter tut mir leid. So leid, dass mein Herz stehen bleibt. Doch bin ich der «Älteste» seitdem mein Vater im Gefängnis sitzt, jetzt aber ist sie ganz allein mit den Kleinen geblieben. Sie ist aber sehr mutig, meine Mutter. Sie schrie mich nicht an, sie schimpfte nicht, sie weinte nicht einmal, sie sagte nur ganz leise: «Erzähl bitte ehrlich, wie das alles passiert ist.» Also, ich habe eben erzählt. Alles ganz klar und offen! Ich habe doch nichts zu verbergen, ich und Saschka, wir haben doch recht. Nachdem sie die Geschichte gehört hat, sagte meine Mutter, dass wir einfach weggehen hätten sollen, in die U-Bahn steigen, wo viele Menschen sind, dann wäre nichts geschehen. Tja … Meine Mutter ist eine Frau, sie kann das nicht verstehen. Das war eine Ehrensache! Wir konnten nicht weglaufen wie die letzten Feiglinge! Wir hätten uns dann selbst nicht mehr achten können. Und diese Bosnier, sie sind Schweine! Sie haben angefangen. Dann haben sie doch versprochen, nicht zur Polizei zu gehen, und sie haben...


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