E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Wells / Wolff Der Krieg der Welten
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-423-43060-9
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-423-43060-9
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Neu übersetzt und kommentiert von Lutz-W. Wolff
Die Entdeckung der Zukunft
Seit Jahrhunderten richten die Menschen ihre Blicke sehnsüchtig zu den Sternen - ohne zu ahnen, dass auch sie beobachtet werden. Die Marsianer, eine hochintelligente Spezies, haben ihre Rohstoffreserven aufgebraucht und sind auf der Suche nach neuen Lebensräumen. Ihrer Invasion kann das irdische Militär nichts entgegensetzen, die letzten Überlebenden verstecken sich im Untergrund. Bis ihnen ungeahnte Verbündete zu Hilfe kommen.
Die beiden berühmtesten Romane von H.G. Wells (Krieg der Welten und Die Zeitmaschine) wurden vielfach verfilmt und zählen zu den meistgelesenen Werken der Weltliteratur
Endlich in neuer Übersetzung und mit aufschlussreichem Zusatzmaterial
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Erstes Buch Die Ankunft der Marsianer
1. Der Vorabend des Krieges
Niemand hätte wohl in den letzten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts geglaubt, dass die menschlichen Angelegenheiten aufmerksam und sehr genau von Wesen beobachtet wurden, die weitaus intelligenter als der Mensch waren, wenn auch genauso sterblich; dass die Menschen bei ihrem geschäftigen Treiben auf ähnliche Weise erforscht und studiert wurden, wie man mit einem Mikroskop die vergänglichen Geschöpfe mustert, die in einem Wassertropfen herumwuseln und sich vermehren. Mit unendlicher Selbstgefälligkeit und Gelassenheit gingen die Menschen auf dem ganzen Erdball ihren Geschäften nach und waren sich dabei ihrer Herrschaft über die Materie ganz sicher. Es ist möglich, dass die Infusorien unter dem Mikroskop dasselbe tun. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass die älteren Himmelskörper irgendwelche Gefahren für die Menschheit bergen könnten, und wenn jemand doch daran dachte, dann nur, um den Gedanken, dass es dort Leben geben könnte, als unmöglich oder unwahrscheinlich zurückzuweisen. Es ist höchst eigenartig, wenn man sich die geistigen Gewohnheiten von damals ins Gedächtnis zurückruft. Allenfalls konnten die Erdbewohner sich vorstellen, dass es auf dem Mars ihnen weit unterlegene Geschöpfe gab, die für ein missionarisches Landungsunternehmen sehr dankbar gewesen wären. Stattdessen aber beobachteten intelligente Wesen, deren gewaltiger, kühler und mitleidloser Verstand sich zu unserem verhält wie unserer zu dem der Schlachttiere, diese Erde aus der Tiefe des Weltraums mit gierigen Augen und schmiedeten ihre Pläne, bedächtig und zielsicher. Zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erfolgte dann der ernüchternde Schock. Der Planet Mars, daran muss ich den Leser wohl kaum erinnern, umkreist die Sonne mit einem mittleren Abstand von 140 000 000 Meilen und erhält nur halb so viel Licht und Wärme wie wir. Er muss, wenn die Nebularhypothese stimmt, älter als die Erde sein, und es entstand dort schon Leben, als unsere Welt noch glutflüssig war. Die Tatsache, dass er nur ein Siebtel des Volumens der Erde erreicht, hat sicher dazu beigetragen, dass er schneller abkühlte und eine Temperatur erreichte, bei der das Leben beginnen konnte. Er hat Luft und Wasser und alles, was nötig ist, um ein beseeltes Dasein zu ermöglichen. Aber der Mensch ist so eitel und von seiner