Erkenntnis als Basis für das Gelingen einer Gesellschaft
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-907625-78-1
Verlag: Rüffer & Rub
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Um sich in der zunehmend komplexeren Welt zurechtzufinden, muss der Mensch die Welt und sein Innerstes, das ihn antreibt, erkennen. Das Bewusstsein ist eingespannt zwischen die inneren Antriebe und die äußeren Widerstände und muss Lösungen der Spannungen, die sich als Gefühle mitteilen, finden. Bewusstsein stellt für Gesellschaften ein ungeahntes Potential dar, nämlich das der Absprache der Menschen untereinander, die das friedliche Zusammenleben regelt und den Freiraum für individuelle Entfaltung und Erfüllung sichert.
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Unerschütterliches
Fundament aller Erkenntnis:
Anschauungen a priori Wirklichkeit und Abbildung Johann Wolfgang von
Goethe, 1749–1832 Die Vorstellungen im menschlichen Gehirn werden aktiv hervorgebracht und sind nicht bloß Spiegelungen der Außenwelt. Visuelle Bilder etwa sind das Produkt der Verarbeitung einfallender elektromagnetischer Strahlung. Wie synthetisch das Bild ist, illustriert die Vertauschung durch eine Operation der Sehnerven eines Chamäleons: danach wirft es seine Zunge exakt in die Gegenrichtung der Beute. Die Illusion ist perfekt: Das Subjekt hält sich für einen unbeteiligten Zeugen der Anwesenheit der Gegenstände und verlässt sich auf das konstruierte Bild in unbeschränkter Selbstverständlichkeit. Goethe hingegen hat sich »beim Betrachten der Natur … unausgesetzt die Frage gestellt: ist es der Gegenstand, oder bist du es, der sich hier ausspricht?« Für eine Fotografie braucht es Fotopapier, dessen Moleküle auf Wellenlängen von einfallender elektromagnetischer Strahlung spezifisch reagieren, zum Beispiel auf 400 Nanometer so, dass violettes Licht reflektiert wird. Aber Mona Lisa kann auch durch geeignete Gräser auf einem Feld dargestellt, oder ein Straßenverlauf mit der großen Zehe in den Sand gezeichnet werden. Für ein Bild braucht es ein Substrat, und es kommt nicht drauf an, was dieses selbst ist; im Bild braucht es eine Ordnung unter den Bildpunkten. Auf einer Fotografie beispielsweise gibt es keine räumlichen, sondern bloß zweidimensionale Relationen, die das Auge mit Hilfe der Gesetze der Perspektive zu räumlichen Gegenständen rekonstruiert. Eine Zeichnung im Sand, »da ist Rom und da Paris«, impliziert Maßstab und NordSüdAchse; bei der Bildfolge eines Films braucht es zusätzlich eine zeitliche Ordnung. Thomas von Aquin,
1225–1274 Dies gilt nicht nur für visuelle Bilder, sondern für alle Vorstellungen: Wie immer das menschliche Gehirn Bilder konstruiert, sie müssen verlässlich durch die vorgestellte Welt helfen. Thomas von Aquin bringt es auf den Punkt: »Das Ding im Verstand wird nach der Weise des Verstandes – und nicht nach der Weise des Dinges aufgenommen.« Wenn eingesehen wird, dass –Raum nur durch Bewegung – also in der Zeit, Zeit ebenfalls nur durch Bewegung – also im Raum erfahren werden können, –nur Körper solche »Erfahrungen« machen können, –Körper dadurch gekennzeichnet sind, dass sie permanent (in der Zeit) und undurchdringbar (im Raum) sind, so ist das kein Zirkelschluss, bei dem das Vorausgesetzte schon das zu Beweisende enthält, sondern es drückt sich die Natur des Darstellungsvorgangs aus, in der es bloß um die Übereinstimmung von Relationen geht. Körper, Raum und Zeit sind nicht die Wirklichkeit, sondern die phylogenetisch bereitgestellten Mittel, um die Vorstellung der Wirklichkeit hervorzubringen. Die grundsätzliche und buchstäbliche Unbegreifbarkeit von Raum und Zeit führte Kant 1781 in die Philosophie als »Anschauungen a priori« ein: »Raum ist keine Erfahrung, da alle räumliche Erfahrung die Vorstellung von Raum voraussetzt.