E-Book, Deutsch, 120 Seiten
E-Book, Deutsch, 120 Seiten
ISBN: 978-3-7389-7137-8
Verlag: Uksak E-Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
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Warrington – Ein Mann aus Granit: Thomas West Western Edition 15
Western von Thomas West
Das Laubdach des Flusswaldes rauschte in der leichten Brise des morgendlichen Sommerwindes. Sonst war es fast still. Lediglich von fern klangen hier und da noch Kanonendonner und Gewehrfeuer. Vereinzelt nur und so weit weg, als würde es einen hier im Wald am Wilson's Creek nichts angehen. Die Ruhe vor dem Sturm, weiter nichts. Dave T. Copeland machte sich nichts vor. Er sah sich um. Die Männer zwischen den Bäumen und Büschen hinter ihm und rechts und links von ihm standen neben ihren Pferden. Sie flüsterten mit ihnen oder streichelten behutsam ihre Hälse und Nüstern. Kaum eines der Tiere gab einen Laut von sich. Wie gesagt – es war still im Uferwald.
Viele der Männer trugen graue Uniformen. Uniformen der Südstaatentruppen. Einige allerdings waren gekleidet, als wollten sie einen Viehtreck hinauf nach St. Louis begleiten: Schmutzige, blaue Hosen aus grober Baumwolle, ungefärbte Leinenhemden und helle, breitkrempige Hüte. Andere trugen dunkle Gehröcke oder Jacketts und kleine, steife Hüte, und wieder andere helle Hemden mit breiten Hosenträgern darüber. Der Krieg war noch zu jung, um schon für jeden eine Uniform bereitzuhalten. Auch ein paar Indianer mit braunen Stirntüchern und in leichten Lederhemden sah Copeland zwischen seinen Leuten. Pawnees des Arkansas Regiments. Seine eigenen Leuten gehörten zu einer Kavallerieeinheit des Louisianaregiments. Auch Copeland stammte aus dem Süden Louisianas. Hundertachtunddreißig Reiter hatten sich hier auf der flussabgewandten Seite des Oak Hills im Wald versteckt. Zwei Schwadronen. Captain Dave T. Copeland sollte sie in die Schlacht führen. Dunst stieg aus dem feuchten Waldboden. Im dämmrigen Licht verschwammen Pferde, Männer und Büsche zu einer graugrünen Wand. Die Morgensonne tastete sich zaghaft durch das dichte Laubdach des Waldes. Von Osten her bohrten sich die ersten Strahlenbalken durch die Baumkronen. Aus ihrem spitzen Einfallswinkel schloss Copeland, dass es nicht später als acht Uhr sein konnte. Wieder blickte er sich nach seinen Männern um. Auf den Gesichtern, die er in seiner nächsten Nähe erkennen konnte, spiegelte sich Anspannung und grimmige Entschlossenheit wieder. Unter Copelands Leuten gab es keinen, den man zu den Waffen hätte prügeln müssen. In der ganzen Armee der Konföderierten gab es das nicht, da war Copeland sicher. Der Junge direkt hinter ihm unter den tiefhängenden Eichenästen zum Beispiel – er brannte auf den Kampf. Copeland sah es an seinen leuchtenden Augen. Nicht älter als siebzehn oder achtzehn war er. Hatte sich bei Nacht und Nebel von der väterlichen Ranch in Wyoming davongestohlen, um für die Sache der Rebellen zu kämpfen. Er trug lederne Reithosen, Hemd und Weste – alles in schwarz. Auch sein Hut war schwarz. Copeland lächelte ihm zu. Der Junge lächelte zurück. Prächtiger Bursche. Copeland grübelte nach seinem Namen. Er fiel ihm nicht ein. Vor drei Stunden hatten die Yankees angegriffen. Kurz vor Sonnenaufgang. Die Wahnsinnigen mussten die ganze Nacht durchmarschiert sein! Keiner hatte mit dem Angriff der Blauröcke gerechnet. Copelands Generäle McCulloch und "Old Pap" Price befehligten immerhin gut elftausend Mann. Und Lyon, der Yankeegeneral, hatte nicht einmal sechstausend Blauröcke unter seinem Kommando. Vor fünf Tagen erst hatten sie den verdammten Yankeegeneral gezwungen, sich tief nach Missouri hinein zurückzuziehen. Kundschafter hatten seine Truppen noch vor zwei Tagen bei Springfield gesehen. Und plötzlich taucht er hier im Grenzgebiet zwischen Arkansas und Missouri auf. Im Grenzgebiet zwischen Konföderierten und Union. Nimmt gleich mit der ersten Angriffswelle den Oak Hill und räumt die fünf Geschütze der Arkansas Battery ab! Danach hatten fast zwei Stunden lang drei oder vier Yankee-Batterien Tod und Verderben vom Hügel aus auf das Flussufer, gegen die Berghänge und in die lichten Stellen des Waldes gespien. Überall dorthin eben, wo sie graue Uniformen entdeckten. Der erste Versuch, die Stellung zurückzuerobern, war gescheitert. Achtzig Tote. Doppelt so viele Verletzte. Seitdem schwiegen die Geschütze der Yankees. Copelands Kommandeur hatte Gift und Galle gespuckt. General McCulloch, ehemaliger Texasranger und Haudegen von der härtesten Sorte, wollte den Hügel ums Verrecken zurückerobern. Er hatte