Eitelkeit so geblendet, dass bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts kein Autor je den Gedanken geäußert hat, dass sich dort intelligentes Leben entwickelt haben könnte, schon gar nicht über das irdische Niveau hinaus. Und aus der Tatsache, dass der Mars so viel älter ist als die Erde, dass er nur ein Viertel ihrer Oberfläche besitzt und so viel weiter entfernt von der Sonne ist, hat offenbar niemand den Schluss gezogen, dass dort nicht nur der Anfang des Lebens schon weiter zurückliegt, sondern auch dessen Ende viel näher ist. Die allmähliche Abkühlung, die unserem Planeten irgendwann bevorsteht, ist bei unserem Nachbarplaneten schon weit fortgeschritten. Seine genaue physische Beschaffenheit ist noch immer ein Rätsel, aber wir wissen jetzt, dass die Mittagstemperaturen dort selbst am Äquator kaum höher sind als die unserer kältesten Winter. Die Luft ist dünner als bei uns, die Ozeane sind so weit geschrumpft, dass sie nur noch ein Drittel seiner Oberfläche bedecken, und beim langsamen Wechsel der Jahreszeiten bilden sich an den Polen regelmäßig riesige Eiskappen, die alle gemäßigten Zonen überfluten, wenn sie abschmelzen. Dieses letzte Stadium der Bewohnbarkeit, das bei uns noch unglaublich weit entfernt liegt, ist für die Marsbewohner ein ganz aktuelles Problem. Die unmittelbare Not hat ihren Verstand geschärft, ihre Fähigkeiten gesteigert und ihre Herzen verhärtet. Und wenn sie mit Instrumenten und intellektuellen Fähigkeiten, von denen wir nur träumen können, in den Weltraum hinausblicken, sehen sie sonnenwärts ganz in der Nähe, nur 35 000 000 Meilen entfernt, einen Morgenstern der Hoffnung - nämlich unseren deutlich wärmeren Planeten mit grüner Vegetation, grauem Wasser, einer wolkigen, Fruchtbarkeit versprechenden Atmosphäre und, soweit man durch die Wolken sehen kann, reich bevölkerten Landstrichen und viel befahrenen Meeren. Wir Menschen, die Geschöpfe, die diese Erde bewohnen, müssen ihnen so fremd und unbedeutend erscheinen wie uns die Lemuren und Affen. Der Mensch hat inzwischen begriffen, dass das Leben ein unaufhörlicher Existenzkampf ist, und wie es scheint, ist diese Einsicht auch bei den Marsbewohnern verbreitet. Ihre Welt ist weitestgehend abgekühlt, während unsere noch von Leben wimmelt, aber nur von Lebewesen bewohnt wird, die sie für minderwertige Tiere halten. Sonnenwärts Krieg zu führen ist ihre einzige Rettung vor der Vernichtung, die von Generation zu Generation näher rückt. Ehe wir sie verurteilen, sollten wir uns daran erinnern, wie rücksichtslos unsere eigene Spezies nicht nur Tiere wie zum Beispiel den Bison oder den Dodo, sondern auch unterlegene Teile der menschlichen Rasse ausgelöscht hat. Die Tasmanier, die durchaus menschlich aussahen, wurden von europäischen Einwanderern in einem fünfzig Jahre dauernden Vernichtungsfeldzug vollkommen ausgerottet. Sind wir solche Apostel der Gnade, dass wir uns beschweren dürften, wenn die Marsbewohner im gleichen Geist gegen uns Krieg führen würden? Die Marsianer – ihre mathematischen Fähigkeiten sind offensichtlich viel weiter entwickelt als unsere – scheinen ihren Anflug mit erstaunlichem Scharfsinn geplant und ihre Vorbereitungen in nahezu vollkommener Einmütigkeit getroffen zu haben. Hätten es unsere Instrumente erlaubt, hätten wir vielleicht schon früh im neunzehnten Jahrhundert bemerkt, dass sich etwas zusammenbraute. Männer wie Schiaparelli beobachteten den Mars genau – es ist ja sehr bezeichnend, dass er schon seit Jahrhunderten