Werner | Gruppenbild mit Max Weber | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 248 Seiten

Werner Gruppenbild mit Max Weber

Gespräche über die Zukunft Deutschlands nach dem Krieg

E-Book, Deutsch, 248 Seiten

ISBN: 978-3-8353-4796-0
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein vergessenes Kapitel deutscher Intellektuellengeschichte.

Das Foto, das Ernst Toller als aufmerksamen Zuhörer von Max Weber zeigt, ist berühmt geworden. Weber war der Initiator von drei Kulturtagungen, die 1917 und 1918 auf der
nordfränkischen Burg Lauenstein stattfanden. Hier diskutierte die intellektuelle Elite über nicht weniger als die politische und kulturelle Neuordnung Deutschlands nach der Katastrophe des Weltkriegs.
Obwohl die Tagungen als Meilensteine der deutschen Intellektuellengeschichte gelten, ist das Wissen über sie lückenhaft geblieben. Ausgehend von zwei Fotoalben aus dem Nachlass des Verlegers Eugen Diederichs rekonstruiert Meike Werner die Geschichte der Lauenstein-Tagungen auf unerwartete Weise.
Sie nimmt die 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ihre Absichten, Visionen und Lebenswege in den Blick: Wer waren die Frauen, die durch ihre weißen Kleider sofort auffallen, aber auf keiner Teilnehmerliste zu finden sind? Und wer die jungen, von der Front zurückgekehrten Soldaten? Was waren die Ziele der gestandenen Männer aus Wissenschaft, Politik, Kunst und Kirche? Meike Werner hebt das enorme intellektuelle Potential der Abgebildeten hervor. Max Weber galt als Star unter ihnen – doch die Fokussierung auf ihn hat die Erinnerung an die Tagungen auf Lauenstein unabsichtlich verzerrt.
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1. Wendejahr 1917: Gespräche über die Zukunft Deutschlands
»Some information about the past can be provided only by visual images«.[1] Hayden White   Die Gesprächsrunden 1917 auf Burg Lauenstein bezeichnete gut dreißig Jahre danach Fritz Brühl, der Bonner Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, als den »Beginn der Revolution von 1918«.[2] Anlass zu dieser Einschätzung hatte die Feier zum 70. Geburtstag des deutschen Bundespräsidenten Theodor Heuss im Januar 1954 gegeben. Der Jubilar war 33 Jahre alt, ein ambitionierter Journalist aus der süddeutschen Provinz, als er im Mai und September 1917 an den ersten zwei Kongressen auf der malerisch gelegenen Burg in der Nähe von Ludwigstadt in Oberfranken teilnahm. Zur dritten Zusammenkunft an Pfingsten 1918 kam Heuss dann nicht mehr. Im Januar desselben Jahres war er von Heilbronn nach Berlin gezogen, um dort auf Einladung von Ernst Jäckh in die Redaktion der Wochenzeitschrift Deutsche Politik einzutreten und gleichzeitig in der Geschäftsstelle des Deutschen Werkbundes mitzuarbeiten – eine für Heuss ideale »Vereinigung von ästhetischen und politischen Interessen«.[3] Damit hatte er den Sprung in die politischen Diskussionszirkel der Reichshauptstadt geschafft. Der Weg in die große Politik lag vor ihm. Als Lauensteiner Kulturtagungen haben diese Treffen einen festen Platz in der deutschen Intellektuellengeschichte. Heuss selbst hat verschiedentlich an diese Zusammenkünfte erinnert, etwa in Nachrufen und Würdigungen des 1920 viel zu früh verstorbenen Max Weber, in Gesprächen mit Walter von Molo (den Heuss einst ohnmächtig aus dem Lauensteiner Turmzimmer getragen hatte) oder auch in seinen Erinnerungen, die 1963 ein halbes Jahr vor seinem Tod erschienen.