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E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Weigl Für und wider die Bürger:innen

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-7065-6471-7
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Frage, wer in einer Stadt das Sagen hat, beschäftigt bekanntlich Politik, Verwaltung und die städtische Wählerschaft immer aufs Neue. Das ist freilich kein Thema, welches erst mit der Durchsetzung demokratischer Verhältnisse größere Bedeutung erlangt hätte. Schon mit der Blüte der Städtegründungen im Hochmittelalter kam es zur allmählichen Herausbildung von Bürgergemeinden, die nicht zuletzt auf Basis des wirtschaftlichen Aufschwungs ein eigenes Selbstbewusstsein entwickelten und Selbstbestimmungsrechte gegenüber dem Stadtherrn einforderten. Das Ringen um Macht und Einfluss mündeten manchmal sogar in Aufständen, die sich auch gegen innerstädtische Oligarchien mit ihrem Anspruch auf alleinige Vertretung städtischer Rechte richten konnten. Ab dem späten 15. Jahrhundert begannen landesfürstliche Stadtherren gestützt auf den sich herausbildenden "fiscal-military state" immer mehr, die Oberhand gegenüber dem städtischen Bürgertum zu gewinnen und städtische Autonomie zu begrenzen. Während unterbürgerlichen Schichten bis in die Frühe Neuzeit bei diesen Auseinandersetzungen lediglich die Rolle einer von verschiedenen Fraktionen instrumentalisierten "Armee zum Schlagen" zukam, änderte sich dies mit der Entstehung eines städtischen Industrieproletariats. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts sorgte die Kommunalisierung für eine schrittweise Rückgewinnung städtischer Autonomie, allerdings in Abhängigkeit von der Ausweitung der Bürokratie des modernen Flächenstaates. Der Wandel zur partizipativen Demokratie ermöglichte schließlich auch großen Teilen der städtischen Unterschichten ein höheres Maß an Mitbestimmung bei Kommunalwahlen wie auch in weiterer Folge als Teilnehmer von Bürgerinitiativen oder Volksbefragungen.

Mit Beiträgen von Peter Csaendes, Roman Czaja, Wolfram Dornik, Helmut Gebhardt, Florian H. Geidner, Holger Th. Gräf, Alfred Joham, Peter F. Kramml, Alexander Lupienko, Andrea Pühringer, Michael Georg Schiestl, Jacqueline Schindler, Walter Schuster, Andreas Weigl und Norbert Weiss.
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Peter Csendes
Kategorisierungen der Bürgergemeinde in Stadtrechtsprivilegien als Konfliktkeim
Der Begriff Stadtrechtsprivileg bezeichnet ein vom Stadtherrn ausgestelltes Dokument, in welchem bestimmte Bereiche des in einer Stadt geltenden materiellen Rechts eine zusammenfassende Niederschrift gefunden haben. Nördlich der Alpen sind die kaiserlichen Privilegien für Augsburg und Lübeck frühe Beispiele.1 Im heutigen österreichischen Raum, der im Folgenden im Mittelpunkt steht, begegnen derartige Urkunden seit dem 13. Jahrhundert.2 Diese frühen Privilegien sind durchwegs nicht als ein Neubeginn, als Symbol einer Stadterhebung oder sonstigen Veränderung des Status des betreffenden Ortes zu betrachten, sondern vielmehr als Abschluss einer jahrzehntelangen wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Entwicklung. Insofern ist auch die häufig verwendete vereinfachende Bezeichnung „Stadtrecht“ für diese Dokumente nicht angebracht, da es sich um keine verfassungsrechtlichen Kodifizierungen, sondern um eine wohl auch der Aktualität verpflichtete Auswahl von Rechtssatzungen handelt. Noch im 15. Jahrhundert mokierte sich Eneas Silvius Piccolomini über die Wiener: Sie leben ohne geschriebenes Recht, sie halten sich an alte Gewohnheiten, die sie in ihrem Sinn auslegen.3 Diese Urkunden belegen jedoch ein aufkommendes Bewusstsein dafür, dass die in den werdenden Städten herrschaftlich gewährten Sonderrechte, iura, und genossenschaftlich entwickelte Rechtsgewohnheiten, consuetudines, die über das Recht des Landes, ius terrae, hinausgehend spezifische Notwendigkeiten des urbanen Lebens regelten,4 einer Beglaubigung