E-Book, Deutsch, 144 Seiten
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-86191-178-4
Verlag: Crotona Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Carl Friedrich von Weizsäcker, einer der bedeutendsten Brückenbauer zwischen abendländischer Wissenschaft und östlicher Weisheit, zeigt in seinem Dialog mit dem großen Yoga-Meister neue Perspektiven in der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins auf. Noch immer sind weite Bereiche des geistigen Potenzials des Menschen unerschlossen und warten auf ihre Erweckung. Ein Weg dazu ist die Yoga-Praxis.
Aufbauend auf einer persönlichen Freundschaft und einem tiefen gegenseitigen Respekt, loten Weizsäcker und Gopi Krishna die Tiefen des menschlichen Bewusstseins aus und nähern sich Grenzen, die eine kommenden Menschheit zu überschreiten berufen ist. Dieser Weg ist nicht ungefährlich. Er erfordert großen Mut, vollkommene Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit sowie die Bereitschaft der Hingabe an ein spirituelles Ideal. Welche Grundlagen dafür maßgebend sind, zeigen der Philosoph und der Yogi in ihrer faszinierenden ""Begegnung zweier Geisteswelten"" auf einzigartige Weise auf.
Ein Ausblick auf den Menschen der Zukunft!
Autoren/Hrsg.
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4 • Der biologisch-medizinische Aspekt Gopi Krishnas biologische Ansicht lässt sich begrifflich knapp zusammenfassen. Das spirituelle Gesetz ist seinem Wesen nach zugleich ein biologisches Gesetz. Es ist das Gesetz der Entwicklung. Er spricht es, so weit ich sehe, nirgends in Urteilsform aus, aber es besagt jedenfalls, dass sich das Niedrigere zum Höheren weiterentwickeln soll und tatsächlich entwickelt. Um sich den Vorgang dieser Entwicklung begreiflich zu machen, braucht er zwei Begriffe aus der indischen Denktradition: Prana und Kundalini. Prana ist die alldurchdringende subtile Lebenssubstanz. Prana ist materiell; feinstofflich, wie man gelegentlich sagt. Auf diese Materialität des Prana legt Gopi Krishna großen Wert, und er zitiert als Beleg im Gespräch gern den feststehenden Begriff der Upanishaden: »Prana entsteht aus Nahrung.« Zugleich erscheint Prana aber als eine der Seele zugehörige Substanz; nach Gopi Krishnas eigener Darstellung wird Prana zur Nahrung des sich entwickelnden menschlichen Bewusstseins. Prana ist schließlich so etwas wie die allgegenwärtige Energie der höchsten kosmischen Intelligenz; Prana baut das Lebendige sinnvoll, nach einem uns verborgenen, aber wenigstens dem ahnenden Blick sich teilweise erschließenden Plan. Ehe er weiterliest, wird der westliche Wissenschaftler angesichts eines solchen Begriffs schon seine Verwirrung bekennen, eine Verwirrung, die er, solange er sich seiner eigenen begrifflichen Grundlage sicher fühlt, unbefangen jenen vorwissenschaftlichen Hindu-Lehren in die Schuhe schiebt. Unsere Naturwissenschaft, wenigstens unsere Biologie und Medizin, steht heute methodisch streng auf dem Standpunkt der cartesischen Trennung von Materie und Bewusstsein. Solange sie an die methodische Notwendigkeit dieser Trennung glaubt, wird sie sagen: »Wenn Prana eine Materie sein soll, so haben wir Begriffe wie Bewusstsein von ihr fernzuhalten; umgekehrtenfalls gehört Prana in den Bereich der Psychologie und hat nichts mit Physik zu tun.