« Und: »Zeit ist nichts als die subjektive Bedingung, unter der alle Anschauungen in uns stattfinden können.« Mit »Körper«, in seinem Sprachgebrauch »Substanz«, tat sich Kant schwer. Er stellte zwar einen »Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz« auf: »Alle Erscheinungen sind in der Zeit … in [ihnen] muss das Substrat anzutreffen sein … [welches das] Beharrliche ist … Also ist in allen Erscheinungen das Beharrliche der Gegenstand selbst …« Die dieser SubstanzZeitBeziehung (Permanenz) analoge Verbindung zwischen Substanz und Raum (Undurchdringbarkeit) stellte er jedoch nicht her. Ihm fehlte dazu die AtomismusIdee, die alle Materie als aus kleinsten Einheiten zusammengesetzt deutet. Deshalb konnte er Substanz in ihrer »Mannigfaltigkeit der Erscheinung« nicht als Anschauung a priori einstufen, sprach aber darüber, als ob. Kants Mühe mit dem Substanzbegriff ist kein Zufall, denn die Physik kann auch nicht sagen, was Substanz, in ihrem Fall »Masse«, ist. Wie »schwer« im Sinn von substantiell eine Masse ist, erkennt man an der Kraft, mit der sie die Erde anzieht: Masse mal Erdanziehung; und wie »träg« am Widerstand gegen Beschleunigung: Masse mal Beschleunigung. Gleichgesetzt fällt Masse heraus, was bedeutet: Die Beschleunigung ist gleich der Erdanziehung, die für alle Massen – ob Daunenfedern oder Bleikugeln – gleich ist. Damit ist nur das Schwerefeld der Erde konstatiert, nämlich die Wechselwirkung von Massen – nicht was Masse ist. Physik nimmt Masse einfach als gegeben hin, leitet aus ihrem Verhalten Kraftfelder ab und kleidet diese mathematisch in Feldtheorien. In allen Feldtheorien verborgen ist ein Kontinuum, bei Einstein das »Raum-Zeit-Kontinuum«. Konventionelle Physik geht demnach induktiv vor: Sie schließt von der Erscheinung auf ein Kontinuum. Die deduktive Physik geht den umgekehrten Weg: von Kontinuum zu Masse als Dynamik davon. Die Konstituenten dieses Kontinuums sind reine Körper, definiert als permanente, undurchdringbare Volumina, Gegenstücke zu leerem Raum und durch nichts Weiteres gekennzeichnet, weshalb die deduktive Physik »Körper« als dritte Anschauung a priori zu »Raum« und »Zeit« hinzufügt. Damit benötigt sie für die Darstellung der materiellen Welt nur das Koordinatensystem, das durch Raum und Zeit aufgespannt wird, sowie Körper darin und leitet daraus alle materiellen Erscheinungen ab. Die drei Anschauungen a priori haben eine Entsprechung in den drei Fundamentalkonstanten der Physik, was Philosophie wie Wissenschaft darin bestärken würde, dass sie die Basis für alle Erkenntnis bilden – wenn nicht vor hundert Jahren die Relativitätstheorie (RT) mit Vorstellungen gekommen wäre, die die Anschauungen a priori für nichtig erklärte: mit sich dehnender Zeit, sich dehnendem und krümmendem Raum und mit Masse, die mit eigener Geschwindigkeit anwächst – bei Lichtgeschwindigkeit ins Unendliche. Die triumphale experimentelle Bestätigung