E-Book, Deutsch, 335 Seiten
Welling Die Wächterin
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95765-937-8
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 335 Seiten
ISBN: 978-3-95765-937-8
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ihre Firma führt dubiose Psi-Experimente mit ihr durch und verfolgt sie. Die Liebe zu ihrer untreuen Partnerin zermürbt sie. Ayra flieht und verdingt sich für dreißig Jahre als Wächterin auf einem einsamen Wüstenplaneten. Nur ihre zwölf Putten und ihr Android Robbie leisten ihr in einem Schloss, das der erste Wächter erbauen ließ, Gesellschaft.
Nach jahrzehntelanger Routine häufen sich gegen Ende ihrer Dienstzeit merkwürdige und bedrohliche Ereignisse, und schließlich muss sie um ihr Leben kämpfen - aber gegen wen oder was eigentlich? Die Auflösung ist überraschend - ein SF-Krimi voll Mystery, Liebe und Spannung.
Wolf Welling ist das Pseudonym für Wolfgang Pippke, geboren 1943, wohnhaft in Soest. Dozent im Verwaltungsbereich (Organisation, Personal, Management). Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen.
Als Jugendlicher aktiv im Fandom, schreibt seit einigen Jahren SF-Stories für EXODUS, NOVA und Anthologien. Drei seiner Erzählungen erreichten vordere Plätze auf der Shortlist für den Kurd-Laßwitz-Preis (Rubrik Kurzgeschichte). 2018 erschien sein SF-Roman 'Die Wächterin' und 2013 seine Story-Sammlung 'Zwischenzonen' im Verlag p.machinery.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1
Sie war ins Wisu-Tal geflogen, denn dort wuchsen in besten Lagen auch einige seltene Pflanzen und Kräuter. Mit wenigen Flügelschlägen war sie meist schwebend, die sanfte Thermik des Planeten nutzend, über die trostlose Landschaft geglitten. Die violette Sonne hatte die Geröllflächen und die wenigen Erhebungen in ein gespenstisches Licht getaucht. Ab und zu ließ sie den Blick ihrer geschützten Augen nach rechts und links wandern, obwohl diese Ödnis überall gleich aussah. Auch nach den Jahrzehnten, die sie auf diesem Planeten verbracht hatte, konnte sie dieser Landschaft nichts Faszinierendes, nichts Ästhetisches abgewinnen. Sie war und blieb überwiegend hässlich. Dass sie während ihres Fluges ihren Blick von Zeit zu Zeit schweifen ließ, hatte nichts damit zu tun, dass sie rechtzeitig Gefahren ausmachen wollte. Auf diesem Planeten gab es kein außermenschliches Leben, und es gab nur ein menschliches Lebewesen – und das war sie: Ayra, freiwillige Wächterin auf X-915-B für dreißig Jahre. Dass sie also während ihres Fluges gelegentlich hin und her sah und nicht nur nach unten, war nichts anderes als ein angeborener Reflex. Nachdem sie ihr Ziel erreicht hatte, war sie geschickt auf einer ebenen Fläche gelandet und hatte danach alles Mögliche des spärlichen Grünzeugs eingesammelt. Inzwischen hatte sie Fantasienamen für einzelne Pflanzen erfunden, da die Flora dieses Planeten völlig unerforscht war. Sie hatte sie auf Holobildern festgehalten, klassifiziert, benannt und dokumentiert und war stolz auf ihre Pionierleistung. Es war so ungefähr das Einzige, auf das sie hier in ihrer Funktion stolz sein konnte, denn die physikalische Zusammensetzung des Planeten war nicht überraschend gewesen, und wertvolle Rohstoffe oder Mineralien, die den Abbau lohnten, waren auch nicht entdeckt worden. Blieben also die wenigen Pflanzen. Die KÜCHE würde einiges davon gebrauchen können und eventuell Giftiges aussortieren oder umwandeln. Sie hatte den Sammelbeutel verschlossen und sich auf den Heimflug