durch den Stadtherrn bedurften, die in der Folge schließlich – wie das Stadtsiegel – zu den identitätsstiftenden Elementen zählte.5 Das 12. Jahrhundert war jener Zeitraum, in dem im genannten geographischen Bereich einzelne Burg- und Siedlungsplätze, die sich in der Regel durch ihre Verkehrslage und damit verbundene Lebensbedingungen und Traditionen von ihrem Umland abhoben, durch landesherrliche oder hochstiftische Förderung wirtschaftliche und territorialpolitische Bedeutung erlangten.6 Zu den Parametern, anhand derer die Entwicklung einer älteren Siedlung zur Stadt beobachtet und verfolgt werden kann, zählt in besonderem Maß die Ausbildung einer definierten und autonom agierenden Bürgergemeinde, die dem Stadtherrn und seinen Amtsträgern als Gruppe gegenüberzutreten vermochte.7 Daraus ergibt sich jedoch auch, dass für die Entfaltung dieser frühen Städte, in denen vorerst stadtherrliche Gefolgsleute dominierten, die Zuwanderung von entscheidender Bedeutung war. Seit dem 12. Jahrhundert begegnen in den Quellen die Bezeichnungen cives oder burgenses für Bewohner urbaner Siedlungen, denen bestimmte, überwiegend wirtschaftliche Rechte zukamen, die in Urkunden global als iura per terram et aquam oder ius fori umschrieben werden,8 die aber offenbar in ihrem Umfang als „ius civium“ allgemein bekannt waren.9 Erst im Verlauf des 13. Jahrhunderts begegnen zunehmend Urkunden mit Privilegierungen für einzelne Städte – Wiener Neustadt, Judenburg oder Innsbruck –,10 die spezifische Einzelrechte im Interesse der jeweiligen Stadt enthalten. Als Stadtrechtsprivilegien im definierten Sinn sind jedoch allein die Dokumente für Enns und Wien anzusprechen. Sie setzen nicht primär Recht, sie schreiben vornehmlich Bestehendes fest, allenfalls erfolgen Ergänzungen oder Präzisierungen, was sich allerdings im Detail nicht nachweisen lässt. Wie weit diese Dokumente von umfassenden Gesetzestexten entfernt sind, beweist deutlich das um 1300 angelegte sogenannte „Wiener Stadtrechtsbuch“, das sich dem weiten Feld des Zivilrechts widmet, das in den großen Privilegien weitgehend unberücksichtigt geblieben ist.11 In den wachsenden Siedlungen war von Anfang an eine, wie man der Auffassung war gottgewollte Ständeordnung wirkmächtig, wie sie sich aus den Schriften der Kirchenväter entwickeln ließ, in die sich Zuwanderer einzufügen hatten.12 Innerhalb der entstehenden universitas civium bildete sich somit organisch eine Hierarchie, nach der die bellatores, zumeist ritterliche Gefolgsleute des Stadtherrn, an der Spitze standen, denen vielleicht einzelne alteingesessene Familien zur Seite getreten sind.13 Sie verfügten in der Stadt über entsprechenden Besitz, dessen althergebrachter Mittelpunkt große Höfe waren.14 Die zivilen Bewohner waren den nachgeordneten laboratores oder mechanici zuzurechnen. Letztere Gruppe war wohl für das steigende Maß an arbeitsteiliger Produktion – ein besonderes Kennzeichen des urbanen Lebens – die tragende Schicht, aus der jedoch nur wenige durch Grundbesitz herausragten. Am ehesten vermochten wohl Kaufleute, die allerdings nur selten namentlich nachzuweisen oder gar persönlich fassbar sind,15 und Betreiber bevorzugter Gewerbe durch ihren Reichtum in die Führungsschicht aufzusteigen, worüber es aber gerade für die Frühzeit kaum Belege gibt.16 Diese Dürftigkeit der Quellen lässt auch keine weitreichenden Schlüsse auf zeitliche Entwicklungsabläufe zu, doch sei hier auf das Beispiel von Friesach hingewiesen, wo bereits im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts die Teilnahme von Bürgern am politischen und wirtschaftlichen Leben beobachtet werden kann.17 In St. Pölten begegnen 1159 namentlich genannte 28 burgenses, die als Repräsentanten der Bürger dem bischöflichen Stadtherrn und seinen Vertretern gegenüberstehen und Gruppeninteressen vertreten.18 Die Gemeinschaft der Wiener Bürger tritt zur Zeit von Herzog Heinrich Jasomirgott nachweislich handelnd in Erscheinung, indem Probleme des Besitzrechts in Weingärten