[4] Für Heuss waren es die persönlichen Begegnungen, die die Treffen auf der alten Ritterburg zu denkwürdigen Ereignissen machten: mit Max Weber, den er aus Heidelberg kannte und mit dem er im Anschluss an die Pfingsttagung »noch einen schönen Abend in Weimar«[5] verbrachte; mit dem Münchner Altphilologen Otto Crusius, »ein ganz prachtvoll frischer Mensch«; dem Berliner Historiker Friedrich Meinecke, der dem jungen Journalisten sein Wohlwollen schenkte; mit dem heute weitgehend vergessenen, damals aber international erfolgreichen Kultautor Richard Dehmel, den Heuss schon lange verehrte; mit Walter von Molo, seinerzeit ein auflagenstarker Erfolgsautor; und mit den jungen Schriftstellern Karl Bröger und Wilhelm Vershofen, die als Dichter-Anwälte der Arbeiterschaft auftraten. Vershofen, nachdem er von der Schriftstellerei hauptberuflich in die Wirtschaftswissenschaften gewechselt war, wurde in späteren Jahren der Lehrer von Ludwig Erhard, der ab 1949 als Wirtschaftsminister in der Regierung Adenauer tätig war. Kein Wunder, dass Lauenstein in Bonn sowie unter den Gebildeten der »Bonner Republik« präsent blieb. Vershofen hatte seinerzeit die Tagungen von Jena aus mitorganisiert. An Max Webers herausragender Rolle bestand für Heuss von Anfang an kein Zweifel: »sehr frisch, geistreich und rücksichtslos«[6] beherrschte er die Lauensteiner Streitgespräche. Es ging um nichts weniger als den »deutschen Staat« und dessen grundlegende Neuordnung nach dem Krieg. Davon – und von Spaziergängen in schönster Umgebung – berichtete Heuss gleich im Anschluss an die erste Tagung an seinen Schwiegervater Georg Friedrich Knapp in Straßburg. In seinen Erinnerungen hingegen gewannen die Treffen ihre Bedeutung vor allem durch »die Wucht der Anklagen, die Max Weber gegen den Kaiser und seine Umgebung schleuderte«.[7] Es war, so Heuss rückblickend, »eine richtige Explosion, die manche der Hörer einschüchterte«. Einer der Aufgeschreckten soll Ernst Krieck gewesen sein, später einer der führenden nationalsozialistischen Pädagogen, damals jedoch noch im national-linksliberalen Lager des Bürgertums. Er beschwor Heuss, mäßigend auf Weber einzuwirken. Immerhin ging es bei dessen Äußerungen um Majestätsbeleidigung. Doch Heuss winkte ab: »Löschen Sie einen Vulkan mit einem Glas Wasser«. Indes, die befürchtete polizeiliche Aufhebung der Veranstaltung blieb aus. Nur unten im Tal der Loquitz, die am Fuß der Burg vorbeifließt, munkelte man später, »droben auf der Burg habe die Revolution begonnen«.[8] All diese Geschichten und Anekdoten legen nahe, dass Max Webers Präsenz wesentlich dazu beigetragen hat, die Veranstaltungen in Erinnerung zu halten. Aber auch die überlieferten Fotografien, die die erste und zweite Tagung dokumentieren, bezeugen, dass kein anderer der geladenen Gäste es mit Webers Anziehungskraft aufzunehmen vermochte. Nicht der umschwärmte Richard Dehmel, nicht der wortgewaltige Max Maurenbrecher und nicht der Regisseur des Ganzen, der Jenaer Verleger Eugen Diederichs. Nur Weber wird umringt von Menschen gezeigt, jungen und alten, Männern und Frauen, Gelehrten, Sozialreformern, Studenten, Politikern, Pfarrern, Journalisten, Pädagogen, Publizisten und Künstlern. Eine »etwas wirre Gesellschaft«[9] kommentierte Heuss und trug damit dem einzigartigen Charakter der Tagungen Rechnung, die quer durch die parlamentarische Sitzordnung, Kirchen, Berufs- und Altersgruppen zum Dialog einluden. Was damals auf dem Spiel stand, ahnten in der Abgeschiedenheit des Frankenwalds vermutlich nur sehr wenige der Anwesenden. Die wohl eindrücklichsten Bilder der aufziehenden Bedrohung, die ihre Schatten auch auf die Lauensteiner Diskussionen über Deutschlands Zukunft warf, schuf William Butler Yeats in seinem Gedicht »Das zweite Kommen« (»The Second Coming«): Kreisend und kreisend in immer weiterem Bogen / Entschwindet der Falke dem Ruf des Falkeniers. / Alles fällt auseinander, die Mitte hält nicht mehr; / Bare Anarchie bricht aus über die Welt. / Blutgeblendete Strömungen sind losgelassen. Allenthalben / Wird der heilige Vorgang der Unschuld überschwemmt. / Den Besten erlahmt der Glaube, und die Schlimmsten / Sind voll von leidenschaftlicher Heftigkeit.[10] Als im Herbst 1916 auf Druck der Obersten Heeresleitung (OHL) die öffentliche Diskussion der Kriegsziele (Verständigungsfrieden vs. Siegfrieden) freigegeben wurde, hatte Max Weber im Vorfeld die entscheidende Frage aufgeworfen: »Wofür sterben sie [die Soldaten] aber dann eigentlich?