gemacht. Es war Zeit geworden, weil die Sonne sich dem Horizont genähert hatte. Das SCHLOSS war zwar außen nachts erleuchtet, aber sie flog ungern im Dunkeln (unbewusste Ängste vor etwas Unbekanntem?). Die wenigen Erhebungen, die sie überflogen hatte, warfen schon lange Schatten in das flache Gelände wie schwarze Tuchstreifen über eine Landschaftsleiche. Es dämmerte bereits, als sie das SCHLOSS auf der Anhöhe erreicht hatte. Sie richtete sich in ihrem Flug auf und schwebte – majestätisch, wie sie fand – auf die Start-und-Lande-Brüstung des SCHLOSSes zu und setzte sanft auf. Langsam faltete sie ihre Flügel zusammen, reckte sich und tippte den Zahlencode in das Nummernfeld neben dem Eingang. Ihr war das schon immer widersinnig vorgekommen, den Zugang zum SCHLOSS mit einem Code zu sichern, denn wer außer ihr konnte hier schon ein- und ausgehen? Manchmal, um der Langeweile einen Streich zu spielen, stellte sie sich vor, sie würde bei ihrer Ankunft jemanden im SCHLOSS besuchen. Eine fürstlich gekleidete Gestalt in stolzer Haltung würde ihr öffnen, ein freundliches Gesicht würde bei ihrem Anblick aufleuchten, er würde die Arme weit auseinander strecken und sie glückstrahlend umfangen, nach innen geleiten zu einer üppig gedeckten Tafel mit Hunderten Kerzen, die den Raum erhellten. Der Galan würde sie sanft küssen, ihr einen der beiden herrschaftlichen Stühle anbieten und ihr gegenüber Platz nehmen, ihr tief in die Augen schauen und ihre Hand streicheln. Sie würde ein weites weißes, seidenes Spitzenkleid mit einem tiefen Ausschnitt und blanken Schultern tragen. Bedienstete huschten um sie herum und trugen erlesene Speisen auf … Diesmal jedoch war etwas anders, und ihre Wunschvorstellungen und Gedankenspiele zerplatzten wie eine Seifenblase. Das Zugangstor entmaterialisierte sich nicht, alles blieb unverändert. Verblüfft sah sie erst auf ihre Hand, dann auf das Tastenfeld und tippte wieder die fünfstellige Zahl ein. Keine Reaktion. Sie versuchte es ein drittes Mal, wieder ohne Ergebnis. Jetzt wurde sie nervös. Ihr Blick löste sich vom Ziffernfeld, und sie sah auf den milchig-weißen Eingang. Hinter ihm konnte sie schemenhaft mehrere der Putten ausmachen, die auf und ab hüpften, übereinander kraxelten, herunter purzelten, sich wieder stapelten. Einige stießen mit obszönen Bewegungen ihren Unterleib gegen die Scheibe. Sie sah, wie sich ihre Münder bewegten, als riefen sie stumme Schreie der Wut und der Häme aus. Einige drohten mit ihren kleinen Fäustchen nach ihr. All dies geschah in schneller Abfolge wie in einem überdrehten Film, der mit doppelter Geschwindigkeit ablief. Sie erstarrte und blickte zunehmend ratlos auf das Geschehen. Die Nacht brach herein und mit ihr breitete sich beißende Kälte aus. Durch ihren Anzug war sie am Körper zwar gut geschützt, Gesicht und Hände aber waren diesen Temperaturen weitgehend schutzlos ausgeliefert. Sie wandte sich von dem aufkommenden heftigen Wind ab und beobachtete weiter das lebhafte Gewusel hinter der Milchglasscheibe. Was sollte sie tun? Es war nicht vorgesehen, dass ein Wächter starb, es gab Notfallpläne. Es durfte nicht ihr passieren, dass die Kontrollen stoppten, dass die Aufzeichnungen nicht weitergeführt wurden, dass die zahlreichen Messergebnisse über Bewegungen, Vegetationsveränderungen, Temperaturschwankungen, Windrichtungen und -stärken, Luftfeuchtigkeit und so weiter nicht gespeichert und weitergeleitet wurden. Sicher würde ein Großteil der Daten auch ohne sie automatisch