E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Warnke Sei nicht so
24001. Auflage 2024
ISBN: 978-3-492-60748-3
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman | »Poetisch, klug, traurig und witzig zugleich.« WDR5 - Scala
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-492-60748-3
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kirstin Warnke, geboren am 6.11. 1981 in Berlin, studierte an der Freien Universität Berlin Theaterwissenschaften und Anglistik. Sie ist Mitglied der Künstlergruppe A Rose Is und spielte in Produktionen von Christoph Schlingensief an der Volksbühne Berlin. Im Jahr 2013 absolvierte sie die von Frank Elstner geleitete 'Masterclass' und gründete den YouTube-Kanal 'Kikki Mora', für den sie eigene Videos herstellt, welche zum Teil auch auf zuio.tv zu sehen sind. Als Autorin und Hauptdarstellerin der Comedyserie Frau Dingens will zum Fernsehen und 'The Dingens Show' war sie seit 2014 auf Tele 5 zu sehen. In der Musiktheaterinszenierung idem am Theater Hebbel am Ufer berichtete sie aus ihrer 'fake-fiktiven' Biographie als ihr alter Ego 'Katharina Wilke'. Von 2016-2021 ist sie regelmäßig in der ARD-Satiresendung Extra 3 aufgetreten, als sie selbst, aber auch in Rollen wieder burschikosen Parteienforscherin Ute Rehbein und als 'Marlies Heidel' in Anspielung auf die AfD-Politikerin Alice Weidel. Im Jahr 2019 erhielt sie das Stipendium der Roger-Willemsen-Stiftung für 'Performance und Literatur.' Zur Zeit ist sie zu sehen an der Komödie-Berlin in 'Der Chinese', im Kino in 'Als Susan Sontag im Publikum saß' (RPKahl) und in 'Schlingensief - in das Schweigen hineinschreien.' Freie Autorin bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Dozentin an der DEKRA Medienhochschule für das Genre Komödie. Theater-Engagements am HAU1, Ballhaus Ost, Tribüne Berlin, BAT, Theaterdiscounter, Theater unterm Dach, Theater in der Basilika, Komödie am Kurfürstendamm im Schillertheater.
Autoren/Hrsg.
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Warteraum
»Life is a comedy for those who think, and a tragedy for those who feel.«
Ich entdecke das Zitat, als ich im Warteraum einer Produktionsfirma für Comedyformate in einem schwarzen Ledersessel vor einer wichtigen Tür sitze. Goldgerahmt hängt es da, in Schnörkelschrift, und ich starre schockiert auf das, was den Besuchern geboten wird. Ich recke den Kopf, kneife die Augen zusammen, lehne mich vor, stehe sogar auf und gehe die paar Schritte zur Wand – wie kann man sich nur so vertun, denke ich. Und merke, wie sich mein Gesicht zu einer Grimasse verzerrt, als drehte mir jemand Schrauben in die Schläfen.
Seit Vaters Tod trete ich als Komikerin auf, was in meinem Umfeld dazu führt, dass Leute alles, was ich sage, als Witz deuten und lachen. Weniger ein echtes Lachen, mehr eine Höflichkeitsgeste, oder weil sie etwas nicht verstanden zu haben meinen und sich nicht blamieren wollen. »Hallo, da bin ich«, sage ich. Sie lachen. »War gar nicht lustig gemeint«, sage ich. Sie lachen. »Das auch nicht«, sage ich. Sie lachen. Sie können es nur nett meinen, schließlich wissen sie: Ich lebe davon. Oder ist es Spott? Oder dieses weitverbreitete Angstlachen? Was ich auch sage, es führt zum selben Ergebnis, und wohin ich auch komme, weisen mich selbst Fremde darauf hin, was sie alles lustig finden in der Welt (kleckern, ein umfallendes Glas, ein Tampon, der aus einer Tasche kullert), Taxifahrer, Busfahrer und Kneipenwirte erzählen mir ihre Lieblingswitze (»Ein Deutscher, ein Engländer und ein Amerikaner …«) eine Friseuse präsentierte mir mit Mund und Händen ihre liebsten Knall-, Pups-, und Quietschgeräusche, Leute in Warteschlangen berichten mir vom Unterhaltungstalent ihrer Haustiere, Betrunkene torkeln mir nachts auf Gehwegen entgegen und beschreiben mir ihre Kneipenkumpels, gefolgt von dem Rat, »da unbedingt was draus zu machen«, und langjährige Freunde zeigen mir Videos anderer Witzeerzählerinnen, deren Witze sie viel witziger finden als meine.