der Voraussagen Einsteins entzog der Philosophie den sicheren Boden. Um diesen wiederzugewinnen, ist eine Auseinandersetzung mit der RT vonnöten. Da das Bewusstsein von Raum und Zeit als vom eigenen Dasein unabhängigen Dimensionen bei Kindern nicht von Anfang an ausgebildet ist, ist zuvor zu betrachten, wie dieses sich als Abstraktions und Objektivierungsleistung einstellt. Deduktive Physik Was hat der davon, der weiß, wie Materie gedacht werden kann? Einmal wird sein natürlicher Reflex, der alles erklärt haben muss, beruhigt. Er kann darauf aufbauen und sich über wenige Stufen »Leben« erklären. Er kann »Geist« verstehen, dessen Essenz zwar das Materielle überschreitet, jedoch Struktur von Materie ist. Er ist schließlich von aller Spekulation befreit und frei, mit auf unerschütterlichem Grund erkannten Gesetzmäßigkeiten seine Vorstellung der Welt aufzubauen. Erwerb der Raum-Zeit-Begriffe Mit der Freiheit der Bewegung entsteht das Bedürfnis, den Freiraum dafür zu erkunden. Dabei kommt es nur auf die Unterscheidung »Freiraum« oder »Undurchdringbarkeit« an, nicht darauf, was das undurchdringbare Hindernis ist. Die ersten Tast-Erfahrungen des Säuglings konstatieren Undurchdringbarkeit: Ist ein Körper im Weg der Händchen oder nicht? Seine Spiele mit Klötzchen lehren ihn einzusehen, dass nicht zwei denselben Raum einnehmen können, wie umgekehrt, dass eines nicht an zwei Orten zugleich sein kann. Mit acht Monaten hat er die Permanenz verinnerlicht: Versteckt man Gegenstände unter einer Decke, sucht er sie; zuvor noch hatte er sich einfach etwas anderem zugewandt. Raum manifestiert sich zunächst nur als Distanz vom Kind zu einem Gegenstand, später erweitert sich die Perspektive über die Einsicht in Längenunterschiede. Bezüglich Zeit gibt es zunächst früher und später, schneller und langsamer, länger und kürzer. Wenn eine von zwei parallellaufenden Spielzeugeisenbahnen schneller fährt, sagt das Kleinkind, diese komme weiter – was es sieht; es kann aber nicht ausdrücken, diese käme früher ans Ziel. Eine objektive Zeit und einen objektiven Raum, je von seiner Anwesenheit unabhängig, rechnet ein Kind erst mit sieben, acht Jahren hoch – und kann fortan Raum und Zeit nie mehr wegdenken. Sie sind unentrinnbar, und doch war die Philosophie schachmatt, als das Experiment von 1919 während der Sonnenfinsternis in England die Mathematik Einsteins bestätigte, die er als Folge von Dehnung und Krümmung von Raum und Zeit auslegte, was aus der Sicht der deduktiven Physik unnötig ist. Fundamentalkonstanten Induktive Physik stellt die materielle Welt wohl in Raum und Zeit dar, aber statt der Dimension »Körper« behilft sie sich mit »Masse«. Sie definiert Masse über ein bestimmtes Volumen einer bestimmten Substanz: ein Liter Wasser sei ein Kilogramm, und alle Substanz, die so träg und so schwer ist, auch. Alles, was Physik aussagt, sagt sie in den drei Dimensionen Länge (für Raum) in Meter m; Zeit in Sekunden s; Masse in Kilogramm kg. Elektrizität ist mit Masse über die dimensionslose Feinstrukturkonstante a verbunden und repräsentiert keine zusätzliche Dimension. Ebenso, wie sie sich in drei Dimensionen ausdrückt, findet sie drei Fundamentalkonstanten1: Meter, Sekunde und Kilogramm sind arbiträre Maßstäbe: ein 40’000’000stel des Äquatorumfanges, ein 86’400stel eines Tages, Trägheit und Schwere von einem Liter Wasser...