« Nun ist freilich dieser Standpunkt ein Relikt einer Denkweise, deren begriffliche Brüchigkeit auch viele derjenigen fühlen, die sie nicht durch eine bessere zu ersetzen wissen. Die Physik steht seit der Quantentheorie nicht mehr auf diesem Standpunkt, hat aber sichtbare Schwierigkeiten, einen besseren zu formulieren. Dem kybernetischen Versuch, psychische Phänomene in materiellen Modellen zu simulieren, liegt ein schwer artikulierbarer Einheitsglaube zugrunde. Schließlich halte ich es nicht für einen Mangel, dass es in der Praxis der Verhaltensforschung faktisch fast nie glückt, eine rein behavioristische Sprechweise durchzuhalten und alle »subjektiven« oder »anthropomorphen« Ausdrücke zu vermeiden; hier ist meines Erachtens, wie so häufig, die Praxis gescheiter als die Theorie, in der sie sich selbst auslegt. Ich werde auf diese Frage im 7. Kapitel (Physik und Zeit) zurückkommen und bitte den Leser, hier zunächst nur ein Problem anzumerken und im jetzigen, die Fragen exponierenden Kapitel zunächst (wenn er noch Lust hat) weiterzulesen. Die evolutive Potenz heißt Kundalini. Sie hängt aufs Engste mit der sexuellen Potenz zusammen. Dies ist schon in der Lage der »Schlange« in nächster Nachbarschaft der Geschlechtsorgane angedeutet. Diese Entwicklungskraft wirkt in wenigstens zwei getrennten Stufen. Bei den Tieren wirkt sie direkt durch die sexuelle Fortpflanzung. Bei ihnen sind die höher Entwickelten die physischen Nachkommen von niedriger Entwickelten. Beim Menschen gibt es die Entwicklung des Bewusstseins, das sich in jedem Individuum auf der Basis seiner körperlichen Ausstattung, insbesondere des Nervensystems, von Neuem aufbaut. Diese Bewusstseinsentwicklung hat selbst zwei Stufen. Das normale Ich-Bewusstsein ist heute Allgemeinbesitz der Menschen; aber Gopi Krishna wirft einen hypothetischen Blick auf jene prähistorische Zeit, in der dieses Bewusstsein in höheren Anthropoiden vielleicht auch nur sporadisch und wie eine Abirrung von der Normalität hervortrat. Das höhere Bewusstsein hingegen deutet sich heute ebenso nur in einzelnen genialen oder mystisch begabten Individuen an, die sich unter ihren Mitmenschen und gegenüber ihren eigenen, von der Umwelt geprägten gesellschaftskonformen Vorstellungen oft ebenso verloren und heimatlos vorkommen und von dorther ebenso missbilligt werden wie H. C. Andersens »hässliches junges Entlein« im Hühnerhof. Dass nun auch die Bewusstseinsentwicklung von den in der Kundalini enthaltenen sexuellen Kräften gespeist wird, ist Gopi Krishnas These. Auf den Seiten 34 bis 39 seines Buches beschreibt er, wie, nach seiner eigenen leiblichen Erfahrung, die Samensubstanz oder ihr Prana das Nervensystem durchdringt und die zu Instrumenten des höheren Bewusstseins heranreifenden Nerven nährt. Der moderne Wissenschaftler wird bei dieser Beschreibung wieder an ein paar Stellen den Atem anhalten und sich fragen, ob er weiter folgen soll. Versuchen wir, die Fragen aufzugliedern. Dass die Entwicklung der Tiere durch physische Abstammungsreihen erfolgt, ist eine These der europäischen Wissenschaft seit dem 19. Jahrhundert, die Gopi Krishna ebenso wie andere evolutionistische indische Denker unseres Jahrhunderts (vor allem Sri Aurobindo) schlicht übernimmt. Die Vorstellung, es gebe eine besondere »Kraft der Evolution«, steht hingegen im Gegensatz zur herrschenden Lehre in der heutigen Biologie, der Darwinschen Selektionstheorie. Hier liegt ein sehr subtiles theoretisches Problem verborgen, das ich erst im 6. Kapitel aufnehmen will. Der moderne Biologe wird sich aber vorerst an Gopi Krishnas Sprechweise durch eine Umbenennung akklimatisieren können. Das materielle Substrat der Entwicklung sind für die heutige Genetik die Chromosomen. Diese werden von Generation zu Generation durch die Geschlechtszellen weitergegeben, und in diesem Sinne ist bei den Tieren die materielle »Kraft der Entwicklung« in den Geschlechtsorganen lokalisiert. Dass beim Menschen, unbeschadet der Möglichkeit auch weiterer biologischer Evolution, die Entwicklung, oder wie wir sagen, der Fortschritt