Wenngleich ich eine große Freundin von lustigen Gängen, Geräuschen und Tieren bin, haben meine Freunde und ich schon lange nicht mehr denselben Humor, was ich mir nur dadurch erklären kann, dass wir uns vor zu verschiedenen Dingen fürchten. Doch verstärkt dies nur mein Lebensgefühl, das schon immer geprägt ist von einer Entfernung, die mir das Gefühl gibt, nicht wirklich Teil dieser Welt zu sein, und die Entfernung hat die Länge, sagen wir, einer Person. Humor würde die Brücke bauen, das hatte ich lange Zeit angenommen und mich schwer verausgabt an diesem Bau, doch nun stehe ich obendrauf – und winke in nur noch fernere Fernen.
Wie ruhig es ist. Schallisoliert, teppichgedämpft. Und draußen wächst der Schnee. Aprilschnee. Dabei: Hinter der Tür muss es lärmen wie sonst nur was. Das sind diese Doppeltüren, da lässt sich nie einschätzen, was dahinter los ist. Muss mein Gesicht noch in Form bringen, kämpfe noch immer mit der Übelkeit – der Flug. Bahnreise wär’ mir lieber, hatte ich gesagt, aber die aufgeweckte Aufnahmeleiterin überhörte es, und man will ja nicht so sein. Sie betete ihr yay und cool und fine und supernice runter und beendete das Telefonat mit einem fast gebrüllten »wir freu’n uns hier alle me-ga auf Dich!«
Die sind alle so. Müssten doch chronisches Erschöpfungssyndrom haben von so viel Megafreuerei. Nach jedem Auftritt: Daumen hoch, überschäumende Begeisterung, alle lieben dich! und so weiter. Am Anfang ist man ganz dahin von so viel Überschwang und glaubt den Worten, später dann der Panik, die sich auf dem Heimweg von hinten ranschleicht.
Mit starker Verspätung starteten wir am Morgen in ein heftiges Unwetter hinein. Es ist ein weiterer Frühling voller Extremwetterereignisse, die sich mittlerweile mit meinem Wesen versponnen haben. Mal scheint der Regen den Asphalt zu zerstechen, dann entflammt ein kenianischer Hochsommer, aus dem Nichts toben Orkane los und wirbeln Äste und ganze Baumkronen durch die Luft. Mein Blick hat sich der schlechten Sicht angepasst, mein Gang lehnt sich selbst bei Flaute gegen den Wind, Preistafeln schweben mir auf Gehwegen entgegen, und einmal schleuderte es mitten in der Nacht meine Doppelfenster auf, und mir war so heiß vor Schreck, dass ich meinen Kopf in den Kühlschrank steckte, um ihn auszukühlen.