«[11] An der Heimatfront ausgeheckte Ideen konnten es nicht sein. Weber forderte vielmehr dazu auf, die »gewaltigen Lasten und Folgen des Krieges« für die Zukunft präzise zu benennen. Der Vorschlag fand keine Resonanz. Befragt man noch einmal Yeats, verhießen die letzten Zeilen seines Gedichtes nichts Gutes: »Langsam senkt sich die Dunkelheit wieder. / … Welche wüste Bestie, deren Stunde nun gekommen ist, / Schlampt gegen Bethlehem in ihre Geburt?« In den Geschichtswissenschaften gilt inzwischen das Jahr 1917 als entscheidendes »Wendejahr«[12] – und bestätigt damit die Einschätzung eines so informierten Beobachters wie Harry Graf Kessler. Nach einem erlesenen Silvesteressen im Berliner Kaiserhof notierte dieser – auf das Jahr zurückblickend – am Abend des 31. Dezember, dass es mit der Russischen Revolution, dem russischen Frieden und dem Eintritt der USA in den Krieg »den größten Umschwung in der Weltlage gesehen hat« und damit eines »der denkwürdigsten Jahre der Weltgeschichte« war.[13] Vielleicht mehr noch als das Kriegsende 1918 markiert also bereits 1917 das Ende des langen 19. Jahrhunderts (Blackbourn) und den Aufbruch ins Jahrhundert der Extreme (Hobsbawm), innen- und weltpolitisch, aber auch, wie der Historiker Ulrich Sieg aufgezeigt hat, ideengeschichtlich. Aus historischer Distanz nüchterner (als Yeats’ Visionen einer heraufziehenden Apokalypse) macht Sieg den Verlust liberaler Utopien oder zumindest überzeugender Zukunftsversprechen als Grund dafür aus, dass »die Angriffe auf die universalen Werte der Aufklärung mit rigider Härte und wachsender Zustimmung geführt werden«[14] konnten. Die Debatten auf dem Lauenstein führen mitten in die Krisen des liberalen Fortschrittdenkens. Wie Ulrich Sieg beruft sich auch Jürgen Reulecke auf Theodor Lessing, der unter dem Eindruck der am eigenen Leib erfahrenen Katastrophe des Krieges bereits 1916/17 jede Geschichtsteleologie in Frage gestellt sah und stattdessen die Deutungsversuche der am Leben Gebliebenen als Sinngebung des Sinnlosen post festum charakterisierte.[15] Im Geflecht von Weltpolitik und Kriegsgeschehen an den Fronten lenkt Reulecke den Blick weg von den luftigen Höhen deutscher Ideenpolitik, weg von Thüringen, dem sogenannten »Herzland« des deutschen Idealismus,[16] ins flache Land industrieller Ballungsgebiete, ins rheinisch-westfälische Ruhrgebiet, nach Wuppertal-Barmen und nach Köln: dort waren in erster Linie Hunger, Massendemonstrationen, Streiks und deren brutale Niederschlagung die folgenschweren Triebkräfte der Politikwende im Inneren.[17] 1917 war der Krieg zu einem totalen, die Zivilbevölkerung in der Heimat einschließenden, Krieg ausgewachsen. Längst gehörte die »Heimatfront« zu den Fronten in Ost und West. Wir neigen dazu, die Geschichte der Weimarer Republik mit ihrer Verlängerung in den Weltkrieg von hinten her zu lesen, nämlich als die Geschichte des Scheiterns der ersten deutschen Republik. Auf die Unentschiedenheit der Kriegssituation 1917 hebt der häufig zitierte Titel des Buches des französischen Historikers Jean-Jacques Becker ab. Er bezeichnet das Jahr...


Werner, Meike G.
Meike G. Werner ist Centennial Chair of German Studies an der Vanderbilt University (USA) und Direktorin des Max Kade Center for European and European Studies. Bis 2023 war sie Präsidentin der American Friends des Deutschen Literaturarchivs in Marbach. Veröffentlichungen u.a.: Gruppenbild mit Max Weber (2023); Germany’s Other Modernism. The Jena Paradigm (2023; deutsch: Moderne in der Provinz, 2003); Peter Demetz. Was wir wiederlesen wollen (Hg. 2022); Ein Gipfel für Morgen (Hg., 2021). Werner hat den Nachlass von Wilhelm und Elisabeth Flitner weitgehend geordnet und erschlossen.


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