im Bewusstsein liegt, dass es »die Natur des Menschen ist, Geschichte zu haben«, macht uns, so empfinden wir, keine Denkschwierigkeiten. Unter dem Einfluss soziologischen Denkens sehen wir diese Entwicklung vor allem in der Umbildung und Neubildung kultureller, gesellschaftlich überlieferter Traditionen. Darüber, dass es solche gesellschaftliche Entwicklung gibt, sind beide Seiten einig. Gopi Krishnas Interesse liegt aber nicht bei den sozialen Interaktionen, in denen diese Entwicklung zustandekommt, sondern in einer Weise, die man ebenso wohl personal wie biologisch nennen kann, bei dem individuellen Bewusstsein als Träger dieser Entwicklung. Hier weicht er nun von der herrschenden Lehre des modernen soziologisierten Westens in zweifacher Weise ab, einer milderen und einer schärferen. Die mildere Abweichung: Im Einklang mit unserer klassischen Geschichtsschreibung betont er stärker als unsere Gegenwart die historische Rolle großer Persönlichkeiten, ohne sie jedoch aus dem gesellschaftlichen Prozess zu isolieren. Hierin spiegelt sich zum Teil gewiss die Bewusstseinslage derjenigen historischen Wissenschaft, die auf seine Bildung in der Jugend eingewirkt hat. Andererseits handelt es sich für ein abgewogenes Urteil hier um die Differenz in Nuancen. Wer dürfte, um bei unserem Jahrhundert zu bleiben, die geschichtsbeeinflussende Kraft so entgegengesetzter Persönlichkeiten wie Gandhi und Hitler leugnen, oder die Prägung der Gedanken und Verhaltensweisen der Jahrhunderte durch Kant oder Marx, durch Platon und Shankara, durch Christus und Buddha? Die schärfere Abweichung ist, dass er eine physiologisch beschreibbare Evolution des Organs des Bewusstseins in den Mittelpunkt seiner ganzen Betrachtung stellt. Von einer solchen Evolution weiß unsere Wissenschaft nichts. Hier ist der Turnierplatz. Wir treten in die Kämpfe durch ein Vorgefecht ein, in dem wir zunächst eine unserem Denken assimilierbare, ja frappierende Parallele hervorheben. Denken wir rein psychologisch (was Gopi Krishna freilich nicht tut), so muss uns seine These von der fundamentalen Bedeutung der Sexualität für den Bewusstseinsaufbau unmittelbar an die Lehre Freuds erinnern. Wo Gopi Krishna in einer dem Psychologen rein symbolisch vorkommenden Sprache vom Aufsteigen der Samenflüssigkeit spricht, spricht Freud von der Sublimierung der Libido. Das ist abstrakter und verschleiert ein wenig die Verwendung genau gleichartiger Begrifflichkeit: Libido behandelt Freud wie eine Substanz, für die ein Erhaltungssatz gilt, und was heißt Sublimieren, wenn nicht Emporheben? Interessanter als diese noch rohe Parallele ist aber der Unterschied beider Auffassungen. Für Gopi Krishna ist die Evolution letzten Endes durch ihr Ziel bestimmt; die sexuelle Potenz ist ihm »Nahrung« einer höheren Struktur. Freud hingegen hängt einem »psychologischen Reduktionismus« an. Die Kultur, die er liebt und verteidigt, ist ihm doch »eigentlich« sublimierte Libido, so wie für die klassischen Atomisten ein Kristall »eigentlich« eine Menge regelmäßig angeordneter Atome ist, und für die biologischen Physikalisten ein Paradiesvogel »eigentlich« ein Regelsystem aus organischen Molekülen. Nun bin ich zwar der Meinung, dass dieser Gegensatz sehr schwer sauber zu artikulieren ist und vielleicht bei präzisem Nachdenken ganz verschwindet. Aber die Mängel der streitenden Vertreter beider Seiten in ihrer Auffassung der Wirklichkeit beruhen meist gerade darauf, dass sie dieses präzise Nachdenken nicht leisten. Dieser Mangel führt bei Freud dazu, dass seine reduktionistische Theorie nicht auf dem begrifflichen Niveau steht, das nötig wäre, seine eigene Praxis zu interpretieren. (Vgl. dazu den...