E-Book, Deutsch, 119 Seiten
ISBN: 978-3-7518-3043-0
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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1. Schönes Scheitern
Zu den Highlights des Bundestagswahlkampfes 2017 gehörte ein aus den Untiefen deutscher Fernseharchive ausgegrabenes Video, das den damals achtzehnjährigen Nachwuchs-FDPler Christian Lindner und seinen gleichaltrigen Geschäftspartner porträtiert. Der 1997 ausgestrahlte Beitrag der Jugendsendung 100 Grad, anmoderiert als Geschichte zweier »Jungs«, die noch zur Schule gehen, aber bereits aussehen »wie die Titelblattmodels vom Manager Magazin«, zeigt die beiden Schüler und Inhaber einer Marketingagentur in einer geliehenen Limousine auf dem Weg zum nächsten Kunden, die Krawatten akkurat gebunden, die Aktentaschen fest im Griff. Für Spott bei Wähler·innen und der politischen Konkurrenz sorgte vor allem Lindners beeindruckend ironiefrei vorgetragene Erfolgsmaxime, die es schnell ins Inventar neoliberaler Plattitüden geschafft hat: »Probleme sind nur dornige Chancen.«1 So hämisch die Reaktionen auf das wiederentdeckte Archivvideo allerdings auch gewesen sein mögen, so beispielhaft steht Lindners Satz doch für eine Vorstellung von Erfolg und Misserfolg, die im Laufe der letzten drei Jahrzehnte zunehmend an Konjunktur gewonnen hat: Probleme gelten selbst dann noch als Chancen, wenn sie sich letztlich nicht lösen lassen – von einem schöneren, von einem besseren Scheitern ist dann oft die Rede. Denn jeder Schwierigkeit, jedem Misslingen wohnt, so suggerieren es zumindest die zahlreichen Veröffentlichungen im stetig wachsenden Segment der Ratgeberliteratur, ein produktives Potenzial inne, das es nur nutzbar zu machen gilt. Karrierefibeln mit Titeln wie How to Fail Successfully: Finding Your Creative Potential Through Mistakes and Challenges predigen den Stellenwert des Scheiterns für ein schnelles Fortkommen im Job,2 und Elon Musk, der derzeit reichste Mensch der Welt, lässt sich mit dem Satz zitieren: »If things are not failing, you are not innovating enough.«3 Der Glaube an die Kraft des Scheiterns ist dabei keineswegs nur dort zu finden, wo beruflicher Erfolg auf dem Spiel steht, sondern hat sich mittlerweile auf beinahe sämtliche Lebensbereiche ausgedehnt. Die britische Autorin Elizabeth Day zum Beispiel nimmt in ihrem Buch How to Fail: Warum wir erst durch Scheitern richtig stark werden krisenhafte Situationen jeglicher Couleur in den Blick, dem Klappentext der deutschen Ausgabe zufolge etwa »die Schwierigkeit, mit 40 eine neue Sportart zu erlernen, eine unerwartete Trennung oder das plötzliche Karriereaus«, und argumentiert, dass gerade aus ihnen »[immer] die wirklich großen Momente des Lebens […] erwachsen«. Kurzum: »Ein Glück, wenn’s schiefläuft«.4 Obwohl viele Apologet·innen des schönen Scheiterns sich gern mit einer Aura des Subversiven umhüllen, als sei es etwas ganz und gar Unerhörtes, dem Misserfolg eine positive Qualität zusprechen zu wollen, ist Scheitern also längst nicht mehr das »große moderne Tabu«,5 als das der amerikanische Soziologe Richard Sennett es noch in den 1990er-Jahren bezeichnet hat. Im Rahmen von Veranstaltungsreihen wie den sogenannten Fuckup Nights, 2012 von zwei mexikanischen Start-up-Gründern ins Leben gerufen, berichten Menschen regelmäßig davon, wie sie vermeintlich vielversprechende Projekte in den Sand setzten oder mit lukrativen Geschäftsideen in die Pleite schlitterten – und sich dennoch nicht unterkriegen ließen, performativ bezeugt durch ihre Präsenz auf einer Veranstaltungsbühne, auf der sie mit den eigenen Niederlagen zum Narrativ des erfolgreichen Scheiterns beitragen. Aus Fehlern lernt man, lautet dort die Devise, und das scheinbar so bedingungslos, dass Scheitern dem Erfolg vermeintlich nicht nur nicht im Weg steht, sondern in einer waghalsigen dialektischen Volte sogar zu dessen Möglichkeitsbedingung stilisiert wird. Denn nur wer hinfällt, so lässt sich auch zahllosen TED-Talks von erfolgreichen Unternehmer·innen und Life Coaches entnehmen,6 kann hinterher wieder aufstehen, um sodann, ausgerüstet mit einer buchstäblich gewinnbringenden neuen Erfahrung, Ziele zu erreichen, die vormals in utopischer Ferne zu liegen schienen. Wichtig ist demnach nicht, ob man scheitert, sondern wie man scheitert, und wer den richtigen Umgang mit dem eigenen Misserfolg gefunden hat, muss existenzielle Folgen nicht fürchten. Schwerwiegende Nachteile oder gar Gefahren scheinen vom Scheitern dieser Logik zufolge nicht (mehr) auszugehen; inzwischen wird es vielmehr als Form des Übens betrachtet,7 getreu dem in der Ratgeberliteratur eifrig zitierten, aber grotesk missverstandenen Motto: »Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.