Die schweren Maschinen wurden hochgefahren und bebten wie eine nahende Explosion, der Geruch von Kerosin sank mir in den Schädel, und rote Warnlichter verschwammen im bleiblauen Dunst der Startbahn. Draußen hagelte es Titansplitter gegen die Scheiben, eine junge Frau auf der anderen Seite des Gangs bekreuzigte sich heimlich und überspielte es anschließend mit einem eifrigen Nasekratzen. Den gesamten einstündigen Flug über klammerte ich mich am Sitz vor mir fest und probte die Notlandehaltung, brace, brace. Man muss zu jeder Zeit auf alles vorbereitet sein; Schwimmweste, Atemmasken, Notausgänge – falls jemand Fragen hat: Ich kenn den Weg. Und als wir endlich gelandet waren – nach einem schier unaufhörlichen Drehen der immer selben Schleifen – taumelte ich am Rand der Gangway entlang und ließ mich in der Arrival-Zone rücklings auf die erste Bank fallen. So lag ich eine Weile in der riesigen Halle, zwischen Gongs und Ausrufen und herumwehenden Geschäftsmännern, und sah mir die Decke an: Streben, Zacken, Leuchten, und war froh, den Mülleimern so nah zu sein. »Ist Ihnen nicht gut, Sie sind ja kalkweiß«, fragte einer. »Geht schon, geht schon«, sagte ich und brauchte lange, um wieder auf die Beine zu kommen.
Es zieht. Noch immer nichts zu hören. Müsste doch langsam jemand kommen und mich holen – oder haben die mich vergessen? Es ist schon weit über die Zeit. Zugeschneit, die Großbaustelle vor dem Fenster. Zugeschnitten, würde mein Vater sagen und ich die Augen durch den Raum rollen. Sieben Jahre ist es her – so lange schon? Fragt man mich, wie alt sind Sie, sage ich noch immer: sechsundzwanzig. Sechsundzwanzig, sieben Jahre lang. Die Zeit steht still, doch weiter dreh’n sich in der Welt die Dinge –
es ist das Normalste auf der Welt, dass Eltern sterben! Nichts daran ist einzigartig oder schicksalhaft, jeder erlebt es; jeder eben zu einem anderen Zeitpunkt, und am Ende: Was ist schon ein Zeitpunkt? Die, die es nicht erleben, das ist schlimm.
Die Baustelle schläft; Bagger, Gerüste, Betonplatten. Meine roten Haare spiegeln sich in der Scheibe – nur die Haare spiegeln sich, nichts sonst. Das Glanzshampoo tut seine Wirkung. Mit etwas Phantasie könnte man meinen, da läge eine Perücke im Schnee –
»Die Pipeline ist defekt«, hatte er gesagt. Sein Herz nannte er Pumpe, sein Gehirn die Schaltzentrale, seine Nase war der Kühler, »und jetzt ist auch das Gebläse hin«. Ich las ihm aus der Zeitung vor. Macht das Gehen leichter, dachte ich. Er war schon weggetreten, aber sein Herz lebte noch. Schwarze Nacht war es und alles zugeschnitten. Und als es so weit war, stürzte ich rückwärts aus dem Raum, als schubse mich jemand. Ich rannte den leeren Flur entlang, das Deckenlicht spiegelte sich im grauen Linoleum, und ich, im Daunenmantel die Stationen rauf und runter, fand den Ausgang nicht.
»Schlag ihr Erbe aus«, das war sein letzter Satz. »Du musst ihr Erbe ausschlagen, hörst du.«
Deines meinte er.
Vor Wochen noch lebtest du mit den Füßen im Wasser. »Hast du eine Ente zu Besuch«, fragte ich am Telefon. »Was für eine Ente«, sagtest du. »Es platscht und watschelt so lustig im Hintergrund.« Die Badewanne war dir übergelaufen, und wochenlang schwammen dir Teppiche um die Beine. »Jetzt pass mal auf, mein liebes Frollein, das ist keine Ente, das bin ich! Ich laufe durch den Flur!« »Ach so«, sagte ich, »und sollte man da vielleicht mal jemandem Bescheid geben und das Wasser abpumpen?« »Nein! Nein! Da sollte man überhaupt niemandem Bescheid geben! Wehe, Alice, unter mir ist eh nur der Keller, das merkt keiner!«
Vielleicht kommt die Übelkeit gar nicht vom Flug, vielleicht setzt mir der Besuch bei der Esoterikerin noch immer zu. Neunzig Euro für eine Reihe von Beleidigungen und den Ratschlag, mich mit Pflanzen und Tieren zu unterhalten. Plötzliches Klacken, ich seufze laut auf vor Schreck: der...