aufgezeichnet und festgehalten werden, sie würden aber nicht von ihr autorisiert werden. Über kurz oder lang würde es ein Datenchaos geben. Sie gab erneut und zunehmend verzweifelt die Ziffernkombination ein, wieder ohne Resultat. Konnte sie sie in einem Anfall von Amnesie verwechselt haben? Das hämische Treiben hinter der Scheibe ließ sie aber vermuten, dass sie schon die richtigen Zahlen in der richtigen Reihenfolge eingegeben hatte, dass der Zugangscode aber manipuliert worden war. Das konnten diese halbintelligenten Wesen da drin, deren IQ bewusst niedrig gehalten worden war, eigentlich nicht bewerkstelligt haben. Egal wie oder was, die Ursache für dieses Phänomen, das Blockieren der Türöffnung, war im Augenblick irrelevant. Sie musste die jetzige Notsituation bewältigen, denn sie würde die Nacht hier draußen nicht überleben. Sie kauerte sich unwillkürlich zusammen, um sich besser vor der zunehmenden Kälte zu schützen. Denk nach!, befahl ihr Inner-Ich. Tue ich doch, antwortete sie. Versuche dich zu erinnern! Ich helfe dir. Gemeinsam suchten sie ihr Unterbewusstsein nach dem vor Jahrzehnten erlernten Programm für Notfälle durch. Ayra lenkte ihren Blick auf den Tastenblock neben der Tür. Unterhalb des Feldes, das aus drei mal drei leicht erhabenen Tasten bestand, war mittig eine weitere Taste ohne Bezeichnung. Und da fiel es ihr ein: Es gab die Möglichkeit, mithilfe des Daumenabdrucks die bestehende Ziffernkombination zu löschen und eine neue einzuprogrammieren. Das war bisher natürlich nicht nötig gewesen, und daher war beiden diese Lösung nicht auf Anhieb eingefallen. Zitternd vor Kälte stand Ayra auf und drückte ihren Daumen auf das Feld. Es leuchtete zwar schwach auf, begann dann aber rot zu pulsieren, und nichts weiter geschah. Jetzt erfasste sie langsam Panik. Sie stieß einen Wutschrei aus und begann laut zu fluchen. Mit beiden Fäusten schlug sie auf das trüb leuchtende Eingangstor ein, mit dem einzigen Effekt, dass noch mehr Puttengesichter sich grinsend an die Scheibe pressten. Die Bewegungen hinter der Milchglasscheibe nahmen zu. Inzwischen schienen sich alle zwölf Putten hinter ihr versammelt zu haben, sie purzelten immer wilder übereinander und schnitten hämische Grimassen. Bleib ruhig und denk erneut nach!, empfahl ihr Zweit-Ich. Ihr fiel ein, dass sie vielleicht den falschen Daumen für ihren Versuch genommen hatte. Sie trat wieder seitlich vor das Ziffernfeld und hielt diesmal ihren linken Daumen auf die unbeschriftete Taste. Sie leuchtete grün auf und ein Banddisplay öffnete sich unterhalb des Feldes: – Zum Löschen des bestehenden Codes Finger lösen und erneut auf die Taste legen. Sie zog den Daumen zurück und presste ihn wieder auf die Taste. – Alter Code gelöscht. Bitte neue Ziffernfolge mit fünf Ziffern eingeben. Verfluchter Kasten, dachte sie, mach’ endlich voran! Ich erfriere hier! Sie gab ohne nachzudenken fünfmal die eins ein. Auf dem Display erschien: – Ungültige Zeichenfolge. Es müssen fünf unterschiedliche Zahlen in nicht-direkter Reihenfolge eingegeben werden. Sie schrie auf vor Wut und gab ihr Geburtsdatum ein: 70643. – Zum Speichern Ziffern erneut eingeben, mahnte das Display. Mit zitternden Fingern gab sie erneut die Zahlenfolge ein. – Neuer Zugangscode gespeichert. – Jetzt öffnen: 1 drücken. Andererseits … Sie las nicht weiter, sondern drückte die 1. Langsam begann die Tür, sich zu entmaterialisieren. Die Putten erstarrten und stoben dann in alle Richtungen davon. Mit vor Kälte steif gewordenen...