nicht vor dem landesfürstlichen Richter, sondern coram civibus Winensibus zu entscheiden waren.19 Ein Faktum, das auch noch in den habsburgischen Privilegien festgehalten wird.20 Im Privileg für die Gruppe der Flandrenses in Wien 1208 begegnen unter den Zeugen erstmals Bürger, cives, als Urkundenzeugen, die jedoch als rittermäßig gegolten haben dürften, zumal die Empfängergruppe aus der Jurisdiktion des Stadtrichters gelöst wurde.21 Gerade in der Frühzeit scheinen sich Ritter und Bürger bewusst als eigene Gemeinschaften gefühlt zu haben. Belege aus der Mitte des 13. Jahrhunderts (1250, 1257) zeigen, dass Ritter und Bürger in Wien gemeinsam, aber als eigene Gruppen aufgetreten sind (universitas militum et civium),22 die als solche in den Stadtrechtsprivilegien aber nicht begegnen. Dieses Verhalten finden wir auch in Judenburg oder Steyr, Städten, in denen sich diese beiden Gruppen als getrennte Gemeinschaften der Ritter und der Bürger gefühlt und geriert haben.23 Sie traten offenbar nur in sehr wichtigen Fällen gemeinsam auf, über die konkrete Bedeutung für das urbane Leben lassen sich jedoch kaum Aussagen treffen. Im Privileg für Innsbruck 1239 werden die beiden Gruppen als mögliche Kontrahenten angesehen.24 Es richtet sich ausdrücklich an die cives und hält fest, dass Abgaben nur von den Bürgern, nicht von den Rittern festgelegt werden dürfen. Auch im Judenburger Stadtrechtsprivileg von 1277 werden sie ähnlich als einander gegenüberstehend angesprochen.25 Ungeachtet einer dem gesamtgesellschaftlichen Umfeld entspringenden grundsätzlichen Schichtung der Stadtbewohner, richten sich die Privilegien des 13. Jahrhunderts an die Gesamtheit der Bürger, universitas civium, universi pariter et singuli, später segregierend „Bürger reich oder arm“. Doch in den Stadtrechtsprivilegien von 1212 für Enns und 1221 für Wien finden sich in den Einzelbestimmungen wesentliche Hinweise auf die ständische Schichtung der städtischen Bevölkerung und das überkommene Bestehen von Gruppen, die sich durch (Grund-)Besitz und Standesqualität herausheben.26 Inhaltlich behandeln die beiden Dokumente im Wesentlichen drei Bereiche. Es dominieren strafrechtliche Aspekte, die Vorstellungen folgen, die vor allem aus der Gottesfriedensbewegung heraus entwickelt worden waren und sich im Bemühen um die Aufrechterhaltung des Friedens in der Stadt verfestigten.27 Daneben bilden besitzrechtliche Themen, Erb- und Familienrecht betreffend, Schwerpunkte, die dem Ziel, im Sinne einer Erb- und Besitzgemeinschaft den bürgerlichen Besitz innerhalb des Burgfrieds unter städtischer Aufsicht zu sichern, dienten.28 Dazu kommen schließlich verwaltungs- und marktrechtliche Bestimmungen. Im Ennser Privileg erscheint die Bürgerschar einfach strukturiert. Entscheidend für die Qualifikation als Bürger ist der Hausbesitz. Dem Hausbesitzer, „domesticus“, entspricht auch der vir honestus. Einzelne domestici vermögen als credibiles homines zu gelten und können Eideshilfe leisten. Der Vorläufer des späteren Rats besteht aus sechs viri idonei. In Wien stellt sich das weit differenzierter dar, was nicht zuletzt aus der Entwicklung seit 1156, der Errichtung einer herzoglichen Residenz, dem damit...


Andreas Weigl, Univ.-Doz. Dr., Studium der Wirtschaftsinformatik und der Geschichte an der Universität Wien, Dr. rer.soc.oec., 1984–2008: Tätigkeit im Statistischen Amt der Stadt Wien und in der Magistratsdirektion, seit 2001 Univ.-Doz. am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, 2010–2011: Leiter des Ludwig-Boltzmann-Institutes für Stadtgeschichtsforschung, seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Wiener Stadt- und Landesarchivs, seit 2011: Vorsitzender des Österreichischen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung. Forschungsschwerpunkte: Bevölkerungs-, Stadt- und Konsumgeschichte, Sozialgeschichte der Medizin; 2019: Viktor-Adler-Staatspreis für Geschichte der sozialen Bewegungen.


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