«8 Seinen Ausgang nahm der zeitgenössische »Failure Fetish«9 in den 1990er-Jahren im kalifornischen Silicon Valley, wo er bis heute liebevoller gepflegt wird als überall sonst. Viele der erfolgreichsten Gründer·innen der New Economy brüsten sich mit den Brüchen in ihren Berufsbiografien: Apple-Ikone Steve Jobs beispielsweise wurde zu Beginn seiner Karriere aus seiner eigenen Firma geworfen; Bill Gates’ erstes Unternehmen Traf-O-Data schrieb kontinuierlich rote Zahlen. Gates’ damaliger Geschäftspartner Paul Allen bezeichnet den Misserfolg seiner Firma in einem kurzen Essay für die Zeitschrift Newsweek gar als den liebsten Fehler seiner Karriere: »Er hat für mich untermauert, dass jedes Scheitern den Keim deines nächsten Erfolges enthält.«10 Ähnliches weiß Lars Hinrichs zu berichten, der mittlerweile millionenschwere Gründer der Onlineplattform Xing: Er trieb seine PR-Agentur Böttcher-Hinrichs AG in die Insolvenz, bevor er kurz darauf das Geschäft seines Lebens ersann. Dieses Erfolgsmärchen erzählt er unermüdlich in Workshops und Vorträgen,11 vielen Gründer·innen gilt er als Vorbild – weil er einfach immer weitermachte, allen Misserfolgen zum Trotz. Dass die Sage vom schönen Scheitern gerade im Dunstkreis der New Economy so omnipräsent ist, hat nicht zuletzt strukturelle Ursachen. Startup-Gründungen sind oft risikobehaftete Unterfangen, einer Analyse des an der Harvard Business School lehrenden Ökonomen Shikhar Ghosh zufolge erwirtschaften nicht einmal fünf Prozent aller Start-ups genug Geld, um den Break-even-Point zu erreichen, also an einen Punkt zu gelangen, an dem aufgewandte Kosten und erzielte Erlöse gleich hoch sind.12 Weil das für ein Start-up zu akquirierende Startkapital vergleichsweise gering ist, weil in der Regel keine eigenen Produktionshallen und teils nicht einmal Büros benötigt werden, kann, so scheint es zumindest, beinahe jede·r eine eigene Firma gründen und nach dem trial-and-error-Prinzip mit ihr Schiffbruch erleiden. Bei genauerer Betrachtung allerdings wird schnell deutlich, wie sehr die Möglichkeit eines schöneren, besseren Scheiterns – im Silicon Valley, aber auch darüber hinaus – an Privilegien geknüpft ist, die nur selten thematisiert werden: Scheitern muss man sich leisten können, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Nicht alle verfügen über die nötige gesellschaftliche, ökonomische oder kulturelle Teilhabe, um überhaupt eine risikoreiche Unternehmung in Angriff nehmen oder nach deren Fehlschlagen sofort zu einem neuerlichen Versuch ansetzen zu können. Es ist daher kein Zufall, dass die Vorstellung eines gewinnbringenden Scheiterns bis heute maßgeblich von wohlhabenden weißen Männern propagiert wird – und dass sie auf Prämissen fußt, die man gemeinhin als neoliberal bezeichnet. Denn die positive Umdeutung des Scheiterns, wie sie sich in westlichen Gesellschaften vor allem in den letzten drei Jahrzehnten vollzogen hat, ist eng mit jenem neoliberalen Subjektentwurf verzahnt, dem der Soziologe Ulrich Bröckling mit Das unternehmerische Selbst eine einflussreiche Studie gewidmet hat. Er beschreibt darin ein etwa seit den 1980er-Jahren geltendes sozioökonomisches Leitbild, das dazu auffordert, sich zu jedem Zeitpunkt und in allen Lebenslagen als CEO der eigenen Ich-AG zu begreifen, sein Selbst vor der Folie unternehmerischen Handelns zu modellieren, und das unabhängig davon, ob eine Person tatsächlich selbstständig, also unternehmerisch tätig ist. Denn längst werden nicht nur berufliche oder finanzielle Entscheidungen nach unternehmerischen Maßstäben beurteilt und auf ihre Rentabilität geprüft, auch Liebesbeziehungen oder Freizeitbeschäftigungen müssen einer Kosten-Nutzen-Rechnung standhalten. Erfolge werden dann meist als Resultate harter Arbeit und guten Selbstmanagements betrachtet – im Umkehrschluss bedeutet ein solcher Zwang zum individualisierten Unternehmertum allerdings auch, »die Verantwortung für das eigene Scheitern sich selbst zurechnen« und Niederlagen »als individuelle Planungsdefizite […] verbuchen« zu müssen.13 In den zeitgenössischen Konzeptualisierungen des schönen Scheiterns spiegeln sich so die beiden ideologischen Grundpfeiler eines neoliberalen Welt- und Menschenbildes sehr deutlich: die marktwirtschaftliche Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche einerseits, die gleichzeitige Dominanz der gesellschaftspolitischen Dogmen von Individualisierung und Eigenverantwortlichkeit andererseits. In seiner 1998 erschienenen Untersuchung Der flexible...