Copeland mit zwei Reiterschwadronen in den Wald geschickt. Nachdem "Old Paps" Infanteristen vergeblich versucht hatten, den Oak Hill zu stürmen, sollte es nun im zweiten Anlauf mit Unterstützung der Kavallerie gelingen. Von fern erklang plötzlich Gewehrfeuer. Und Geschrei. "Old Paps" Infanteristen liefen vom Fluss her zum zweiten Mal gegen den Hügel an. Copeland lauschte konzentriert – seine Augen wurden schmal. Deutlich waren die Hurra-Rufe zu hören. Und dann donnerten die Geschütze der Yankee-Batterien wieder los. Der zweite Angriff auf Oak Hill hatte begonnen! Copeland strich sich seine widerspenstigen dunklen Locken aus der Stirn und drückte sich die Schildkappe auf den Kopf. Er hob den Arm und stieg in den Sattel. Ein starker Windstoß schien durch den Wald zu rauschen: Hundertachtunddreißig Reiter schwangen sich auf ihre Pferde. Der Kanonendonner nahm zu. Das Gewehrfeuer verstärkte sich – jeden Moment musste das Signal für Copelands Schwadronen ertönen. Der Captain zog einen seiner beiden Colts – einen .44er "New Model" Armeerevolver – und drehte sich noch einmal nach seinen Männern um. Alle saßen sie in den Sättel. Mit gezogenen Revolvern, in die Hüfte gestützten Gewehren oder mit blanken Säbeln. Copelands Blick traf sich mit dem des Jungen aus Wyoming. Er sah dessen Kiefermuskulatur pulsieren. Und er sah sein blasses Gesicht. Ein Kindergesicht. Copeland nickte ihm zu. Auch ihn selbst befiehl eine fiebrige Erregung. Selbst den abgebrühtesten unter seinen Leuten würde jetzt die Angst in den Gedärmen rumoren. Erst recht einem jungen Burschen, der seine erste richtige Feuertaufe noch vor sich hatte. Plötzlich fiel Copeland der Name ein: Warrington. Chester Warrington, so hatten sie ihn genannt. Und endlich das Horn – dreimal blies es das Signal zum Angriff. Irgendwo vom Flussufer her, wo McCulloch sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Copeland winkte seine Leute hinter sich her. "Attacke!", brüllte er. Es war als würde ein Hurrican durch den Wald jagen: Äste brachen, Laub raschelte, hundertachtunddreißig Männer brüllten "Hurra!", und fünfhundertzweiundfünfzig Hufe ließen den Boden erzittern. Copelands Schwadronen brachen aus dem Wald. In einer langgezogenen Angriffskette galoppierten die Reiter den Hügel hinauf. Zwischen den Bäumen auf der Hügelkuppe sah der Captain Blauröcke herumrennen. Sie formierten sich zu einer doppelten Verteidigungslinie – kniende Schützen im Gras, dahinter stehende Schützen. Die erste Gewehrsalve krachte Copelands Reitern entgegen. Links und rechts des Captains stürzten Männer aus den Sätteln. Copeland sah sich um. Direkt hinter ihm der Junge. Copeland steckte sich die Zügel zwischen die Zähne und zog seinen zweiten Colt. Mit den Knien lenkte er sein Pferd, aus beiden Revolvern nahm er die Yankee-Schützen unter Feuer. Sie waren noch gut dreihundert Schritte entfernt. Ein starres Rohr tauchte zwischen den Bäumen auf, und noch eines. Die verdammten Blauröcke hatten zwei ihrer Geschütze von der Flussseite des Hügels abgezogen und gegen seine Reiter in Stellung gebracht. Sekunden später schlugen hinter Copelands Truppe die ersten Granaten ein. Wieder ein Blick zurück. Die Geschosse waren weit hinter seiner Angriffslinie am Waldrand detoniert. "Die Geschütze!", brüllte er. "Wir müssen sie ausschalten!" Die Reiter scherten nach links und rechts aus. Weg aus der Schusslinie der Kanonen. "Wir nehmen sie in die Zange!", brüllte Copeland. Er selbst jagte mit fünfzig oder sechzig Reitern nach rechts. Wieder dröhnten die Geschütze. Männer und Pferde stürzten ins Gras. Die Yankees hatten die Geschütze herumgerissen. Spätestens in diesem Augenblick wusste Copeland, dass auch der zweite Sturm auf Oak Hill zum Scheitern verurteilt war, wenn es seinen Leuten nicht gelang, die Geschütze auszuschalten...
*
Chester Warringtons Hirn war wie leergefegt. Er fühlte nichts mehr, er dachte nichts mehr. Die Oberschenkel gegen den Pferdeleib gepresst, jagte er mit drei Dutzend anderen Kavalleristen dem Captain hinterher und schoss aus beiden Revolvern auf die Reihe Blauuniformierter über ihnen auf der Hügelkuppe. Er hörte Verwundete schreien, er sah Männer aus den Sätteln und Pferde ins Gras stürzen, er hörte die Kugeln durch die Luft zischen, den ohrenbetäubenden Donner der Geschütze. Es gab kein Zurück mehr. Sie waren in die Hölle galoppiert, und jeder musste sehen, wie er lebend hindurchkam. Der Captain schien entschlossen, sie noch tiefer hineinzuführen. Er brüllte wie ein wütender Löwe, wechselte im Reiten die Trommeln seiner Revolver und...