als Stern des Krieges galt –, versäumten es aber, die wechselnden Erscheinungen, die sie auf ihren Karten vermerkten, richtig zu interpretieren. Die ganze Zeit hindurch müssen die Marsianer sich vorbereitet haben. Während der Opposition der Planeten im Jahr 1894 wurde ein großes Licht auf der beleuchteten Seite des Mars beobachtet, zunächst vom Lick-Observatorium aus, dann von Perrotin in Nizza und dann von anderen Beobachtern. Englische Leser erfuhren zuerst aus der Ausgabe von Nature vom 2. August davon. Ich neige zu der Auffassung, dass die Erscheinung damit zu tun hatte, dass in einer riesigen Grube auf dem Mars die große Kanone gegossen wurde, aus der später die Geschosse abgefeuert wurden. Während der nächsten zwei Oppositionen wurden in der Nähe dieser ersten Lichterscheinung eigenartige, bisher unerklärte Zeichen gesichtet. Vor sechs Jahren brach der Sturm dann los. Als sich der Mars der Opposition näherte, liefen in der astronomischen Welt die Drähte heiß, als Lavelle aus Java von einem gewaltigen Ausbruch von leuchtenden Gasen auf dem Mars berichtete. Das war am 12. gegen Mitternacht gewesen, und das Spektroskop, das er sofort eingesetzt hatte, zeigte eine Masse von brennenden Gasen, vor allem Wasserstoff, die mit enormer Geschwindigkeit auf die Erde zurasten. Etwa eine Viertelstunde nach Mitternacht war dieser Feuerstrahl nicht mehr zu sehen. Lavelle nannte ihn eine kolossale Verpuffung von heißen Gasen, die aus dem Mars herausgespritzt sei »wie das Mündungsfeuer aus einer Schusswaffe«. Das erwies sich als eine sehr angemessene Beschreibung. Aber abgesehen von einer kleinen Notiz im Daily Telegraph stand am nächsten Tag nichts davon in den Zeitungen, und die Welt erfuhr nichts von einer der größten Gefahren, von der die menschliche Rasse jemals bedroht wurde. Ich hätte von der Eruption wahrscheinlich gar nichts gehört, wenn ich nicht in Ottershaw zufällig den bekannten Astronomen Ogilvy getroffen hätte. Er war sehr aufgeregt über die Nachricht und lud mich im Überschwang der Gefühle gleich ein, am Abend zu ihm zu kommen und den roten Planeten mit ihm zu beobachten. Trotz allem, was seither geschehen ist, erinnere ich mich noch sehr gut an diese Nachtwache: das stille, dunkle Observatorium, die abgeschirmte Lampe, die nur in einer Ecke ein schwaches Licht auf den Fußboden warf, das regelmäßige Ticken des Uhrwerks im Teleskop, der schmale Schlitz in der Kuppel – ein schwarzer, mit Sternenstaub gesprenkelter Abgrund. Ogilvy ging hin und her, unsichtbar, aber hörbar. Wenn man durch das Teleskop blickte, sah man einen tiefblauen, kreisrunden Ausschnitt, in dessen Mitte ein kleiner runder Planet schwamm. Er schien so unwichtig, so hell und winzig und still. Er war leicht abgeplattet, und man erkannte blasse, schräge Streifen. So klein und silbrig warm wie ein hell erleuchteter Stecknadelkopf sah er aus! Er schien ein bisschen zu zittern, aber nur, weil das Teleskop von der Uhr, die den Planeten im Blickfeld hielt, zum Vibrieren gebracht wurde. Während ich ins Okular starrte, schien der Planet größer und kleiner zu werden. Mal schien er näher zu kommen, mal wich er zurück, aber das lag nur daran, dass mein Auge müde war. Vierzig Millionen Meilen ist der Mars von uns entfernt, 40 000 000 Meilen der Leere. Nur den wenigsten ist klar, wie riesig der leere Raum ist, in dem das bisschen staubkörnchengroße Materie des Universums herumschwimmt. Ich kann mich noch erinnern, dass ich im Umfeld des Mars drei blasse...